Ein dunkler Wald bei Nacht. Eine vermoderte alte Mühle, deren Holzmöbel merkwürdige Geräusche machen. Ein Ritualraum in einem fiebrigen Alptraum – alles Orte, die man eigentlich nicht gerne aufsucht. Es sei denn, man bekommt gemütlich im eigenen Zimmer die Gelegenheit, ebendiese Schauplätze ohne Risiko und mit einer sofortigen Ausstiegsmöglichkeit zu besuchen. Die Freude am Gruseln fasziniert schon seit langem Computerspieler aller Ausrichtungen und in letzter Zeit springen vermehrt auch Adventure-Spiele auf diesen Zug auf – mit unterschiedlichem Erfolg. Der erste Titel des italienischen Spiele-Entwicklers Dreampainters, Anna, hat sich auch dem Ziel verschrieben, dem Spieler einen kalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Gelingt dieses Vorhaben?
Eine alte Mühle im Wald, ein nicht ganz zurechnungsfähiger Protagonist und merkwürdige Vorkommnisse, das sind die Zutaten für Anna. Das Spiel beginnt an einer hell erleuchteten Mühle, in die sich der Spieler Zutritt verschaffen muss. Bereits hier wird klar, dass es an diesem Ort nicht mit rechten Dingen zugeht. Körperlose Stimmen flüstern aus dem Inneren, und die Erinnerungen an den letzten Aufenthalt hier sind alles andere als einladend. Sobald der Protagonist im Haus angekommen ist, verschließt sich die Tür hinter ihm und es gibt keinen Weg zurück. Stück für Stück erkundet er nun die Mühle, zunehmend verfolgt von beunruhigenden Ereignissen, hallenden Stimmen und mehr als merkwürdigen Ritualen. Zusehends verschwimmt die Grenze zwischen Einbildung und Realität, bis am Ende nur noch eine Frage bleibt: Kann man den Fängen der mysteriösen Anna entkommen und bei Verstand bleiben? Letztlich ist dies die Entscheidung des Spielers, denn sein Spielverhalten führt zu einem von drei alternativen Enden. So spielt es unter anderem eine Rolle, ob er sich mit den Geschehnissen näher beschäftigt oder vor ihnen zu flüchten versucht. Die Geschichte zu Anna ist kompakt erzählt, passend zu dem einengenden, kleinen Schauplatz der Mühle, und vermag sehr schnell eine recht beunruhigende Atmosphäre aufzubauen.
Insgesamt ist die Steuerung bei Anna recht gut gelungen, fühlt sich aber an einigen Stellen etwas umständlich an. Gespielt wird wie bei einem Shooter aus der Ego-Perspektive: Die Fortbewegung erfolgt über die WASD-Tastenkombination, der Blick wird mit der Maus gesteuert. Den komplizierteren Teil stellt die Interaktion mit der Umwelt dar: Klickt man auf ein Objekt, wird ein Menü ausgeklappt, bei dem man mit der linken Maustaste zwischen den Aktionen „Betrachten“, „Nehmen“ und „Benutzen“ wählen kann. Das Inventar wird über die Mausrad-Taste oder die „I“-Taste aufgerufen und über dem Schauplatz eingeblendet. Dort können Gegenstände kombiniert oder per Klick aus dem Inventar genommen werden. Leider bleiben ausgewählte Inventargegenstände nach dem Klick nicht aktiv. So muss man nach jedem fehlgeschlagenen Kombinationsversuch erneut das Inventar und den entsprechenden Gegenstand aufrufen. Dies lässt die Steuerung recht sperrig wirken. Eine nette Idee ist die Gestensteuerung für einige Objekte. So muss beispielsweise eine Ofentür mit gedrückter rechter Maustaste geöffnet werden. Auch hier sorgen allerdings kleine Umsetzungsprobleme für die eine oder andere ungewollte Bewegung. Von diesen Kritikpunkten abgesehen transportiert die Steuerung jedoch gut die Atmosphäre und das Gefühl, direkt vor Ort zu sein.
