Nach über 16 Jahren greift ein leicht trotteliger Privatdetektiv wieder zu seinem Fedora-Hut: Tex Murphy, Koryphäe der Spielfilm-Adventureära der 90er Jahre, ist zurück und auf der Suche nach sich selbst. Wie macht sich der sechste Teil der Adventure-Reihe nach dieser langen Auszeit? Wir haben uns den Science-Fiction-Titel einmal näher angeschaut.
Der Vorgänger endete 1998 mit einem beinharten Cliffhanger: Ein Unbekannter in einem Speeder erschießt Tex und seine Freundin Chelsee. Ein Schriftzug suggerierte eine baldige Fortsetzung. Die Spieler warteten – doch es kam anders: Entwickler Access Software wurde von Microsoft geschluckt und die Marke „Tex Murphy“ ad acta gelegt. Doch Macher und Fans gaben nicht auf: Publisher-Verhandlungen, Hörspiele, Webisodes, Episoden-Adventure, Casual-Game – viele Möglichkeiten wurden im letzten Jahrzehnt diskutiert und ausprobiert. Doch letztlich brachte Kickstarter dann die entscheidende Kehrtwende. Gut 600.000 Dollar wurden als Startkapital für einen sechsten Teil eingesammelt. Bereits kurz zuvor hatten die Entwickler die Marke von Microsoft zurück erworben.
Das Budget liegt deutlich unter den 7-stelligen Beträgen, die Tex-Murphy-Spiele zu ihrer Blütezeit verschlangen. Die Video-Technik hatte sich seit den 90er Jahren zwar deutlich weiter entwickelt, doch würde das ursprüngliche Team –mittlerweile ergraute Veteranen - damit wirklich einen ebenbürtigen sechsten Teil produzieren?
Sie würden.
Tex Murphy: Tesla Effect ist in erster Linie eine Hommage an seine Vorgänger, an das Genre des Spielfilm-Adventures und ein Dank an seine treue Community. „Never change a running system“ muss sich wohl auch das Entwickler-Team gedacht haben und so dürften sich Tex-Murphy-Fans gleich heimisch fühlen: Das Durchstreifen und Untersuchen detaillierter 3D-Landschaften im dystopischen San Francisco im Jahr 2050, das Befragen zahlreicher Personen, die komplette Chandler-Avenue mit dem Büro von Tex, die unzähligen, witzigen Beschreibungen zu hunderten von Gegenständen und allem voran natürlich Chris Jones in seiner Rolle als Tex Murphy – alles ist wieder da - ganz so, als wäre Tex nie weg gewesen.
Ganz stimmt das natürlich nicht, denn Tex war tatsächlich weg. Denn er hat seine Erinnerung verloren und weiß eigentlich nur eins: Seit dem Attentat auf ihn und Chelsee sind sieben Jahre vergangen, in denen er sich wohl ziemlich merkwürdig verhalten haben muss. Seine erste Aufgabe ist es, das Vertrauen seiner alten Freunde auf der Chandler Avenue zurückzugewinnen und damit seinem verlorenen Gedächtnis auf die Spur zu kommen. Natürlich stolpert er dabei gleich in einen riesigen Fall, der seine Vergangenheit, das Schicksal von Chelsee und letztlich sogar (mal wieder) das Schicksal der ganzen Welt beinhalten würde. Im Mittelpunkt steht dabei eine Erfindung des eigenbrötlerischen Physikers Nikola Tesla.
Während der Geschichte durchstreift man also in Ego-Perspektive die Schauplätze, kombiniert fleißig zahlreiche verschiedene Gegenstände und befragt Personen. Hin und wieder sind auch kleinere Minispiele oder Maschinenrätsel zu lösen, die zugegeben alles andere als logisch in die Geschichte integriert sind (wer würde seinen Geheimraum schon mit einem Spielautomaten sichern?). Und ja: Auch Schleicheinlagen sind wieder mit von der Partie. Der Autosave sorgt dafür, dass bei den zahlreichen Todesmöglichkeiten trotzdem kein großer Frust aufkommt.
