Test

von  Topsy-Sophia Schmitt
22.04.2018
Bad Dream: Coma
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
85%

Zwischen 2013 und 2014 veröffentlichte der polnische Entwickler Desert Fox sechs kostenlose Mini-Adventures, die im Horrorbereich angesiedelt sind und sich inhaltlich mit der Psychologie des Träumens befassen. Hinter der Fassade jener teils naiv und skizzenhaft anmutenden Bleistiftzeichnungen vermochte manch begeisterter Spieler ebenso surreale wie unheimliche Welten zu entdecken – oder aber schlicht böse Träume zu durchleben. Die stets überschaubar gestalteten Episoden von Bad Dream mauserten sich jedoch allmählich zu etwas Größerem, das der starken Konkurrenz unter den gruseligen Ego-Adventures gewachsen schien. So fungierte Bad Dream: Bridge quasi als früher Prolog zum ersten kommerziellen Titel der Reihe, dem im März 2017 erschienenen Bad Dream: Coma. Und da dem Steam-Publikum im kommenden September mit Bad Dream: Fever bereits der nächste interaktive Albtraum droht, haben wir nun rasch einen verängstigten Blick auf das jüngste Werk des Autors geworfen.

Das Grauen beginnt...

Verstörende Träume

Ein Ausflug in finstere Traumwelten: Vor den Augen des Spielers manifestiert sich eine ebenso verwaiste wie verwüstete Straßenbrücke, die bloß noch von pechschwarz gefiederten Wächtern belagert wird und wahrlich kein Gefühl von Sicherheit entfacht. Es scheint jedoch unvermeidbar, diese Hürde zu überwinden und dem trügerischen Weg zur anderen Seite zu folgen. Dort ist nämlich das städtische Krankenhaus gelegen, dessen mehr oder minder kompetentes Personal dem Träumenden wohlwollende Unterstützung bieten könnte. Um jenen verhängnisvollen, schier ewig währenden Schlaf zu unterbrechen, müssen allerdings einige düstere Schauplätze besucht und Bündnisse mit skurrilen Persönlichkeiten geschmiedet werden – sei es ein vertrauenswürdiger Stationsarzt oder ein in Stücke zerrissener Teddybär.

Karma vergeigt?

Schurke oder Diplomat?

Mancherorts lauern unliebsame Kreaturen, wenngleich diese niemals eine unmittelbare Gefahr darstellen. Wer sich nämlich innerhalb des Traumgefüges bewegt, bleibt stets vom Tode verschont. Fürchten dürfte sich der Spieler vielmehr vor den eigenen Entscheidungen. So kann bereits eine noch so kleine Aktion den Handlungsverlauf immens beeinflussen. Der Psychopath, welcher ohne Rücksicht auf Verluste agiert, hat sein Karma-Konto rasch ruiniert. Er zermatscht Spinnen, erschlägt Krähen und sticht dem Spanner hinter dem Guckloch der Dusche das lüsterne Auge aus, um nur einige denkbare Gräueltaten zu nennen. Sowohl gutes als auch schlechtes Handeln verändert große Teile des Spielgeschehens und sogar der Rätselstruktur. Bad Dream: Coma umfasst also drei grob unterschiedliche Lösungswege mit jeweils individuellem Finale und einem zeitlichen Umfang von etwa vier bis fünf Stunden, womit es zu einem ungewohnt hohen Wiederspielbarkeitswert beiträgt. Als Orientierungshilfe dient die Übersicht verfügbarer Enden im Optionsmenü. Dort abgebildete Strichmännchen symbolisieren das gute, das neutrale sowie das schlechte Gewissen des Träumers. Sobald ein solches überkritzelt wurde, bleibt dem Spieler der besagte Pfad fortan verwehrt. Wer seine weiße Weste nicht mit Blut beflecken möchte, sieht sich zugleich mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad konfrontiert. Fehler sind generell schnell begangen.

Da kein Kammerjäger zugegen ist, muss der Spieler der Köchin zu Hilfe eilen.

(Alb-)Traumhafte Rätsel

In jedem der insgesamt acht Kapitel des Spiels ist ein überwiegend in sich abgeschlossenes Gebiet zu erkunden. Schauplätze wie der Friedhof, der Wald oder die Wohnsiedlung sind gekonnt in die Geschichte eingeflochten und werden in späteren Abschnitten mitunter um angrenzende Bereiche erweitert. Nirgendwo mangelt es zudem an kniffligen Rätseln, die je nach gewählter Gesinnung in ihrer Grausamkeit variieren. Im Krankenhaus gilt es etwa, vermisste Augäpfel, Ohren oder Kopfhaar einzuheimsen, um einen entstellten Patienten einer Erneuerungskur zu unterziehen. Die Kreativität der zu lösenden Aufgaben zeigt sich insbesondere dann, wenn surreales Denken gefordert wird. So stößt der Spieler in der Umgebung des entlegenen Familienhauses auf zahlreiche Kinderzeichnungen, die bestimmte Schlüsselelemente in sich bergen. Wurden diese durch den Einsatz einer Bastelschere ihrem ursprünglichen Zusammenhang entrissen, ist die Anwendung jener gemalten Objekte innerhalb der „Traumrealität“ möglich.

