Das vierköpfige Team hinter Digital Media Workshop kann auf eine lange Produktionszeit zurückblicken. So liegen zwischen der Erstankündigung und der kürzlich erfolgten Veröffentlichung des Science-Fiction-Adventures Prominence etwa acht Jahre. Aus der Perspektive eines kleinen, unabhängigen Entwicklerteams kann eine solche Zeitspanne natürlich rasch vorüberziehen. Vor allem aber liegt die Verzögerung darin begründet, dass sich hinter Digital Media Workshop ein Unternehmen verbirgt, das sich multimedialen Auftragsproduktionen verpflichtet. Wie Mike Morrison und Kevin McGrath 2011 im AT-Interview verlauten ließen, war die zahlende Kundschaft somit auch maßgeblich an der Finanzierung von Prominence beteiligt. Ob sich der Einsatz und die Mühe gelohnt haben, soll der nachfolgende Test verraten.
Bei diesem Intro wird es manchem Spieler warm ums Herz
Über viele Dekaden hinweg befand sich das friedfertige Volk der Letarri auf der Flucht vor den Rynan, einer herrschsüchtigen Spezies, die Kriege führte und fremde Planeten eroberte. Nachdem die Rynan sie ihrer ursprünglichen Heimat beraubt hatten, durchforsteten die Letarri den Weltraum nach einem neuen Zuhause. Es galt eine Welt zu finden, deren Atmosphäre und Lebensraum den Bedürfnissen einer humanoiden Gattung entsprach. Als diese endlich gefunden schien und bereits mit dem hoffnungsvollen Namen New Letarr gesegnet war, begab sich das erste Team auf eine Mission zur Besiedlung des Planeten. Was mit diesen Leuten geschehen ist, weiß niemand. Doch schnell wird klar: Es kann von einer ungeahnten Katastrophe ausgegangen werden.
Mit diesem Ungetüm kann der Strom wiederhergestellt werden
Unser Alter Ego erwacht auf der Krankenstation eines im Kosmos schwebenden Raumschiffes, dessen übrige Besatzung verschollen scheint. Darüber hinaus leidet er an einer hartnäckigen Amnesie. Er kann sich an keine noch so winzigen Details erinnern und der Hintergrund dieser offensichtlich gescheiterten Weltraummission erschließt sich ihm ebenso wenig. Da es sich allerdings um den Protagonisten eines Adventures handelt, vermag er derartige Informationen souverän in Erfahrung zu bringen. Bevor man schließlich die insgesamt vier Etagen der kolossalen Raumfähre erkunden darf, assistiert man dem Hauptcharakter bei grundlegenden Aufgaben. Zuerst muss die Stromvorrichtung repariert werden und anschließend widmet man sich der Instandsetzung des Generalcomputers. Dieser spricht mit der Stimme einer Frau und hört passenderweise auf den äußerst menschlich anmutenden Namen ANNIE. Sobald man also Bekanntschaft mit ANNIE geschlossen hat, wird diese zur treuen Begleiterin des Spielers – obwohl sie sich physisch niemals aus dem Maschinenraum fortbewegen kann. Zu diesem Zweck vernetzt sich das Gehirn des Schiffes auf jede erdenkliche Weise mit dem Helden des Adventures. Fortan meistert dieser durch die Unterstützung von ANNIEs gutmütigem Wesen so manche Hürde.
