Test

von  Thomas Wüstemann
22.03.2012
The Ballads of Reemus
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

Nachdem Animator Jay Ziebarth und Programmierer Steve Castro mit ihren in der Newgrounds.com Community entstandenen Spielen Several Journeys of Reemus und The Visitor eine nicht unbeträchtliche Fangemeinde um sich scharen konnten, haben sie in diesem Jahr den großen Schritt gewagt und mit Ballads of Reemus einen kommerziellen Nachfolger auf den Markt gebracht, der eine eigenständige Geschichte erzählt und das Universum des Königreiches Fredricus erweitert.

Fredricus, das in diesem Spiel zur Stadt degradiert wird, kennen wir bereits seit dem ersten Reemus-Spiel, das 2008 zunächst als Einzeltitel entwickelt wurde, aber bald so guten Anklang und somit Fortsetzungen fand, dass das Erstlingswerk zur “Episode 0: Prolog” mutierte und nunmehr Anfangspunkt einer der umfang- und erfolgreichsten Flashadventure-Serien war.

Die Reihe brachte es schnell auf vier Fortsetzungen, wobei die letzte für den Werbeeffekt zeitgleich mit Ballads of Reemus veröffentlicht wurde, und inkorporierte spielerische und thematische Elemente aus anderen Spielen der Macher - so ist der Hauptwidersacher der bislang inhaltlich nicht vollendeten Reihe das körperfressende Alien aus Ziebarths Spiel The Visitor.

Die Erwartungen der Fangemeinde gegenüber dem ersten kommerziellen Titel waren hoch, erstes Feedback kann wohl für ein erleichtertes Aufatmen bei den beiden Entwicklern von ClickShake Games sorgen. Ob wir aber genauso zufrieden sind? Das verrät euch der Test.

Der Spiellogik ausgeliefert - die Story

Während es im klassischen Heldenspiel stets eine Bedrohung gibt, der entgegenzutreten der Spieler gezwungen ist und die so die Handlung des Spieles voranbringt, steht am Anfang von The Ballads of Reemus - nichts. Man mag sogar den Eindruck gewinnen, es mit einer leeren Hülle zu tun zu haben, in der sich eine Bring-Aufgabe an die nächste reiht: Besorge ein Seil, um das Bett des Wirts zu reparieren; ist das erledigt, brauchen wir ein Wasserbett, um es ihm noch bequemer zu machen. Aber - bevor diese Worte den Eindruck eines Verrisses erwecken - weit gefehlt:

In der Welt des tölpelhaften Insektenvernichters Reemus entspinnt sich die Handlung erst durch die ebenso tölpelhaften Taten, zu denen der Spieler in der Haut des Helden gezwungen wird. Die Bettwanzen vernichten, die sich durch das aus dem Sumpf angeschleppte Wasserbett in der ganzen Stadt ausbreiten? Kein Problem. Schließlich sind Feuerameisen deren erklärte Todfeinde. Also Haus und Hof geöffnet für die nächste Plage. Mitunter möchte man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn man Reemus’ Einfälle zur nächsten Aufgabe hört. Schließlich beugt man sich aber doch der sehr eigenen Logik des Insektenvernichters und folgt ihm auf seinen Rätselpfaden. Spannung und Humor sind immerhin garantiert, wenn sich Käferschreck Reemus, der kleinere Bruder des großen Drachentöters Raymus, wieder auf die Jagd nach Insekten macht. Außerdem werden auch die Aufgaben im weiteren Verlauf komplexer und nicht nur Reemus’ geringer Verstand, sondern auch der (hoffentlich etwas weiter entwickelte) des Spielers gefordert.

So wird ein postmodernes Gewitter an Referenzen aus allen Medien losgelassen. Adventure-Spiele interessieren dabei herzlich wenig; es gibt also keinen Tybrush Greepwood. Das einzige, was in Ballads of Reemus nicht die Lachmuskeln strapaziert, sind die Termiten, wie Reemus gegenüber einer Termitenwache konstatiert: “Deine Witze sind schlechter als dein Augenlicht”

Prinzipiell humorlose Gesellen: die Termiten.

