Die Pendulo Studios aus Spanien haben sich mit den Runaway-Titeln über die Genregrenzen hinweg einen Namen gemacht, läutete doch der erste Teil der Serie das Comeback der klassischen Adventures auch auf dem deutschen Markt ein. Jetzt haben die Entwickler die bekannten Charaktere beiseite gelegt und etwas gänzlich neues, geht man nach dem Namen des Spiels auch großes, geschaffen – The Next BIG Thing. Kann das abgedrehte Abenteuer zweier Journalisten, die in einem 50er-Jahre-Setting agieren, in dem Menschen und Monster neben einander her leben überzeugen oder geht der Schuss nach hinten los?
Dan Murray und Liz Allaire sind vor Ort, um vom diesjährigen Horrorfilmfestival zu berichten. Doch schon bevor die beiden das Auto verlassen haben, liegen sie sich in den Haaren. Während Liz eine sensationelle Reportage mit vielen Interviews und Eindrücken veröffentlichen will, zieht Dan es vor, im Wagen zu warten und sich seinem Flachmann zu widmen. Als Liz nach einem anstrengenden Festivalabend zum Auto zurück kehrt, ist sie dementsprechend schlecht auf ihn zu sprechen. Doch in diesem Moment bemerkt Dan das Monster Big Albert, das gerade im Begriff ist, in die Villa des Filmproduzenten FitzRandolph einzusteigen, auf deren Gelände das Festival stattgefunden hat und in der gerade die Aftershow-Party in vollem Gange ist.
Und schon gibt es den nächsten Streit. Liz möchte dem seltsamen Vorfall nachgehen, Dan hat darauf aber so überhaupt keine Lust und genießt lieber weiter die laue Sommernachtluft. Doch wie soll Liz in den abgesperrten Bereich der Villa gelangen, in den der Einbruch stattgefunden hat? Letztlich stellt sich heraus, dass sie dafür dringend die Unterstützung ihres Partners Dan benötigt – doch diesen zu motivieren, scheint erst einmal unmöglich.
Eine Welt, in der Menschen und Monster vermeintlich gleichberechtigt nebeneinander leben, verpackt in ein Setting der fünfziger Jahre? Für The Next BIG Thing kein Problem. In Dans und Liz' Umgebung sind Monster, die als Wissenschaftler, Filmstars oder Poeten ihr täglich Brot verdienen eine Selbstverständlichkeit. Auch kleine Dienstroboter mit einem manchmal lustigen, manchmal traurigen Eigenleben gehören zur Tagesordnung. Durch das Spiel führt ein Erzähler, der perfekt zur Stimmung des Spiels passt und immer wieder Ereignisse zusammenfasst oder Querverbindungen herstellt. Aber auch sonst wird das Spiel aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Spieler steuert abwechselnd Dan und Liz, die sich ziemlich schnell aus den Augen verlieren und somit unterschiedliche Teile der Story erleben, die sich am Schluss zu einem großen Ganzen zusammen fügen. Der Spieler wird außerdem durch ein audiovisuelles System unterstützt, das aktuelle Aufgaben skizziert und diese als erledigt abhakt, sobald bestimmte Handlungen abgeschlossen werden.
