Im Januar dieses Jahres ist uns A Normal Lost Phone, das kommerzielle Debüt der französischen Entwicklerfirma Accidental Queens, bereits sehr positiv aufgefallen. Das experimentelle Adventure befasste sich mit dem achtzehnjährigen Sam und seiner Suche nach der eigenen sexuellen Identität. Nun präsentierten uns die eifrigen Produzenten den spirituellen Nachfolger, welcher den nicht minder geheimnisvollen Titel Another Lost Phone: Laura‘s Story trägt und somit eine vom Original unabhängige Geschichte erzählt. Die Spieler müssen also keine Vorkenntnisse besitzen und können sich in beliebiger Reihenfolge an die Werke der Accidental Queens herantasten. Wir haben uns deren jüngsten Streich zu Gemüte geführt und unser Urteil gefällt.
Laura ist eine junge Frau im Alter von 26 Jahren, die ein scheinbar zufriedenes und erfolgreiches Leben führt. Beruflich engagiert sie sich für eine Kinderhilfsorganisation in Ederstätten, ihr Leibgericht sind gefüllte Zucchini und zu ihrer Schwester pflegt sie ein liebevolles Verhältnis. Ebenso wenig mangelt es ihr an guten Freundschaften und ihre Begegnung mit Ben erweist sich als besonders glückliche Fügung. Mit außerordentlich zärtlichen und schwärmerischen Worten vermag ihr der neue Liebespartner zu imponieren, wenngleich seine Fürsorge mitunter übertrieben scheint. Eines Tages aber ereignet sich eine unverhoffte Kehrtwende: Vergeblich versucht Ben, seine Freundin auf ihrem Handy zu erreichen. Die zwölf neuen Nachrichten werden allerdings nicht von Laura empfangen, sondern von einem ganz und gar unbeteiligten Menschen. Dem Spieler nämlich ist das besagte Mobiltelefon in die Hände gefallen und natürlich kann er seiner Neugierde nicht lange standhalten. Zunächst begnügt er sich mit den oberflächlichen Eindrücken um Lauras Person, doch seine voyeuristische Ader treibt ihn weiterhin an. Allmählich wird ihm die Tragik jener Geschehnisse bewusst, die sich in den vergangenen Monaten zugetragen haben. Wird es ihm letzten Endes gelingen, Lauras diffuses Schicksal zu ergründen?
Je nach Interpretation lässt sich Laura‘s Story als 1st-person-Adventure definieren, da wir das Handy, wie schon in A Normal Lost Phone, quasi aus der Ego-Perspektive nach Informationen durchforsten. Um in Lauras persönlichen Daten zu wühlen, muss der Spieler also lediglich die Navigation eines Smartphones beherrschen. Obwohl dessen Design elegant anmutet, kann es anfangs noch leichte Verwirrung entfachen: Zu Halbmonden abgerundete Pfeile wirken auf den ersten Blick zu abstrakt, um ihren eigentlichen Zweck sofort zu erahnen. Ein untergeordnetes Menü wird hingegen mit einem Klick auf die kreisförmige Schaltfläche ausgeblendet. Natürlich lassen sich solche Feinheiten rasch einprägen. Eine bequeme Scroll-Funktion ermöglicht zudem eine angenehme Lektüre der privaten Korrespondenzen, wobei auch in beschleunigtem Tempo zum Beginn oder Ende jener Nachrichtenverläufe gesprungen werden kann. Neben der Benutzerführung können die Vielfalt sowie der Schwierigkeitsgrad der Rätsel überzeugen. In der Regel sind Zugangscodes zu knacken, was aufmerksame Recherchen und eine gewisse Kombinationsgabe erfordert. Hinweise verbergen sich in Notizen, Bildern, E-Mails, Konversationen aller Art oder sonstigen Applikationen. Darüber hinaus bleibt die konventionelle Passwort-Eingabe nicht die einzige Maßnahme, den Spieler zu beschäftigen. Abwechslung bietet etwa der zufallsgenerierte Zugangsschutz des berufsorientierten Power-Job-Messengers. Dort müssen jeweils drei Gesichter, die Bekannte und Freunde von Laura darstellen, den passenden Namen zugeordnet werden. Das Vordringen in bislang versperrte Software-Areale ist stets als neue Etappe zu verstehen, welche dem Spieler frische Erkenntnisse liefert. Intrigen werden enthüllt und der Verdacht zunächst womöglich auf unschuldige Personen gelenkt. Die sorgsam ausgefeilte Rätselstruktur stört dabei nicht den Erzählfluss, sondern trägt sogar unmittelbar zur Spannung bei.
Um das Spiel atmosphärischer zu gestalten, wurde ein alternativer Soundtrack geschaffen, der Stilrichtungen wie Electro Chill, Ambient und Trip Hop miteinander vereint. Die acht durch unterschiedliche Interpreten beigetragenen Musikstücke sind teils von Gesang begleitet, fokussieren sich aber überwiegend auf den Einsatz von Instrumenten. Großartige Songs wie „Another Train“, „White Gloves“ oder „True Love, No Master“ werden zwangsläufig in guter Erinnerung bleiben und verbreiten beim Lesen der Chat- oder SMS-Protokolle eine zusätzlich melancholische Stimmung. Diese Playlist ist über einen internen MP3-Player zu steuern, womit der Spieler jederzeit selbst in die Musikauswahl eingreifen kann. Wer sich mit dem Soundtrack nicht anfreunden möchte, kann das Handy auch verstummen lassen. Grafik gilt bei Laura‘s Story wieder als untergeordnetes Merkmal, da sich diese auf das Design der Smartphone-Oberfläche sowie auf die Darstellung der Fotografien beschränkt. Farbenfrohe, aquarellartig verschwommene Zeichnungen setzen die Momentaufnahmen in Lauras Galerie ob ihrer naiven Schlichtheit charmant in Szene.
Die Accidental Queens verfolgen den selbsterteilten Auftrag, sensible gesellschaftliche Themen erzählerisch aufzuarbeiten. Ihre Stärken entfalten sie mit einer bewundernswerten Leichtigkeit, indem sie ein simuliertes Smartphone als Spielumgebung zweckentfremden und ihrer Protagonistin durch private Nachrichten und Notizen Persönlichkeit verleihen. Trotz bekanntem Muster muss Laura‘s Story keineswegs im Schatten seines Vorgängers verweilen. So zeugt es vielmehr von neuen Ideen im Rätseldesign und einer unverbrauchten, aber ebenso mitreißenden Geschichte.
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