Bereits 2011 erschien die erste Episode von Bertram Fiddle, die mit einem Cliffhanger viele Fragen offen und die Ermittlungen des Protagonisten abrupt enden ließ. Nach erfolgreicher Kickstarter-Kampagne wurde die Veröffentlichung des zweiten Teils namens A Bleaker Predicklement im Sommer 2017 angegangen. Wie uns die beiden Episoden gefallen haben, erfahrt ihr in unserem Test.
Bertram Fiddle ist hochgewachsen, mit markanter Stimme ausgestatteter und lebt im viktorianischen London. Sich selbst sieht er als Abenteurer, muss jedoch in einer Seifenfabrik arbeiten. Weder von seiner Gattin noch von seinen Zeitgenossen erhält er die ihm seiner Meinung nach zustehende Anerkennung, lediglich Fiddles treuer Begleiter Gavin sowie die Reporterin Emmelina glauben an seine detektivischen Fähigkeiten. Die restliche Bevölkerung Londons hingegen hält den arroganten Sherlock Holmes für das Maß aller Dinge und beachtet Fiddle erst gar nicht.
Als Bertram zufällig Geoff, einem Mörder, der London in Angst und Schrecken versetzt, über den Weg läuft, fühlt er sich berufen, diesen dingfest zu machen und allen zu beweisen, was in ihm steckt. Die Aufgabe, Geoff zu fangen, wurde jedoch auch bereits Sherlock Holmes zuteil und ganz London blickt gespannt auf jenen Meisterdetektiv, ohne den Abenteurer Bertram Fiddle auch nur eines Blickes zu würdigen. Lediglich Emmelina unterstützt ihn und auf Gavin ist sowieso Verlass. Gerade zu Beginn der zweiten Episode, als Bertram Fiddle für einen von Geoff begangenen Mord durch Holmes ins Gefängnis gebracht wird, ist solche Hilfe auch dringend nötig.
Es handelt sich um ein klassisches Point-and-Click-Adventure. Alle Aktionen werden mit der linken Maustaste ausgeführt, die rechte hat keinerlei Funktion. Mit einem Linksklick kann sich der Charakter bewegen, Gegenstände betrachten, Gespräche beginnen oder Dinge benutzen. Ab der zweiten Episode öffnen Doppelklicks auf Gegenstände im Inventar eine detaillierte Erklärung, die mitunter auch als Lösungshinweis dienen kann. Immer wieder besteht die Möglichkeit, erst auf Gavin und dann auf ein Element in der Szene zu klicken, woraufhin dieser dann eine Aktion ausführt. Im zweiten Teil wird der Begleiter auch phasenweise spielbar. Darüber hinaus lassen sich ab der zweiten Episode Hotspots mit der Leertaste anzeigen, ebenso Ausgänge, Treppen sowie Interaktionsmöglichkeiten für Gavin und später auch Punkte zum Charakterwechsel. Da jedoch keine Szene überladen ist, lassen sich die relevanten Elemente auch ohne diese Hilfe gut entdecken. Beim Doppelklick auf Ausgangs- oder Treppensymbole beginnt der Charakter, schnell zu laufen und so lassen sich auch die im zweiten Teil mitunter weiter auseinander liegenden Aufgaben bei Bedarf zügiger erledigen.
Das 2D-Comic-Adventure spielt mit kräftigen, aber nie zu knalligen Farben und bringt eine teils eigenwillige Darstellung der Umgebung mit. Dabei fügen sich die Figuren, ob sie nun recht unbeweglich sind oder in Aktion, harmonisch ein. So ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild, das sich sehen lassen kann. Die Hintergründe wirken nie statisch, da Wolken am Himmel entlang ziehen und Personen die Orte bevölkern. An vielerlei Stellen sind zudem Tauben in großer Anzahl zu finden, die sogar aufgescheucht werden können.
Auffällig sind die sehr individuell gestalteten Personen, insbesondere die Nasen stechen hervor. Bei den Männern treten Schnurrbärte noch in den Vordergrund. Die Mimik der Charaktere ist nicht sonderlich vielfältig, aber durch die Bewegung von Augenbrauen und Mund werden die Reaktionen auf Gesprächsinhalte oder Handlungen dennoch gut erkennbar umgesetzt. Dies verleiht dem Spiel seinen ganz eigenwilligen Charme.