Kennt man die Runaway-Spiele, bringt man den Grafikstil von The Next BIG Thing sofort mit den Entwicklern in Verbindung. Und trotzdem sind die handgezeichneten Hintergründe passend zum Setting ein wenig verspielter, teilweise gar verrückter. Und das ist gut so. Das Adventure glänzt durchgängig mit detailverliebten Schauplätzen, an denen sich das Auge kaum sattsehen kann. Obwohl man in den Kapiteln die verschiedensten Orte betritt, ist der Zeichenstil durchgehend homogen und auf einem sehr hohen Level. Ein wenig zu kurz gekommen sind dafür Hintergrundanimationen, die Screens wirken durch die farbenfrohe Gestaltung aber trotzdem recht lebendig. Die Figuren agieren als 3D-Modelle und sind per Cel-Shading-Technik in die Comicgrafik integriert, was sehr gut funktioniert. Denn im Gegensatz zu komplett handgezeichneten Sprites lassen sich so eine Fülle von Bewegungen realisieren, die ansonsten sicherlich zu aufwändig gewesen wären. Die Zwischensequenzen wurden zum Beispiel mit Kamerafahrten und Dialog-Closeups filmreif in Szene gesetzt. Und gerade diese können sich wirklich sehen lassen, verfügen der coole Dan Murray und die süße Liz Allaire doch über ein Repertoire zahlreicher Gesichtsausdrücke.
Auch die Soundkulisse überzeugt und bietet viele detailverliebte Kleinigkeiten, wie die unterschiedlichsten Laufgeräusche auf verschiedenen Untergründen. Die musikalische Untermalung an sich ist auch sehr gut, hier hätte man sich aber noch die eine oder andere zusätzliche Variation des Hauptthemas gewünscht, das grundsätzlich aber sehr gut zum Spiel passt und auch eine Weile im Kopf hängen bleibt.
Besonders hervorzuheben ist auch die Synchronisation, die äußerst gelungen ist. Die Charaktere sind perfekt besetzt und vermitteln die jeweilige Stimmung im Spiel ohne Probleme. Dazu trägt aber wohl auch bei, dass The Next BIG Thing nur sehr wenige Nebencharaktere enthält und man sich so auf die Auswahl und die Vertonung weniger Hauptdarsteller konzentrieren konnte. Die Akteure sind aber größtenteils sehr kommunikationsfreudig, was zu ausgedehnten, aber durchaus sinnvollen Dialogen führt, die die Geschichte weiter vorantreiben. Trotzdem gibt es in den Gesprächen ein Problem: Das Timing stimmt oft nicht. Liz hat zum Beispiel die Angewohnheit, Sätze ihrer Gesprächspartner spontan zu Ende zu führen. Das wirkt aber wenig glaubwürdig, wenn das jeweilige Gegenüber nicht tatsächlich unterbrochen wird, sondern scheinbar bewusst aufhört zu sprechen, um Miss Allaire den Vortritt zu lassen.
Bei der Gestaltung der Rätsel vermisst man ein wenig die richtigen Kopfnüsse. Das ist gerade deswegen schade, weil die Pendulo Studios ja eigentlich über jahrelange Erfahrung im Adventuresegment verfügen - es also eigentlich besser wissen müssten. Und so erwarten den Spieler zwar faire und gut durchdachte Rätsel, der Schwierigkeitsgrad dümpelt aber immer bei einfach bis mittel vor sich hin. Das Spielgeschehen wird von Inventar- und Kombinationsrätseln dominiert. Geschicklichkeitsrätsel sind so gut wie nicht vorhanden, dafür wird das eine Musikrätsel vielen Spielern graue Haare wachsen lassen, woran leider auch ein wenig die Umsetzung schuld ist. So muss man aus einer kleinen Auswahl an Musikinstrumenten (dargestellt durch Blumen) diejenigen im richtigen Takt aktivieren, die für einen Tango benötigt werden. Erwischt man ein falsches oder ist man nicht im richtig Rhythmus, geht das Spiel von vorne los. Dabei werden allerdings auch die Instrumente neu gemischt, so dass man erst wieder herausfinden muss, welche Blume welches Instrument symbolisiert.
Grundsätzlich sind die Rätsel sehr eng mit der Geschichte verbunden und bauen teilweise aufeinander auf. Außerdem gibt es an manchen Stellen die Möglichkeit, an verschiedenen Rätselsträngen parallel zu arbeiten. Dies lässt die immer auf wenige Screens beschränkte Spielwelt lebendiger erscheinen. Inventargegenstände können übrigens unabhängig von ihrer Relevanz sofort aufgenommen werden, das so genannte „Runaway-Syndrom“ taucht also auch in diesem Pendulo-Spiel nicht mehr auf. Trotz der Beschränkung auf fast nur eine Rätselart sind die Aufgaben sehr abwechslungsreich und kurzweilig.
