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von  endserenader
11.07.2012
Miskatonic Part 1: The Inhuman Stain
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

„E Luce Ad Tenebras: Vom Licht in die Dunkelheit!“, so lautet ein offizieller Leitspruch der Miskatonic University. Dieser Spruch mag unkonventionell erscheinen, doch unpassend ist er keineswegs – denn es handelt sich um eine Universität voll dunkler Geheimnisse und verborgener Machenschaften. Allzu große Neugier ist auf diesem Campus eine Bedrohung für das eigene Seelenheil – und womöglich selbst für Leib und Leben.

Dr. Aurinda Hearn ist das neueste Mitglied am Lehrstuhl für Altertumswissenschaften und gleichzeitig die Hauptfigur in Miskatonic Part 1: The Inhuman Stain, einem Indie-Adventure des Entwicklers Jackslawed. Allein der Spieltitel wird einige Leser aufhorchen lassen: Die fiktive Miskatonic University geht nämlich, ebenso wie der Handlungshintergrund, auf H. P. Lovecraft zurück, den wohl einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts im Bereich der anspruchsvollen Horror-Literatur. The Inhuman Stain greift Elemente aus dem Hauptwerk von Lovecraft – dem finsteren „Cthulhu“-Mythos – auf, überträgt sie in das 21. Jahrhundert und erweitert sie um einen Comedy-Anteil. Was am Ende dabei herausgekommen ist, haben wir für euch in Erfahrung gebracht.

Das Böse kennt keine Semesterferien

Das Semester hat noch nicht begonnen, als Aurinda zum ersten Mal den Campus aufsucht. Es wird kein erfreulicher Auftakt für die junge Wissenschaftlerin: Dekan Ambrose warnt sie eindringlich, dem nahegelegenen Wald fern zu bleiben; die Universitätsbroschüre informiert sie über die bedenklich hohe Anzahl mysteriöser Todesfälle; und im Dekanat begegnen ihr zwei unheimliche Männer, die zuvor ein lebendiges Huhn rituell geköpft haben. Besonders heikel an diesem Schockmoment: Es handelt sich um ihre zukünftigen Mitarbeiter!

Aurinda findet sich an der Miskatonic University bald umgeben von exzentrischen Professoren, ruppigem Personal und mehr Geistesgestörten als in einer viktorianischen Teegesellschaft. Einzig der Ingenieur Chan erscheint relativ normal und umgänglich – was umso erstaunlicher ist, weil der gesamte Rest von seinem Fachbereich auf einer Expedition im Südpazifik spurlos verschwand. Warum er keine Nachforschungen anstellt? „Man sollte an der Miskatonic University nicht zu neugierig sein“, behauptet Chan.

Doch genau darin besteht Aurindas Kern-Eigenschaft, wie dem Spieler in einem Flashback verdeutlicht wird. Als Unbekannte ihr neues Büro auf den Kopf stellen, tritt Aurinda, in der Hoffnung auf Antworten, die Suche nach ihrem Vorgänger an, und kommt bei dem Einbruch in eine psychiatrische Heilanstalt einem unheilvollen Geheimnis auf die Spur.

Kollegen von Aurinda bei der rituellen Opferung eines Huhns.

”The world is indeed comic…”

Die zwei grundsätzlichen Abweichungen vom Cthulhu-Zyklus – nämlich der Gegenwartsbezug und der humoristische Anteil – äußern sich vor allem durch die Nebenfiguren. Professor Twinger ist ein ultrapatriotischer, antisozialistischer Republikaner; sein Gegenstück ist ein zwanghaft alternativer Pseudo-Hippie. Von Guybrush Threepwood bis George W. Bush, vom Flug über das Kuckucksnest bis zur Reise per Anhalter durch die Galaxis: Die (mehr oder weniger) aktuelle Popkultur hat Einzug am Campus der Miskatonic University gefunden.

Innerhalb von einem anderen Kontext würden diese Anspielungen und Figuren womöglich gut funktionieren, aber im Lovecraft’schen Kosmos wirken sie kurios und fehl am Platz. Bestätigt sich damit also die Vermutung, dass eine Kombination von Lovecraft und Humor nicht sinnvoll umgesetzt werden kann?

