Geschichten erzählen, ohne dabei auch nur ein Wort zu sprechen, das ist die Spezialität des Entwicklerstudios Amanita Design aus Tschechien. Auch ihr neuester Titel Botanicula, kommt vollständig ohne Sprache aus. Doch erfüllt das Spiel die hohen Erwartungen, die man nach Machinarium an das Entwicklerstudio hat?
Ein Pilz, ein Ast, zwei Nüsse und ein fliegender Samen sind auf ihrem friedlichen Baum zu Freunden geworden. Ihr Alltag ist beschaulich und gemütlich, bis sich eines Tages eine böse schwarze Spinne daran macht, alles Leben aus dem Baum zu saugen. Zunächst scheint der große und bedrohliche Gegner unbesiegbar, doch einer der fünf Freunde trägt durch einen Zufall bereits die Waffe gegen den Feind in sich. Er muss nur noch stark genug werden, um der böse Spinne und ihren Nachkommen den Garaus zu machen. Und natürlich gibt es hin und wieder auch Unterstützung durch die anderen Lebewesen auf dem Baum. Es beginnt eine Reise durch eine ebenso niedliche wie auch surreale Pflanzenwelt mit äußerst schrulligen Charakteren.
Und diese Reise lässt grafisch keine Wünsche offen. Die verschiedenen Schauplätze sind liebevoll und detailreich gestaltet und zahlreiche Animationen machen das Spiel dynamisch und lebendig. Dass die Entwickler sehr verspielt waren und viel Freude an der Gestaltung des Spiels hatten, fällt gleich in den ersten Minuten auf. Auf allen Ästen gibt es etwas zu entdecken und jede Menge auszuprobieren. Ob nun eine seltsame Lebensform hinter einem Blatt hervor krabbelt oder ein wichtiges Objekt aus einer Pflanze gepustet wird, der Spieler wird für seinen Hang zum Ausprobieren stets belohnt. Zahlreiche Ereignisse führten beim Test zum Schmunzeln und manchmal sogar dazu, dass die eigentliche Aufgabe kurz aus den Augen verloren wurde. Denn neben der Hauptgeschichte gilt es auch über 100 Lebensformen zu entdecken, die dann in einer Art Sammelkartenspiel samt Geräusch aufbewahrt werden. Je mehr der Spieler entdeckt, desto mehr lustige Bonusvideos erwarten ihn am Ende des Spiels. So schafft es Botanicula neben der eigentlichen Geschichte auch die Lust am Entdecken und am Spielen an sich zu transportieren.
Gesteuert wird das Spiel mit Ausnahme eines kleinen Rennspiels, bei dem die Pfeiltasten zum Einsatz kommen, ausschließlich mit der linken Maustaste. Bei manchen Rätseln muss der Spieler die Taste länger gedrückt halten oder mit der Maus hin und her fahren. Ob nur geklickt oder auch gezogen wird, muss der Spieler jedes Mal selbst herausfinden. Da dies zu Beginn des Spiels nicht näher erläutert wird, kam es manchmal zu kurzen Hängern. Eine Schnecke, die bei einem Klick auf die Schale kleine Blasen ausstieß, ließ den Spielfluss merklich ins Stocken geraten – bis herauskam, dass die Maustaste einfach nur länger gedrückt gehalten werden musste, um ans Ziel zu kommen. Insgesamt steuert sich Botanicula jedoch recht intuitiv und bei den meisten Rätseln ist auf Anhieb klar, auf welche Weise man zum Ziel kommt. Im Gegensatz zu Machinarium wurde der Rechtsklick deaktiviert, sodass sich nicht mehr das Flash-Kontext-Menü öffnet. Ein verhältnismäßig selten genutztes Inventar gibt es auch. Wie in Machinarium kann es am oberen Bildschirmrand eingeblendet werden. Komfortabel hierbei ist, dass ein Gegenstand nur dann aus dem Inventar genommen werden kann, wenn er auch wirklich am aktuellen Schauplatz zum Einsatz kommt.
Eine Karte befindet sich nach kurzer Spielzeit auch im Inventar. Allerdings kann diese nur zur Orientierung, nicht aber für eine schnellere Navigation benutzt werden. Das führt vor allem im vorletzten Abschnitt des Spiels zu viel Laufarbeit, da das Gebiet dort recht groß ist. Um zu prüfen, ob man irgendwelche Schauplätze übersehen hat, reicht die Karte jedoch vollkommen aus.
Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel in Botanicula variiert über das ganze Spiel hinweg zwischen einer leichten Stufe über mittelschwere Aufgaben bis hin zu heftigen Kopfnüssen. Um erfolgreich voran zu kommen, muss der Spieler seine Umgebung stets genau untersuchen. Neben wenigen klassischen Inventarrätseln gilt es eigentlich fast immer, irgendetwas zu suchen. Ob nun Federn, Schlüssel oder Kastanien-Kinder verloren gegangen sind oder magische Kästen zu einem Schamanen gebracht werden müssen, stets sind die fünf Pflanzenfreunde auf der Suche nach bestimmten Lebewesen oder Objekten. Da die Umgebung aber viele weitere Rätsel und Ablenkungen bietet, fällt dieses Schema nicht allzu deutlich auf. Mit der Zeit werden die Areale so groß, dass die Orientierung ebenfalls zu einer beachtlichen Aufgabe heranwächst. Oft lohnt es sich auch, Aktionen mehrmals durchzuführen, um des Rätsels Lösung näher zu kommen.
Einen Großteil der Rätsel machen nicht überspringbare Minispiele aus. Bis auf die bereits erwähnte Ausnahme werden auch diese mit der Maus bestritten. Einige Rätsel und Minispiele erfordern ein gewisses Maß an Geschick und Timing, sodass diese nach ein paar Versuchen durchaus lästig werden können. Bei zwei Rätseln muss recht zügig reagiert werden, deshalb wird der ein oder andere kleine Adrenalinschub nicht ausbleiben. Eine Funktion zum Auslassen dieser Minispiele nach einigen vergeblichen Versuchen wäre vielen Spielern sicherlich entgegen gekommen. Da die meisten Aufgaben aber recht kreativ umgesetzt und nicht besonders schwer sind, beschränkt sich dieser Kritikpunkt auf wenige Situationen im Spiel.
Insgesamt fügen sich die Rätsel und Minispiele sehr schön in die Umgebung und die Geschichte ein und erscheinen logisch. Die Knobelei bringt daher viel Spaß mit sich.
Musikalisch fährt Botanicula einen ebenso abgedrehten wie lustigen Soundtrack auf. Die Stücke arbeiten mit viel Gesang und akustischen Instrumenten und tragen stark zur Atmosphäre bei. Besonders das Hauptthema hat absoluten Ohrwurmcharakter und dürfte auch nach dem Spiel noch eine ganze Weile im Kopf herumspuken. Glücklicherweise liegt der Box-Version von Deadalic der vollständige Soundtrack bei, sodass man die Lieder durch mehrmaliges Hören wieder aus dem Kopf vertreiben kann. Auch die Soundeffekte sind gut ausgewählt und unterstreichen die Atmosphäre passend. Allerdings werden manche Geräusche auf Dauer etwas anstrengend. Besonders bei zwei Rätseln, die etwas mehr Zeit zum Ausprobieren verlangen, wirken sich die Effekte schnell recht nervig aus. Über das ganze Spiel gesehen waren dies aber seltene Ausnahmefälle.
Für erfahrene Spieler dürfte bereits nach 6-8 Stunden der Abspann über den Bildschirm flimmern, gefolgt von den hoffentlich vollständig freigeschalteten Bonus-Videos. Das ist einerseits ganz angenehm, da sich einige Elemente bei einer noch längeren Spielzeit sicherlich stark abgenutzt hätten und bereits eine Fülle von kreativen Rätseln verwendet wurde. Andererseits blieb nach dem Spiel eine Art Hunger auf mehr zurück, da sich der Titel recht kurz anfühlt. Ich persönlich war am Ende des Abenteuers eigentlich gerade erst so richtig warm geworden und hätte mir doch noch ein, zwei Stunden mehr Spielzeit gewünscht. Vielleicht liegt es aber auch einfach am schönen Spielerlebnis, dass man das Ende nicht so zügig erreichen will.
Botanicula bewegt sich irgendwo zwischen Samorost 2, Machinarium und Full Pipe. Grafik, Soundtrack und Atmosphäre sind super und auch die Rätsel überzeugen größtenteils. Negativpunkte sind die doch recht kurz erscheinende Spielzeit und das hohe Maß an Geschicklichkeit, das bei einigen nicht überspringbaren Minispielen verlangt wird. Der Titel zeigt aber vor allem eines deutlich: Die Entwickler von Amanita Design können tolle Geschichten erzählen – und sie werden jedes Mal besser dabei.
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