Interessant ist die grundsätzliche Möglichkeit, vor Beginn des Spiels einen Schwierigkeitsgrad auszuwählen. Infolgedessen stehen einzelne Spielhilfen bei höheren Schwierigkeitsgraden nicht mehr zur Verfügung. Als Unterstützung für den Spieler gibt es zum Beispiel die fast schon obligatorische Hotspotanzeige, aber auch einen Hilfebutton, durch dessen Betätigung der Erzähler leider oft zu konkrete Tipps zum nächsten Schritt gibt. Hilfreich nicht nur bei den Rätseln ist außerdem die schon angesprochene Fortschrittsanzeige, in der man abgeschlossene und noch offene Punkte nachvollziehen kann. Die Hilfen sind insgesamt gut integriert, man hätte jedoch bei den Hilfestellungen etwas zurückhaltender sein können. Andererseits zwingt den Spieler natürlich auch niemand, so ein System zu nutzen. Die Versuchung ist aber ganz klar da. Richtig schwierige Kopfnüsse findet man in The Next BIG Thing aber ohnehin selten, der Schwierigkeitsgrad ist gerade für erfahrene Spieler eher moderat ausgefallen. Das führt aber auch dazu, dass man selten wirklich an einem Rätsel hängt und sich auf die Entwicklung der Geschichte konzentrieren kann.
Die Bedienung des Adventures ist ziemlich intuitiv und arbeitet mit Verbensymbolen. So kann man sich mit Rechtsklicks durch die Aktionen Ansehen, Interagieren und Sprechen klicken. Diese Vielfalt stellt in heutigen Adventures, die oft mit einer grundsätzlichen Interaktionsmöglichkeit auskommen, schon fast eine Seltenheit dar. Und die unterschiedlichen Möglichkeiten werden im Spiel auch genutzt. So ist es zum Beispiel manchmal nötig, Inventargegenstände genauer zu untersuchen. Dabei fällt auch auf, dass viel Wert auf individuelle Kommentare gelegt wurde, zum Beispiel, wenn man versucht, eine Kombination zweier Gegenstände auszuführen, die nicht zueinander passen. Statt einfach „Das geht nicht“ zu sagen, haben Liz und Dan oft ganz individuelle Aussagen auf Lager. Und auch Kommentare zu Gegenständen sind oft unterschiedliche vorhanden, so dass es sich durchaus lohnt, etwas mehrfach zu betrachten. Einen guten Eindruck davon erhält man in einem Raum, der auch Bestandteil der Demoversion ist. In diesem sind zahlreiche Kisten aufgestapelt, und Liz hat pro Kiste oft mehr als vier Kommentare parat. Das ist natürlich nicht bei jedem Hotspot so – von denen es übrigens ruhig ein paar mehr geben hätte können – fällt aber immer mal wieder positiv auf.
Auch die restliche Steuerung wirkt durchdacht. So kann man zum Beispiel per Doppelklick nicht nur zu Ausgängen „springen“, sondern auch innerhalb von Szenen Laufwege abkürzen. Der Charakter wird wie auch schon im letzten Runaway-Titel sanft aus- und wieder eingeblendet. Das Inventar, das Menü und die Spielhilfen erreicht man über Symbole, die am oberen Bildschirmrand eingeblendet werden, wenn der Mauszeiger dorthin bewegt wird. Es schließt sich automatisch, wenn der Cursor das Inventarfenster verlässt. Die Dialoge laufen im Multiple-Choice-Verfahren ab, relevante Informationen können meist auch wiederholt abgerufen werden, solange der Gesprächspartner zur Verfügung steht. Zwischen den einzelnen Bildschirmen gibt es Ladezeiten. Diese sind aber ziemlich kurz ausgefallen und stören den Spielfluss nicht wirklich. Gespeichert werden kann immer. Praktisch: Beim Verlassen des Spiels wird ein Autosave angelegt.
