Mit A Normal Lost Phone konnte der unabhängige Entwickler Accidental Queens vor einigen Jahren den fiktiven Handy-Voyeurismus innerhalb der Spielebranche etablieren. Infolgedessen fühlte sich auch Kaigan Games OÜ aus Malaysia dazu berufen, auf besagten Erfolgszug aufzuspringen. Das 2017 erschienene Simulacra ist jedoch im Horrorgenre angesiedelt.
Der Spieler tritt abermals in die Rolle eines zunächst unbeteiligten Beobachters, der ein fremdes Mobiltelefon gefunden hat und nun darin nach Hinweisen stöbert. Kaum hat er mit seinen Nachforschungen begonnen, stößt er bereits auf ein verstörendes Video. Dieses zeigt eine junge Frau namens Anna, die Eigentümerin des verlorenen Handys und scheinbar dem Wahnsinn anheimgefallen. Ihre kryptischen Worte bringen längst noch kein Licht ins Dunkel, also gilt es weitere Spuren zu verfolgen.
Während A Normal Lost Phone auf die Lektüre vergangener E-Mails und Chat-Protokolle fokussiert war, weichen die passiven Elemente hier dem aktiven Einsatz des Spielers. Dies geschieht in erster Linie durch Chats mit Personen, die Anna nahe stehen: So etwa die beste Freundin Ashley, der aufbrausende Lebenspartner Greg sowie der stets zu Scherzen aufgelegte Taylor, mit dem Anna über eine Dating-Plattform kokettierte. Multiple-Choice-Antworten verbessern hierbei die Interaktivität, können jedoch ebenfalls eine Vertrauensbasis schaffen oder dieselbe beschädigen. Fünf verschiedene daraus resultierende Endsequenzen steigern den Wiederspielwert enorm, zumal diese auch neue Erkenntnisse zum Handlungsgeschehen vermitteln. Authentische und mitunter witzige Konversationen beleben den Spielfluss zudem ungemein. Der zeitliche Rahmen kann schon im ersten Durchlauf 4-6 Stunden betragen. Generell wurde dem Rätseldesign viel Platz eingeräumt: Häufig müssen fehlerhafte Daten rekonstruiert, manchmal in sozialen Netzwerken recherchiert werden, um etwa die Telefonnummer einer Netzikone zu ermitteln. Um Sätze aus Chatverläufen in ihre korrekte Reihenfolge zu bringen, sind adäquate Englischkenntnisse von Vorteil. Andere Sprachen werden bislang nicht unterstützt.
Häufig müssen fehlerhafte Daten rekonstruiert werden, so auch das Geburtstagsporträt von Kater Toby.
Simulacra zeichnet sich durch eine realistische Inszenierung aus. Die Präsentation wird von echten Fotografien und professionellen Video-Aufnahmen getragen, sodass sich der Titel als modernes FMV-Adventure einordnen lässt. Das Grauen entfaltet sich vorwiegend durch unerklärliche Verzerrungen des Handydisplays, eine zermürbende Geräuschkulisse und obskure Chats auf einer surrealen Zwischenebene. Gelegentliche Jumpscares gruseln zwar nicht auf höchstem Niveau, wirken aber niemals fehlplatziert.
Simulacra hält der „Generation Selfie“ gekonnt den Spiegel vor und lässt den Spieler hinter die Fassaden einer heilen, doch realitätsfernen Online-Welt blicken. Ebenso unwirklich präsentiert sich die fesselnde Geschichte, deren überraschende Wendung keineswegs das Augenzwinkern ihrer Autoren kaschiert.
Schon wieder ein verlorenes Mobiltelefon? Eine gewisse Skepsis meinerseits blieb vorerst auch nach Einstieg ins Spielgeschehen bestehen. Bald erkannte ich jedoch, dass Simulacra mitnichten der müde Abklatsch eines Erfolgstitels darstellt. Vielmehr öffneten die Entwickler neue Genre-Schubladen und scheuten sich nicht, eine gesellschaftskritisch geprägte Geschichte zu erzählen. Mich konnte dieses ungewöhnliche Horror-Experiment durchaus fesseln.
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