Nahezu zwei Jahre sind verstrichen, seit uns Nika Allen, ein technisch versiertes Nerdmädchen mit ausgeprägtem Erfindergeist, erstmals ihre finsteren und doch so nachvollziehbaren Pläne enthüllte. Der Spieler des kürzlich in deutscher Sprache erschienenen Low Budget-Titels MechaNika muss diese nämlich dabei unterstützen, eine Maschine apokalyptischen Ausmaßes zu entwerfen. Das Resultat des global angelegten Säuberungsprozesses besteht darin, dass lediglich coole Dinge und Personen in der Welt verbleiben dürfen, alles Uncoole jedoch umgehend zu vernichten ist. Die beste (und definitiv coole) Freundin jener Protagonistin, trägt den bezeichnenden Namen Agatha Knife und trat in besagter Episode bereits als Nebenfigur in Erscheinung. Im jüngsten Streich der spanischen Spieleschmiede Mango Protocol übernimmt Agatha nun selbst das Ruder und darf ihre persönliche, wenngleich nicht minder durchgeknallte Geschichte erzählen.
Die siebenjährige Agatha mag ihre kleinen Tiere. Es bereitet ihr Vergnügen, mit ihnen zu spielen und zu kuscheln, sie aufzuschlitzen und zu köstlichem Fleisch zu verarbeiten. Um ihnen schließlich die letzte Ehre zu erweisen und sie mit aller Liebe zu verspeisen. Dennoch wird sie gelegentlich von Zweifeln heimgesucht, die sich in Weinkrämpfen und schlaflosen Nächten äußern. Ist das Töten jener possierlichen Geschöpfe, die in den letzten Minuten ihres winzigen Lebens gar angsterfüllt wirken, mit den edlen Absichten des empathiefähigen Kindes vereinbar? Schon in frühen Jahren begann die junge Außenseiterin, mit tatkräftigem Einsatz in der mütterlichen Metzgerei auszuhelfen und deren Kundschaft so manch hochwertiges Steak auf den Teller zu zaubern. Seither wird Agatha von inneren Konflikten geplagt – bis sie eines Tages einem Berater in Religionsgründungsfragen gegenübersteht, welcher ihr die ultimative Lösung nahelegt: Die Erschaffung einer neuen Religion. Hierzu gilt es, die Schlachttiere zum Glauben an einen Gott zu bekehren, der sich ihnen in Gestalt des Großen Blutigen Schweines (Great Bleeding Pig) offenbart. Dessen Lehre besagt, dass ewige Glückseligkeit erlangt, wer sich von Agatha Knife, Prophetin des Karnivorismus, morden lässt und seinen toten Leib den Mägen hungriger Menschen hingibt.
Zu viel des Guten? Dann könntest du eventuell nicht zur Zielgruppe der Psychotic Adventures aus dem Hause Mango Protocol gehören.
Um dieser ungewöhnlichen Religion Akzeptanz zu verschaffen, bedarf es einiger Vorbereitung und eingängiger Konversation. Als Ansprechpartner in Glaubensangelegenheiten stellt sich Awesome Sandro zur Verfügung, ein leidenschaftlicher Magier mit Sucht nach Anerkennung. Er zeigt Agatha die einzelnen Schritte auf, welche zur Gründung des Karnivorismus erforderlich sind, und lenkt das Spiel zugleich in eine äußerst lineare Richtung. Fortan diktiert der begabte Schönling mit der langen Mähne also unserer Metzgertocher das weitere Vorgehen. Demnach muss etwa ein Buch mit leeren Seiten aufgestöbert werden, das als Bibel des Karnivorismus Verwendung finden soll. Damit Agatha künftig Predigten im Schlachtraum abhalten kann, muss darüber hinaus der Name des Fleischwarenladens auf den ihren umgeschrieben werden. Im Zuge dieser Mission ist bei Muttern Überzeugungsarbeit zu leisten und die Ursache der finanziellen Krise im Familienbetrieb zu eruieren. Eine Straßenumfrage liefert Agatha rasch Antworten und zwingt sie zum Handeln. Obgleich Inventarrätsel und sonstige Knobeleien niemals auf der Strecke bleiben, wird doch ein Großteil des Spielverlaufs durch Dialoge bestimmt. Eine gewisse Textlastigkeit, die auch mal anstrengen kann, ist nicht zu leugnen. Eben jene Zeilen aber bringen Agathas kindliche Naivität und die Verdrehtheit der Situationen ideal zum Vorschein. So schließt der Spieler das merkwürdige Mädchen bald ans Herz und erfreut sich zudem am Gespräch mit all den skurrilen Charakteren, denen er in dieser Stadt begegnen wird. Selbstverständlich ist auch Freundin Nika Allen mit von der Partie und für manchen kleinen Gefallen dienlich. Vor allem gilt: Wer schwarzen Humor mag, wird Agatha Knife lieben - und sich selten langweilen. Das Rätseldesign dürfte in dieser Hinsicht womöglich weniger Auftrieb geben – dieses zeugt zwar von Witz und Kreativität, fügt sich somit perfekt in das Geschehen ein, bleibt allerdings eher an Genre-Neulinge gerichtet. Die Aufgaben arten häufig in Botengänge aus, die im Grunde super ins Konzept passen. So muss selbstredend mitgedacht werden, die Lösung ist jedoch meist schnell erkannt.