Pendulo Studios haben mit der Entscheidung, nach der Runaway-Trilogie ein offeneres Setting zu wählen, das mehr Platz für Kreativität lässt, eindeutig die richtige Entscheidung getroffen. Die Welt, in der Dan und Liz agieren wirkt trotz ihrer Skurrilität absolut plausibel – und so verzichtet man auch auf große Erklärungen und stellt die Gesellschaft, in der Monster ihren nicht immer ganz gleichberechtigten Platz neben der Menschheit gefunden haben, als völlig normal dar. Dem Spieler wachsen dabei die beiden Streithähne Dan und Liz nicht zuletzt auf Grund ihrer Hassliebe schnell ans Herz, die Story verspricht außerdem schon zu Beginn des Spiels, interessant zu werden und so steht einem kleinen, aber feinen Abenteuer, bei dem es letztendlich aber doch um nichts geringeres als die Weltherrschaft geht, nichts mehr im Wege.
Die Handlung von The Next BIG Thing wird flankiert mit allerlei Anspielungen auf verschiedenste Film-, Fernseh- und Spielproduktionen und hat außerdem einen ganz eigenen Humor, der eine wunderbare Atmosphäre schafft, die fast das ganze Spielgeschehen begleitet. Optisch ist das Adventure ein absoluter Leckerbissen und spielt im Bereich der handgezeichneten, comichaften Hintergründe in der obersten Liga.
Fans humorvoller Comicadventures kommen bei diesem Adventure auf ihre Kosten. Runway-Fans wird wohl auf jeden Fall die Spielmechanik ansprechen, jedoch ist die Atmosphäre sowie das Setting kaum mit Brians und Ginas Abenteuern vergleichbar.
So ganz sicher war ich mir nicht, ob Pendulo Studios der Schritt weg vom gemachten Nest (also den Runaway-Titeln) gelingen würde, gerade wegen des doch ganz anderen Settings. Doch diese Sorge war unbegründet. Mit The Next BIG Thing ist es definitiv gelungen, eine spannende und überzeugende Geschichte zu erzählen und dabei die typischen Elemente eines Adventures nicht zu kurz kommen zu lassen. Das Spiel ist klassisches Adventure durch und durch und unterhält auf hohem Niveau. Der Humor ist natürlich Geschmackssache, hat mir persönlich aber sehr gut gefallen. Die meisten Gags sind gut platziert und wirken richtig dosiert. Nur das Ende hat mich ein wenig enttäuscht. Nachdem man den gesamten Handlungsbogen kennt, erwartet man einen großen Showdown. Tatsächlich plätschert das Finale aber eher lustlos vor sich hin und birgt auch keine größeren Überraschungen - das hätte Pendulo sicher besser gekonnt.
Ein bisschen schade ist die nicht ganz so hoch ausgefallene Spielzeit – erfahrene Spieler (oder solche, die oft die sehr gut integrierte Spielhilfe in Anspruch nehmen) werden schon nach weniger als acht Stunden den Abspann über den Bildschirm flimmern sehen - auch wenn sie sich zum Beispiel länger mit Dialogen aufgehalten haben, die nur optional geführt werden müssen. Im Gegenzug wird man in dieser Zeit aber gut unterhalten, es gibt keine künstlichen Verlängerungen der Spielzeit und der Handlungsbogen stellt absolut zufrieden. Man fühlt sich irgendwie wohl in der Gesellschaft von Liz und Dan. Bei den Rätseln hat man zwar sehr viel Wert auf Verkettung gelegt, insgesamt ist der Anspruch aber zu gering.
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