Die einzige Bezugsperson des Spielers: Zentralcomputer ANNIE
Bei Prominence handelt es sich um ein 3D-Adventure aus der Ego-Perspektive, das Bewegungen um 360 Grad zulässt. Frei begehbar ist die Umgebung hingegen nicht, da man sich von einer Szene zur nächsten klicken muss, sobald ein richtungsweisender Pfeilcursor geortet wurde. Auf zeitgemäße Tastensteuerung im Sinne von WASD wurde somit verzichtet und selbst zur Ausführung der Drehungen wird die Maus eingesetzt. Die Tastatur wird nur selten benötigt, unter anderem für gelegentliche Texteingaben bei der Verwendung von Bordterminals. Um zumindest den Anschein eines modernen 3D-Adventures zu erwecken, wurden Transitionseffekte integriert – also kurze Cutscenes, welche die Schritte des Hauptcharakters authentisch simulieren. Diese Übergänge lassen sich aber je nach Belieben im Optionsmenü deaktivieren. Das Interface, welches dem Spieler zur Verfügung steht, wird im Verlauf des Abenteuers mehreren Upgrades unterzogen. Anfangs ist es noch vollkommen überschaubar: Man navigiert den Mauscursor zum oberen Ende des Bildschirms, woraufhin das Inventar eingeblendet wird. Von dort können Items aufgenommen und mit Hotspots im Szenenbild sowie mit sonstigen Gegenständen aus der Gepäckablage kombiniert werden. Später macht ANNIE den Spieler mit den erweiterten Funktionen vertraut, die über verschiedene Reiter oberhalb des Inventars angewählt werden. Damit erhält man Zugriff auf das digitale Gedächtnis, in welchem sämtliche E-Mails, Sprachnachrichten sowie die Tonspuren von Kamera-Aufzeichnungen hinterlegt werden. Diese wertvollen Dokumente tragen entweder zur Lösung eines Rätsels oder zum Verständnis der Geschichte bei, sodass man stets danach Ausschau halten sollte. Da sich ANNIE in ständigem Kontakt mit dem Protagonisten befindet, werden ihre Mitteilungen ebenfalls unter einem dafür vorgesehenen Tab abgespeichert. Folglich stehen alle gesammelten Informationen gut geordnet zum wiederholten Abruf bereit, wodurch eine hohe Nutzerfreundlichkeit gewährleistet wird. Mit der Taste F2 kann zudem auf den Infrarot-Sichtmodus umgeschaltet werden, damit wir uns selbst in völlig finsteren Arealen orientieren können, die vom Stromkreislauf abgeschnitten bleiben.
Der Infrarot-Sichtmodus garantiert den optimalen Durchblick
Prominence bietet eine ordentliche Bandbreite an kreativen und abwechslungsreichen Aufgaben. So müssen die üblichen Inventarrätsel absolviert und gefundene Informationen ausgewertet werden. In den E-Mails oder Sprachnachrichten kann sich mancher Hinweis verstecken. Ferner setzt man sich mit verschiedenen Computerprogrammen auseinander, wobei man etwa Shuttlebausätze auf der Basis von Blaupausen konstruieren oder aus vorhandenen Audiomitschnitten eine gefälschte Tonspur erzeugen muss. Diese technischen Puzzles sind häufig etwas anspruchsvoller gestaltet, sodass der Schwierigkeitsgrad relativ ausgewogen bleibt. Letztlich sind besonders ANNIEs deutliche Anweisungen dafür verantwortlich, dass die Mission äußerst linear verläuft und der Spieler weniger mitdenken muss. ANNIE nimmt ihn praktisch an die Hand und erweist sich als zuverlässige Kollegin, die dank ihrer Schiffskenntnis stets den passenden Rat hervorbringt. Ob man dies als tollen Benutzerkomfort oder als Schwachstelle im Rätseldesign beurteilt, bleibt dem Geschmack des Spielers überlassen. Immerhin erhält man zum Finale hin die einmalige Möglichkeit, entgegen ANNIEs Instruktionen zu agieren. Setzt man diesen Lösungsweg fort, wird man mit einem alternativen Ende belohnt. Die Komplexität des Raumschiffs zeigt sich nicht nur in seiner Technologie, sondern ebenso in der Architektur. Demnach muss man permanent zwischen mehreren Etagen wechseln. Da diese durch Aufzüge miteinander verbunden sind, halten sich die Laufwege glücklicherweise in Grenzen. Dennoch kann es ein wenig frustrieren, wenn man immerzu dieselben Korridore entlangschlendert.