Viele Elemente sind bereits aus der Browserspielreihe Several Journeys of Reemus bekannt. So auch der Balladen trällernde Bär Liam, Reemus’ Sancho Panza. Frisch von der Sidekick-Akademie, ist er an seine Seite getreten, um den blauen Stoffteddy zu ersetzen, den der Held bis dato mit auf Reisen nahm. Angenehm ist übrigens, dass, obwohl Liam klar der klügere Part im Team ist, auch der Exterminator selbst im Verlauf des Spiels den ein oder anderen klugen Einfall hat.

Auch die skurrile Vegetation der Vorgänger wurde beibehalten. Überall in der mittelalterlich angehauchten Fantasywelt finden sich essbare Bäume (zb. in Form von Salzstreuern), Büsche, die nicht nur Blüten aus Schinken bilden, sondern diesen dazu noch frühstücksgerecht anbraten und auch die bereits erwähnten Wasserbetten sind nichts weiter als - Pflanzen.

Essbare Landschaften in Fredricus.

In nostalgischem Glanz - die Präsentation

Ausgebaut wurde, passend für einen kommerziellen Titel, die cineastische Herangehensweise an die Geschichte. So findet sich nach jedem Kapitel eine aufwändig gestaltete Zwischensequenz, die die Handlung fließend vorantreibt ohne aufgesetzt zu wirken. Der Animationsstil ist dabei äquivalent zu den Ingame-Animationen - eine Mischung aus kurzen, per Hand animierten Loops und einfachen Verschiebungen von Ebenen, so dass sich besonders die Körper wie Marionetten bewegen. Was zu Beginn der Browserspiel-Reihe aus der (Flash)-Not geboren wurde, hat sich inzwischen zu einem wiedererkennbaren Stil entwickelt. Für Spieler, die sich aufwändige Daedalic-Animationen wünschen, mag die Qualität der Animationen gewöhnungsbedürftig sein, mit dem Indie-Status des Spiels vor Augen aber muss man anerkennen, dass mit den geringen Mitteln eine atmosphärische Glanzleistung gelungen ist.

Im Gegensatz zu den ersten Reemus-Titeln, die in überschaubaren Räumen Trial&Error-Rätsel ähnlich den Samorost Spielen boten (also eher Minispiele nach dem Motto: Was passiert, wenn ich diesen Gegenstand anklicke?), und dementsprechend grafisch nie auf Größe gingen, gibt es nun deutlich mehr an den einzelnen Schauplätzen zu entdecken, was auch den klassischeren Rätseln geschuldet ist, die mehr als früher auf Pixeljagd setzen.

Mittelpunkt der Handlung von Ballads of Reemus ist die Stadt Fredricus, die wir in ihrer ganzen mittelalterlichen Piefigkeit begehen dürfen. Ein detailverliebt gestalteter Übersichtsscreen vermittelt uns einen visuellen Eindruck der Stadt. Leider kommt die Öffnung der Welt erst später im Spiel zum Einsatz. Zu lange halten wir uns an allzu überschaubaren Spielorten auf. Hier hätte man an der Dramaturgie arbeiten können, ist es doch eine der größten Verzückungen für den Adventure-Spieler, wenn sich eine große Welt, die man zuvor schon erahnen konnte, plötzlich öffnet und all die Orte, die man vorher nicht betreten konnte, plötzlich zugänglich werden.

Spätestens beim großen Ameisenrösten bekommt man einen guten Überblick über die Stadt.

Dennoch: Die Welt von Fredricus ist grafisch konsequent gestaltet und bietet sowohl eine Weiterentwicklung zu den früheren Browsergames als auch genug Stiltreue, um den Reemus-Fan direkt zu Beginn des Spiels abzuholen.

