Test

von  Benjamin Klemen
14.02.2014
1954: Alcatraz
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

1954: Alcatraz erzählt nicht nur die Geschichte einer Zusammenarbeit, sondern ist auch Ergebnis einer solchen: einer Co-Produktion von Daedalic und dem amerikanischen Entwickler Irresponsible Games. Während das deutsche Entwickklerstudio die Grafiken lieferte und für die deutsche Vertonung verantwortlich zeichnet, stammen Geschichte, Dialoge und Rätseldesign von den Amerikanern. Federführend war Gene Mocsy, der einst bei Autumn Moon gearbeitet und an dessen Ghost Pirates of Vooju Island mitgeschrieben hat. Mit 1954: Alcatraz liefert Mocsy nun sein erstes Adventure in Eigenregie.

Von einem, der ausbrach, das Flüchten zu lernen

San Francisco Mitte der 50er-Jahre. Nach einem bewaffneten Raubüberfall und einem vereitelten Gefängnisausbruch ist Mechaniker Joe Lyons reif für die Insel – für die berühmt-berüchtigte Gefängnisinsel Alcatraz. Dort soll er nun seine Haftstrafe absitzen. Eine Haftstrafe, für die er gehörig Sitzfleisch braucht, beläuft sie sich doch auf 40 Jahre. Anstatt jedoch die vier Jahrzehnte hinter Gefängnismauern zu fristen, organisiert Joe lieber den nächsten Ausbruchsversuch. Immerhin erwartet ihn draußen nicht nur die süße Freiheit, sondern auch Ehefrau Christine sowie eine beträchtliche Summe Geld - Diebesgut, dessen Versteck nur Joe bekannt ist. Während Joe auf Alcatraz also an seinem Ausbruch tüftelt, macht sich seine Christine daran, das Geld zu beschaffen. Doch nicht nur sie ist hinter der Beute her. Auch Joes ehemaliger Gangsterkollege Mickey erhebt Anspruch auf das ergaunerte Geld - und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, stellt er Christine ein Ultimatum: In wenigen Tagen verlangt er von ihr 'Geld oder Leben'.

Schon nach unserem Presse-Termin auf der gamescom 2012 war uns klar, dass 1954: Alcatraz nicht mit seiner Präsentation würde punkten können. Die Qualität des Adventures würde sich an seiner Geschichte messen müssen. Leider fällt auch diese eher enttäuschend aus. Während der etwa sechs bis siebenstündigen Handlung kommt es kaum zu nennenswerten Höhepunkten und einzig Joes Ausbruch gegen Ende lässt ein wenig Spannung aufkommen.

Außerdem schaden diverse Logiklöcher der Geschichte. So stellt sich bald die Frage, warum Joe auf seinen Streifzügen über die Gefängnisinsel niemals einer Leibesvisitation unterzogen wird. Fördert man zu Spielbeginn noch ein improvisiertes Messer unter Joes Matratze zutage und hat kurze Zeit später einen Metalldetektor zu passieren, stolziert der Mechaniker im restlichen Spielverlauf mit einem ganzen Arsenal potentieller Waffen durch den Hochsicherheitstrakt – etwa einem wuchtigen Schraubenschlüssel oder einem Stromkabel. Hier wäre die Nutzung von geschickten Verstecken sicher ein interessantes Gameplay-Element gewesen. Auch wundert man sich bald, warum die abgemagerte Christine permanent über Hunger klagt, und sich dann nicht einfach mal eine der zahlreichen Speisen gönnt, die sich allenorts anbieten; von der warmen Wintersuppe bis zum asiastischen Nudelgericht.