Neu hinzugekommen ist unter anderem eine ständig verfügbare Taschenlampe, welche in dunklen Räumen wertvolle Dienste erweist und zudem im vereinfachten Spielmodus auch als Hotspot-Hilfe genutzt werden kann. Die Darsteller sind allesamt ordentlich via Green-Screen-Technik in die Videos integriert. Es ergibt sich somit ein durchaus rundes Gesamtbild bei der Präsentation. Die hohe Auflösung der Videosequenzen kommt Tesla Effect gegenüber seinen Vorgängern dabei natürlich zu Gute. Bei der Echtzeit-3D-Grafik hingegen kann das Adventure nicht so wirklich mit dem heutigen Standard mithalten. Insgesamt stört das aber auch nur wenig, unterstützt die leicht klobige Grafik doch durchaus auch den Charme und die Botschaft der 90er-Hommage. Positiv fällt der jazzige und manchmal auch epische Soundtrack auf, der gerade bei längeren Zwischensequenzen für noch mehr Dramaturgie sorgt.
Schauspielerin June Lockhart hat in Tesla Effect einen sehr relevanten Auftritt" />Doch so sehr man sich an die Tugenden der alten Teile gehalten hat, so gibt es dennoch auch ein paar kleinere Veränderungen, die teilweise gut, teilweise weniger gut ausfallen. Bei der 3D-Engine setzen die Entwickler nun nicht mehr auf ihre eigene Technologie sondern bauen auf der mittlerweile sehr populären Unity3D-Plattform auf. Tex Murphy macht damit einen Schritt weg von den sehr Interface-lastigen Vorgängern hin zu einem vollwertigen Echtzeit-3D-Spiel. Vorbei sind die Zeiten kleiner Bildausschnitte, gespielt wird jetzt nur noch in Vollbild. Bei der Steuerung setzt Tex Murphy zudem auf eine gängige Shooter-Steuerung. Bewegt wird also mit Maus und den WASD-Tasten. Die Bedienung komplett mit Maus entfällt, genauso wie die Interaktions-Verben. Alles wird einfach mittles Fadenkreuz in der Mitte des Bildschirms angesteuert und via Mausklick benutzt oder betrachtet. Ob man das besser oder schlechter findet, muss jeder für sich entscheiden.
Wirklich schade ist dafür der Wegfall einiger Gameplay-Methoden, die seine Vorgänger so einzigartig gemacht hatten. So kann sich Tex beispielsweise nicht mehr bis auf den Boden ducken, um zum Beispiel unter Schränken nach wertvollen Informationen zu suchen. Das hochgelobte „spoilerfreie“ Hilfesystem der vorherigen Spiele wurde zu einem billigen Menü umfunktioniert, welches alle notwendigen Schritte einer Handlung sofort anzeigt. Und die Integration von Schauspielern in die Echtzeit-Grafik ersparen sich die Macher jetzt komplett. In ganz seltenen Fällen ist mal ein CGI-Schatten zu sehen. Ansonsten ist man immer mit „raus klingeln“, „anklopfen“ oder „Tür öffnen“ beschäftigt, um damit eine Videosequenz mit einem Schauspieler zu triggern. Dass es auch schöner geht, haben Spiele wie Myst: Revelation oder auch Die Pandora Akte schon mal bewiesen. So bleiben die 3D-Locations praktisch menschenleer. Bei Befragungen ist es übrigens auch nicht mehr möglich, Gegenstände in die Befragung mit einzubringen. So geht auch einiges der Komplexität der Vorgänger in „Tesla Effect“ verloren.
Apropos Gespräche: Die Kommentarfunktion des sogenannten „Great P.I. in the Sky“, quasi der Privatdetektiv-Gott, der sich hin und wieder sarkastisch zu Wort meldete, übernimmt in Tesla Effect eine Art PDA namens „Smart Alex“. Gesprochen wird dieser von Kevin Murphy, der als sprechender Kaugummiautomat „Tom Servo“ in der hierzulande wenig bekannten Serie „Mystery Science Theater 3000“ Berühmtheit erlangte. Für deutsche Spieler dürfte der Bezug mit Murphy damit etwas schwer sein, zumal seine Figur eigentlich vollkommen blass bleibt. Man fragt sich bis zum Ende ein wenig, warum man ihn überhaupt braucht und so macht sich die Vermutung breit, dass man Kevin Murphy einfach noch schnell kurzfristig als Marketinggag ins Spiel geworfen hat.
