Test

von  Topsy-Sophia Schmitt
30.03.2018
Snail Trek
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

Mehr als zwanzig Jahre sind verstrichen, seit wir Roger Wilco, den wohl beliebtesten Hausmeister der Adventure-Historie, auf seinem letzten haarsträubenden Weltraumabenteuer begleiten durften. Was sich damals schon in hochauflösendem Super-VGA erleben ließ, begann in den 80ern dereinst mit Texteingabe und einer EGA-Grafik, welche heute bestenfalls von hoffnungslosen Nostalgikern als ästhetisch empfunden wird. Womöglich ist es aber gerade die wertvolle Erinnerung an jene verlorene Zeit, die aufstrebende Spieleentwickler wie Phil Fortier dazu antreibt, sich auf Genre-Parodien im besagten Gewand zu spezialisieren. Als Hommage an die soeben umschriebene Sierra-Reihe Space Quest rief dieser nämlich vier minimalistische Independent-Adventures ins Leben, in denen sich halbverhungerte Schnecken nach Vorbild einer Enterprise-Crew auf einer hochtechnisierten Kommandobrücke tummeln und sich anschließend auf eine bedeutsame Forschungsmission begeben. Snail Trek erschien ab November 2017 quasi in monatlichen Salathäppchen – kein Schneckentempo also, sondern zumindest gemäßigte Lichtgeschwindigkeit.

Ein grüner Traum wird wahr - oder doch nicht?

Auf der Suche nach dem grünen Gold

Jüngst aus dem Tiefschlaf erwacht, obliegt es drei schleimigen Astronauten, ihrer vom Aussterben bedrohten Art ein neues Zuhause zu verschaffen. Der in Reichweite befindliche Planet, welcher vom Schiffscomputer erwählt und angesteuert wurde, könnte die erforderlichen Bedingungen erfüllen. Ein reichhaltiger Vorrat an Salatköpfen gilt hierbei natürlich als unabdingbares Kriterium. Da jener lebenswichtige Rohstoff auf Erden allmählich versiegt, muss der Hunger fortan woanders gestillt werden. Das Schicksal einer ganzen Zivilisation liegt somit in den Schalen von Christian, Zoomer und Shelley, deren Captain sich offenbar schon in der Kältekammer verflüssigt hat und gewiss keine Befehle mehr erteilen kann. Falls der unter ihnen gelegene Planet also tatsächlich mit rein biologisch angebautem Salat gepflastert sein sollte, müssen die drei verbliebenen Helden unverzüglich das All-Green-Signal zur Heimatwelt senden, um die Übersiedlung der gesamten Schneckenpopulation zu initiieren. Nach der unsanften Landung auf der vermeintlich grünen Planetenoberfläche entpuppt sich der Anblick von oben jedoch als tragische Halluzination. Stattdessen stoßen unsere heroischen Schnecken dort auf Gesteinsformationen, Vulkane sowie unterirdische Höhlen – und stehen bald sogar einem ungeahnten Feind gegenüber.

Zweifellos der intelligenteste Parser des Universums

Wo nie eine Schnecke zuvor gewesen ist...

Rasch dürfte der Spieler bemerken, dass unsere Protagonisten keine unbedarften Weinbergschnecken darstellen, sondern vielmehr technisch versierte Vertreter ihrer Gattung. Um die Landung des muschelförmigen Sternenschiffs auf dem Planeten zu ermöglichen, sind zunächst einige Reparaturmaßnahmen zu absolvieren. Während Christian diese Aufgaben noch selbständig erledigen möchte, stehen ihm seine beiden Kollegen in der zweiten Episode nunmehr tatkräftig zur Seite. In altbekannter Maniac-Mansion-Manier kann dann beliebig zwischen drei Hauptcharakteren gewechselt werden, was sich äußerst positiv auf das Rätseldesign auswirkt. Etwas kniffliger wird es durchaus, wenn der Spieler die dreiköpfige Schneckencrew auf den Planeten lotsen muss. Da sich die Besatzungsmitglieder ihrer natürlichen Bodenhaftung nicht entziehen können, ist mitunter eine Manipulation der Schwerkraft erforderlich. Hierbei bleibt der eiserne Zusammenhalt von Christian, Zoomer und Shelley unverzichtbar, denn der eine ist stets auf die Hilfe des anderen angewiesen.

