Test

von  Baldur Brückner
31.12.2012
The Cat Lady
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

Auf ein Neues

Vor dreieinhalb Jahren wartete der polnische Indie-Entwickler Harvester Games mit dem Horroradventure Downfall auf. Die Verkäufe haben offenbar für ein Leben als Privatiers nicht gereicht – nun steht The Cat Lady in den (virtuellen) Regalen. Dem Horror-Genre ist man dabei treu geblieben. Stürzen wir uns mal ins Getümmel.

Alles im Eimer

Susan Ashworth ist eine Frau mittleren Alters und die namensgebende „Cat Lady“, denn sie lebt zurückgezogen nur mit den streunenden Katzen aus der Nachbarschaft, die sie regelmäßig besuchen. Das Leben hat ihr übel mitgespielt, und sie hat darüber eine ausgesprochen misanthropische Grundhaltung entwickelt. Sie hat niemanden, nichts erfreut sie, und sie hat keine Hoffnung auf Besserung. Konsequenterweise schluckt sie zu Beginn des Spiels ihren kompletten Schlaftablettenvorrat und wartet auf das Ende. Szenenwechsel: Nach ihrem Suizid befindet sich unser Glückskind auf einem schlecht animierten Feld, und der Spieler übernimmt die Kontrolle. Das Setting „Spieler findet sich in einer surrealen Traumwelt wieder“ ist nicht gerade neu, Sanitarium dürfte hier die Genrereferenz sein. Der Spielcharakter aber ist originell und tiefgründig angelegt. Insgesamt eine spannende Ausgangsposition. Im folgenden lotet der Spieler dann die Tiefen von Susans Psyche aus und erkundet ihre Wohnung, deren Umgebung sowie diverse andere Schauplätze der Stadt, in der sie wohnt. Dabei trifft man auf diverse Schurken, die einem ans Leder wollen, und auf eine Verbündete, mit der Susan ein seltsames Band verbindet und mit der sie sich schließlich anfreundet. Wie sich diese Freundschaft entwickelt, hängt dabei vom Spieler ab.

Licht und Schatten

Optisch und akustisch bietet The Cat Lady vor allem eines: Ambivalenz. Licht und Schatten. Sofort fallen zu Beginn wunderschön gezeichnete Hintergründe auf. Die Außenareale wirken wie impressionistische Gemälde, satte Farben erfreuen das Auge, und über allem liegt eine melancholische Grundstimmung. Die Innenareale fallen dem gegenüber ab und sind weniger schön gezeichnet, erfüllen ihre Aufgabe, eine düstere Atmosphäre zu verbreiten, anfangs aber gut, da viel mit Licht und Schatten gearbeitet wird. Im weiteren Verlauf sind die Innenareale eher zweckmäßig gestaltet und machen dabei einen Großteil des Spiels aus. Die Charaktere hingegen – selten hat man in einem kommerziellen Spiel so viel Scheußlichkeit gesehen. Sie sind grobpixelig und schlecht gezeichnet, die Proportionen stimmen nicht, die Arme sind z.B. grotesk lang. Und die Animationen sind eine Frechheit, da hätten unbedingt mehr Zwischenschritte eingefügt werden müssen. In einer Szene am Anfang unterhält sich Susan mit einer älteren Frau, die beim Sprechen den Kopf hin und her wiegt – in genau vier Animationsschritten, das sieht aus wie in der Augsburger Puppenkiste. Die Animation der Spielfigur ist nur unwesentlich besser und wartet in Bewegung gelegentlich mit Clippingfehlern auf. Mit nur wenig Aufwand hätte hier viel verbessert werden können. Hervorgehoben seien an dieser Stelle noch die surrealistischen Effekte, mit denen die Spielgrafik immer wieder unterbrochen oder verfremdet wird. Da werden Hintergründe durch… Wortkettentapeten ersetzt, Augäpfel erscheinen auf Bildschirmen und verfolgen den Spieler, und Collagen farbverfälschter Fotos markieren kurze Cutscenes. Das hat die Ästhetik von Musikvideos und gefällt vielleicht nicht jedem, wenn man’s aber mag, wird man diesen Aspekt in TCL sehr genießen.

