Johnny wird nicht mehr aufwachen. Er ist alt, sein Körper das Leben leid. Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts sind nicht gekommen, um seine Zukunft zu verändern. Auf Johnnys Vergangenheit haben sie es abgesehen. Mit ihren Arbeitsgeräten, die neben dem Sterbebett aufgebaut sind, werden sie rückwärts in die Erinnerungen des Alten reisen. Um sie zu manipulieren und Johnnys letzten, großen Wunsch zu erfüllen: Eine Reise zum Mond.
In dieser Kürze klingt To the Moon wie eine Mischung aus Total Recall und Memento. Tatsächlich handelt es sich bei dem RPG-/Adventure-Hybriden aber um eine gefühlvolle Liebesgeschichte, die eines einfachen Mannes und einer ganz besonderen Frau. To the Moon zelebriert das echte Leben und offenbart in den Fragen, die es stellt, philosophische Konnotationen, wie Spiele es selten wagen. Über eine andere Frage, nämlich ob To the Moon überhaupt ein Spiel ist, lässt sich streiten. Der Entwickler Kan Gao bezeichnete es hierzu in einem Interview als interaktive Geschichte. Adventuretypische Rätsel rücken das Verhältnis gerade bzw. To the Moon in die Mitte zwischen Spiel und Film.
In der Einleitung bekommen wir die Ankunft von Eva und Neil, die wir im Laufe des Spiels abwechselnd steuern, an Johnnys Anwesen mit. Eigentlich kündigt schepperndes Metall sie an, denn Neil baut einen Unfall. Ein kurzes Geplänkel der beiden Doktoren definiert ihre Charaktere: Neil ist ein typischer Goofball, eine penetrante Nervensäge mit nerdigem Humor und sozialen Ungeschicklichkeiten. Eva hingegen ist eine ruhige, disziplinierte Frau. Ihre Charakterdynamik basiert auf Retourkutschen und balanciert die Melodramatik der Geschichte aus. Das liest sich in der deutschen Übersetzung manchmal zu albern, trägt grundsätzlich aber zum Funktionieren von To the Moon bei.
Danach macht uns das Spiel mit seiner Steuerung vertraut. Die funktioniert wahlweise per Pfeiltasten und Enter zur Interaktion mit der Umgebung oder mittels Maus. Mit der Maussteuerung fremdelt man anfangs noch ein wenig, da To the Moon aussieht wie ein RPG aus den 90ern. Außerdem ist sie unpräzise. Trotz Doktortitel bleiben Eva und Neil in vollgestopften Umgebungen überall hängen. Daran gewöhnt man sich aber schnell und die Maussteuerung ist die eindeutig bessere Variante. Ohne den Mauscursor ist nämlich nicht ersichtlich mit welchen Objekten interagiert werden kann und die Tastenbelegung ist für WASD-erprobte Hände zu krampfig.
In Johnnys Haus lernen wir die Kernmechanik des Spiels kennen. Um in seine Erinnerungen eindringen zu können, gilt es sogenannte Mementos zu finden und in einem simplen Schiebepuzzle zusammenzusetzen. Mementos sind Erinnerungsstücke, Gegenstände und aufgeschnappte Schlüsselwörter, die in einem stets überschaubaren Areal verteilt sind. Die kleinen Trefferzonen der Objekte gestalten die Suche manchmal schwieriger als nötig. Spielspaß im klassischen Sinne empfindet man dabei jedenfalls nicht. Dafür ergänzen die Mementos die Geschichte auf wunderbare Weise. Jedes trägt dazu bei, dass der Spieler die psychologische, die emotionale Tiefe der Charaktere begreift. Von den Schiebepuzzles kann man leider nicht behaupten, dass ihnen eine metaphorische Wirkung innewohnt. Auf einem 5x5 Kacheln großen Feld sind einige Kacheln verdeckt und müssen aufgedeckt werden. Dazu werden sie reihenweise umgedreht. Es ist also etwas Überlegung vonnöten, um bereits offene Kacheln nicht wieder zu verdecken. Als Belohnung für ein gelöstes Puzzle winkt eine schöne Illustration eines Mementos. Als kleine Auflockerung ist das ganz nett, doch für mehr fehlt es an Abwechslung und Herausforderung. Durch planloses Geklicke kommt man auch zum Erfolg. Des Weiteren lassen die Puzzles erzählerischen Kontext vermissen. Für ein ansonsten so konkretes Spiel sind sie zu abstrakt.