Christian und Shelly auf Außenmission

Vorsicht, Schneckenvernichter!

Dem Autor dieses herrlich absurden Adventures mangelte es niemals an witzigen Ideen. Ein hochentwickelter Detektor dient der Suche nach kostbarem Blattgemüsevorkommen und ein Notvorrat an chemischem Salatkonzentrat lässt unsere Kosmonauten wortwörtlich in neuem Glanz erstrahlen (und somit im Dunkeln leuchten). Dennoch würde Snail Trek der unvergessenen Sierra-Ära nicht ausreichend Tribut zollen, wären da nicht auch ein wenig Tod und Verderben ins Gameplay eingebettet. Wenn unsere Schnecken keinen unverhofften Unfall erleiden, lauern ihnen dort draußen dann und wann Monster auf, die einem herzhaften Frühstück nach französischer Küche nicht abgeneigt sind. Der gute Douglas Adams hätte die aufkeimende Besorgnis des Spielers nun mit einem „Don‘t Panic!“ geschlichtet, was bei einem derart modernen Retro-Titel definitiv angebracht scheint. Eine post mortem anwählbare Try-Again-Schaltfläche lässt das geschehene Unglück nämlich schlagartig wieder umkehren. Ebenso wurden die damals üblichen Sackgassen (Dead Ends) vermieden.

Wenn leuchtende Schnecken auf Wesen der Dunkelheit treffen...

Innovative High-Schneck-Technologie

Da Snail Trek den Sierra-Adventures längst vergangener Tage nacheifert, wurde es auch stilecht mit einem Textparser ausgestattet. Tastatureingabe und gewisse Englischkenntnisse bleiben also unentbehrlich. Andererseits verhält sich besagter Parser nicht allzu klassisch, sondern präsentiert sich vielmehr bemerkenswert zeitgemäß. So muss der Spieler vor dem Keyboard kaum nach Worten ringen, da ihm die integrierte Autovervollständigung rasch auf die Sprünge hilft. Während des Tippens werden diverse Vorschläge unter dem Textfeld eingeblendet, welche begonnene Gedanken weiterspinnen und Nichtmuttersprachler ebenso in Fragen der Schreibweise von Begriffen unterstützen. Diese Servicefunktion kann im Optionsmenü nach Belieben abgeschaltet werden. Dasselbe betrifft die Autokorrektur, die ihren Dienst beim Formulieren der Befehle nahezu unbemerkt verrichtet. So wandelt sie etwa ein „taki“ in das Verb „take“ um, da sie den orthografischen Fehler sofort erkennt. Die Steuerung unserer Figur erfolgt mit den Pfeiltasten, alternativ kann das Schneckchen mit dem Mauscursor navigiert werden. Auch der Zugriff auf das Inventar geschieht wahlweise per Maus oder Tastenkombination (TAB). Mehr oder minder ausführliche Beschreibungen sowie eine zusätzliche Illustration des jeweiligen Gepäckstücks können dort jederzeit abgerufen werden. Sierra-Fans dürfte zudem das traditionelle Punktesystem erfreuen. Jeder erfolgreiche Schritt wird mit Erhöhung der persönlichen Punkteskala belohnt - selbiges gilt für Bonusaktionen, die nicht zur Lösung des Spiels beitragen. Dies steigert den Wiederspielbarkeitswert einer einzelnen Snail-Trek-Episode, welche schon im ersten Durchlauf binnen 20-60 Minuten zu bewältigen ist. Das vierte Kapitel dürfte manchen Spieler sogar weit länger als eine Stunde beschäftigen.

Unmenschlich: Die Schneckenkäfighaltung wurde auf diesem Planeten noch nicht abgeschafft.

Auf den Schirm!

