Über ein Spiel wie The Witness einen Test zu schreiben, ist eine fast ebenso große Herausforderung, wie seine knackigen Rätsel zu lösen. Denn zum einen darf weder über den Inhalt noch über die Rätsel viel verraten werden. Und zum anderen kann auch nicht weiter erklärt werden, was das Adventure so genial macht. Hier folgt trotzdem ein Versuch mit einem ungewöhnlichen Einstieg. The Witness ist ein absolutes Meisterwerk. Doch es gibt Einschränkungen. Und es gelten drei Grundregeln:
Lies nichts über den Inhalt des Spiels, lass dir nichts erzählen und schaue keine Videos (dieser Test ist so geschrieben, dass er möglichst spoilerfrei ist)
Schaue nie, nie, niemals in die Lösung. Lege den Titel lieber für eine Weile zur Seite
Nur wer durchhält wird belohnt. Dann aber auf eine fantastische Art und Weise
Unvermittelt wird der Spieler in Egoperspektive in einen Gang gebracht. Dort findet er eine Schaltfläche vor, auf die er eine Linie zeichnen kann. Die Tür dahinter schwingt auf und kurze Zeit darauf wird zum ersten Mal eine riesige Insel voller unterschiedlicher Landschaften betreten. In der Ferne, fast von jedem Punkt aus sichtbar, reckt sich ein Berg in den Himmel. Vollkommen frei können alle Gebiete des Eilands erkundet werden – wenn nicht Schaltflächen den Weg blockieren. Allen ist gemeinsam, dass dort Linien eingezeichnet werden müssen. Was einfach klingt, kann höllisch schwer werden. Sehr sogar. Mit fortschreitendem Verlauf werden selbst erfahrene Spieler stark gefordert. Und an einigen Stellen wird auch die Grenze zum Thema Fairness zumindest stark tangiert. Hinzu kommen zwei Rätsel, bei denen selbst mir als sehr, sehr resistentem Spieler und erfahrenem VR-Piloten speiübel geworden ist. Die gilt es zu überstehen – oder an jemanden mit stärkerem Magen abzugeben. Durch die Größe der Insel und die Vielzahl der Aufgaben ist der Ausflug wohl kaum unter 30 Stunden zu schaffen. Zahlreiche Abenteurer sprechen sogar von dreistelligen Spielzeiten, um wirklich alles zu entdecken, was für das Erreichen des Endes nicht zwingend notwendig ist.
Grafisch ist The Witness äußerst beeindruckend. Mit der unglaublich liebevoll und enorm abwechslungsreich gestalteten Umgebung, in der viele kleine Details auf ihre Entdeckung warten und der Einsamkeit des Spielers kommt eine einzigartige Atmosphäre auf. Häufig wird der Klassiker Myst als Vergleich herangezogen. Tatsächlich gibt es Parallelen dabei, wie der Titel erlebt wird. Mit einem perfekten Sounddesign und dem bewussten Verzicht auf einen Soundtrack ergibt die Präsentation ein mehr als stimmiges Gesamtpaket, in dem sich der Spieler hervorragend verlieren kann.
Gerne würde ich näher begründen, was The Witness so genial macht. Und auch, wie sonst üblich, etwas zur Hintergrundgeschichte schreiben. Doch das ist ohne massive Spoiler nicht möglich (s. Regel 1). So bleibt nur zu berichten, dass in jeden einzelnen Aspekt des Spiels tatsächlich ebenso viel Hirnschmalz und Detailliebe geflossen sind, wie in die grafische Darstellung. Allgemein gesagt werden kann aber, dass der Titel nicht nur bei Fans knackiger Rätsel sondern auch bei Freunden philosophischer Diskurse großen Anklang finden wird.
The Witness ist grafisch sehr ansprechend, besitzt ein cleveres Rätseldesign, lässt dem Spieler viele Freiheiten und basiert auf einem genialen Gedanken. Wer jedoch wenig mit Rätselaufbau und -prinzip sowie dem philosophischen Unterbau anfangen kann, wird kein besonders befriedigendes Spielerlebnis haben. So steht und fällt dieses Kunstwerk mit der Haltung des Konsumenten.
Ich habe mich in der Welt von The Witness komplett verloren. Und leider auch, in der Annahme, es handle sich um ein „Adventure wie jedes anderere“ auch durchaus häufiger von der Lösung schubsen lassen. Das war ein großer Fehler. Denn dabei habe ich mich um etwas Einzigartiges betrogen, was ich anschließend in sehr abgeschwächter Form erlebt habe. Hier hätte ich lieber deutlich mehr Spielzeit in Kauf nehmen sollen. Dennoch war es auch in dieser Variante eine fantastische Erfahrung.
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