Die meisten Menschen tragen es täglich bei sich und nutzen es, um mit nahezu der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben: Das Smartphone. Doch was wäre, wenn das schlaue Telefon plötzlich einen Hilferuf aus dem All empfangen würde? Könnte man von der Erde aus einem gestrandeten Astronauten helfen? Dieser Frage geht Lifeline nach.
Nach dem Absturz eines Raumschiffes gibt es offenbar nur einen Überlebenden: Den Studenten Taylor. Irgendwie hat er es geschafft, Kontakt mit dem Spieler aufzunehmen und bittet nun (auf Deutsch) um Rat und Gesellschaft, um auf dem fremden Planeten zu überleben. Dass hinter dem Absturz mehr steckt und der fremde Himmelskörper einige Geheimnisse verbirgt, ist wenig überraschend. Entsprechend klassisch entfaltet sich die Geschichte, die dennoch insgesamt recht kurzweilig und spannend geraten ist.
Wenn ein Titel nur daraus besteht, dass eine dem Spieler unbekannte Person Hilfe braucht, dann sollte diese auch einigermaßen sympathisch sein. Genau hier aber stellen die Entwickler zu häufig Taylors extrem bockige und sarkastische Art zur Schau. Schnell entwickelt sich da eine „dann schau doch, wie du selbst zurechtkommst, undankbarer Hirsch“-Mentalität auf, die im schlimmsten Fall zum Abbruch des Spiels führt. Außerdem handelt der Protagonist nach zahlreichen Entscheidungen doch anders, wodurch sich die andere Seite schnell von der App verschaukelt fühlen kann. Leider gibt es auch noch einen zweiten Punkt, der an der Langzeitmotivation nagt: Nach einem negativen Ende kann nicht zu bestimmten Entscheidungen gesprungen werden. Vielmehr müssen ganze Tage erneut begonnen werden. Dabei kann der Text zwar beschleunigt werden, bis aber die entscheidende Stelle erreicht ist, wird trotzdem Geduld benötigt. Gerade weil sich die Geschichte häufig verzweigt, ist das Fehlen eines praktischen Menüs eine unnötige Geduldsprobe. Die beiden Kritikpunkte schmälern den Spielspaß einer ansonsten atmosphärisch sehr dichten Erzählung. Offenkundige Logiklücken, die das Spiel für die Erzählung in Kauf nimmt (etwa, dass Taylor in Situationen fehlerfrei tippt, in denen er in Todesgefahr schwebt oder stirbt), fallen da etwas weniger ins Gewicht. Auch wenn es hierfür sicherlich ebenfalls bessere Lösungen gegeben hätte.
Schlicht und simpel präsentiert sich Lifeline auf Android- und iOS-Geräten. Auf schwarzem Hintergrund leuchtet ein heller Text auf. An zahlreichen Stellen kann der Nutzer zwischen zwei Schaltflächen wählen, um den weiteren Verlauf der Geschichte zu beeinflussen. Rätsel gibt es dabei nicht. Im weitesten Sinne handelt es sich um eine digitale Umsetzung der besonders in den 90ern populären „Find-Your-Fate“-Büchern. Allerdings nutzen die Entwickler das Smartphone, um die Geschichte mehr oder weniger in Echtzeit zu entwickeln, indem zwischen den Nachrichten auch einmal mehrere Stunden vergehen können. Unter Zeitdruck gerät der Spieler aber nie: Nachdem die App benachrichtigt, dass die Kommunikation fortgesetzt wurde, geht Lifeline erst weiter, wenn die App aufgerufen wird. Das verringert zwar das Echtzeitgefühl, entspannt aber den Umgang mit dem Spiel ungemein. Von den bereits angesprochenen Kritikpunkten abgesehen spielt der Titel besonders gegen Ende seine Vorteile durch die Präsentation aus. In einem spannenden Showdown, der sich tatsächlich anfühlt, als wäre der Spieler live dabei, müssen letzte, wichtige Entscheidungen getroffen werden. Auf die alternativen Enden wirken sich ebenfalls Ereignisse aus den vorherigen Spieltagen aus. Das zeigt, wie viel Potential in dem Format steckt.
Über die gesamte Erfahrung bietet Lifeline nur ein Musikstück im Dauerloop. Ähnlich wie das Rätselthema in der Layton-Reihe fügt es sich dezent in den Hintergrund und fällt nicht weiter auf. Mehr hat der Titel nicht zu bieten.
Lifeline ist ein interessantes Experiment, das Textadventures als Basis nimmt, deren Eingabemöglichkeiten aber stark auf einige Zwei-Varianten-Entscheidungen verkürzt. Durch das Benachrichtigungsformat am Smartphone wird eine glaubwürdige Echtzeitsimulation erreicht, ohne den Spieler unter Druck zu setzen. Die Grundgeschichte ist nichts bahnbrechend Neues, aber gut umgesetzt. Allerdings leidet der Titel etwas unter dem unsympathischen Protagonisten und den unkomfortablen Wiederholungsmöglichkeiten. Insgesamt bleibt die App eine interessante Erfahrung, zu der aber etwas Durchhaltevermögen gehört.
Besonders die ersten Stunden von Lifeline haben mir enorm gut gefallen. Mit jeder Benachrichtung habe ich gespannt Taylors neueste Updates verfolgt. Mit der Zeit überwogen jedoch die nervigen Punkte des Titels, sodass ich mich letzlich zum Ende durchkämpfen musste. Das war dann aber sehr belohnend.
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