Auffällig schon im Intro: Die hervorragende Sprecherqualität. Insbesondere Susan hat eine tolle Stimme, ihre Monologe klingen, als wären sie einem Hörbuch entnommen. Doch auch hier gibt es ein Manko: Die Sprecher wurden in unterschiedlicher Qualität aufgenommen. Im Dialog mit einer Krankenschwester z.B. ist diese deutlich leiser als Susan und klingt blechern, so als ob sie aus einem Gully sprechen würde. Sowas fällt natürlich auf, und man fragt sich, warum die Entwickler dieses Problem nicht behoben haben – ist ja nicht so, als ob man solche Fehler nur unter obskuren Bedingungen entdecken würde. Vermutlich aus Kostengründen ist übrigens nicht alles mit Sprachausgabe unterfüttert, wenn Susan Dinge untersucht, erfolgen in der Regel nur Texteinblendungen. Das ganze Spiel ist hierbei in englischer Sprache gehalten, Deutsch gibt es weder bei der Sprachausgabe noch bei den Untertiteln. Musik gibt es auch, meist düdelt melancholischer Ambient vor sich hin, einige Szenen sind mit zügigem Gitarrengeschrabbel (Alternative, Electro-Industrial) samt Gesang(!) unterlegt, in anderen klimpert ein Piano traurige Weisen. Der Soundtrack ist insgesamt etwas sperrig, was aber gut zur Atmosphäre passt.

Die Steuerung erfolgt mittels Tastatur, mit den Pfeiltasten steuert man Susan nach links und rechts. Kommt man an einem Gegenstand oder einer Person vorbei, erscheint eine Benachrichtigung auf dem Bildschirm, und man kann mit „Pfeil nach oben“ ein Interaktionsmenü öffnen oder mit „Pfeil nach unten“ einen Gegenstand aus dem Inventar benutzen. Etwas ungewöhnlich, funktioniert aber gut. An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass sich das Spiel aus gutem Grund an Spieler ab 18 Jahren wendet: Auch wenn The Cat Lady inhaltlich primär die Seele der Protagonistin auslotet, ist eine Einordnung in die Kategorie „Horror“ gründlich gerechtfertigt. Alle paar Meter stolpert man über Leichen, an denen man auch noch rumdoktorn muss. Susan tut das sichtlich angewidert – „The Cat Lady“ ist generell eine humorlose Zone, alles andere würde aber auch nicht zu Susan passen. Tötungsdelikte gibt es ebenfalls reichlich, gern auch vom Spieler ausgeübt. Wer Splatterfilme rundheraus ablehnt, wird mit diesem Spiel nicht glücklich.

Man schlägt sich so durch

Anfangs mag man den Eindruck haben, dass sich TCL von einer blutigen Szene zur nächsten hangelt. Spätestens nach dem Krankenhaus-Kapitel aber setzt sich die Erkenntnis fest, dass man einer brillant erzählten Geschichte folgt. Häufig springt die Geschichte radikal, so dass man sich fragt, wo denn da die Logik steckt – wenig später erfolgen dann gut eingeleitete Rückblenden, die die Sprünge aufklären und weitere Hintergründe enthüllen. Nicht nur durch die Zeit wird gesprungen, auch zwischen Realität und Traumwelt wird gewechselt, wobei die Grenzen hier stark verschwimmen – nur selten kann man sich sicher sein, sich im Hier und Jetzt zu befinden, und selbst dann geschehen merkwürdige Dinge. Dieses hektische Hin und Her zu einer stimmigen Story zusammenzufügen ist eine wirklich großartige Leistung. Die Rätselkost hält da nicht mit, ist aber immer noch solide. Immer gilt es, gefundene Gegenstände mit etwas zu kombinieren – Minispiele gibt es keine, und bedingt durch das Interface kann man keine Inventargegenstände zusammenpuzzeln. Die Rätsel sind meist logisch nachvollziehbar, wild herumprobieren muss man fast nie, und nur selten finden sich Gegenstände an Orten, an denen man sie nicht vermutet hätte. Ein Spaziergang ist die Rätselei aber nicht, man muss schon ordentlich tüfteln.

