Hinweis: Um die Geschichte dieses Spiels zusammenfassen zu können, sind massive Spoiler aus dem ersten Teil enthalten.
Wie schon Silence tritt Yesterday Origins ein schweres Erbe an. Kann der Titel die vom Vorgänger aufgebauten hohen Erwartungen erfüllen?
John Yesterdays herausragendste Eigenschaft ist seine Unsterblichkeit. Dummerweise hat die ihren Preis: Bei jedem Ableben geht der Großteil seines Gedächtnisses verloren. Nach dem ersten Teil der Serie sind die wichtigsten Fragen dazu schon beantwortet: Der Spieler weiß in etwa, woher die Fähigkeit kommt und wie ihre negativen Nebeneffekte abgemildert werden können. Auch Johns Freundin Pauline, die ebenfalls problemlos von den Toten zurückkehren kann, ist keine Unbekannte. Dennoch sind genug Fragen aus der Vergangenheit offen, denen John nachgehen will. Und genau dies wird zur Aufgabe des Spielers.
Über größere Teile baut der zweite Teil eine einigermaßen spannende und wendungsreiche Geschichte auf. Zwar sind die grundsätzliche Prämisse und der große Twist des ersten Teils verbraucht, dennoch bietet der Titel einige Überraschungen. Doch die muss sich der Spieler erst einmal erarbeiten. Nach einem stimmungsvollen, aber durch eine lange Rätselkette etwas ausgebremsten Intro folgt ein sehr zäh wirkender Abschnitt mit recht eintönigen Alltagsaufgaben, bevor die Geschichte in der zweiten Rückblende langsam an Fahrt gewinnt. Jedoch ergeben sich im Spielverlauf immer wieder Längen, die zeigen, dass die Kompaktheit des ersten Teils durchaus ihren Reiz hatte. So zählen das Suchen nach verlorenen Handys und SD-Karten sowie das Bestellen eines Weckrufes und Abendessens im Hotel definitiv nicht zu den spannendsten Adventure-Aufgaben. Nach einem etwas schwächeren hinteren Drittel gipfelt die Geschichte schließlich in einem actionreichen, aber auch unnötig brutalen und sehr blutigen Finale.
Eines der größten Probleme des Titels ist über die gesamte Spielzeit hinweg, dass es keinen Sympathieträger gibt. War es im ersten Teil noch ausreichend spannend, mehr über diesen merkwürdigen Mann und seine brutalen Verfolger herauszufinden, schlägt sich John Yesterdays gesamte unsymphatische und moralisch äußerst fragwürdige Haltung allzu deutlich im zweiten Teil nieder. Auch bei allen anderen Charakteren fällt es schwer, eine Verbindung herzustellen. Die "Altes Ehepaar"-Diskussionen zwischen John und seiner Freundin machen das nicht besser.
Bei der Grafik hält Pendulo Studio an seinem unverwechselbaren Comic-Stil fest und erweitert Figuren und Gegenstände um eine dritte Dimension. So lassen sich Inventargegenstände zum Beispiel von allen Seiten betrachten. In Zwischensequenzen wird der Bildschirm erneut häufig in Comicfelder unterteilt, in denen Animationen ablaufen. Auch wenn der Grafikstil in sich stimmig und die Schauplätze liebevoll mit Details ausgestattet sind, wirken die Animationen im 3D-Bereich zum Teil etwas unbeholfen und zu kantig.
Bei der Steuerung verzichtet Yesterday Origins auf die Möglichkeit, Gegenstände aus dem Inventar direkt mit der Umwelt zu kombinieren. Stattdessen muss zunächst das Fenster des gewünschten Zielobjektes geöffnet, der Hotspot gefunden und dann der entsprechende Inhalt des Inventars angeklickt werden. Was umständlich klingt, ist es auch. Denn allzu häufig muss der gewünschte Hotspot mit chirurgischer Präzision angesteuert werden – wenn er nicht sogar übersehen wird. Auch das immer wieder notwendige „Vorbeifahren“ an längeren Objekten ist mit der Maus eher umständlich als komfortabel. Als wahre Spielstopper entpuppen sich Gegenstände, die zunächst im Inventar manipuliert werden müssen, bevor sie an anderer Stelle angewendet werden können.
Die Sprachausgabe, die lediglich auf Englisch verfügbar ist (deutsche Untertitel können im Menü gewählt werden) ist leider unvollständig. So wurde beispielsweise der Erzähler nicht besetzt, weshalb immer wieder störende Stille zwischen Dialogen herrscht. Die Sprecher leisten durchweg stabile Arbeit, hinterlassen aber keinen bleibenden Eindruck. Einziger Totalausfall ist die Rolle eines Kindes, die zu piepsig und unglaubwürdig gesprochen wurde. An einigen Stellen wäre zudem eine bessere Synchronregie wünschenswert gewesen, da nicht jede Emotion zur Situation passend gesetzt ist.
Die größte Neuerung im Rätseldesign streut der Titel regelmäßig in größere Ketten von Aufgaben ein: Bei besonders ungewöhnlichen oder sogar gefährlichen Aktionen kommt ein zweites Inventar zum Einsatz, mit dem das Vorhaben begründet werden muss. Dieses „Rechtfertigungsinventar“ lässt sich durch die Beobachtung von Gegenständen und Situationen sowie durch Gespräche füllen. Erst wenn der Grund bekannt ist, kann die Aktion durchgeführt werden. Diese Ergänzung funktioniert über das Spiel hinweg überraschend gut und ist passend integriert. Ärgerlich ist dabei aber, dass es hin und wieder auf die genaue Reihenfolge der angewendeten Punkte ankommt, die der Spieler als unwichtig ansehen kann. Abgesehen davon erwarten den Spieler klassische Adventure-Rätsel auf mittlerem Niveau. Besonders im angesprochenen zweiten Teil nach dem Intro handelt es sich dabei leider immer wieder um Alltagstätigkeiten wie das Finden und Einlegen einer SD-Karte in eine Kamera, die schnell langweilig werden können. Ansonsten bilden die Aufgaben eine ebenso stabile wie klassische Basis für das Spiel.
Machen wir es kurz: An den ersten Teil reicht Yesterday Origins bei weitem nicht heran. Hinzu kommen eine nicht ganz stimmige Grafik, eine streckenweise gewöhnungsbedürftige Steuerung und eine zwar insgesamt spannende und wendungsreiche Geschichte, die jedoch nicht über die sechs bis acht Stunden Spielzeit trägt. Sicherlich ist der Titel kein schlechtes Adventure. Er ist aber auch kein fantastisches. "Gut spielbar" wäre sicherlich eine passende Kurzzusammenfassung.
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