Wenngleich Phil Fortier seine Inspiration in den ältesten Space-Quest-Abenteuern suchte, muten seine Szenenbilder wesentlich moderner und ästhetischer an. Das farbenfrohe, detailverliebte Pixeldesign ist sorgsam ausgearbeitet und wirkt damit deutlich feingeschliffener als etwa die Optik eines The Sarien Encounter. Außerdem wartet die dargebotene Spielumgebung mit zahlreichen Animationen auf. Allgemein weisen sämtliche Charaktere erstaunlich gut ausgeprägte Körpermerkmale und sogar erkennbare Gesichtszüge auf. Somit wurde unseren überdimensional gezeichneten Schnecken ein geradezu possierliches Äußeres verliehen. In den großen wachsamen Augen jener zartfühlenden Helden sind stets verschiedene überspitzt dargestellte Gefühlsregungen wahrzunehmen. Während das Titelstück stilistisch einen futuristischen Charme entfacht und beinahe einer Science-Fiction-Serie der 80er- oder 90er-Jahre entstammen könnte, fügen sich auch die übrigen Melodien wunderbar in das atmosphärische Gesamtpaket ein. Diese Kompositionen, teils lizenzfreie Erzeugnisse unbeteiligter Künstler, präsentieren sich weder aufdringlich noch übertrieben subtil. Und wenn beim schwerelosen Schweben vor abgeschiedener Sternenkulisse plötzlich der Strauss-Walzer "An der schönen blauen Donau“ erklingt, wird es Freunden von Stanley Kubricks Kultstreifen 2001 – Odyssee im Weltraum vollends warm ums Herz. Technische sowie natürliche Prozesse sind jeweils mit passenden Geräuschen untermalt. In der rauen Wildnis darf der Spieler etwa dem bedrohlichen Schnaufen unheimlicher Höhlenkreaturen oder einem aus der Ferne aufziehenden Gewitter lauschen.

Beim Feind braut sich etwas zusammen... zumindest braut ER etwas zusammen.

Fazit: Im Weltraum hört dich niemand schleimen

Es erfordert gewiss ein gesundes Maß an Einfallsreichtum, um ein Schneckentrio auf der Suche nach Salatköpfen in den Weltraum zu entsenden. Darüber hinaus setzt Phil Fortier diese schräge Idee keineswegs halbherzig um. Vielmehr glänzt seine Hommage auf besagte Adventure-Kultreihe durch geistreichen Humor, ausgereiftes Rätseldesign sowie herrlich abstruse, aber teils auch nachdenklich stimmende Wendungen. Somit verdient jene allzu unscheinbare Miniserie definitiv besondere Aufmerksamkeit – und das nicht bloß aus dem Kreise der Nostalgiker.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Obgleich Space Quest seit jeher meine favorisierte Sierra-Saga darstellt, ist diese nicht bloß mit angenehmen Erinnerungen verbunden. Besonders die früheren Episoden drohten mir zuweilen den Verstand zu rauben. Unvorhergesehene Ereignisse wie lästige Sackgassen oder vollkommen unverhofft auftretende Gefahrensituationen, die mich nur schwerlich dem Tod entrinnen ließen, trübten den Spielspaß ungemein. Umso entschiedener war Phil Fortier bestrebt, seine ebenso kreative wie eigenwillige Hommage auf das dennoch grandiose Werk der Two guys from Andromeda sowie die Science-Fiction im Allgemeinen nutzerfreundlicher zu gestalten. Ich habe meinen Ausflug in die unendlichen Weiten des Universums sehr genossen und blicke auch den zukünftigen Projekten des Autors (so etwa Cascade Quest) mit Zuversicht entgegen – selbst wenn diese ohne Schnecken auskommen müssen.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Großartige Space Quest-Hommage
  • Liebevolle Grafik, schöne Musik und Atmosphäre
  • Niedliche Schnecken
  • Kreatives Rätseldesign
  • wahlweise klassisch oder modern nutzbarer Parser
  • eigentlich nichts, sofern man Nostalgie verehrt