Überraschenderweise ist genau das Gegenteil der Fall. Denn zum Schmunzeln oder Lachen fühlt man sich zumeist hingerissen, wenn sich ein Witz auf die Leitmotive der Cthulhu-Erzählungen bezieht. Am besten funktioniert das bei Dekan Ambrose, der fortwährend über die Gefahren im Wald herumdruckst („Ach, das Übliche eben. Bären und Wölfe und... Tentakel… dinger…”) oder bei Hintergrund-Details, wenn zum Beispiel der lokale Bürgermeister unterstellt, die Ritualmorde in der Stadt seien durch moderne Rap-Musik inspiriert („… aber Menschenopfer sind keineswegs fresh!”).

Natürlich bleibt es eine Geschmacksfrage, ob man Humor auf Kosten der Cthulhu-Mythologie als Abwertung des Originalmaterials empfindet – oder gar als Blasphemie gegen die Großen Alten. Zumindest wirkt er jedoch viel kohärenter als die urplötzlichen Seitenhiebe gegen die Bildungs- oder Innenpolitik der USA, und fügt sich besser in den Gesamtkontext der Handlung ein.

The look of Lovecraft

Die Hintergrundgrafiken und -animationen sind von guter Qualität. Sowohl in der stattlich-erhabenen Architektur als auch in der herbstlich gefärbten Umgebung spiegelt sich der klassische Look von Neu-England wider. Die weitläufig leeren Flächen auf dem Campusgelände tragen außerdem zur subtil unheimlichen Stimmung bei.

Im Bereich Figurendesign schwächelt das Spiel ein wenig. Vor allem die Haltung bzw. Körperbewegung von Aurinda und ihren Mitarbeitern wirkt unnatürlich.

Der klassische Look von Neu-England ist besser gelungen als das Figuren-Design.

(Keine) Gänsehaut für die Ohren

The Inhuman Stain arbeitet nur in Ausnahmefällen mit Hintergrundmusik; tatsächlich beschränkt sich der gesamte Soundtrack auf zwei düstere Instrumentalsongs und ein paar Audio-Effekte. Oftmals herrscht ein „akustisches Vakuum“ vor, und so wird keinerlei Stimmung aufgebaut. Das ist schade, weil eine zurückhaltende musikalische Begleitung viel zu einer wirksameren Atmosphäre beigetragen hätte.

Positiv hervorzuheben ist wiederum die Vertonung sämtlicher Dialoge. Hieraus ergibt sich, dank solider bis ausgezeichneter Leistungen der Synchronsprecher, definitiv ein großer Mehrwert für das Spiel.

Die fremdgesteuerten Wanderungen der Aurinda Hearn

Die Steuerung von Aurinda erfolgt aus der Third-Person-Perspektive im typischen Point-and-Click-Verfahren. Wird eine aktive Fläche mit der rechten Maustaste angeklickt, dann öffnet sich ein Auswahlmenü mit den Optionen „Ansehen“, „Sprechen“ und „Nehmen/Benutzen“. Wird Aurinda mit der linken Maustaste angeklickt, dann wiederholt sie – für unaufmerksame oder vergessliche Spieler? – das gegenwärtige Ziel. Ein Doppelklick auf Bildschirm-Ausgänge überspringt den Fußweg und führt zu einem sofortigen Wechsel. Hat man es noch eiliger, steht im Inventar – oberhalb der Spielhandlung – auch eine Karte des Campus zur Verfügung.

Sobald sich die Maus über einen Hot Spot bewegt, wird er durch eine Texteinblendung gekennzeichnet. Vor allem Bildschirm-Ausgänge reduziert der Entwickler jedoch bisweilen auf solch minimale Winkel, dass man sie trotz aller kartographischen Bemühungen übersieht. Das kann potenziell frustrierend wirken, falls einem wichtige Schauplätze entgehen, weil der entsprechende Pfeil zu gut verborgen war.

Gelegentlich ist die Abgrenzung begehbarer Flächen drastisch misslungen: Auf zwei verschiedenen Bildschirmen kann Aurinda tiefenwirksam „in einen Baum hineinlaufen“. Das tut dem Spielvergnügen zwar keinen Abbruch, erscheint jedoch trotzdem als ein ärgerlicher – weil vermeidbarer – Defekt.

Auf zwei Bildschirmen kann man tiefenwirksam „in einen Baum hineinlaufen“.