An der Steuerung lässt sich nicht viel bemängeln. Bloß die in Gedankenblasen aufgeführten Dialog-Optionen können mitunter verwirren: So muss man horizontal durch die anzuwählenden Mulitple Choice-Gedanken scrollen, die niemals gemeinsam gelistet werden. Die technische Umsetzung ist dennoch gelungen und auch optisch schön anzusehen - ebenso wie das Innere von Agathas Umhängetasche, die sich mit Klick auf unsere Protagonistin öffnen lässt. Diese umfasst zahlreiche Item-Slots, die Agathas Fundstücken Platz bieten. Ein USB-Stick in Gestalt eines Schweinchens sichert dort zudem den Spielstand. Bedauern darf man natürlich, dass nur ein einziger Speicherstand vorhanden ist. So muss zunächst "resettet" werden, bevor ein neuer Spieldurchlauf begonnen werden kann. Wenngleich kaum mehr als fünfundzwanzig Szenenbilder existieren, sind sie meist Teil einer frei begehbaren Umgebung. Der Spieler steuert Agatha also stets durch dieselben Straßen einer behaglichen Kleinstadt und kann sie mit einem Doppelklick sogar zum Rennen bewegen. Hierbei können diverse Häuser, Geschäfte oder eine Bibliothek betreten werden, manche Orte sind hingegen erst im späteren Verlauf zugänglich.
Da schon Nika Allens Abenteuer in derselben Nachbarschaft angesiedelt war, konnten viele Schauplätze sowie einige vertraute Gesichter aus der Vorgänger-Episode problemlos wiederverwertet werden. Darüber hinaus wurden bislang ungesehene Locations integriert, wie etwa die zuvor erwähnte Bibliothek, der Zoo, die Farm oder das Burger-Restaurant. Besagte Szenenbilder scrollen häufig seitlich in die Länge, da die Produzenten wohl ein Faible für große Areale hegen. Diese wurden aber entsprechend mit Details ausgeschmückt und laden somit stets zum Erkunden ein. Aus dem liebevollen, handgezeichneten Grafikstil der Psychotic Adventures erwächst ein tolles Alleinstellungsmerkmal. So mutet das Spiel wie ein interaktives Bilderbuch an, das durch putzige Schweinchen, Küken, Löwen oder Menschenkinder angereichert wurde. Daher wurde auch unsere Heldin ebenso niedlich wie charakteristisch gezeichnet. Ihre Markenzeichen sind das struppige blaue Haar, die Tränensäcke unter den Augen sowie ihre eigenwilligen, kaum mädchenhaften Klamotten. Diese unschuldigen Impressionen verlieren sich allerdings rasch, sobald Agatha das erste Schwein schlachtet und der Blick des Spielers schonungslos auf dessen Eingeweide und die blutgetränkten Bodenfliesen gelenkt wird. Mit solch brutalen und unappetitlichen Begebenheiten wird man überwiegend in den Zwischensequenzen konfrontiert, die als Aneinanderreihung von mit Text unterlegten Standbildern präsentiert werden. Dabei wird das Bilderbuchgefühl sogar verstärkt und dank besagter Grausamkeiten zugleich entkräftet. Hiervon abgesehen verhält sich das Spiel niemals statisch. Regungen lassen sich hinter jeder Straßenecke vernehmen und lobenswert flüssige, überaus authentische Charakteranimationen runden das grafische Gesamterlebnis ab.
Das kindlich-naive Wesen des Spiels wird zudem durch heitere, unbeschwerte Melodien gekonnt unterstrichen. Dem Titelstück hingegen haben die Komponisten einen Hauch des Mystischen verliehen, was zweifellos den Wiedererkennungswert sowie die Ohrwurmpräsenz fördert.
Agatha Knife ist eine bitterböse Religionsparodie, die jedoch mit Herz und Verstand geschaffen wurde. Dass liebenswürdige Charaktere und schwarzer Humor keine Gegensätze darstellen müssen, hat Mango Protocol erneut eindrucksvoll bewiesen. Während MechaNika allerdings eher wie eine qualitativ hochwertige, aber knapp bemessene South Park-Folge anmutete, vermochten die Spanier dieses nun mit Leichtigkeit zu übertrumpfen. Besonders aus dramaturgischer Sicht hat sich eine beachtliche Steigerung vollzogen. So endet Agathas Missionierung des doch so niedlich gezeichneten Schlachtviehs in einem fulminanten Finale, das schwache Gemüter mit großer Wahrscheinlichkeit abschrecken dürfte.
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