Braves Hündchen!

Point and… ups!

Die Steuerung lässt sich leicht begreifen, denn sämtliche Aktionen werden mit einem simplen Linksklick getätigt. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, versehentlich eine boshafte Tat einzuleiten. Jeder Klick sollte also gut überlegt sein, sofern das Karma für den Spieler von Bedeutung ist. Die rechte Maustaste hingegen blendet das Inventar auf der linken Bildschirmseite aus oder ein. Gesammelte Werkzeuge und Hilfsmittel können niemals untereinander, aber an Hotspots im Szenenbild angewandt werden. Bad Dream: Coma hält auch manch herrliche Geheimnisse parat, welche den Spieler selbst nach dem Erreichen aller Enden noch zur wiederholten Entdeckungsreise ermutigen. Dass die integrierte Autosave-Funktion jedoch lediglich das Laden des zuletzt erzielten Speicherpunktes genehmigt, erhöht den Frustfaktor bei der Suche nach Errungenschaften erheblich.

Ob da wohl noch Gebete helfen?

Nicht geeignet für… geistig Gesunde!

Die überwiegend farblosen, handgezeichneten Hintergrundgrafiken verleihen Bad Dream: Coma einen Charme ohnegleichen. Ihre hohe Detaildichte sowie geschickt eingesetzte Schraffuren und Schatteneffekte schaffen eine authentisch wie düster wirkende Welt, die gelegentlich durch bunt hervorgehobene Erscheinungen bereichert wird. Blutspuren sind generell rot eingefärbt, orangene Flammen lodern unter einem Kessel und gelbe Kerzenlichter erglimmen schwach in der Dunkelheit. Statisch verhält sich das Spiel mitnichten, wofür eine Vielzahl von Animationen und meist gruselige Effekte sorgen. Das beständige Flackern der Lampen, ein aufziehendes Gewitter oder vorüberschweifende Rauchwolken erzielen eine unnachahmliche Atmosphäre und füllen die ohnehin beklemmend anmutenden Zeichnungen mit Leben. Selbiges gilt für die rege Geräuschkulisse, die sogar jeden getätigten Klick entsprechend untermalt. Das Klopfen auf Glas, das Rascheln mit Papier, das Scheppern von Geschirr oder das Zerbröckeln brüchigen Gesteins sind nur Beispiele des schier gigantischen Spektrums verfügbarer Laute.
Spätestens zu Beginn des Krankenhaus-Kapitels zeigt sich Bad Dream: Coma ebenso von seiner abstoßenden Seite. Wenn ein Patient plötzlich seinen Darm verliert und das besagte Organ inmitten einer Blutlache zu Boden fällt, sollte der Spieler seine letzte Mahlzeit idealerweise schon verdaut haben. Diese Lust am Morbiden teilt Desert Fox mit den Machern der Rusty-Lake-Saga.
Außerdem fügt sich der gelungene Soundtrack mit seinen unheilkündenden Klängen einwandfrei in das Geschehen ein und treibt die Spannung somit auf die Spitze. Sprachausgabe ist Bad Dream: Coma hingegen nicht vergönnt. Die Lektüre von Bildschirmtexten bleibt unverzichtbar, diese wurden auch in deutscher Sprache integriert.

Appetit noch nicht vergangen?

Fazit: Fürchte dein Handeln!

Stilistisch selbstsicher entwirft Desert Fox eine ebenso bedrückende wie faszinierende Albtraumwelt, welche dem Spieler das Schaudern lehrt und ihm zugleich höchst schicksalhafte Freiheiten einräumt. So repräsentiert das kommerzielle Debüt des polnischen Entwicklers ein wunderbar durchdachtes, nichtlineares Spielvergnügen und entpuppt sich zudem als einer der interessantesten Horror-Titel der vergangenen Jahre.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Schon fünf Jahre zuvor widmete ich mich mit größtem Vergnügen den frühen Bad Dream-Episoden. Obgleich diese recht minimalistisch und fragmentartig anmuteten, fügten sie sich ideal in das Konzept einer fortlaufenden Serie ein. Gewiss handelte es sich dabei vielmehr um voneinander unabhängig skizzierte Traumsituationen, die stets von geistreicher Inszenierung zeugten. Dennoch übertraf Bad Dream: Coma schließlich mit Leichtigkeit meine kühnsten Erwartungen, sei es in visueller, akustischer oder inhaltlicher Hinsicht. Seit 2013 hat die einst so unscheinbare Reihe eine immense Wandlung vollzogen. In allen Belangen wirkt der jüngste Titel imposanter und stellt in meinen Augen eine Ausnahmeerscheinung im Horrorgenre dar. Umso mehr freue ich mich nun auf den Nachfolger, der voraussichtlich im Herbst erscheinen wird.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • schöne Erzählstruktur
  • stimmige handgezeichnete Szenenbilder
  • einzigartige Geräuschkulisse, tolle Musik, gruselige Atmosphäre
  • knifflige Rätsel
  • drei Lösungswege und Karma-Konto
  • skurrile Charaktere
  • nur Autosaves trotz verschiedener Enden und zahlreicher Geheimnisse
  • zu tätigende Aktionen sind nicht immer im Voraus ersichtlich