Test

von  Hans Pieper
29.05.2013
Virtue's Last Reward
Getestet auf 3DS/3DS XL, Sprache Englisch
87%

Lieber zuhören als Lesen? Einfach die Audioversion mit Bildern aufrufen und zurücklehnen.

Was geschah am 25.12.2028? Das letzte, woran sich Sigma erinnern kann ist, dass er sich in sein Auto setzte und versuchte, den Motor zu starten. Doch das gelang ihm nicht. Stattdessen strömte weißes Gas ins Auto, das ihn betäubte. In seinem letzten wachen Moment sah er noch eine schwarze Person mit einer Atemmaske, dann wurde alles schwarz.

Und nun erwacht Sigma in einem Fahrstuhl. Doch er ist nicht alleine: In einer Ecke zusammengekauert sitzt eine junge Frau, die sich mehr als merkwürdig verhält. Doch damit nicht genug: Irgendjemand hat den beiden eine Art Uhr um das Handgelenk gelegt, die sich nicht abnehmen lässt. Und als ob dies alles noch nicht genug wäre, kündigt die Projektion eines Hasen an, dass sich der Fahrstuhl in wenigen Minuten in die Tiefe stürzen wird, sollten die beiden nicht rechtzeitig das Rätsel lösen und aus dem Raum entkommen können.

Das Spiel beginnt in einem kargen Fahrstuhl

Spiel um Leben und Tod

Virtue’s Last Reward, der Nachfolger des DS-Geheimtipps 999, beginnt mit hohem Tempo und fordert bereits beim Lösen des ersten Rätsels einiges an Hirnschmalz. Doch das ist nur der Auftakt zu einer extrem komplexen und ebenso genialen Erzählung um ein Spiel auf Leben und Tod, in dem fast nichts so ist, wie es scheint. Nachdem Sigma und das merkwürdige Mädchen Phi aus dem Fahrstuhl entkommen, wird ihnen klar, dass sie Teil eines äußerst makabren Spiels sind, bei dem die Gewissensfrage, ob man sich mit einem völlig fremden Menschen verbünden oder ihn betrügen soll, über Leben und Tod entscheiden kann. Dieses sogenannte AB-Game basiert auf dem Gefangenendilemma, bei dem eine Kooperation allen Beteiligten weiterhilft, das Betrügen des Mitspielers jedoch einem selbst mehr Punkte einbringt, wenn dieser sich verbünden wollte. Zusätzlich gilt es, Rätsel in Räumen zu lösen, um rechtzeitig an der nächsten Abstimmung des AB-Games teilnehmen zu können.

Während man im Spiel voranschreitet wird schnell klar, dass man längst nicht allen Beteiligten vertrauen kann. Und viele Entscheidungen haben große Auswirkungen – und das nicht nur in der Zukunft, sondern auch in der Vergangenheit. Doch mehr dazu darf nicht verraten werden, denn sonst werden mehrere der überraschenden Wendungen der Geschichte vorweggenommen. Kenntnisse des ersten Teils der Serie, 999, sind nicht notwendig. Die Geschichten hängen zwar an bestimmten Punkten zusammen, funktionieren jedoch unabhängig voneinander.

Kern der Geschichte ist das<br /><br />sogenannte AB-Game

Hochspannender Sci-Fi-Thriller

Die Geschichte hinter Virtue’s Last Reward ist ebenso vielschichtig und kompliziert wie sie den Spieler begeistert und sofort in seinen Bann zieht. Mit jeder Entscheidung und jedem der neun Enden tastet man sich näher an die eigentliche Wahrheit hinter all den Geschehnissen des grotesken AB-Games heran. Nur ganz langsam fügen sich einzelne Puzzle-Stücke und Rätsel der Geschichte aneinander, bis der endgültige Abschluss dem Spieler einen gewissen Interpretationsspielraum einräumt. Und das braucht Zeit: Selbst erfahrene Adventure-Spieler sollten mit mindestens 25 Stunden Spielzeit rechnen, 30 Stunden erscheinen realisitisch.

