“Ich habe keine Angst vor Geistern… Was ich fürchte, liegt in mir selbst!”
Mit diesen kryptischen Worten lädt uns Ashley Reeves, die Spielerfigur von Age of Enigma – das Geheimnis des sechsten Geistes, in ihre Welt ein. Und die ist sowohl für Ashley selbst als auch für den Rest der Menschheit ganz schön aus den Fugen geraten, weil es die Verblichenen seit einer Weile nicht mehr allzu genau nehmen mit der Totenruhe…
Ein mysteriöser Brief führt die junge Frau zu einem Spukhaus auf Long Island, in dem es ein paar unglückliche Seelen aus ihrem irdischen Gefängnis zu erlösen gilt. So beginnt für Ashley eine Gratwanderung zwischen Diesseits und Jenseits, und für den Spieler ein Casual Adventure aus dem Bereich des Okkulten.
Age of Enigma präsentiert sich zunächst als interaktive Gespenstergeschichte mit ganz klassischen Zutaten: ein verfallenes Herrenhaus, ein paar gepeinigte Geister und eine hübsche junge Protagonistin mit einer besonderen Gabe, deren exakte Natur anfangs jedoch im Verborgenen liegt. Innovativ erscheint vor allem der Handlungshintergrund, denn Geisterspuk ist in Ashleys Welt keine gesellschaftliche Randerscheinung mehr, sondern hat sich zu einem akzeptierten Massenphänomen entwickelt. Das Paranormale hat Einzug in das öffentliche Bewusstsein gefunden.
Gleich zu Spielbeginn träumt Ashley, zu diesem Zeitpunkt noch im eigenen Apartment, von der alten Villa und von der Konfrontation mit einer dämonischen Fratze, untermalt von einem markerschütternden Schrei. Ein bloßer Albtraum… oder steckt mehr dahinter? Nachdem sie kurz darauf ein Brief mit der Adresse, dem Grundrissplan und dem Schlüssel des geheimnisvollen Hauses erreicht – natürlich anonym und ohne weiteren Kommentar – beschließt Ashley, dieser unkonventionellen Einladung nachzugehen und das Gebäude in der abgelegenen Manor Street aufzusuchen.
Ein Absperrband vorm Haupteingang bekräftigt das ohnehin längst Offenkundige: Achtung, hier spukt es! Unmittelbar dahinter wartet bereits Nathan, das Ein-Mann-Begrüßungskomitee, von dem Ashley nach jedem weiteren Handlungsabschnitt neue Informations-Häppchen bekommt. Nathan zufolge war es die ominöse “Bruderschaft der Medien”, die Ashley zu dem Spukhaus führte, um sechs leidgeplagte Geister aus ihrer Gefangenschaft zu erlösen – und um gleichzeitig die übersinnlichen Kräfte zu entfalten, die bisher ungenutzt in Ashley schlummerten.
Das Abenteuer im Geisterhaus wird in zwei verschiedenen Modi angeboten. Bei der Variante “Harmlos” werden aktive Flächen visuell hervorgehoben und Dialoge teilweise verkürzt; außerdem wird die Handlungsfreiheit des Spielers extrem stark beschnitten, weil Ashley bestimmte Aktionen verweigert, insofern sie nicht unmittelbar zielführend im Rahmen ihrer jeweils aktuellen Aufgabe sind.
Selbst im “Abenteuer”-Modus gestaltet sich das Spiel überaus geradlinig und verzichtet zugunsten fader Sammel-Quests, die besonders im letzten Handlungsabschnitt geradezu absurd willkürlich erscheinen, beinahe komplett auf potenziell knifflige und anspruchsvolle Rätsel. Dafür sind aufzunehmende Items bisweilen gut verborgen, und einige der Screens haben durchaus den Charakter eines Wimmelbilds.
Dialog-Optionen gibt es keine, was vor allem bei der Interaktion mit Nathan ärgerlich ist, weil die Eigeninitiative, sogar in Schlüsselmomenten, dadurch vom Spieler genommen und auf die Spielfigur übertragen wird. Regelmäßige Texteinblendungen weisen zudem auf jedes neue Ziel hin – und wem das nicht genügt, der kann sich über das Tagebuch von Ashley noch mit expliziten Tipps versorgen lassen. Kopfarbeit wird demnach allenfalls bei den Mini-Games gefordert.
Klassiker wie Zahlenrätsel, Gedächtnisspiele und Puzzles werden gelegentlich um ausgefallenere Ideen ergänzt, wie beispielsweise einen zu stutzenden Bonsaibaum oder eine zu ermittelnde Farbkombination. Die Ausprägungen der Mini-Games sind genau so vielfältig wie die Hintergrundgeschichten der unterschiedlichen Geister. Für Yumanco im Wohnzimmer müssen allerlei Fresken aus dem Inka-Reich zusammengesetzt werden; bei Natsumi im Keller geht es um japanische Kulturgüter und Motive; für den Geisterpiraten Samuel Murray dreht sich alles um die Schatzsuche, und so weiter.
Insofern sind die 25 Mini-Games durchaus abwechslungsreich gestaltet – das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit vier oder fünf Ausnahmen leider zu simpel gestrickt und zu schnell gelöst sind, um wirklichen Spielspaß aufkommen zu lassen. Fühlt sich der Spieler dennoch einmal überfordert, so stehen ihm sowohl zwei Joker pro Mini-Game zur Verfügung, um den Anspruch herunterzuschrauben, als auch die Möglichkeit, das gegenwärtige Spiel komplett zu überspringen.
