Die Spiele der MYST-Reihe haben das Adventure-Genre zweifellos geprägt. Viele weitere Titel wie zum Beispiel Schizm, Rhem oder Anigmata traten in die Fußstapfen der Serie, die 1993 begann. Mit The Five Cores liefern die Entwickler von Neebla Games einen weiteren Vertreter dieser Art von Adventure - in Echtzeit-3D.
The Five Cores befördert den Spieler an einen verlassenen Strand auf einer hübschen Insel. Eine Notiz klärt ihn darüber auf, dass irgendjemand Hilfe benötigt, um ein Kind aus seinem Schlaf zu befreien, dessen Träume langsam aber sicher die Welt zerstören. Direkt im Anschluss kann sich der Spieler mit der berühmten WASD-Tastensteuerung einen Überblick über die Insel verschaffen. Das gesamte Spiel wird dabei aus der Ego-Perspektive gezeigt. Die Maus kann zum Umsehen und zur Interaktion mit Objekten benutzt werden, mit der Leertaste wird gesprungen und mit der Shift-Taste kann man doppelt so schnell durch die Landschaft rennen. Geschicklichkeit ist allerdings an keiner Stelle des Spiels gefragt. Sobald ein Objekt manipuliert werden kann, erscheint eine Hand auf dem Bildschirm. Bei den ersten Erkundungen der Insel wird schnell klar, dass insgesamt sieben Kristalle auf fünf Inseln zum Leuchten gebracht werden müssen, um weiteren Schaden von den Inseln fernzuhalten, und so macht man sich rätselknackend auf den Weg.
Das Spiel nutzt das Unreal-Developement-Kit und zeigt dessen Vorteile bereits in den ersten Minuten deutlich auf: Die Grafik ist durchaus beeindruckend. Die verschiedenen Inseln, auf denen es Rätsel zu lösen gilt, sind interessant aufgebaut und schön ausgeschmückt. Nur an wenigen Stellen fallen einzelne Texturen auf, die qualitativ nicht ganz so hochwertig sind wie der Rest der Szenerie. Die Fortbewegung fühlt sich recht natürlich an, kann auf Wunsch allerdings ziemlich unrealistisch beschleunigt werden. Das Spiel wird von nahezu immer passenden Geräuschen und von tollen Musikstücken begleitet. Etwas bedauerlich ist allerdings, dass jede Insel nur über einen Musiktitel verfügt, der in der Dauerschleife läuft. Gerade bei längeren Knobel-Sessions wäre hier mehr Abwechslung schön gewesen. Dennoch erzeugen Grafik und Sound und nicht zuletzt die schön ausgedachten Schauplätze eine tolle Atmosphäre, die einen schnell in seinen Bann zieht. Andere Lebewesen trifft man bei den Erkundungstouren übrigens nicht: Alle Inseln sind verlassen. Dabei zeigt das schlafende Kind im Tempel der Hauptinsel, dass die Entwickler durchaus in der Lage gewesen wären, Charaktere mit realistischen Gesichtszügen in das Spiel einzubauen (wenn auch das Kind im Verhältnis zur Welt recht groß erscheint). Einerseits verstärkt die Einsamkeit die Atmosphäre, andererseits hätten Lebewesen der Umgebung und vor allem dem Spielende sehr gut getan, doch dazu später mehr.