To the Moon kann seine Herkunft nicht verleugnen. Die Grafik, eine Stufe über späten Super Nintendo-RPGs, identifiziert es als RPG Maker-Spiel. Wer mit anderen Spielen, die mit dieser Engine entstanden sind, vertraut ist, erkennt viele grafische Elemente wieder. Dadurch büßt es an Eigenständigkeit ein. Illustrationen zu ausgewählten Mementos und Szenen, und denkwürdige Schlüsselobjekte, verleihen To the Moon trotzdem einen eigenen Charakter. Besonders das Spiel mit den Farben ist gelungen. In schönen, lebensbejahenden Momenten ist die Palette farbreich und kräftig. In düsteren grau und erdig. Dass die Handlung in Johnnys Erinnerungen stattfindet, wird zudem für einige clevere Effekte genutzt.
Die Umgebungen des Spiels ähneln Theaterkulissen. Es gibt keine zusammenhängende Spielwelt, denn jede Erinnerung Johnnys existiert nur für sich. To the Moon wirkt wie eine Collage aus Kammerspielen, zusammengehalten durch das Bewusstsein von Eva und Neil.
Der intimen Geschichte entsprechend, besuchen wir alltägliche Orte. Vom Jahrmarkt bis zur Schule. ""Wow""-Momente bleiben so zwar aus, dafür stellt das Spiel sicher, dass stets die Charaktere die Stars sind. Und To the Moon fasst den Charakterbegriff weit.
Wer auf moderne Grafik nicht verzichten will, ist mit To the Moon falsch beraten. Wer sich jedoch nicht am charmanten, die Fantasie anregenden Pixellook stört, wird zwischen viel Einheitskost auch Augenöffnendes finden.
Ein guter Soundtrack erweckt die Geschichte eines Spiels zum Leben und trägt sie am Ende sanft zur Ruhe. Der von To the Moon schafft das meisterhaft. Komponiert von Entwickler Kan Gao und mit Unterstützung der erfahrenen Spielekomponistin Laura Shigihara, bildet er eine Lebenslinie. Die emotionale Bandbreite der Musik trägt einer glaubhaften, menschlichen Beziehung Rechnung und so schwermütig einige Stücke sind, das herzzerreißend romantische Hauptthema in all seinen Variationen überstrahlt sie alle. Zwischen ruhigen Klavierklängen und Streichern, findet sich auch ein Lied. Zart gesungen von Laura Shigihara, setzt es sich beim ersten Hören im Kopf fest.
Alles perfekt also? Nein. Einige Kompositionen treffen im wahrsten Sinne des Wortes nicht die richtigen Töne. In eingängigen Melodien verstecken sich Noten, die da nicht hinzugehören scheinen. Das nagt etwas an der Immersion. Technisch kann der Soundtrack nicht mit teuren Produktionen mithalten. Die Instrumente klingen zwar gut, aber nicht voluminös.
Sprachausgabe gibt es nicht, was angesichts der Grafik kein Verlust darstellt. Es trägt zum uniformen Retro-Look bei und regt die Phantasie an. Als Spieler entwickelt man seine eigene Vorstellung wie die Charaktere klingen und das passt gut zur Intimität der Geschichte. Mit Geräuschen wird ähnlich sparsam umgegangen. Sie sind fast alle comichaft und werden dementsprechend in lustigen Szenen genutzt.
