Test

von  Hans Pieper
15.08.2011
Full Pipe
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Full Pipe ist ein vergleichsweise kurzes, recht ungewöhnliches Adventure der russischen Firma Pipe Studio. Da es wie Machinarium von Daedalic in Deutschland veröffentlicht wurde und ebenfalls im gesamten Spiel kein Wort gesprochen wird, betrachten es einige Spieler als Quasi-Nachfolger der Robotergeschichte. Ob es diese Bezeichnung verdient, haben wir für euch getestet.

Lauter merkwürdige Wesen

Eines Morgens stiehlt eine riesige Hand den linken Schuh von Dude. Auf der Suche nach seiner verschwundenen Sandale klettert er in einen Kanaldeckel unter seinem Bett – und wird in eine Welt voller merkwürdiger Charaktere und Orte eingesogen. Kaum ist das Spiel gestartet, befindet sich der Spieler mitten in einer äußerst surrealen Welt mit vielen seltsamen Kreaturen. Ein Elefant mit zwei Beinen, eine Plüschspinne und ein Spielsüchtiger mit Knoten im Hals sind nur ein paar davon. Und auch die Umwelt ist alles andere als gewöhnlich. Über Röhren gelangt man von Schauplatz zu Schauplatz. Dabei gilt es, die Bewohner des Tunnelsystems um Hilfe zu bitten, ihnen Gegenstände zu beschaffen oder sie sogar aufs Kreuz zu legen, wenn sie gerade nicht aufpassen.

Auf seinem Weg durch das Röhrenlabyrinth <br /><br />begegnet Dude vielen exotischen Charakteren.

Ich gebe dir meinen Schuh, wenn du mir dafür…

Ein Großteil des Spiels basiert auf Tauschhandel. Es gilt, Gegenstände zu finden, einzusammeln, und dann anderen Charakteren anzubieten. Oft bleibt es nicht bei einem Tausch. In vielen Fällen braucht man den getauschten Gegenstand irgendwann wieder und muss sich etwas Neues einfallen lassen, um wieder tauschen zu können. Das Spiel entwickelt bereits in den ersten Minuten eine Art eigenes Wirtschafts- und Tauschsystem. Gegenstände können getauscht oder gegen Münzen gehandelt werden, die man in Löchern in verschiedenen Wänden findet, fast alle Elemente werden mehrere Male benutzt. Das Kombinieren von Gegenständen ist dabei nicht möglich. Neben den Angeboten, die man den merkwürdigen Bewohnern des Röhrensystems macht, gilt es auch hin und wieder, klassische Kombinationsrätsel zu lösen.

Schaukeln per Mausklick

Full Pipe wird komplett mit der Maus gesteuert. Mit einem Linksklick dirigiert man Dude durch die Räume und nimmt Gegenstände auf. An einigen Stellen haben die Entwickler Minispiele eingebaut: Mal gilt es, hoch genug zu schaukeln, um eine höher gelegene Röhre zu erreichen. Ein anderes Mal muss Dude auf einem Laufband fliegenden Bällen ausweichen. Zum Großteil sind diese kurzen Spielchen ausgewogen und gut umgesetzt. Es gibt allerdings auch Aufgaben, die die Geduld des Spielers übermäßig strapazieren. So gilt es beispielsweise an einer Stelle, einen grünen Schleimball an mehreren Hindernissen vorbei zu einem anderen Wesen zu bringen. Benötigt man hier mehr als nur ein paar Versuche, liegen die Nerven ziemlich schnell blank. Wie die einzelnen Minispiele funktionieren, zeigt stets eine grafische Darstellung einer Computermaus mit Pfeilen am unteren Bildschirmrand.

Bei diesem Minispiel muss die Kugel dreimal auf der anderen Seite ankommen. <br /><br />An den Schwänzen der hängenden Wesen kann dafür  gezogen werden. <br /><br />Zur Lösung gehört auch eine gehörige Portion Glück, das kann schnell frustrieren.

Und was hat dieser Hebel jetzt bewirkt...?

Die surreale Welt in den Röhren folgt ihren eigenen Gesetzen – und das macht die Rätsel zum Teil auch ziemlich knifflig. Es hilft zwar, dass in vielen Räumen kaputte Ausgaben der Gegenstände liegen, die man dort benötigt. Allerdings gibt es auch Schalter und Kurbeln, deren Sinn sich bis zum Ende des Spiels nicht klären. Hier hilft oftmals nur blindes Ausprobieren und Nachschauen. Zusätzlich wird das Tunnelsystem immer größer und man muss im Kopf behalten, an welchem Ort man einen Gegenstand zu welchem Zweck verwendet hat. Dennoch sind die Rätsel insgesamt fair und wer aufmerksam die Wände und kaputten Gegenstände studiert, der wird leichter auf die Lösung kommen. Extrem hilfreich ist die Übersichtskarte rechts oben, mit der man per Klick von Raum zu Raum wechseln kann.