Die Rätsel in Anna bewegen sich auf fortgeschrittenem Niveau und bestehen hauptsächlich aus Kombinationsrätseln im und außerhalb des Inventars. Zusätzlich muss des Öfteren direkt mit der Umgebung interagiert werden, um bestimmte Prozesse in Gang zu setzen oder neue Gegenstände zu finden. Generell sind eine gute Beobachtungsgabe und ein gründliches Absuchen der Schauplätze gefordert. Eine Hotspot-Anzeige gibt es nicht. Je weiter man im Spiel fortschreitet, desto mehr muss man sich auch auf die surreale Horrorwelt mit ihren eigenen Gesetzen einlassen, um voran zu kommen. Leider neigen viele der Aufgaben auch in der neuen Version dazu, nicht besonders gut nachvollziehbar zu sein. Bei einigen Aufgaben fehlen schlichtweg Hinweise darauf, was eigentlich zu tun ist. Eine integrierte Hilfe-Funktion soll weiterhelfen, wenn ein Hänger auftritt. Das Menü bietet zwei komfortable Varianten, die Hinweise anzuzeigen: Entweder automatisch nach drei oder zehn Minuten ohne Fortschritt oder durch das Drücken der „H“-Taste. Außerdem sind zwei Hinweisstufen eingebaut: Kleine Tipps oder eine eindeutigere Lösungshilfe führen den Spieler zurück in das Geschehen, ohne dass er das Spiel unterbrechen muss. Die Tipps sind dabei in das Spielgeschehen eingepasst: Lässt man sich einen Hinweis geben, formuliert der Hauptcharakter diesen als eigenen Gedanken. So wird die Atmosphäre stets gewahrt. Allerdings bleiben die Hilfetexte bei vielen Hinweisen zu allgemein, um tatsächlich den Knoten zum Platzen zu bringen, und so mussten wir doch das eine oder andere Mal zur Komplettlösung greifen. Das Problem bei den Rätseln in Anna ist, dass sie zwar sehr gut an das Horror-Thema angepasst wurden, dadurch aber streckenweise auch nur schwer nachzuvollziehen sind. Zusätzlich erfordern sie ein hohes Maß an Konzentration und eine genaue Beobachtungsgabe. Streckenweise ist so leider auch die Frage, was überhaupt zu tun ist, selbst schon ein Rätsel.
Anna war in der ersten Version vollständig auf Englisch und wir empfehlen nach wie vor, es in dieser Version zu spielen. Alle Texte des Hauptcharakters werden als Text ohne Sprachausgabe auf dem Bildschirm angezeigt. Die Stimmen, die im Haus zu hören sind, wurden mit recht guten Schauspielern besetzt und tragen viel zur Atmosphäre bei. Auf Wunsch können Untertitel zu diesen Texten ein- oder ausgeblendet werden. Die im Update mitgelieferte deutsche Version ist streckenweise recht akrobatisch übersetzt und ganze Textteile, wie zum Beispiel das Intro oder Stimmen im Hintergrund, sind nach wie vor auf Englisch. Die Hintergrundmusik leistet hingegen einen exzellenten Beitrag zur Atmosphäre, indem sie mit fast fröhlichen Stücken den Spieler in Sicherheit wiegt, um dann einen starken Umschwung zu beklemmenden Momenten zu erzeugen. Den Soundtrack liefern die Entwickler luxoriöserweise gleich als .zip-Datei mit. Die Geräusche sind zum Großteil sorgfältig ausgewählt, nur an wenigen Stellen klingen die Effekte ein wenig unglaubwürdig. Der Atmosphäre hätte es insgesamt sicherlich gut getan, auch die Texte des Hauptcharakters einsprechen zu lassen, doch die höhere Konzentration, die durch das selbstständige Lesen hervorgerufen wird, erzeugt ebenfalls eine interessante Bindung zum Spielverlauf. Eine bessere deutsche Übersetzung wäre wünschenswert gewesen.
Das Spiel verzichtet auf plakativen, visuellen Horror, sondern setzt vielmehr auf das Grauen im eigenen Kopf. Das Innere der Mühle liegt im Halbdunkel, Musik, Licht und Stimmen schaffen eine unheimliche Atmosphäre. Zufällig auftretende und vorprogrammierte Bewegungen im oder am Rande des Blickfeldes beschleunigen zusätzlich den Puls. Die zunehmend morbider werdenden Rätsel tun ein Übriges, um den einen oder anderen kalten Schauer über den Rücken zu jagen. Die drei alternativen Enden, die abhängig vom Umgang mit den verstörenden Ereignissen sind, lassen den Spieler unterschiedlich beruhigt oder aufgewühlt zurück. Wie alle Horror-Spiele genießt man Anna natürlich am besten in einem dunklen Raum mit guten Boxen. Angst vor plötzlichen, lauten Schock-Effekten muss man dabei aber nicht haben. Da die Geschichte kompakt und mit ansteigendem Spannungsbogen erzählt wird, reißt das Unbehagen der Atmosphäre während der gesamten Spielzeit von etwa drei bis fünf Stunden nie ab. Die Spieldauer und die Anzahl der Rätsel sind dabei unter anderem von den unterschiedlichen Enden abhängig.
Die Bewertung von Anna fällt gemischt aus. Das Erstlingswerk der Entwickler bei Dreampainters kann bereits in vielerlei Hinsicht überzeugen: Atmosphäre und Grafik sind sehr gelungen, der subtile Horror wird erfolgreich und ohne große Effekte nachhaltig erzeugt. Dem entgegen stehen die etwas umständliche Steuerung und einige sehr gewöhnungsbedürftige Rätsel mit einer recht eigenwilligen Logik. Die Hilfe-Funktion hilft hierbei auch nicht immer aus. Die Hintergrundgeschichte ist hingegen gut ausgedacht und umgesetzt, und der Spannungsbogen reißt vom Betreten der Mühle bis zum Ende nicht ab. Adventure- und Gruselfans sollten dem Titel auf jeden Fall eine Chance geben, denn atmosphärisch ist der Titel durchaus ein Hingucker.
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