So lang wie eine komplette Lebensgeschichte ist To the Moon nicht. Bis das ergreifende Ende erreicht ist, vergehen vier bis sechs Stunden. Bedenkt man das Format, fällt die Spielzeit genau richtig aus. To the Moon lässt sich gut in Häppchen spielen, eine Erinnerung nach der anderen. Empfohlen sei aber höchstens eine Unterbrechung und vor allen Dingen ausreichend Ruhe.
Erhältlich ist To the Moon für Windows-Rechner als Download über die Entwicklerseite, Steam, GOG und Origin. Außerdem gibt es eine Ladenversion, vertrieben durch Lace Mamba. Die ist zwar deutlich teurer, verpackt die Spielhülle aber in einen schönen Pappschuber und enthält den Soundtrack auf einer zweiten Disc. Neben der deutschen und anderen internationalen Übersetzungen liegt auch das englische Original bei. Für meinen Test ließ sich das allerdings nicht installieren - stattdessen wurde automatisch die deutsche Übersetzung gewählt.
Es fällt schwer To the Moon seine Unzulänglichkeiten anzukreiden. Ja, es ist technisch hoffnungslos veraltet, die Steuerung hakelig und Gameplay Mangelware. Aber es ist ein Triumph der Erzählkunst. Die Geschichte ist fesselnd, das Skript - abgesehen von ein paar Albernheiten und ungelenken Ausdrücken - hervorragend und der Soundtrack lässt die Augen feucht werden. Es hat eine ideale Balance zwischen Leichtherzigkeit und Herzschmerz gefunden, ohne Richtung Kitsch abzudriften. Mit der Bezeichnung interaktiver Film wird man To the Moon auch nicht gerecht. Die vorhandene Interaktivität trägt wesentlich zum Mittendrin-Gefühl bei und erhebt es über den Status einer Visual Novel.
Wer etwas für Melodram übrig hat ist sich selbst schuldig, To the Moon zu spielen.
Ich hatte To The Moon schon vor einigen Jahren auf dem PC gespielt und war bereits damals begeistert, welch melancholische Gefühle ein Spiel hervorrufen kann, noch dazu mit einer solchen Grafik. Gleichzeitig wird die Stimmung immer wieder durch witzige Kommentare angehoben. Diese schlagen zwar manchmal über die Stränge, sorgen aber insgesamt für die notwendige Auflockerung. Auch auf dem Smartphone konnte mich das Spiel sofort wieder in seinen Bann ziehen. Obwohl die Rätsel und das Gameplay ziemlich schwach sind, empfehle ich jedem, der To The Moon noch nicht kennt, einen Blick auf die mobile Version zu werfen. Es lohnt sich und die grafische Politur macht das Spiel noch einen Tick besser.
Noch nie hat mich ein Spiel so bewegt. Die komplexe Erzählung eines tragischen Lebens, das sich dem Spieler nur Stück für Stück offenbart, ist genial und verstand es trotz fehlender Sprachausgabe, mich vollends in seinen Bann zu ziehen. To The Moon ist ein berührendes Drama über das Streben nach Glück und die Frage nach dem guten Leben. Trotzdem kommt es vor allem durch die bissigen und sorglosen Kommentare von Dr. Neil Watts recht leicht daher und lockert die traurige Stimmung regelmäßig wieder auf - leider aber so häufig, dass ich mir an manchen Stellen etwas mehr Ernsthaftigkeit gewünscht hätte. Doch trotz dieses und aller anderen Kritikpunkte an dem Titel: Die Geschichte von To The Moon ist ein echtes Juwel, das in keiner Adventure-Sammlung fehlen darf.
Wie soll man bei etwas neutral bleiben, das so mächtige Gefühle weckt? Man ist leicht dazu geneigt, alle Kritikpunkte zu verschweigen, da To the Moon als Gesamtwerk zu wichtig daherkommt, um in seine Einzelteile seziert zu werden. Ich habe während mehr als einer Szene Tränen unterdrückt, aber am Ende ließ ich einfach laufen. Und es war ein befreiendes, reinigendes Gefühl, von dem ich tagelang zehren konnte. Wären mehr Spiele wie To the Moon, würde ich weniger lesen und Fernsehen.
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