Ur-alte Mysterien, nagelneue Rätsel

Das Gameplay ist einfalls- und abwechslungsreich gestaltet. Manche Rätsel sind dialogbasiert, mehrheitlich geht es jedoch um erfinderische Objektkombinationen sowie um das Zusammenfügen von Informations-Fragmenten. Gelegentlich wirken die Lösungsansätze moralisch fragwürdig – oder schlicht und einfach absurd.

Die interessantesten und kniffligsten Puzzles beziehen sich direkt auf den Cthulhu-Mythos, das heißt, auf rätselhafte Symbole oder auf astronomische Modelle. Nicht immer sind die Aufgaben logisch nachvollziehbar; da bleibt nur Trial & Error, bzw. der Griff zur Komplettlösung. Womöglich eine Anspielung auf das Credo von Lovecraft, dass ein paar Dinge nun mal über das menschliche Begriffsvermögen hinausgehen?

Fortsetzung folgt - wenn die Sterne richtig stehen

The Inhuman Stain besteht als erster Teil der Miskatonic-Reihe hauptsächlich aus Recherche und Exposition. Dabei werden klassische Motive aus dem Lovecraft’schen Themenkatalog eingeführt: Wahnsinn, verbotenes Wissen, bedrohliche Kreaturen, groteske Zungenbrecher. Der Spieler trifft die neuen Mitarbeiter von Aurinda, besucht verschiedene Teile des Campus und liest mehrere Bücher. Eins davon erinnert in seiner Tagebuchform an Ich-Erzählungen wie „Berge des Wahnsinns“ oder „Schatten über Innsmouth“. Leider ist dieses Buch über 10 Seiten mit einer fast unleserlich kleinen Schrift bedruckt, was die Lektüre stark erschwert.

Das Spiel beginnt mit einem Kaltstart ohne weitere Einleitung und versäumt damit eine gute Gelegenheit, in einem kurzen Prolog die Stimmung festzulegen. Dafür gibt es jedoch ein umso dramatischeres Finale mit einem großen Wendepunkt. Nur so viel sei verraten: Es bleibt im ersten Teil von Miskatonic nicht beim Vergießen von Hühnerblut…

<i>The Inhuman Stain</i> endet mit einem dramatischen Finale.

Fazit

Die Leistung, eine interaktive Lovecraft-Story zu erzählen (bzw. zu initiieren), ist bei Miskatonic Part 1: The Inhuman Stain durchaus gelungen; sie wurde jedoch bedauerlicherweise um Elemente „bereichert“, die ihr eher abträglich sind. Das Spiel hat ein paar gute Ansätze, stellt sich aber mehrfach selbst ein Bein – vor allem durch unpassende Anspielungen, die den Spiel-Kosmos durchbrechen, und durch den Verzicht auf einen stimmungsvollen Soundtrack.

Über diese Defizite sieht man wohl am ehesten weg, insofern man die authentischen Cthulhu-Referenzen als Kenner zu schätzen weiß, und sich von dem Humor nicht abschrecken lässt, sondern ihn als frische Herangehensweise an den mittlerweile „zu Tode zitierten“ Stoff begrüßt. Wer neugierig geworden ist, kann das Spiel (ausschließlich in englischer Sprache) für 9,95 $ auf der Homepage erwerben.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Wie Aurinda selbst war ich neugierig auf die Geheimnisse der Miskatonic University. Gefallen hat mir die Einarbeitung von Inhalten des Cthulhu-Mythos in die Rätsel und das schrittweise Zusammenfügen von Hintergrundinformationen ganz im Stil von Lovecraft-Vorlagen wie „Cthulhus Ruf“ und „Der Fall Charles Dexter Ward“; gefallen haben mir auch Elemente wie Dekan Ambrose, die dem Cthulhu-Mythos eine humoristische Ebene verliehen haben. Irritiert war ich von Figuren wie Professor Twinger und Steve, die als Karikaturen der gegenwärtigen amerikanischen Politlandschaft vielleicht besser in einer Adventure-Homage an „Illuminatus!“ oder „The Fountainhead“ aufgehoben wären. Für Teil 2 wünsche ich mir eine Konzentration auf die genannten Stärken und einen gelungenen Ausbau der mythologischen Komponente.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • authentischer Cthulhu-Mythos (inkl. Rätsel)
  • ansprechende, stimmungsvolle Hintergründe
  • gute Synchro-Sprecher
  • deplatzierter popkultureller Humor
  • spärlicher Soundtrack vermindert die Wirkung