Mit Christine besucht man ...... einige recht atmosphärische Orte

Charakterschwäche

Geschichten, die innerhalb von Gefängnismauern spielen, leben besonders von ihren Charakteren. Als Sammelbecken individueller Irrer kann ein Hochsicherheitstrakt wie Alcatraz eine Vielzahl interessanter Persönlichkeiten aufbieten. Doch anstelle ausgearbeiteter Charakterstudien bleiben Joes Knastbrüder erstaunlich blass. Ein paar Gespräche über ihre Verbrechen, ein paar Beschreibungen ihrer Eigenheiten und das war's. Dabei haben einige der Insassen durchaus Potential – beispielsweise hätte der resignierte Hank, der nach etlichen Fluchtversuchen deutlich in die Jahre gekommen ist, gerne eine größere Rolle spielen dürfen. Auch die Nachtschwärmer, denen Christine in den Straßen San Franciscos über den Weg läuft, geben nur wenig von sich preis und bleiben dadurch meist oberflächlich und uninteressant. Dies mag auch an einer eher durchwachsenen Übersetzung liegen. Anstatt sich die Arbeit zu machen, Wortspiele ins Deutsche zu konvertieren, scheinen einige Kommentare einfach wortwörtlich übersetzt worden zu sein. Ein Beispiel: In der Küche eines chinesischen Restaurants hängen gebratene Enten. Einen Mausklick auf das Geflügel kommentiert Christine mit den Worten: ""Finger weg von den Enten."" (Im englischen: ""Stay away from dugs"") An anderer Stelle sind die Witze einfach nur schwach, etwa wenn sich Joe von einem Buch über Vogelkrankheiten zu der Bemerkung ""Von, nicht vom Vögeln"" hinreißen lässt.

Adults only

1954: Alcatraz ist eine Geschichte für Erwachsene. Da beklagt sich ein homosexueller Jüngling über seinen alternden Liebhaber mit der Feststellung ""Er hat graue Schamhaare"" und Protagonistin Christine gesteht, dass sie in der Vergangenheit ""... einige üble Stecher"" hatte. Auch der Anblick innig knutschender Männer ist im eher biederen Adventure-Genre sicher ungewöhnlich und kann als mutiger Pluspunkt des Spiels verbucht werden.

Alcatraz hingegen ist überwiegend grau und karg

Jazz, Jazz, Jazz!

Klanglich kann 1954: Alcatraz fast ausnahmslos überzeugen. Christines Nachtwanderung wird von schmissigen Jazz-Nummern und stimmungsvollem Soul begleitet, während auf Alcatraz meist melancholische Melodien die graue Tristesse unterstreichen. Auch die Geräuschkulisse kann sich hören lassen. Da vernimmt man bis innerhalb der Gefängniszellen die raue See, die um die Insel tost und hört hungrige Möwen kreischen. Ein kleines Schmankerl: Beim Betreten oder Verlassen von Gebäuden hört man – während sich der Ladebildschirm zeigt – die knarzenden Schritte auf der Treppe und das Schlagen der Türen, sodass beinahe Hörspielatmosphäre aufkommt. Auch die Vertonung der Charaktere geht meist in Ordnung. Allerdings klingt Bösewicht Mickey viel zu freundlich, sodass von ihm keine spürbare Bedrohung ausgeht (ihm verleiht Martin Sabel seine Stimme, der zuletzt in Daedalics The Night of the Rabbit den geheimnisvollen Hasen sprach). Dass Erik Range alias ""Gronkh"" abermals eine Sprechrolle übernommen hat, daran dürften sich wieder die Geister scheiden. Unbestreitbar ist wohl, dass ihm komödiantische Rollen eher liegen, als ernsthaft angelegte, wie im vorliegenden Fall.

Bescheidener Ausblick durch schwedische Gardinen

1954: Alcatraz ist selten sonderlich ansehnlich. Gut: Graue Gefängnisfassaden und Sträflinge in Einheitskluft bietet wenig Potential für grafische Opulenz. Anders verhält es sich allerdings mit dem bunten Nachtleben San Franciscos. Hier bietet sich dem Spieler dann auch der eine oder andere Schauwert – belebte Gassen mit farbenprächtigen Neonreklamen, schummerige Bars und gemütliche Diners. Doch die Krux an der grafischen Präsentation ist ihre augenscheinliche Unstimmigkeit – knackscharfe und recht detaillierte 3D-Modelle agieren vor grob gezeichneten, teils skizzenhaften 2D-Hintergründen. Unverständlich, warum die Entwickler nicht zum Cel Shading gegriffen haben, um die Figuren wenigstens etwas ihrer Umgebung anzugleichen.