Nicht allen Mitspielern kann man trauen

Zweigeteilter Spielablauf

Virtues Last Reward ist wie auch 999 in zwei Spielphasen aufgeteilt: Einen Roman- und einen Rätselpart. Während der Romanteil dazu dient, die Geschichte voranzubringen und Auswirkungen von Entscheidungen zu beleuchten, löst der Spieler im Rätselteil knifflige Räume und erfährt kleinere Details zur Hintergrundgeschichte. Der Ablauf des Rätselparts ist dabei immer gleich: Es gilt, den Schlüssel für die Ausgangstür des Raumes aus einem Safe zu holen, dessen Kombination irgendwo im Raum versteckt ist. Die Rätsel bewegen sich dabei auf einem angenehm hohen Schwierigkeitsgrad, der fordert, ohne zu frustrieren. Eifrige Rätsler können durch weitere Lösungen in jedem Raum eine goldene Bonusmappe aus dem Safe holen, die lesenswerte Hintergründe zum Spiel und seiner Entwicklung bietet. Jeder Rätselraum ist in zwei Schwierigkeitsstufen verfügbar, wobei in der leichten Version mehr Tipps gegeben werden. Doch nur wer alle Räume im schwierigen Modus löst, wird mit einem zusätzlichen Ende belohnt, das Licht in das Dunkel bringt.

Ein wenig entgleist die Geschichte, wenn vollkommen unnötige sexuelle Anspielungen von Sigma in den Raum geworfen werden. Und warum zwei der Teilnehmerinnen halb nackt durch die Gegend laufen müssen, bleibt offen. Auf diese billige Effekthascherei hätten die Entwickler getrost verzichten können.

Ganz im Ernst: Wer trägt sowas?

Komfortable Steuerung

Virtue’s Last Reward überlässt es dem Spieler, wie er durch die Geschichte navigieren will. Tasten können genauso verwendet werden wie der Touchscreen, wobei sich der Titel über den Touchpen wesentlich angenehmer steuern lässt. Während den Romanabschnitten wird per Tipp auf den unteren 3DS-Bildschirm weitergeschaltet, in den Rätselparts dreht man sich per Wischbewegung durch den Raum und klickt auf potentiell interessante Objekte. Anders als der Vorgänger 999 bietet das Spiel die Möglichkeit, jederzeit an bestimmte Stellen des Spiels zu springen und so Entscheidungen erneut oder auf andere Weise zu treffen. Zusätzlich kann innerhalb von Sekunden jederzeit gespeichert werden – allerdings nur auf einem Spielstand. Ein komfortables Notizmenü ermöglicht es, sich Lösungen, Notizen und wichtige Passwörter aufzuzeichnen und später wieder abzurufen. Ein Dokumenten-Reiter bewahrt wichtige Hinweise auf. Über ein Inventar in der linken oberen Bildschirmecke erreicht man in den Rätselräumen eingesammelte Gegenstände, kann diese dort untersuchen, kombinieren oder nach dem Auswählen mit der Umgebung verwenden. Nur an wenigen Stellen ist die Interaktion mit dem Inventar ein wenig umständlich, besonders, wenn es stark gefüllt ist.

Die Texte können entweder durch Tippen, per A-Knopf oder automatisch weitergeschaltet werden. Bei bereits gespielten Abschnitten des Romanparts ist zusätzlich eine Überspringen-Schaltfläche verfügbar, die den Ablauf der Ereignisse extrem beschleunigt. Das verhindert jedoch leider nicht die viel zu häufigen und viel zu langen Laufwege, die mit einem Punkt auf einer Karte animiert werden und gemeinsam mit Animationen von sich öffnenden und schließenden Türen viel zu viel Zeit auffressen. Das nimmt dem Spiel an einigen Stellen das Tempo und ist ein echter Nachteil.

Auch wenn es harmlos aussieht:<br /><br />Dieses Armband kann tödlich sein

Halbe Animationen

Die Grafik des Spiels ist insgesamt gut gelungen. Die Schauplätze sind detailreich ausgestaltet und glaubwürdig in Szene gesetzt. Da es kaum Animationen gibt, wirken jedoch alle Räume recht leblos, was zwar bedauerlich ist, die Atmosphäre jedoch sogar unterstützt. Die Charaktere sind gut animiert und wirken auch bei aktiviertem 3D-Effekt sehr gut. Leider wurde bei den Zwischensequenzen stark gespart: Viele spannende Ereignisse werden von Schwarzblenden verschluckt oder sind nur in Einzelbildern umgesetzt. Dass es auch anders geht, zeigen einige kurze Zwischensequenzen, die viel Dynamik in das Spiel bringen. Umso bedauerlicher ist es, dass sich bis auf Mundbewegungen nur selten etwas auf dem Bildschirm tut.