Diese Cafeteria sieht nicht mehr besonders einladend aus
Das Intro lässt den Spieler eine mächtige Sonneneruption aus nächster Nähe erleben. Darauf beruht zudem der Titel des Adventures, da es sich bei Protuberanzen (Englisch: Prominence) um Materieströme handelt, die mit diesem Ereignis in Verbindung stehen. (Genaue Erklärung) Durch diese lebhafte Darstellung beeindruckender Weltraumphänomene schüren die Entwickler bereits zu Beginn hohe Erwartungen, die zumindest im grafischen Bereich nicht enttäuscht werden. Die soliden, flüssig animierten Cutscenes sind hübsch anzusehen und die Umgebung wurde den gewohnten Merkmalen futuristischer Raumstationen entsprechend konzipiert. Die Gänge, die der Spieler durchschreitet, lassen trotz der sterilen, glänzenden Wände und Maschinenpulte keine Ästhetik vermissen. Auch die gezeichneten Porträts der Astronauten, die als Profilbilder über den E-Mails zu bewundern sind, fallen positiv ins Auge. Dasselbe gilt für die Synchronisation besagter Figuren, die aus diversen Tondokumenten zu vernehmen ist. Die englischen Sprecher bringen selbst in dramatischen Situationen, welche im letzten Abschnitt gehäuft vorkommen, eine respektable Leistung. Die Atmosphäre wird von einer adäquaten Geräuschkulisse und mehr noch von einem außergewöhnlichen Soundtrack getragen. Besonders hervorzuheben ist hierbei das mit mystischen Klängen untermalte Titellied, das den Geist dieser Science-Fiction-Story ideal einfängt. Doch auch der Song, der später zu den Credits eingespielt wird, kann sich dank seines Ohrwurmcharakters behaupten.
Auch auf der Brücke kann man die Hitze praktisch spüren
Mit Prominence ist den Leuten von Digital Media Workshop ein bemerkenswertes Debüt gelungen, dessen erzählerisches Potential sich leider nicht vollends entfalten konnte. Trotz alternativer Schlusssequenz endet die Geschichte ohne große Überraschungen, obgleich die hervorragende Inszenierung geschickt über diesen Mangel hinwegtröstet. Zudem liegt dem Adventure eine interessante Handlung zugrunde, die sich an uralten Motiven der Science-Fiction-Historie orientiert, sei es das plötzliche Verschwinden einer Raumschiffcrew oder der Kontakt mit einem intelligenten Bordcomputer. Auch die abwesenden Nebencharaktere, in deren Nachlässen man unentwegt herumstöbert, wurden sorgsam ausgearbeitet und bleiben keineswegs als leere Hüllen zurück. So verbirgt sich hinter diesem Titel zwar kein erstklassiger Zukunftsepos, aber doch ein spannendes Weltraumabenteuer, das getreu den Maßstäben des traditionellen Adventures geschaffen wurde.
Je eingängiger man sich in seinem Leben mit Science-Fiction-Literatur sowie Filmen und Spielen dieser Kategorie befasst hat, desto schwieriger dürfte es sein, sich von einer im Grunde guten, aber dennoch bloß halbgar ausgearbeiteten Geschichte aus diesem Genre begeistern zu lassen. Aus meiner Perspektive hat das nicht so recht funktioniert. Nichtsdestotrotz hatte die Story viel zu bieten, was ich als Verfechter der utopischen Gattung zu schätzen weiß. Vor allem ist da ANNIE zu erwähnen, die natürlich auch als Pendant zu HAL 9000 aus 2001 – Odyssee im Weltraum fungiert. Ihr fürsorgliches Gemüt und ihre stetige Gegenwart hat die einsame Weltraummission in meinen Augen deutlich bereichert.
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