Allen im Spiel auftretenden Personen wurde eine passende Stimme gegeben, so dass es nie langweilig wird, die einzelnen Charaktere sprechen zu hören. In Kombination mit dem Erscheinungsbild werden so individuelle Persönlichkeiten dargestellt, die zum Abwechslungsreichtum beitragen. Nicht nur wie, sondern auch was gesprochen wird, ist natürlich von Bedeutung. Der britische Humor zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Adventure, was durch die individuelle Synchronisation hervorragend zur Geltung kommt.
Der Soundtrack des Spiels ist vielseitig und die einzelnen Szenen erhalten ihre eigene musikalische Untermalung, was die Stimmung passend unterstreicht. Darüber hinaus sind Interaktionen mit Gegenständen akustisch unterlegt, was ebenfalls zur Lebendigkeit des Spiels beiträgt.
Bei Bertram Fiddle sucht man richtige Kopfnüsse vergebens, was dem Gesamteindruck jedoch keinen Abbruch tut. Alle Rätsel sind zwar ohne allzu großes Überlegen lösbar, aber in keinster Weise langweilig. Die Kommentare bei den Kombinationsversuchen der Gegenstände, die Lösungen an sich und auch die Hinweise der Charaktere lassen keine Langeweile aufkommen. Der Humor kommt an keiner Stelle zu kurz und besonders auf witzige Wortspiele wird viel Wert gelegt.
Einzig an dieser Stelle ist ein Unterschied zwischen der ersten und zweiten Episode deutlich zu erkennen. Während im ersten Teil die Rätsel keinerlei Herausforderung darstellten und meist sowohl naheliegend, als auch mit den in unmittelbarer räumlicher Nähe befindlichen Gegenständen zu lösen waren, ändert sich dies im zweiten Teil. Dort werden zwar weiterhin immer wieder in den Kommentaren zu Dingen, Personen und Situationen eindeutige Hinweise gegeben, aber dennoch erfordern die Aufgaben das Nachdenken und Kombinieren diverser Elemente. Dafür müssen teilweise größere Laufwege in Kauf genommen werden, das Erinnerungsvermögen ist hierbei daher auch gefragt.
Das fünfte Kapitel fällt in diesem Zusammenhang leider sehr negativ auf. Es sind häufig sehr lange Strecken zu bewältigen und die Art der Rätsel ist ebenso abstrus wie die Entwicklung der Geschichte an manchen Stellen, was einen unschönen Eindruck hinterlässt.
Gerade wenn eine solch lange Zeit zwischen den Teilen liegt, ist es natürlich nicht leicht, einen gelungenen Übergang zu schaffen. Dies ist bei Bertram Fiddle jedoch wirklich sehr gut geglückt. Die gesamte Charakteristik setzt sich nahtlos fort, vom Erscheinungsbild über den allseits präsenten Humor bis hin zur Gesamtwirkung. Lediglich bei den Rätseln ist eine Veränderung spürbar, da der Schwierigkeitsgrad leicht angehoben wurde und die Aufgaben anspruchsvoller geworden sind. Da dies jedoch auch im Verlauf eines einzigen Titels durchaus vorkommen kann, ändert das nichts daran, dass beide Episoden eine homogene Einheit bilden und es sich wie ein einziges Adventure anfühlt.
Auch wenn Bertram Fiddle eine in sich stimmige Geschichte zu bieten hat, die nahtlos vom ersten in den zweiten Teil übergeht und die Spannung aufrecht erhält, liegt der Schwerpunkt dieses Spiels eindeutig auf dem herrlichen Humor. Allein die Kommentare beim Betrachten anderer Personen und Gegenstände kann ein Schmunzeln hervorrufen, die Gespräche sind ebenfalls alles andere als trocken und auch sonst wurde überall, wo es nur geht, etwas Witziges eingebaut. Das führt dazu, dass die meiste Zeit Grund zum Schmunzeln oder Lachen besteht, ohne ins übermäßig Alberne abzudriften.
Der sympathische, schlaksige Fiddle sowie der gutmütige Gavin laden regelrecht dazu ein, sie zu begleiten und ihre Abenteuer mitzuerleben, während Sherlock als der personifizierte Unsympath dargestellt wird und auch die werte Mrs. Fiddle ruft nicht unbedingt den Wunsch hervor, sie häufiger sehen zu wollen. Mit dem in sich stimmigen Ende findet die Geschichte von Bertram Fiddle einen passenden Abschluss, allerdings bleibt zu hoffen, dass dies nicht sein letztes Abenteuer gewesen ist.
Adventure-Treff-Verein
IBAN: DE38 8306 5408 0004 7212 25
BIC: GENODEF1SLR