Natürlich setzt dieser hohe Standard auch Erwartungen in die Vertonung. Und tatsächlich: Für eine Low-Budget-Produktion hat The Ballads of Reemus einen angenehm dichten Soundteppich zu bieten. Zwar ist nicht jedes Element vertont, nicht immer stimmt die Mischung (so sind die Geräusche der Fliegen in einer Szene so vordergründig, dass man das Summen aus den Boxen für real halten mag, bis man die Szene wieder verlässt), mitunter bricht eine Geräuschkulisse auch frühzeitig ab (was wohl eher ein Bug als ein ästhetischer Fehler ist). Dennoch: The Ballads of Reemus wird seinem Titel gerecht und spinnt eine Ballade, die sich auch musikalisch auf ganz hohem Niveau transportiert. Litten die vergangenen Titeln stets unter den Produktionsbedingungen, indem dort die Balladen von Liam nur als Text zu genießen waren, finden wir uns nun in einer Welt wieder, die alle Sinne anspricht, wenn auch der ein oder andere Musikkenner sich mit Grausen von Liams Gesang abwenden mag. Ein kleiner Wermutstropfen für deutsche Spieler: Eine Lokalisierung gibt es nicht.

Zwischen Mainstream und Originalität - die Rätsel

Die große Stärke der Reemus Browserspiele, die einen Großteil zur Bekanntheit der Serie beitrug, waren die Rätsel. Angefangen mit einer Aneinanderreihung origineller Ein-Raum-Puzzle wurde die Komplexität von Folge zu Folge erweitert und näherte sich immer mehr dem klassischen Item-Adventure an. Ballads of Reemus vollendet nun diese Entwicklung. Leider hat die Originalität dabei ein wenig das Nachsehen.

Bei dem Versuch, die Rätsel logischer mit der Geschichte zu verknüpfen, gelingt es nur eingeschränkt, auch deren Absurdität zu bewahren. Die Handlung kann, um verständlich zu bleiben, nur bis zu einem bestimmten Punkt in die Skurrilität abgleiten - und wenn sich die Rätsel an ihr orientieren, bleiben auch diese auf einem einfachen und teils vorhersehbaren Niveau.

Während in den Browserspielen der Several Journeys of Reemus Reihe die Entschlüsselungen der Funktion skurriler Pflanzen überwogen, setzt Ballads of Reemus komplett auf das Benutzen von Gegenständen aus dem Inventar. Innerhalb der Grenzen des Item-Kombinations-Prinzips aber schafft das Spiel einige wundervolle und gut integrierte Rätselmomente, die den Spieler trotz des überschaubaren Schwierigkeitsgrades bei Laune halten.

So zum Beispiel, wenn wir auf dem Marktplatz die anderen Kunden eines Seilmachers vergraulen müssen, um an die Reihe zu kommen, uns der Dorfbarde in seinen Liedern die entscheidenden Schwachpunkte unserer Mitbewerber verrät und am Ende sogar ein entscheidender Teil der Lösung wird. Oder wenn wir im Team mit Liam, dem lilanen Bären, einem Klan von Termiten einheizen, indem wir die Temperaturregulierung des Baus in mehreren aufeinanderfolgenden Rätseln manipulieren. Hier dürfen wir sogar zwischen den beiden Charakteren springen, was für einige Abwechslung im Spielfluss und eine leichte Erhöhung des Schwierigkeitsgrades sorgt.

Auf dem Marktplatz von Fredricus sorgen die bösen Lieder des Barden für helle Aufregung.

Da Ballads of Reemus in erster Linie noch immer ein Browserspiel ist, gibt es, wie auf verschiedenen Flashportalen üblich, mehrere Awards, die man über das Spiel verteilt ergattern kann. Das Besondere in diesem Falle ist, dass sich die Awards nicht durch spielrelevante Aktionen freischalten, sondern durch optionale Minispiele, von denen manche sogar erst durch ein wenig Explorationsgeist gefunden werden.