Gelegentlich wird der Arbeitsalltag durch Perspektivenwechsel aufgelockert. So wird ein Gespräch zwischen Susan und einem Arzt durch eine spielbares Bild im Bild, eine Art interaktive Gedankenblase, visualisiert, und in einem Kapitel übernimmt man für kurze Zeit die Rolle von Susans Lieblingskatze. Darüber hinaus füllen sich an einer Stelle zwei Balken, einer für „schlechte“ und einer für „gute“ Aktionen, mit entsprechender Konsequenz bei vollständiger Füllung eines Balkens. Das fügt sich alles nahtlos ins Spiel ein und sorgt für den einen oder anderen Wow!-Effekt.

Ein im Rahmen dieses Tests schwer bewertbarer Aspekt ist Linearität. Zwar ist der Handlungsablauf vorgegeben, man kann nur innerhalb einer Szene wählen, welche Puzzles man zuerst angeht (was schon mehr ist, als viele Vollpreis-Titel heutzutage bieten). Aber immer wieder steht man vor Entscheidungen, meist im Rahmen von Dialogen, wo man sich fragt, ob eine andere Wahl wohl den Verlauf der Geschichte beeinflusst. Und das ist der Fall – es gibt mehrere Enden, und welches man zu sehen bekommt, hängt von über das ganze Spiel verteilten Entscheidungen ab. Auch kann man durch solche Entscheidungen Passagen überspringen (mit Auswirkungen auf das Ende) oder den Ausgang von Dialogen verändern. Es lohnt sich tatsächlich, TCL irgendwann nochmals aus dem (virtuellen) Regal zu holen und andere Wege auszutesten, diesen oder jenen Charakter mal am Leben zu lassen, statt ihn abzumurksen oder in Dialogen mal barsch zu sein statt freundlich. Die Nichtlinearität erschließt sich nur schwer wegen der ohnehin anstrengenden Sprünge, aber sie ist vorhanden, und das nicht zu knapp.

Fazit

Definieren wir die Zielgruppe mal über Ausschlusskriterien: Wer sich jenseits familienkompatibler Unterhaltung unsicher fühlt, sollte einen weiten Bogen um dieses Spiel machen. Wer Blockbustergrafik voraussetzt, ebenfalls. Die wenigen, die jetzt noch übrig sind, können unbesorgt ins Portemonnaie greifen – was The Cat Lady an massenkompatibler Thematik und schöner Grafik vermissen lässt, macht es in Bezug auf Storytelling wieder wett. Nach anfänglicher Verwirrung fügt sich TCL zu einer stimmigen und über alle Maßen spannenden Geschichte, deren komplexe Konstruktion ihresgleichen sucht. Für einen für die Massen geeigneten Hit reicht es natürlich nicht: Das Grundthema ist randseitig, das Budget zu klein, die Charaktergrafiken verstoßen gegen die Menschenrechte und es gibt (deutlich) zu viel Blut. Für Nischenfreunde aber gilt: Zugreifen!

