In Julia – Tödliches Verlangen gilt es, einem maskierten Serienmörder auf die Schliche zu kommen. Ob der Titel ein spannendes Kriminaladventure ist oder nur ein müdes Gähnen hervorlocken kann, erfahrt ihr in unserem Test.
Noch bevor überhaupt das Menü geladen wird, präsentiert Julia – Tödliches Verlangen bereits ein recht gelungenes Introvideo. Die Kamera fliegt über Felder und Wiesen auf einen Bauernhof zu. Es regnet, blitzt, und donnert. Die Tür schwingt auf und ein Mann mit einer blutverschmierten Frauenleiche verlässt das Haus. Die Kamera folgt ihm in den Garten, wo er den leblosen Körper vergräbt. Doch der Mörder bleibt nicht unbeobachtet: Hinter verschlossenen Fensterläden hat ihn ein Kind beobachtet. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass sich die Übersetzer bei der Wahl des deutschen Titels nicht besonders geschickt angestellt haben. Während der Originaltitel „Innocent Eyes“ die folgende Geschichte wesentlich besser zusammenfasst, geht die deutsche Version „Tödliches Verlangen“ an der eigentlichen Handlung vorbei und klingt eher nach einem drittklassigen Krimi-Knatterfilmchen. Leider sind ungeschickte oder schlechte Übersetzungen auch im Rest des Spiels an der Tagesordnung.
Das eigentliche Spiel startet mit einem weiteren cinematischen Intro-Video. Die Kamera schwebt auf ein Haus zu, in dessen Garage die Leiche einer Frau liegt. Ein als trauriger Clown verkleideter Mann beugt sich über sie. In diesem Moment klingelt es an der Tür: Drei Kinder in Halloween-Kostümen fordern Süßigkeiten. Der Mörder öffnet die Haustür und überreicht ihnen mit extrem übertriebener Geste genau ein Bonbon (im späteren Spielverlauf spricht eines der Kinder dann aber von mehreren Bonbons) - und damit ist diese Szene dann auch schon wieder vorbei. Direkt danach lernt der Spieler Julia kennen, die mit leiser Stimme, die wohl kaum einer der Anwesenden hören kann, eine Vorlesung über „perverse Serienkiller“ in sich hineinbrummelt. Trotzdem gibt es Rückfragen: Zwei Studenten, die aussehen wie 18, aber mit den Stimmen von 30-Jährigen sprechen, fragen irgendetwas, was der Spieler zehn Sekunden später ohnehin wieder vergessen hat. Schließlich wird die Unterrichtsstunde vom Hausmeister der Uni unterbrochen. Dieser spricht Julia mit einer magischen Stimme bereits an, während die Klassenzimmertür noch geschlossen ist. Die Stimme selbst ist ebenfalls bemerkenswert: Bei dem Versuch, den bodenständigen Hausmeister perfekt zu inszenieren, ist das Synchronisationsteam einen Schritt zu weit gegangen: Der Sprecher klingt, als hätte man ihn drei Minuten vor der Aufnahme auf der Straße aufgegabelt. Julia und er wechseln ein paar sinnentleerte Phrasen. Julia erfährt, dass jemand angerufen hat und sie gefälligst zurückrufen soll. Und schon darf der Spieler die Steuerung übernehmen – wenn er das denn auf die Reihe bekommt.
Von den noch recht ansprechenden Introvideos einmal abgesehen, fährt das Spiel in den ersten Minuten bereits einige seiner grauenhaftesten Elemente auf: Schlechte Übersetzungen, durschnittliche bis miserable Sprecher, mangelnde Bild-Ton-Synchronisation, extrem platte Dialoge, ziemlich mäßige Spielgrafik. Doch damit nicht genug: Als weiteren Bonus bekommt der Spieler die wohl schlechteste Laufsteuerung aller Zeiten präsentiert. Sämtliche Charaktere bewegen sich auf einen Klick hin im Schneckentempo durch die meist weitläufige Szenerie. Zwar kann man die Figuren dazu überreden, schneller zu laufen, indem man die Maustaste nach dem Klick gedrückt hält – dann läuft der Charakter aber gerade mal bis zu eben dieser Stelle, danach muss neu geklickt und gehalten werden. Den Schauplatz per Doppelklick zu verlassen ist ebenfalls nicht möglich. So kann man die schlecht inszenierten Schauplätze ohne jegliche Animationen deutlich länger genießen, während man darauf wartet, dass die Spielfigur vom unteren Bildschirmrand bis zur oberen Kante gekrochen ist.
