Wer hier einen Rückblick auf den unvergessenen Horrorklassiker aus dem Hause Sierra erwartet, hat dem Adventure der Kowai Sugoi Studios wohl unterbewusst ein zusätzliches „s“ angedichtet. Tatsächlich ist Shiver nämlich ein um Halloween 2017 veröffentlichtes Low-Budget-Produkt und damit noch äußerst taufrisch – wenngleich die schneeweißen Landschaften im Spiel doch andere Eindrücke hinterlassen dürften. Hinter Shiver verbirgt sich allerdings kaum ein interaktives Weihnachtsmärchen für die gesamte Familie, sondern vielmehr ein schauriges Abenteuer in abgeschiedener Einsamkeit. Darüber hinaus versteht es sich als spiritueller Nachfolger des ebenso winterlich anmutenden Freeware-Titels Cozy. Ob uns das vorliegende Werk letzten Endes das Gruseln oder lediglich das Frösteln lehren konnte, verraten wir euch nun in unserem Test.
Entspannt waren sie zweifellos, die 90er Jahre! Da gab man sich ohne Hektik der Straße hin und gönnte sich in Seelenruhe manchen Glimmstängel. Zudem boten Mobiltelefone damals keine Ablenkung. Unserem Protagonisten werden besagte Freiheiten nichtsdestotrotz zum Verhängnis. Als dieser inmitten der scharfen Kurve erst spät eine schemenhafte Gestalt vor seiner Motorhaube erblickt, ist es um ihn bereits geschehen – beinahe zumindest. Sein Fahrzeug ist nach dem heiklen Sturz gewiss nicht mehr zu retten, doch der junge Mann wähnt sich vorerst in trügerischer Sicherheit. Eigentlich gedachte er, an jenem Abend seinen alten Vater zu besuchen, nun aber hat es ihn gar unverhofft in diese trostlose Einöde verschlagen. Obgleich dort keinerlei leibhaftige Personen anzutreffen sind, heißen ihn Hinweisschilder sowie das ordnungsgemäß gekleidete Maulwurfsmaskottchen im Windy Oaks National Park willkommen. Ein Rundgang durch die finsteren Minen des unlängst verwaisten Parkgeländes erweist sich jedoch weniger als erquickliche Freizeitunternehmung.
Shiver verfügt über eine äußerst komfortable Steuerung: So wird die Umgebung aus der Ego-Perspektive erkundet, wobei die Schauplätze in klassischer Slideshow-Manier miteinander verbunden sind. Der Mauscursor verändert sich stets automatisch, sobald ihn der Spieler über einen Hotspot bewegt. Bei Ausgängen verwandelt er sich in einen Pfeil, die greifende Hand signalisiert einen aufnehmbaren Gegenstand. Ein ähnliches Symbol erscheint, wenn sich eine Tür öffnen oder ein Knopf betätigen lässt. Meist ist eine nähere Betrachtung möglich, wozu sich der Cursor als wachsames Auge präsentiert. Das Inventar verbirgt sich am oberen Bildschirmrand. Hier können Items aufgenommen und auf Hotspots im Szenenbild sowie auf andere Fundstücke aus der Gepäckablage angewandt werden. Wer an einem Rätsel zu verzweifeln droht, sollte sich schlichtweg eine Zigarette anzünden. Dies hilft unserem Alter Ego, Entspannung zu finden und seine Gedanken auf das Wesentliche zu fokussieren. Daraufhin wird er dem Spieler einen nützlichen Ratschlag liefern. Ob besagte Hinweisfunktion als unterschwellige Tabakwerbung zu werten ist, sei dahingestellt - kreativ ist sie definitiv. Allzu schwierig sind die zu bewältigenden Aufgaben mitnichten, insgesamt kann Shiver als anfängertauglich eingestuft werden. Dennoch handelt es sich um durchaus logische Rätsel, die eine gesunde Hirnaktivität erfordern. Mitunter ist die Lektüre diverser Dokumente sowie die Beachtung von Orientierungsschildern notwendig, um sich der Lösung anzunähern. Shiver ist allerdings kein textlastiges Adventure. Tiefgreifende Tagebücher sucht man vergeblich und die Korrespondenz der Parkmitarbeiter wurde auf ein Minimum reduziert. Die Texte setzen übrigens englische Sprachkenntnisse voraus, da bislang keine Übersetzung vorhanden ist. Innerhalb von einer oder zwei Stunden dürfte dann wohl auch jedem wackeren Abenteurer die Flucht aus dem Windy Oaks National Park geglückt sein.
Trotz seiner Schlichtheit kann der ebenso schöne wie detailverliebte Grafikstil von Shiver besonders im atmosphärischen Gesamtpaket seinen Reiz entfalten. Das Spiel wartet mit zweidimensionalen Szenenbildern auf, die von realistischer Darstellung zeugen und niemals an Leblosigkeit kranken. So fallen winzige Flöckchen zu Tausenden vom Himmel, ohne dem Spieler die Sicht zu verschleiern. Dichte, gar watteartig ausgebreitete Schneelagen zieren häufig seinen Weg und wenn er etwa am Besucherzentrum vorüberstapft, zeichnen sich dort später seine Fußspuren ab. Ebenso beständig wie die Animationen zeigt sich die allgegenwärtige Geräuschkulisse – sei es das stürmische Schneerauschen oder ein gelegentliches Pfeifen des Windes. Auch verändern sich gegen Ende des Adventures die Lichtverhältnisse. Wo der Spieler zunächst im Halbdunkel nach Antworten sucht, weicht dieses bald der nächtlichen Finsternis, welche den Einsatz einer Taschenlampe unabdingbar macht. Insgesamt wurde die winterliche Witterung visuell sowie akustisch einwandfrei eingefangen.
Obgleich die unheimlich anklingende Titelmelodie schon früh von subtilem Horror kündet, erweist sich Shiver gerade in dieser Hinsicht als große Enttäuschung. Es bedarf nämlich doch mehr als einer soliden Atmosphäre, um einen ansprechenden Vertreter seiner Gattung präsentieren zu können. Wenn ein Stein von außen auf ein Fenster einschlägt, vermag dies den Spieler bestenfalls leicht aufzuschrecken – Gelegenheit zum Gruseln wird ihm hingegen kaum geboten. Eine Ausnahme bilden zwei plötzliche Begegnungen, die sich am genretypischen Jumpscare-Effekt orientieren und somit bloß eine bescheidene Wirkung erzielen. Die oft implizierte Tiefgründigkeit der Geschichte entpuppt sich allmählich ebenso als Trugschluss.
In der Masse sämtlicher mehr oder minder ambitionierten Horroradventures verhält sich Shiver wie ein kleines Schneeflöckchen, das unbemerkt zur Erde sinkt, um sich dort unter seinen Artgenossen zu verlieren. Ein gemütlicher Winterabend lässt sich damit aber durchaus bestreiten, sofern sich der Spieler diesem Titel mit geringen Erwartungen annähert - denn ein gewisser Charme ist dem Werk der Kowai Sugoi Studios trotz aller Mängel beschieden.
Rund zwei Stunden brachte ich in jenem einsamen Nationalpark zu und genoss dort die schöne wie stürmische Winteratmosphäre. Wenngleich mir mitunter zum Frösteln zumute war, vermochte mich Shiver nie wirklich zu berühren. Und dies bedauere ich zutiefst, zumal doch so viel Liebe in die Präsentation des Adventures investiert wurde.
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