Formal ist „Smart Alex“ eigentlich nur die Benutzeroberfläche des Spiels. Leider hat gerade auch diese Oberfläche gegenüber den Vorgängern gelitten. Zwar wird diese jetzt nur noch auf Knopfdruck eingeblendet, ist dafür aber auch hässlich wie die Nacht. Vorbei ist der Hochglanz-Look - die einfarbigen Buttons in „Tesla Effect“ wirken eher wie Standard-Elemente der 3D-Engine. Schade! Der Text ist zudem bei hoher Auflösung quasi nicht mehr lesbar – um nicht zu sagen: unbrauchbar. Dazu kommt eine katastrophale deutsche Übersetzung, die mehr Verwirrung stiftet als hilft. Scheinbar wurden Texte zum Teil durch automatische Übersetzungsprogramme gejagt. Hin und wieder fehlen Zeilen auch schon mal einfach komplett, teilweise sogar bei Antworten von interaktiven Dialogen. Wenn man als Spieler dann gezwungen ist, einen leeren Button zu drücken, ohne zu wissen, was einen erwartet, wünscht man sich schnell die Qualität der deutschen Fassung von „Die Pandora Akte“ zurück. Immerhin werden diese Fehler mittlerweile durch Updates fortlaufend verbessert. All das ist zwar nicht gravierend, stärkt aber das Bild, dass Tesla Effect bei weitem nicht so rund poliert wurde wie seine Vorgänger und sorgt damit immer wieder mal kurz für Ärgernis.
Dass es am Ende nie zu wirklicher Verstimmung führt ist vor allen Dingen der tollen Performance von Produzent und Tex-Murphy-Darsteller Chris Jones zu verdanken. Gerade weil sich das Spiel weiterhin in keiner Weise für voll nimmt und sich seiner B-Movie-Qualitäten durchaus bewusst ist, ist es eine Freude, den witzigen Dialogen und Filmsequenzen beizuwohnen. Die Geschichte nimmt recht rasant Tempo auf und es macht Spaß, von Location zu Location zu laufen und dem Geheimnis von Tex und seiner Verbindung zum Physiker Nikola Tesla auf die Schliche zu kommen.
Genau wie bei „Die Pandora Akte“ gibt es dabei auch in „Tesla Effect“ verschiedene Pfade, je nachdem, wie man als Spieler handelt. So spielt es zum Beispiel eine große Rolle, zu welcher der drei (oder vier) zentralen Frauen im Spiel man sich am meisten hingezogen fühlt. Diese Entscheidungen haben durchaus einen gewichtigen Einfluss, führen sie doch dazu, dass Tex je nach Spielpfad unterschiedliche Informationen und sogar unterschiedliche Locations zu Gesicht bekommt.
Und da wären wir schon bei einem großen Knackpunkt der Geschichte: Weniges ist für einen Spieler bei einem multilinearen Spiel unangenehmer, als das Gefühl, durch seine Entscheidung irgendwas relevantes zu verpassen. Er muss sich auf den Autor verlassen können, in jeder von ihm gewählten Situation trotzdem eine schlüssige, verständliche und spannende Geschichte erzählt zu bekommen. Dieses Vertrauen kann „Tesla Effect“ leider nicht durchgehend aufrechterhalten.
So wird die Geschichte im späteren Spielverlauf immer verworrener und es fällt schwer, dem ganzen Geflecht überhaupt zu folgen. Zahlreiche relevante Informationen, um hinter das komplette Mysterium zu kommen, sind auf den verschiedenen Pfaden verstreut und viele relevante Charaktere werden nur schlecht oder kaum eingeführt oder viel zu schnell abgehandelt. Das wäre an sich noch kein Problem, wenn die Geschichte auch ohne diese Informationen irgendwie Sinn ergeben würde.
Im Zweifelsfall tut sie das jedoch nicht. Das geht teilweise sogar bis zu glatten Drehbuchlücken: Tex weiß plötzlich von Sachen, von denen der Spieler keine Ahnung hat. Genauso gut kann es passieren, dass Charaktere plötzlich von einem Vorwissen ausgehen, dass man sich noch gar nicht erarbeitet hat – oder im jeweiligen Pfad nicht erarbeiten konnte. Meist wird das dann ohne jegliche Exposition oder Erklärung als Fakt hingenommen.