Entwickler Artematica dürfte hier allen anderen Adventure-Machern einen großen Gefallen getan haben: Jeder Spiele-Entwickler muss nur einen kurzen Blick auf dieses Spiel werfen und weiß dann sofort, was er bei seinem Spiel auf keinen Fall machen sollte. Die verkorkste Steuerung von Julia – Tödliches Verlangen macht bereits die erste Aufgabe, Julias Büro aufzusuchen, zu einer echten Herausforderung. Es mag ja sein, dass Julia weiß, wo ihr Büro in der Uni liegt – der Spieler weiß das aber nicht. Und so kann man wunderbar mit der Steuerung ringend an nicht existierenden Klassenzimmern vorbeiwanken und mehr Zeit für den Weg in Julias Zimmer brauchen, als man im täglichen Verkehr durch die Münchner Innenstadt benötigt. Um den Spaß noch zu verdoppeln, haben sich die Entwickler dann noch einen kleinen Scherz erlaubt: Möchte der Spieler später die Uni verlassen und hat die Jacke in Julias Zimmer vergessen, darf er den wunderbaren Weg noch einmal zurücklegen – Spaß pur. Und dann gibt es noch Orte, die zwar danach aussehen, als könnte man hinein, doch selbst stundenlanges, verzweifeltes Klicken bringt einen hier nicht weiter.
Wenn die Autoren von Julia einen Lieblings-Superhelden haben, dann ist es wohl Captain Obvious. Egal auf welchen Hotspot man klickt, immer wieder überrascht das Spiel mit so offensichtlichen und platten Kommentaren („Mein Auto“ „Das sind Stühle“), dass die Entscheidung zwischen Lachen oder Weinen oft sehr schwer fällt. Besonders schön wirkt sich hierbei die Aufnahme von Objekten im sogenannten „2D-Modus“ aus: Ein Klick auf ein Objekt liefert eine wenig einfallsreiche Beschreibung. Nimmt man den Gegenstand dann ins Inventar auf, wird genau derselbe Kommentar noch einmal abgespielt. Mit Untertiteln sicherlich hilfreich, falls man Deutsch lernen möchte, ansonsten aber eine eher nervige Funktion. Zusätzlich treibt das laute „Swoooosh“-Geräusch, mit dem Gegenstände ins Inventar gelegt werden, auch den geduldigsten Spiele irgendwann in den Wahnsinn. Richtig lustig wird es allerdings, sobald die Objektbeschreibung einfach nicht mit dem zusammenpassen will, was gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist. Beispielsweise kommentiert „Lieutenant“ Alan Webb, wie ihn das Handbuch liebevoll nennt, eine offene Bürotür mit den Worten „Das Büro ist geschlossen“. Dagegen erscheint die Beschreibung: „Wichtiges Gerät für einen Notfall“ für einen Feuerlöscher noch recht anspruchsvoll. All diese Kritikpunkte fallen aber gar nicht so stark ins Gewicht, denn einerseits sind einige Hotspots ohnehin nur mit chirurgischer Präzision und einer Engelsgeduld zu treffen, und andererseits sind die „Informationen“ zu den betrachteten Gegenständen meist nutzlos. Allerdings kann der interessierte Spieler zahlreiche neue Bezeichnungen lernen. Ein Waschbecken ist in Julias Welt zum Beispiel eine Toilette und eine Hundehütte heißt dort „Hundebett“. Das sind Schätze, die sich nur jenen offenbaren, die auch wirklich jeden unnützen Hotspot anklicken – Rezensenten von Adventure-Treff zum Beispiel
Während sich die eigentliche Geschichte von Julia ebenso gemütlich und langsam entwickelt, wie seine Charaktere durch die Szenerie schlurfen, kann der Spieler seine Geduld erfolgreich und nachhaltig in Dialogsequenzen trainieren. Denn auch hier werden hauptsächlich offensichtliche oder sinnfreie Informationen ausgetauscht und von den Synchronsprechern betonungs- und schauspieltechnisch zuverlässig in den Sand gesetzt. Wahrscheinlich wussten die Entwickler um die einschläfernde Behäbigkeit der Dialoge, jedenfalls kann man sie nicht per Klick überspringen. Wer etwas nicht hören will, muss es trotzdem tun, wer aus Versehen etwas zweimal angeklickt hat, ist ohnehin doof und kann den Dialog ruhig noch einmal ganz abwarten. Allerdings kann man dann einmal mehr die Bauchredner-Künste der sprechenden Figuren bewundern: Nicht selten bringen sie ganze Sätze bei geschlossenem Mund zur Aussprache. Ein ganz spezielles Feature offenbart sich, wenn der gesprochene Satz nicht in eine Zeile passt: Die Synchronsprecherin von Julia liest dann nämlich, wie auch der Spieler, nur bis zum Zeilenumbruch, setzt kurz ab und wartet, bis der Rest des Textes eingeblendet wird. Dadurch wird das Gefühl vermittelt, jemand stehe direkt neben dem PC und lese laut mit. Ein unvergleichliches Erlebnis.
