Test

von  Mithrandhir
16.05.2009
Outcry - Die Dämmerung
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch

Eine andere Sprache, ein anderer Titel: Die russische Entwicklerschmiede Phantomery Interactive konnte bereits im vergangenen Jahr den heimischen Markt um ihr düsteres Adventure Sublustrum bereichern, bei uns ist es seit März 2009 erhältlich. Neben der deutschen Synchronisation hat sich jedoch auch der Titel geändert: "Outcry – Die Dämmerung" soll ein philosophischer Krimi sein, der verschiedenste Einflüsse wie Steampunk und Retrofuturismus vereinigt und über ein ungewöhnliches Rätseldesign verfügt.

Der letzte Wille

Seltsam ist der Brief, den ein gealterter Schriftsteller von seinem Bruder, einem Universitätsprofessor und Wissenschafter, erhält. Dem merkwürdig formulierten Schriftstück ist zwischen den verwirrten und aufgeregten Formulierungen nur zu entnehmen, dass der Forscher eine revolutionäre Entdeckung gemacht hat und diese seinem Bruder zeigen möchte.

Als dieser jedoch kurze Zeit später bei ihm eintrifft, muss er feststellen, dass sein Bruder seit wenigen Tagen verstorben ist und ihm lediglich ein Schlüssel zur Wohnung übergeben werden kann. Mit dem Schmerz des Verlustes betritt der Schriftsteller die Wohnung und sieht sich rätselhaften Apparaturen, kryptischen Aufzeichnungen und einem unglaublichen Experiment gegenüber…

Ein eigener Wille

Bei der grafischen Umsetzung des Spiels folgt Phantomery einem ganz eigenen Stil: In "Outcry – Die Dämmerung" bewegen wir uns in der Ego-Perspektive Schritt für Schritt durch schön texturierte Räume und können uns von jeder erreichbaren Position im Raum aus drehen und die Umgebung betrachten.

Auffällig ist jedoch die Mischung aus 3D-Rendergrafik und Retro-Stil: Ein beständiger Sepia-Filter und ein Filmrollen-Streifen im Bild verleiht dem Ganzen einen Hauch längst vergangener Zelluloid-Tage. Gleichzeitig ist das grundsätzliche Szenario recht düster gewählt: Eine verwitterte, dunkle Wohnung, angefüllt mit rostigen Rohrleitungen, seltsamen Maschinen und zahlreichen melancholisch-unheimlichen Bildern und Familienfotos. Im Bereich der Helligkeit wird mit starken Gegensätzen gearbeitet; in der ganzen Wohnung mischt sich generell schummriges Licht mit gleißend weißen Fenstern. Im Verlauf des Abenteuers ändert sich zudem die grafische Umgebung: Jeder Akt im Spiel besteht aus einer Traumwelt, die stetig heller zu werden scheint.

Im Bereich Animation dürfte recht schnell ein Myst-Gefühl aufkommen, da in den Rundum-Standbildern so gut wie keine echten Animationen zu finden sind. Dynamik entsteht im Wesentlichen durch die schicken Echtzeit-Filter, die dem Bild seine Filmkörnung, die Zelluloidstreifen oder andere Effekte hinzufügen. Manchmal rotieren auch mehrere Bildebenen um den Spieler, die sich gegeneinander verschieben.

Einen Mittelweg sind die Entwickler auch bei der Bewegung von Standort zu Standort gegangen. Kamerafahrten gibt es hier keine, dafür schnelle Abfolgen von Standbildern, die ineinander überblenden und so ein Gefühl der Bewegung erzeugen. Da sich so die Laufwege manchmal in die Länge ziehen, darf man dieses Feature aber auch abschalten. Die Möglichkeit, spezifische grafische Einstellungen vorzunehmen, gibt es nicht. Mit fester Auflösung und Beleuchtung lässt sich lediglich auf einfache Effekte herunterschalten, was jedoch keine Änderung erkennen lässt.

Akustische Experimente

Der Protagonist ist nicht nur namenlos, sondern auch stumm. Lediglich an einigen Stellen werden Briefe oder Bücher mit einer Gedankenstimme vorgelesen, die jedoch häufig dem Bruder gehört, der den Text verfasst hat. Ebenso knapp bemessen sind die Soundeffekte, welche bei Interaktionen mit Gegenständen zu hören sind. Gelegentlich mischt sich ein Knarren oder ein durch die Ritzen dumpf heulendes Windgeräusch dazu.

Dennoch ist die Akustik dominant: Es ist die Hintergrundmusik, welche in Sachen Abwechslung und Qualität ein deutlich gehaltvolleres Bild hinterlässt. Die düsteren, schwermütigen Klavierklänge sind stimmig in das Szenario integriert, wechseln sich gut ab und stammen von einem audio-visuellen Projekt namens Anthesteria.

Düster und lang ist der Pfad

In Sachen Point-and-Click-Steuerung gibt es in "Outcry – Die Dämmerung" keine Überraschungen. Ein sich optisch verändernder Mauszeiger zeigt Interaktionsmöglichkeiten und Ausgänge bzw. mögliche Richtungen an, verliert sich aufgrund geringer Größe aber auch schnell auf dem Bildschirm. Eine Hotspot-Funktion gibt es nicht, was das Auffinden sensitiver Stellen und Objekte innerhalb der verwitterten, düsteren Optik zusätzlich erschwert.

Das Inventar ist ebenfalls simpel gehalten, ist aber in einen oberen und einen unteren Bereich getrennt. In ersterem werden Aufzeichnungen wie Briefe oder Tagebücher abgelegt, die man jederzeit erneut lesen kann. Der untere Bereich fasst alle Objekte, mit denen eine Interaktion möglich ist.