Leider handelt es sich bei diesen Minispielen durchweg um Wimmelbildparts, wie zum Beispiel die sich durch das ganze Spiel ziehende Suche nach Bettwanzen, die sich farblich in die Umgebung einpassen. Ohne den Entwicklern Böses unterstellen zu wollen, hat das Ganze doch den faden Beigeschmack einer künstlichen Spielzeitverlängerung. Hier wurde jedenfalls viel Potential verschenkt, wäre doch eine spielrelevante Implementierung origineller Minispiele - wie man es aus Several Journeys of Reemus kennt - durchaus ein Mehrwert gewesen.

Eine Glaubensfrage - die Technik

The Ballads of Reemus ist sowohl als Variante für den Browser als auch in einer Downloadversion (sowie limitiert in einer sehr teuren Boxed Edition) erhältlich. Den Ursprung aus dem Browser-Flashbaukasten merkt man dem Spiel durchweg an. Sowohl die Menüführung, als auch das Speichersystem zwängen sich all zu arg in das Flash-Korsett. Es ist ein wenig wie die Nutzung eines Macs gegenüber einem PC - einfach zu bedienen, aber viele Wahlmöglichkeiten hat man nicht.

Manuell speichern ist nicht möglich, stattdessen wird jede Szene in einem Menü aufgelistet, über die man jeweils zum Anfang des Abschnitts springt. Das kann natürlich nerven, wenn man innerhalb eines Kapitels fest steckt, was aber aufgrund des Schwierigkeitsgrades selten vorkommen sollte. Außerdem sind die Aktionen einer Szene bei Neustart schnell wieder hergestellt. Trotzdem sollten die Entwickler beim nächsten kommerziellen Spiel ein wenig mehr in komfortable Nutzerführung investieren und die eigene Flash-Vergangenheit eben als das betrachten was sie ist - Vergangenheit.

Übrigens gleichen sich Browser- und Downloadversion aufs Haar. Der Download ist nichts weiter als eine 60 MB große ausführbare Variante des Browerspiels - ohne Installation oder ähnliches, was ein Spiel auszeichnet. Auch hier sollte beim nächsten Mal ein wenig an das Komfortbedürfnis des PC-Nutzers gedacht werden. Das würde auch die Limitierung durch die Flash-Umgebung aufheben. Vielleicht ist es Zeit für die Entwickler, auf eine kommerziell kompatiblere Entwicklungsplattform umzusteigen.

Fazit

Insgesamt kann man die Portierung der Welt von Reemus in einen kommerziellen Titel als gelungen bezeichnen. Wäre doch nur nicht so wenig Spiel im Preis. Mit ca. 3-5 Stunden steht Ballads of Reemus im Preis-Leistungs-Verhältnis zwar nicht so schlecht dar; ein wenig mehr Spielzeit hätte aber durchaus sein dürfen. Vielleicht reicht das finanzielle Polster aus dem ersten Teil ja für eine größer angelegte Fortsetzung. Das Cliffhanger-Ende macht jedenfalls Hoffnung.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Ich bin schon seit der ersten (sprich: nullten) Episode von Several Journeys of Reemus ein Fan. Entsprechend schwer fällt die Bewertung - setze ich den Maßstab eines ausgewachsenen Adventures an (was Ballad of Reemus definitv sein will)? Oder nehme ich Rücksicht auf die Indieentwicklung, und vergebe manch kleinen Fehler auf dem Weg zum großen Spiel? Am Ende, denke ich, zählt allein der Spielspaß. Und in dieser Hinsicht ist jedes Reemus-Spiel, ganz besonders der erste kommerzielle Titel der Reihe, etwas ganz Besonderes. Ich jedenfalls freue mich auf mehr.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • einfallsreiche Welt mit originellen Kreaturen
  • sehr eigener Humor, der aber nie befremdlich wirkt
  • gut integrierte Rätsel
  • tolle Grafik..
  • ..die etwas simpel animiert ist
  • technisch auf Browserspielniveau