Japanisch für Anfänger, Englisch für ProfisAuch wenn man dies bei einer deutschen Veröffentlichung zunächst vermuten würde: Virtue’s Last Reward ist auch in der deutschen Version nur auf Englisch verfügbar. Das fällt auch dann nicht auf, wenn man die Rückseite des Spiels genau durchliest. Dort ist von ""Software and Electronic Manual: DE"" die Rede. Vorsichtig ausgedrückt ist das ziemlich irreführend. Alle, aber auch wirklich alle Texte im Spiel sind ausschließlich auf Englisch, wobei die Sprachausgabe beim japanischen Original belassen wurde. So lernt man auch ein wenig Japanisch, besonders die Zahlen von 1-10, während man die Texte liest. So weit man das ohne jegliche Sprachkenntnis beurteilen kann, leisten die Sprecher gute Arbeit und passen gut zu den Charakteren. Etwas unverständlich ist, weshalb die Hauptperson Sigma keine Stimme erhalten hat, denn dass es nicht der Spieler selbst ist, wird ja gleich von Anfang an klar gemacht.

Mit Schulenglisch wird man bei diesem Spiel nicht weit kommen, gute bis sehr gute Englischkenntnisse sind Pflicht, um der komplexen Erzählung und den wissenschaftlichen Erläuterungen problemlos folgen zu können. Allein deshalb wäre eine komplette deutsche Übersetzung und Synchronisation gut gewesen, denn das Spiel hat definitiv eine größere Aufmerksamkeit auch auf dem deutschen Markt verdient.

Englischkenntnisse sind Pflicht

Es rumort im 3DS

Sound und Musik sind bei dem Spiel extrem gut umgesetzt. Die Musikstücke treffen zielsicher die aktuelle Situation und verleihen dem Spiel viel seiner packenden Atmosphäre. Die Geräusche sind so konzipiert, dass sie den 3D-Effekt des 3DS gut ausnutzen und häufig zweifeln lassen, ob das Rumpeln nun aus der eigenen Wohnung oder dem Spiel kam. Auch die Soundeffekte im Zusammenhang mit dem AB-Game brennen sich tief ins Gedächtnis des Spielers ein und erzeugen so ein beunruhigendes Gefühl.

Die Rätsel sind angenehm fordernd

Fazit

Virtue’s Last Reward ist ein fantastischer Science Fiction-Thriller, der seinen Spielern durch seine komplexe Hintergrundgeschichte und die ungewöhnliche Erzählung viel abverlangt, aber nach dem Ende auch ebenso belohnend ist. Viele Fragen, die einen teilweise über das gesamte Spiel hinweg beschäftigen, werden am Ende schließlich doch noch aufgelöst, als man sie schon fast wieder vergessen hatte. Die Grafik und der 3D-Effekt sind insgesamt gelungen, störend wirken sich die fehlenden Animationen und die zahlreichen Schwarzblenden aus. Obwohl das Spiel schnell mit viel Spannung ein hohes Tempo aufbaut, das bis zum Ende durchgehalten wird, bremst es sich durch unnötige Laufanimationen selbst wieder aus. Die Musik ist ein Meisterwerk, ebenso die Geräuschkulisse. Die Steuerung ist sehr bequem und das Springen zwischen den verschiedenen Ereignissen sehr gut umgesetzt. An sich handelt es sich um ein Meisterwerk, dass in keiner 3DS-Sammlung fehlen darf, doch vielen Spielern wird die sprachliche Barriere zu hoch sein. Durch die komplexe Erzählung und zahlreiche physikalische Phänomene reicht Schulenglisch bei weitem nicht aus, um Freude an dem Spiel zu haben. Wer jedoch regelmäßig englische Serien und Filme schaut und über ein technisches Grundvokabular verfügt, sollte gut durch das Spiel kommen. Es ist sehr bedauerlich, dass es keine deutsche Version des Titels gibt, denn die hätte Virtue’s Last Reward definitv verdient.

Trotzdem bleibt ein tolles Spiel, das über viele Stunden hinweg fordernde Aufgaben stellt und mit einer tollen Geschichte belohnt.

thumb
Verschiedene Versionen des Spiels Neben der Version für den 3DS gibt es Virtue's Last Reward auch für die Playstation Vita. In der amerikanischen Fassung wurde das Spiel mit hierbei mit einer englischen Sprachausgabe veröffentlicht. Diese Version haben wir nicht getestet.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

An Virtues Last Reward dürfte ich wohl bislang am längsten für einen Test gespielt haben. Über einen ganzen Tag am Stück habe ich mit dem Spiel verbracht und es hat mich nachhaltig fasziniert. Ein echter Tipp für alle Adventure-Fans mit guten Englischkenntnissen und einem 3DS. Besser noch: Einem 3DS XL.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Spannende Geschichte mit Anspruch
  • Zahlreiche überraschende Wendungen
  • Innovative Erzählweise
  • Gute Steuerung
  • Gute 3D-Grafik
  • Genialer Soundtrack
  • Nur auf Englisch
  • Nervige Laufwege zwischen den Räumen
  • Teilweise hakelige Steuerung im Inventar
  • Fehlende Animationen