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

The Cat Lady ist kein Spiel, es ist ein Erlebnis. Neben The Walking Dead und To The Moon hat mich keine Story so sehr mitgerissen und durch ein Wechselbad der Gefühle geschleudert wie dieser Titel. Nicht nur optisch und akustisch mit einem hervorragenden sich den Spielsituationen anpassenden Soundtrack sticht Michalskis neues Projekt als Kunst hervor, auch spielerisch bietet es so einige Genre-Experimente, die aber nie aufgesetzt wirken, sondern vom Spieler fordern, sich in dieser Albtraumwelt zu verlieren. The Cat Lady ist krank, deprimierend, verstörend, aber auch ehrlich, spricht Themen an, die bislang in ernsten Adventures eher stiefmütterlich oder gar nicht behandelt wurden. Es lässt Raum zu Interpretationen offen, stößt ab, erschreckt, reißt mit. Vor allem bietet es Gameplay, das sich nicht wiederholt. Jedes Kapitel bietet eine andere Spielweise, andere Geschichten. Und auch hier schafft es der Autor, den Spieler Sympathien für Charaktere empfinden zu lassen, welche sich wohltuend von so vielen schablonenhaften Figuren im Adventure-Genre absetzen. Lobenswert auch die Integration des Spielers bei den Entscheidungen in Dialogen, welche tief an die eigene Psyche gehen und unterschiedliche Auswirkungen auf den Fortlauf der Geschichte und Hauptfigurzeichnung haben. Normalerweise nehme ich Abstand von einem Ausdruck wie Meisterwerk, aber genau das ist es, was The Cat Lady ist: Ein Meisterwerk des Storytellings. Sascha nutafitc Pongratz

„Fast hätte ich The Cat Lady nie beendet. Die ersten beiden Kapitel musste ich mich noch zwingen, weiter zu spielen. Zu träge war die Geschwindigkeit, in der die Geschichte vorangeführt wurde, zu viele andere Spiele warteten hier auf mich. Doch dann langsam, aber sicher, hat mich das verstörende, sperrige Adventure vollständig in seinen Bann gezogen, mit einer Geschichte und Charakteren, die es so noch niemals zuvor in einem Adventure zu erleben gab. Ihr wollt ein erwachsenes Adventure? Hier ist es. Doch The Cat Lady verlässt sich nicht alleine nur auf die Geschichte, auch das Gameplay ist überraschend vielseitig und abwechslungsreich. Audiovisuell ist die Indieproduktion sicherlich nicht so glattpoliert wie andere Spiele in diesem Jahr, doch was die Charaktergrafiken zu wünschen übrig lassen machen die extrem atmosphärischen, bizarren Hintergründe und Effekte, der immer präsente Soundtrack und die in weiten Teilen sehr gute englische Sprachausgabe wieder wett. The Cat Lady ist sicherlich kein Adventure für den Mainstream, aber wer auf HD-Optik und klassisches PointnKlick verzichten kann und bereit ist, sich auf eine unbequeme Reise durch die Psyche eines Menschen zu begeben, für den ist The Cat Lady ein Muss - nur nicht vom etwas langatmigen Anfang abschrecken lassen!“
Axel axelkothe Kothe

Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mit The Cat Lady warm wurde. Der Einstieg ist nicht gerade überwältigend, die Charaktergrafiken sind hässlich, das Interface ist ungewohnt, die Thematik knüppelernst, die Musik geht auch nicht gerade runter wie Öl – dieses Spiel ist sperrig, in jeder Hinsicht. Aber es wird. Ab Kapitel 3 macht alles Sinn, die Story öffnet sich wie eine Blüte in der Morgendämmerung, die Protagonistin und später der Sidekick Mitzi sind bis ins letzte Detail entwickelt und wachsen einem schwerstens ans Herz. The Cat Lady ist ungeeignet für Mainstream-Liebhaber. Wer über die genannten Mängel aber hinwegsehen kann, dem präsentiert sich ein Juwel in Sachen Storytelling, das man lange im Gedächtnis behalten wird.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Großartiges, wirklich großartiges Storytelling
  • Wiederspielwert
  • tolle Sprecher
  • unterirdische Charaktergrafiken
  • kleinere technische Mängel