Dabei weiß das Charakterdesign meist zu überzeugen. Abgesehen vom Wachpersonal, welches offensichtlich aus leicht abgewandelten Variationen eines Charaktermodells rekrutiert wurde, tummeln sich besonders auf Alcatraz einige sehr individuelle Charaktermodelle - vom stiernackigen Grobschlächter bis zum ausgemergelten Greis. Diese warten zudem mit einigen schicken Animationen auf. Hervorzuheben ist etwa ein aufgeputschter Schriftsteller, der wie besessen an seiner Schreibmaschine schuftet oder der kolossale Gaspipe, der mit seinen gewaltigen Pranken ausladende Drohgebärden zeigt. Auf der anderen Seite gibt es kaum Spezialanimationen für Interaktionen der beiden Protagonisten.

Die Gegenstände aus dem Inventar sind fast ausschließlich in 2D gehalten; wenn Joe beispielsweise seinen Schraubenschlüssel ansetzt, so sehen wir ihn mit leeren Händen hantieren, weil an dem 3D-Modell des Werkzeugs offenbar gespart wurde. Oftmals wird auch einfach mit einer Schwarzblende übertüncht, wenn die Protagonisten zur Tat schreiten.

Ein besonders irritierender Effekt tritt auf, wenn die Locations scrollen. Dann ändert sich der Blick auf die dreidimensionalen Charaktere perspektivisch korrekt, während die Perspektive des Hintergrundes unverändert bleibt – so entsteht der Eindruck, die Figuren stünden vor bemalten Pappkulissen.

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Joe morpht durch eine geschlossene Zellentür" />

Die Rätselkost: Wasser und Brot

Der Umstand, dass Joe und Christine zusammenarbeiten müssen, ohne sich direkt absprechen zu können, ließ im Vorfeld außergewöhnliche Rätsel erhoffen. So sind die zwei auf einen Schmuggler angewiesen, um Informationen und benötigte Gegenstände auszutauschen. Mag durchaus interessant klingen, bleibt im Gameplay aber eher eine Randnotiz. Das Ehepaar macht nur wenige Male von dieser Transfermöglichkeit Gebrauch – kein Vergleich etwa zu Day of the Tentacle, in dem Hoagie, Bernard und Laverne einander ein komplettes Inventar quer durch die Zeit schickten.

Auch die Vorbereitungen auf den Gefängnisausbruch fallen rätseltechnisch kaum ins Gewicht. Anstatt die anstehende Flucht akribisch vorzubereiten, verbringt Joe den Großteil der Spielzeit damit, Reparaturen auf der Insel auszuführen, die ihm vom Gefängnispersonal aufgetragen werden. Ausgesprochen unmotivierend. Zu allem Überfluss beschränken sich die Reparaturarbeiten auch noch auf reine Inventarrätsel. Sicher, Maschinenrätsel erfreuen sich innerhalb der Adventure-Gemeinde nicht gerade großer Beliebtheit. Aber wenn ein Mechaniker eine defekte Stromanlage wieder ans Laufen bringt, indem er lediglich ein kleines Zahnrad ersetzt, dann ist das doch ein bisschen mau. Hier wären optionale Maschinenrätsel ein möglicher Kompromiss gewesen.

Erwartungsgemäß gerät Joe des öfteren mit seinen Knastbrüdern aneinander, was in einem Fall zu einem interaktiven Kampf eskaliert. Da mag der Ansatz, den Spieler auch Handgreiflichkeiten per Point-and-Click austragen zu lassen, zunächst löblich klingen. Doch auch hier krankt es an der Umsetzung, denn der gemächliche Spielfluss nimmt dem Handgemenge jedwede Dynamik.