Diese Probleme sind zwar selten und treten auch nur in einigen der verschiedenen Pfade auf - für eine Reihe, die eigentlich als Paradebeispiel für multilineares Erzählen berühmt ist, ist es trotzdem ein großer Minuspunkt und mindert am Ende zunehmend den Spielspaß. Apropos Ende: Ganz generell nimmt neben der erzählerischen Leistung auch die spielerische gegen Ende rasant ab. Wo „Die Pandora Akte“ oder „Under a Killing Moon“ ein groß zusammenlaufendes Finale präsentierten, platziert „Tesla Effect“ nur eine elendig lange und ziemlich langweilige Gebäudesequenz mit zahlreichen Stockwerken, Maschinenrätseln und völlig aus dem Kontext gerissenen Aufgaben wie dem Besänftigen irgendwelcher mutierter Riesenbienen. Direkt danach schließt dann ein ziemlich liebloses letztes Rätsel aus dem Hause „Myst“ an, bevor das Spiel einen je nach Pfad mehr oder weniger ratlos zurücklässt. Sowas ging im Tex-Universum definitiv schon mal besser.
Wirklich schön hingegen ist „Tesla Effect“ in seinem Mittelteil, wo einfach nahezu alles zu finden ist, was man aus den vorherigen Titeln bereits kennt. Selbst „Big Jim Slade“ hat einen erneuten Auftritt. Trotzdem: So lobenswert ein Adventure mit unterschiedlichen Lösungswegen, Spielpfaden und immerhin fünf unterschiedlichen Endsequenzen ist – es sollte schon sichergestellt werden, dass man als Spieler in jedem Pfad eine halbwegs plausible Geschichte und zumindest ein zufriedenstellendes Gesamtende präsentiert bekommt, welches das Erspielte irgendwie schlüssig abrundet.
Wie schwer die kleineren Macken für einen wiegen, hängt vom Spielertyp ab. Wer über das Genannte nicht hinwegsehen kann, macht um Tesla Effect lieber einen Bogen. Freunde von Spielfilm-Adventures oder multilinearen Spielen sollten sich das Abenteuer des Retro-Detektiven in der Zukunft nicht entgehen lassen – vor allen Dingen nicht, wenn man auf hohen Wiederspielwert steht und Spaß daran hat, sich durch mehrere Spielpfade zu zocken.
„Wie bitte? Die Schauspielerin von Chelsee Bando steht fett im Vorspann und ich habe sie nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen?“ Beim ersten Durchspielen herrschte bei mir ziemliche Fassungslosigkeit anlässlich meines Endes, in dem Tex mit einem Transvestiten durchbrennt, als wären keine Fragen mehr offen. Ich hatte durchaus einige und erst ein Durchforsten von Foren gab mir Gewissheit, dass ich wohl einfach mehr Pech hatte als andere - denn Chelsee kann durchaus gefunden werden. WENN man denn alles von Anfang richtig macht. Dass Tex trotzdem noch funktioniert zeigt sich schon allein in der Tatsache, wie viel ich mit der Community und anderen Tex-Spielern über die Geschichte philosophieren und diskutieren konnte. „Wie? Man kann in die Kanalisation?“, „Was? Es gibt noch einen weiteren Raum in Tex‘ Büro und im Ritz?“
Auch wenn „Tesla Effect“ nicht an die multilineare Genialität eines „Fate of Atlantis“ oder auch „Die Pandora Akte“ herankommt, lobe ich mir allein schon den Fakt, dass endlich mal wieder ein Entwickler aus der ewigen „streng linearen“ Gameplay-Falle heraus gegangen ist und etwas Neues versucht. Oder eigentlich eher: Etwas ganz Altes. Denn ohne Zweifel fühlt sich „Tesla Effect“ trotz seiner Macken auch nicht so viel anders an, wie die vorherigen Tex-Spielfilm-Adventures. Die leicht bizarre Atmosphäre des düsteren Tex-Murphy-Universums ist immer noch überall zu spüren - daran ändern selbst ein paar Logikschwächen nichts.
Als der Vorspann lief hatte ich jedenfalls eine Gänsehaut. Ich habe mich jeden Abend darauf gefreut, das Spiel weiterzuspielen. Es war eine kleine Reise in die Vergangenheit der Spiele, die mich auf den Adventurepfad geführt haben. Es war mutig vom Team, ein Spiel unter der Prämisse zu machen, als hätte die Auszeit nie stattgefunden. Ich verzeihe Tesla Effect dafür jede Schwäche und hoffe inständig auf einen Nachfolger, der aus den Fehlern dieses „Reboots“ lernt und uns ein noch runderes Spielerlebnis liefert. Ich bin ohne Zweifel wieder am Start. Tex-Murphy-Fans addieren fünf Prozentpunkte auf die Wertung.
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