Sämtliche Mini-Games können zudem auch unabhängig vom Spielfluss wiederholt werden, sobald sie durch erstmaliges Auftreten innerhalb der Handlung freigeschaltet wurden. Daraus entsteht in den meisten Fällen zumindest ein potenzieller Mehrwert, weil sich die Variablen (z. B. Zahlenwerte oder Kombinationen) bei vielen der Mini-Games mit jedem Neustart ändern.
Die Spielgrafik demonstriert viel Liebe zum Detail. Spinnweben, verfallenes Mobiliar und ausdifferenzierte Lichtverhältnisse tragen zur gespenstischen Atmosphäre bei, die trotz des comic-artigen Stils in der alten Villa nicht verlorengeht. Der gelungene Look – ergänzt um gelegentliche Videosequenzen – ist sicherlich eine der Hauptstärken von Age of Enigma. Negativ fällt dabei lediglich auf, dass die verschiedenen Schauplätze relativ statisch wirken und Handlungen von Ashley nicht durch Animationen, sondern durch Vorher-Nachher-Bilder umgesetzt werden.
Hinzu kommen regelmäßige Ausflüge in das kulturell geprägte Umfeld der unterschiedlichen Geister; plötzlich findet sich der Spieler in einem japanischen Rosengarten wieder, auf einer karibischen Insel oder im Garten einer christlichen Abtei. Neben der größeren Vielfalt hübsch anzusehender Grafiken führen diese Abstecher ebenso zu einer temporären Abschwächung der gruseligen Stimmung. Das Kern-Thema des Mysteriösen und des Übernatürlichen bleibt jedoch erhalten, sodass die wiederholte Auflockerung nicht als extremer Bruch im Spiel-Erlebnis erscheint.
Der Soundtrack für Age of Enigma wurde von den französischen Cleophas Brothers beigesteuert. Er umfasst sowohl zurückhaltende Schauermelodien als auch ethnische Instrumentalmusik, die innerhalb der jeweiligen Kontexte gut funktionieren. Insbesondere der Titelsong im Startmenü glänzt durch hervorragendes Arrangement und stimmt durch Spannungsaufbau und sinistre Harmonien auf das Spiel ein. Lediglich zum Finale ist die Musik zu dezent gehalten, es hätte von einer wirkungsvolleren Vertonung profitiert.
Darüber hinaus begleiten knarrendes Holz, nervöses Herzpochen und gespenstisches Wehklagen den Spieler durch das Spukhaus. Ashley und Nathan, die zwei Hauptfiguren, sind in englischer Sprache vertont worden und liefern gute Sprecherleistungen, deren Wirkung hauptsächlich unter den verknappten, phrasenlastigen Dialogen leiden. Die Vertonung ist bei Ashley nicht durchgängig, sondern beschränkt sich auf Zwischensequenzen und Schlüsseldialoge. Die Gespenster wiederum geben lediglich unverständliches “Geistersprech” von sich, das jedoch für den Spieler in lesbare Dialogtexte überführt wird.
Das Spiel wird aus der Ego-Perspektive von Ashley dargestellt. Interface-Elemente befinden sich rings um den Bildschirmrand verteilt: oben das Dialogfeld, mittig unten das einzeilige Inventar mit Scrollfunktion, rechts unten eine Karte sowie links unten das Tagebuch von Ashley. Darin werden einerseits die bisherigen Erlebnisse automatisch dokumentiert und andererseits auch Hinweise bezüglich der aktuellen Aufgabe angeboten, die nahezu Walkthrough-Charakter haben.
Für absolute Neueinsteiger in das Adventure-Genre wird Grundsätzliches zur Steuerung in einem optionalen Tutorium unmittelbar nach Spielbeginn erläutert. Durch ihre Einfachheit ist sie zwar leicht beherrschbar, aber gleichzeitig auch sehr restriktiv, da es keine spielerseitige Auswahl zwischen verschiedenen Aktionen gibt: Bewegt sich die Maus über einen Hot Spot auf dem Bildschirm, verwandelt sich der Cursor automatisch in das jeweils anwendbare Aktions-Symbol.
Das inhaltliche Potenzial der Geschichte um Ashley und die sechs Geister bleibt leider weitgehend ungenutzt, weil Age of Engima viel zu sehr in abgedroschenen Klischees verhaftet ist. Das okkulte Hauptmotiv besteht aus einer Aneinanderreihung von esoterischen Floskeln, und spätestens nach dem dritten Geist gehen einem diese Sprüche auf den selbigen. Eine Reihe interessanter Figuren und Kulturkreise werden kurz oberflächlich beleuchtet, um dann gleich wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Vor allem Ashley verbleibt als Hauptfigur eindimensional und farblos, man erfährt nur wenig von ihrer Person und ihrem Hintergrund. Natürlich ist es zum Teil auch dem Spieltypus geschuldet, dass hier kein tiefgründiges Epos gesponnen wird, aber dennoch hätte ein wenig mehr Substanz nicht geschadet.
Womöglich hat Ashley allerdings in Zukunft noch die Gelegenheit, sich weiter zu entwickeln; am Spielende wird nämlich eine Fortsetzung der Geschichte um das junge Nachwuchs-Medium angedeutet.
Age of Enigma besticht eindeutig eher mit seiner Form als mit seinem Inhalt. Die Augen und Ohren kommen sicher nicht zu kurz, aber wem es mehr um die spielerischen Herausforderungen geht, der dürfte sich hier stark unterfordert fühlen. Bei Big Fish Games kann das Spiel kostenlos angetestet werden, die Vollversion gibt es dort für 10 Euro.
Der visuelle Stil und die musikalische Begleitung haben mir gefallen und mich zum Weiterspielen animiert. Das okkulte Thema fand ich zwar spannend, aber die Umsetzung war zu vorhersehbar. Ich hätte mir ein paar einfallsreichere Wendungen gewünscht, insbesondere zum Finale.
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