1954: Alcatraz konfrontiert den Spieler mit einigen Entscheidungen, welche auf unterschiedliche Handlungsstränge und alternative Enden hinauslaufen. Diese Entscheidungen sind allerdings so eindeutig falsch beziehungsweise richtig, dass sie den Spieler vor keine wirklich freie Wahl stellen. Zumindest dürfte doch dem Großteil der Spieler daran gelegen sein, dass Joe und Christine ein Happy-End erwartet. Nichts gegen Adventures mit tragischem Ausgang – aber wenn dem Spieler die Wahl gelassen wird, warum sollte er seinen Schützling ins Verderben schicken?

Gleich gibt's auf die Glocke

Fazit

Was war Gene Mocsy damals über sein Projekt ins Schwärmen geraten, als wir auf der gamescom 2012 in seinem gar nicht mal so stillen Presse-Kämmerlein saßen. Und was der ebenso sympathische wie redselige US-Amerikaner da in Aussicht stellte, klang ja auch verheißungsvoll. In unserer Vorschau verzichteten wir dennoch auf eine Prognose – und taten gut daran. 1954: Alcatraz ist ein Titel, dessen Grundidee aufhorchen lässt, aber dessen Ausführung dann doch enttäuscht. Die Geschichte plätschert ohne wirkliche Höhepunkte dahin, die Rätsel sind fade und die grafischen Unstimmigkeiten ärgerlich. Das Potential eines eigentlich innovativen Settings – San Franciscos Nachtleben in den 50ern und eine von Schwerverbrechern bevölkerte Gefängnisinsel – wird nicht ausgeschöpft. Schade, da wäre so viel mehr drin gewesen.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Ich bin zwiegespalten was 1954: Alcatraz angeht. Einerseits hat mir die Atmosphäre in San Francisco, der Soundtrack, aber auch sogar die Grafik gut gefallen, andererseits steckt in dem Spiel jede Menge verschenktes Potential. So sind die Abschnitte auf der Gefängnisinsel, der eigentliche Ausbruch, die eigentlich das Highlight des Spiels sein sollten vollkommen unterentwickelt und spielen eine komplett untergeordnete Rolle. Viel besser hingegen hat mir Christines Abenteuer in San Francisco gefallen, das weniger linear und abwechslungreicher ausgefallen ist. Hier hatte ich richtig Spaß mit dem Titel, trotz einfacher Rätsel und statischer Hintergrundgrafik. Insgesamt mag es vielleicht eine Enttäuschung sein und nicht an die bisherigen Daedalic-Titel anknüpfen können, nichtsdestotrotz ist 1954: Alcatraz ein spielenswertes und gut spielbares Adventure das sein wahres Potential leider nicht ausspielen kann.Axel Kothe

Prison Break, Die Verurteilten, Papillon, … Film und Fernsehen bieten ein Füllhorn an Vorlagen für einen unterhaltsamen und ausgeklügelten Gefängnisausbruch. Es wäre völlig legitim gewesen, sich davon zu einer spannenden Geschichte, und vor allem zu originellen Rätseln inspirieren zu lassen. Was Mocsy sich statt dessen hat einfallen lassen, hat mich nur mäßig unterhalten.
Die Entscheidungsfreiheit, welche einem das Spiel an einigen Stellen gewährt, schien mir kaum spürbar. Vielleicht, weil für mich von Beginn an fest stand, dass Joe und Christine ihren Weg gemeinsam bestreiten und diesen mit möglichst wenigen Leichen pflastern sollten. Das alternative Ende, das sich aus ihrem gegenseitigen Misstrauen und skrupellosen Morden ergäbe, war für mich also im Grunde überflüssig. Überhaupt hätten die Entwickler vielleicht mehr Arbeit in EINE stimmige Geschichte stecken sollen, anstatt knappes Budget und Arbeitszeit auf unterschiedliche Handlungsstränge und alternative Showdowns zu verwenden.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Toller Soundtrack
  • Atmosphärische Geräuschkulisse
  • Individuelle Charaktermodelle
  • Interessantes Setting ...
  • ... welches leider nicht ausgeschöpft wird
  • Story ohne wirkliche Höhepunkte
  • Unstimmige Grafik ...
  • ... und teils eher skizzenhafte Hintergründe
  • Fade Rästel