Ähnlich wie die Verbindungsbücher aus der MYST-Reihe bringen Kristalle den Spieler zu verschiedenen Inseln, auf denen mehrere Rätsel gelöst werden müssen, um die Aktivierung des Kristalles und somit die Rückkehr zur Hauptinsel zu ermöglichen. Auch die Logik hinter den Aufgaben ist eindeutig an die MYST-Reihe angelehnt, manche Rätsel und Umgebungen dürften Fans der Serie sogar merkwürdig vertraut vorkommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich bei The Five Cores um einen lieblosen Abklatsch anderer Titel handelt. Vielmehr wurden die Rätsel und Schauplätze nur an MYST-Welten angelehnt und einfallsreich weitergedacht. Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel schwankt bei den Inseln zwischen „mittel“ und „schwer“. Oftmals sind eine genaue Beobachtungsgabe und logisches Denken gefragt, einmal sogar über die Grenzen einer Insel hinweg. Und wie es sich für ein Spiel im MYST-Stil gehört, müssen auch jede Menge Notizen und Zeichnungen gemacht werden, um der Lösung näher zu kommen. Wer sich schon immer gerne mit dieser Art von Rätseln auseinander gesetzt hat, findet in The Five Cores eine echte Perle. Wer nie mit den MYST-Spielen warm wurde, wird es deutlich schwerer haben, bekommt aber insgesamt faire, anspruchsvolle Rätsel präsentiert. Je nachdem, wie gut man sich bereits in diese Art von Logikrätseln hineingedacht hat, dürfte das Spiel unterschiedlich viel Zeit in Anspruch nehmen: Geübte MYST-Spieler werden wohl zwischen fünf und sechs Stunden mit dem Spiel verbringen, weniger Versierte erwartet schätzungsweise eine Spieldauer von etwa sieben bis neun Stunden. Das gilt natürlich nur, wenn dem Drang widerstanden wird, in die Lösung zu linsen…
Obwohl die Steuerung insgesamt gut umgesetzt wurde und die eingebaute Taste für schnelles Rennen äußerst komfortabel ist, gibt es einige kleinere Macken, die den Spielfluss ein wenig beeinträchtigen. So ist es zum Beispiel möglich, sich durch Rennen und Springen in Ecken zu manövrieren, aus denen man nur sehr schwer wieder herauskommt. Auch sind einige Begrenzungen scheinbar willkürlich gezogen, sodass der Spieler sich wundert, warum er ausgerechnet dort nicht hinlaufen kann. Auf den Bauminseln gibt es dann mehrere Pflanzen, die aus einem Hauch von Nichts bestehen und problemlos durchquert werden können. Zu guter Letzt sind einige Regionen für die Interaktion etwas zu großzügig gezogen, sodass die Hand auf dem Bildschirm erscheint, obwohl man gar nicht vor dem entsprechenden Objekt steht. Das führt leider auch dazu, dass bei einigen Rätseln aus Versehen der falsche Gegenstand bewegt werden kann. Insgesamt fallen diese Probleme nicht stark ins Gewicht, fallen aber durchaus als störend auf.
So schön das Spiel auch gestaltet ist und so hoch die Herzen von MYST-Fans angesichts der Atmosphäre und der Rätsel auch schlagen mögen, The Five Cores hat eine eindeutige Schwachstelle. Die Geschichte, die anfangs noch minimalistisch erzählt scheint, entpuppt sich am Ende eher als Ausrede denn als ernstgemeinte Umrahmung. Das Ende kommt derart abrupt und ist so kurz gehalten, dass man sich ein wenig betrogen fühlt. Wenigstens ein paar zusätzliche Sekunden mit schön animierten Zwischensequenzen zum Ausgang der Geschichte hatte ich erwartet, doch nach der Aktivierung der fünf Kristalle und einem sehr kurzen Video landete ich kommentarlos im Hauptmenü. Das ist sehr bedauerlich, da das plötzliche Ende und die schwache Storyentwicklung das Spielerlebnis trüben.
The Five Cores ist in erster Linie sicherlich Geschmackssache. Fans der MYST-Reihe werden den Titel sicherlich höher bewerten als reine Anhänger der Lucas-Arts-Klassiker. Zu honorieren sind die insgesamt schöne Grafik, das gute und logische Rätseldesign, das in klare Abschnitte aufgeteilt ist und selten offen lässt, was zu tun ist. Außerdem klingt die musikalische Untermalung sehr gut, wenn auch mehr Stücke wünschenswert gewesen wären. Nicht ganz so gelungen ist an manchen Stellen die Steuerung. Die Hintergrundgeschichte ist kaum vorhanden und gipfelt in einem recht enttäuschenden Ende. Dennoch ist der Titel für alle Adventure-Spieler eine klare Empfehlung, zumal der Preis mit knapp sieben Euro keineswegs hoch ist.
The Five Cores hat mich zum Erkunden und Staunen eingeladen, wie in den guten alten MYST-Zeiten. Insgesamt habe ich während des Testspielens vier Din- A-4-Seiten mit Notizen vollgekritzelt, und daraus durch Herumprobieren und Nachdenken die Lösung abgeleitet. Volle Notizzettel mit merkwürdigen Skizzen sind für mich ein eindeutiges Qualitätsmerkmal für ein Logik-Adventure. Umso enttäuschter war ich von dem unzureichenden Ende und der schwach entwickelten Story. Während des Spiels hatte ich mir hiervon deutlich mehr versprochen. Dennoch bleibt die Empfehlung: Auf jeden Fall reinschauen!
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