Da es vorgegebene Positionen innerhalb eines Raums gibt, ist es nicht möglich, von jeder Stelle aus eine bestimmte Richtung einzuschlagen. An einigen Stellen kommt es daher vor, dass man zum Beispiel erst an einen Tisch herangehen muss, um sich nach einer Drehung einer Treppe zu nähern, die man bereits vom Eingang aus sehen konnte. Dies führt bei einigen Rätseln zu umständlichen Umwegen und erklärt auch, warum schnelle Levelausgänge ebenfalls fehlen. Eine kleine Beschleunigung des Laufverhaltens lässt sich erzielen, wenn man in den Optionen die Übergangsanimation deaktiviert.

Berührt und nichts passiert

Ein ebenfalls eigenwilliges Bild zeichnet sich bei der Betrachtung der Denkaufgaben ab, welche es zu lösen gilt. Grundsätzlich sind die Lösungswege nachvollziehbar und logisch; sei es der Austausch einer Sicherung, das richtige Dosieren einer Flüssigkeit oder das Einstellen einer akustischen Maschine. Ebenso muss auf die Vergangenheit eingewirkt werden, um die gegenwärtigen Zustände zu verändern. An sich ist das Niveau als mittelschwer anzusetzen. Ungewöhnlich sind aber auch einige Rätsel, bei denen es zum Beispiel auf akustisches Geschick ankommt: Die richtige Einstellung einer Wasserpumpe erkennt der Spieler vor allem am richtigen Rauschen des Wassers.

Was die Rätsel jedoch zusätzlich kniffliger macht: Man muss manches Rätsel erst einmal erkennen und verstehen, was genau manipuliert werden kann. Im weiteren Verlauf einer Manipulation bleibt zudem ein Feedback aus, ob eine Aktion wirklich erfolgreich war und ein Rätsel gelöst werden konnte. Während Ersteres das Erkunden der Umgebung durchaus angenehm herausfordernd macht, kann das Fehlen einer Erfolgsmeldung manchmal etwas frustrierend wirken: Man weiß schlichtweg nicht, ob man etwas richtig gemacht hat oder ob überhaupt etwas zu einem Lösungsweg beigetragen hat. Hier wäre eine grundsätzliche Reaktion des Protagonisten oder auch ein einfaches Klicken oder Verändern eines Objektes hilfreich gewesen.

Nützlich und zugleich notwendig für diese Aufgabenstellungen sind vor allem die zahlreichen Schriftstücke, die man im Verlauf des Spiels findet. In Briefen, Tagebüchern, Tonaufzeichnungen und wissenschaftlichen Abhandlungen sind mitunter Hinweise versteckt. Hier ist genaues Studieren vonnöten.

Mystery mit Tiefgang

Die Atmosphäre von "Outcry - Die Dämmerung" wird durch viele Aspekte beeinflusst und verfügt über eine recht spezielle Anziehungskraft. Die dunkle und stetig surrealer werdende Optik sorgt im Verlauf des Spiels für eine beklemmende Faszination, die durch die akustische Untermalung im Hintergrund noch unterstrichen wird - die Differenzierung zwischen Traum und Wirklichkeit wird zunehmend schwieriger.

Das triste und unbelebte Szenario lässt zudem das Gefühl von Isolation deutlicher werden. Ein weiterer Aspekt für diese Eindrücke ist die wissenschaftliche, aber auch leicht philosophische und nachdenklich stimmende Story des Spiels. Die Aufsätze über Infraschall und die Schlussfolgerungen bezüglich historischer Zusammenhänge machen die ganzen Apparaturen und die Experimente noch realistischer und damit unheimlicher: Sind unsere Vorfahren bereits auf diese Reisen gegangen? Lassen sich Körper und Bewusstsein voneinander trennen? Ist etwas dran an diesem „Infraschall“?

Fazit

"Outcry – Die Dämmerung" positioniert sich fernab eines Mainstreams und dürfte für all jene reizvoll sein, die an Spielen wie Myst oder Sanitarium, aber auch an surrealistischer Kunst Gefallen finden. Die Hintergrundgeschichte und die individuelle grafische Präsentation haben ihren eigenen Charme, wenngleich sich eine Identifikation mit dem Protagonisten nicht einstellt. Ein weiterer Wermutstropfen ist das Rätseldesign; durch angestrengte Suchen und ein manchmal ratloses Probieren können an manchen Stellen Längen entstehen.

"Outcry – Die Dämmerung" ist für fortgeschrittene Abenteurer und Fans von surreal-experimenteller Optik und Story mehr als nur einen Blick wert. Wer allerdings eine professionelle Synchronisation, transparente und zugängliche Rätsel sowie Komfortfunktionen wie Hot-Spot-Anzeige und schnelle Laufwege als absolutes Muss ansieht, wird in diesem Adventure nicht bedient.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Nicht nur in der Story geht es um ein Experiment. Outcry – Die Dämmerung ist selbst eines, geht akustisch wie grafisch eigene Wege und steuert einen interessanten Beitrag zur Sparte Independent-Adventure bei.
Es hätte jedoch an einigen Stellen ein wenig mehr sein dürfen: Mehr Sound, mehr Bedienkomfort, mehr Protagonist.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Interessante Story
  • Dichte Atmosphäre
  • Stimmige Spielmusik
  • Wenig Bedienkomfort
  • Kaum Sprachausgabe
  • Identitätsloser Protagonist