Die meiste Zeit ist die Kamera über den Schauplätzen fixiert; der Spieler sieht also von oben auf das Geschehen herab. Eine interessante Entscheidung – die streckenweise ziemlich grauenhaft aussieht, weil sich die Entwickler dazu entschlossen haben, ein paar Räume einfach schwarz zu lassen, manchmal Deckenlampen einzublenden und manchmal nicht. Das ergibt einen netten optischen Effekt, wenn beim Betrachten eines Raumes die bescheuerte Deckenlampe ständig im Weg ist. In den meisten Fällen verbessert sich allerdings der ästhetische Eindruck, sobald Teile der Umgebung verdeckt werden. Denn der gewagt Mix aus selbstgezeichneten und abfotografierten Texturen stellt verwöhnte Augen auf eine harte Probe. Insgesamt wirkt die Spielgrafik hölzern, leblos und altbacken, nicht zuletzt weil auf Animationen an den einzelnen Schauplätzen fast vollständig verzichtet wurde. Die niedrige Auflösung, die man im Menü nicht ändern kann, ist besonders störend, wenn man nach winzigen Beweisstücken suchen soll.
Auch rätseltechnisch kann Julia nicht punkten. Die erste halbe Stunde besteht nur aus Umherlaufen und dem Zusammensuchen von privaten Gegenständen, und auch danach ändert sich wenig. Am Tatort sollen Beweise gesichert und sogenannte „Ideen“ in das „Ideen-Inventar“ befördert werden. Das erste „richtige“ Rätsel ist eigentlich gar keines: Im Garten des Mordopfers wartet ein Hund darauf, mit einem Leckerli gefüttert zu werden. Also schickt der Spieler Julia zurück in die Küche, wo sie einen Hundekuchen aus einer Packung entnimmt. Zurück im Garten verweigert der Hund aber die Nahrung, schließlich hat er ja zwei Tage nichts mehr zu essen gehabt, da kann er ruhig auch noch ein bisschen länger warten. Stattdessen steht er auf und bellt. Nun muss der Spieler auf das „Benutzen“-Symbol umschalten und wieder auf den Hund klicken. Jetzt rennt der Vierbeiner in die Nähe des Zaunes, wo man in einem winzigen Hotspot mit viel Glück einen blutverschmierten Knopf entdecken kann. „Rätsel“ gelöst und der Hundekuchen verbleibt im Inventar. Auch die übrigen Knobeleien, wenn man das denn so nennen möchte, sind wenig einfallsreich und nicht wirklich herausfordernd. Die gelegentlich auftretenden Geschicklichkeitsspiele sind weder etwas Besonderes, noch gut aufgebaut. Eine nette Idee ist die Rekonstruktion der Geschehnisse am Tatort und das Sammeln von Hinweisen in einem zweiten Inventar. Die tatsächliche Umsetzung und die übrigen Probleme des Spiels machen diesen interessanten Ansatz aber wieder zunichte. Auch gestaltet sich die Hinweissuche für das zweite Inventar streckenweise ziemlich lächerlich, wenn beim Betrachten des Waschbeckens (!) der Kommentar abgegeben wird: „In den Toiletten war kein Tropfen Blut. Wurden sie vielleicht nicht mit Blut bespritzt?“.
Die einzelnen Schauplätze werden von wenig einfallsreichen, recht kurzen Musikstücken untermalt. Dabei tritt die Musik viel zu stark in den Vordergrund und die ständige Dauerschleife verstärkt diesen Eindruck nur noch mehr. Am besten lässt man die Musik gleich ganz aus, denn durch das stundenlange Herumschleichen in den Schauplätzen hört man die Stücke sehr, sehr oft. Die übrige Geräuschkulisse ist ganz in Ordnung, vom nervigen „Swoooosh“ des Inventars einmal abgesehen. Richtig unpassend ist kein Geräusch, richtig passend aber auch nicht.
Das war wohl nix. Das Highlight des Spiels sind die beiden Cutscenes am Anfang, danach geht es steil bergab. Die streckenweise katastrophale Übersetzung, die furchtbare Steuerung, die platten Dialoge, die schlechte Grafik, die mangelhafte Synchronleistung und die maue Story können einfach nicht überzeugen. Das Spiel macht so ziemlich alles falsch, was ein Adventure nur falsch machen kann. Wer bis zum Ende vordringen will, braucht viel Ausdauer und Frustrationstoleranz. Allerdings hält Julia für ausdauernde Spieler durch bizarre Fehler auch den ein oder anderen unfreiwilligen Lacher bereit. Dieses Spiel als Vollpreistitel herauszubringen ist fast schon dreist.
Auch wenn sich Verrisse von Spielen sehr amüsant lesen können, schreibe ich sie nicht gerne. Schließlich haben sich bei einem Spiel immer einige Leute doch viel Mühe gemacht. Immer wieder habe ich dem Spiel eine neue Chance gegeben, nochmal ein Kapitel weiter gespielt, in der Hoffnung, dass es besser wird. Doch an jeder Ecke erwarteten mich neue Fehler und Ärgernisse und das ließ mich irgendwann daran zweifeln, dass hier wirklich jemand viel Mühe in das Projekt gesteckt hat. Irgendwo ganz tief im Spiel ist zu erkennen, wie Julia wohl geworden wäre, wenn man nicht jeden einzelnen Fehler des Adventure-Genres hineingepackt hätte: Ein halbwegs innovatives Krimi-Adventure mit einigermaßen glaubwürdiger Story. Aber so, wie das Spiel erschien, ist es – mit Verlaub – einfach nur schlecht.
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