Mit nur einem Klick in alle Räume: <br /><br />Die Übersichtskarte spart viel Zeit.

Ist da nicht gerade etwas durchs Bild gelaufen?

Hin und wieder laufen kommentarlos lustig aussehende Wesen durch das Bild, bevorzugt während der Minispiele. An manchen Stellen führt der Hauptcharakter sehr merkwürdige, aber auch unterhaltsame Aktionen aus, die in keiner Weise zum Spielfortschritt beitragen.

Die Grafik bewegt sich insgesamt zwischen handgezeichnet und abfotografiert. Nur an wenigen Stellen fällt das störend auf, insgesamt trägt die Mischung aus abfotografierten Hintergründen und handgezeichneten Kreaturen viel zur Atmosphäre bei.

Ist das… Musik?

Die Vertonung ist den Entwicklern sehr gut gelungen. Im gesamten Spiel wird zwar nicht ein Wort gesprochen, aber es wird viel gegrunzt, gebrummt, gesummt und aufgeschrien. Die Musik unterstreicht die surreale Welt auf eindrucksvolle Art und Weise. Die einzelnen Titel kombinieren die verschiedensten Instrumente und Stilrichtungen. Beispielsweise enthält ein Stück ein Saxophon, eine Harfe, einen aufgeregt brabbelnder Chor und eine Flasche, in die hinein gepustet wird.

Zickiges Design

Beim Spielen ist es etwas ärgerlich, dass beim Erhalten eines Gegenstandes gewartet werden muss, bis alle Animationen vollständig abgeschlossen sind. Ansonsten kann es passieren, dass man über die Karte den Raum wechselt, ohne den Gegenstand getauscht oder erhalten zu haben. Das macht sich vor allem mit fortschreitender Spielzeit negativ bemerkbar. Ebenfalls negativ wirkt sich die Tatsache aus, dass die Spielfiguren während einer Animation keine Gegenstände akzeptieren. Deshalb kann es passieren, dass der Spieler denkt, eine gültige Kombination wäre nicht möglich.

Das Wesen in der Wandnische ändert auf Klick die Anzeige von Plus nach Minus. <br /><br />Doch wofür das gut sein soll, erfährt der Spieler nur durch wildes Ausprobieren – wenn überhaupt.

Fazit

Full Pipe ist kein zweites Machinarium – es ist anders. Auch wenn hier ebenfalls kein Wort gesprochen wird, ist die Welt deutlich surrealer und folgt ihren ganz eigenen Gesetzen. Es gibt auch kein eindeutiges Gut und Böse mit Dude als ehrbaren Helden. Bei vielen Handlungen fragt man sich, ob man nun gemein war oder nicht. Nach etwa 5-7 Stunden endet das Adventure ebenso abrupt wie es begonnen hat. Von teilweise nervigen Minispielen abgesehen sind Steuerung und Gameplay gut umgesetzt. Letztendlich ist dieses Adventure wohl Geschmackssache. Je nachdem, wie weit man sich auf die merkwürdige Welt einlässt, wird man auch unterschiedlich viel Freude daran haben. Ein gutes Erinnerungs- und Konzentrationsvermögen sind sehr wichtig, vor allem, wenn das Spiel nicht am Stück gespielt wird. Insgesamt ist Full Pipe ein gelungenes, kurzes Adventure mit komischen und irritierenden Momenten, das aber durch sein spezielles Rätseldesign und die Minispiele auch leicht frustrieren kann.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Der erste Gedanke, der mir beim Spielen durch den Kopf schoss, war: „Aha. Und jetzt?“
Und das blieb auch die Frage, die ich mir während des Spiels am häufigsten stellte. Doch spätestens als ein kleiner, süßer Elefant auf mein Angebot für einen Tausch hin den Kopf schüttelte und „Nnn-nnn!“ sagte, war mir das Spiel ans Herz gewachsen. Leider ging es nicht ganz ohne Lösung – zwei Rätsel waren mir einfach zu unlogisch. Aber allein für die ratlosen Blicke der Umstehenden (“Sag mal, was spielst du denn da eigentlich?!“) war es das wert. Ein wirklich nettes Adventure für zwischendurch.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Herrlich surreale Welt im klassischen Adventure-Stil
  • Witzige, niedliche, böse und irritierende Momente
  • Die Umgebung wird Stück für Stück entdeckt und vertrauter
  • Schnelles Wechseln der Schauplätze durch die Karte
  • Kurze Spielzeit
  • Einige Rätsel mit sehr spezieller Logik
  • Minispiele können sehr frustrierend werden