Seine Berufung fand Octavi Navarro in der Kunst, doch gewiss zählen vor allem Computerspiel-Nostalgiker zu den größten Bewunderern seiner Werke. Die erstaunliche Gabe des Spaniers, jedem Pixel Leben einzuhauchen und seinen Bildern stets eine unfassbare Atmosphäre zu verleihen, trägt nunmehr auch im Bereich der Spieleentwicklung zur Steigerung seines Ansehens bei. So vermochte sich Navarro durch seine Teilnahme an kommerziellen Projekten wie Thimbleweed Park oder Photographs zu verwirklichen, zudem programmiert er seither ambitionierte Mini-Adventures im Alleingang. Auf die erste Episode der Midnight Scenes, die wir kürzlich zu Halloween getestet haben, folgte im April 2018 schließlich The Librarian. Abermals verlangt der Entwickler kein Geld dafür, der Spieler darf ihm jedoch bei itch.io eine freundliche Spende hinterlassen. Jenes Abenteuer einer verwegenen Bibliothekarin ist natürlich ebenfalls zur dunklen Jahreszeit angesiedelt, weshalb wir euch im Rahmen unseres Winter-Specials mehr darüber erzählen möchten.
Liz bewohnt ein gemütliches Heim unweit ihrer Arbeitsstätte, einer alten Bibliothek. Eines Abends schmiegt sich die pflichtbewusste Dame bereits an ihr sanftes Federkissen und widmet sich der Lektüre eines spannenden Buches, als plötzlich ein eiskalter Windstoß durch das Fenster fegt und unsere Protagonistin erschaudern lässt. Rasch hält Liz nach einem vermeintlichen Eindringling Ausschau und lüftet das Mysterium innerhalb von Sekunden. Es handelt sich bloß um ihren gefiederten Informanten, der ihr zu später Stunde erschienen ist – ein wenig zu theatralisch womöglich. Die weise Eule trägt eine Notiz im Schnabel, welche von schwerem Unheil kündet. Demnach wird die Bibliothek von Dämonen heimgesucht. An jenem Ort des Friedens und der Stille hält also die Finsternis Einkehr. Die besorgte Einzelkämpferin schreitet sogleich zur Tat, um ihr persönliches Heiligtum von jeglichem Übel zu befreien. Denn Liz allein trägt die Verantwortung. Sie ist die Bibliothekarin, die jüngste Vertreterin ihrer Zunft.
In ihre winterfeste Berufskleidung gehüllt, begibt sich Liz in die frostige Nacht hinaus und begegnet inmitten der doch so beschaulich anmutenden Schneelandschaft schon bald dem ersten zähnefletschenden Ungetüm. Bloß mit scharfem Verstand ist diese Hürde zu meistern, aber im Laufe ihres Abenteuers mögen weitere Gefahren folgen. Das schaurige Spielgeschehen trägt sich dann überwiegend im Inneren der Bibliothek zu, einem archaischen Tempel, der großes Wissen und zahlreiche Geheimnisse birgt. Obgleich die Spielzeit kaum dreißig Minuten überschreiten dürfte, bleiben knifflige Rätsel nicht aus. Im Vergleich zu den Midnight Scenes müssen hierbei also durchaus die grauen Zellen bemüht werden, wenngleich der Schwierigkeitsgrad angesichts des allzu linearen Aufbaus insgesamt eher niedrig einzustufen ist.
So gilt es fortan, verborgene Geheimgänge aufzuspüren oder gar vier eingestaubten Skulpturen, die des Singens mächtig sind, in richtiger Reihenfolge adäquate Töne zu entlocken. Wie zuvor bereits angedeutet, wird Liz hin und wieder von Geschöpfen der Finsternis bedroht. Die wackere Bibliothekarin aber ist gegen solche Angriffe stets gewappnet. So fungiert der Dolch in ihrer Gürteltasche nicht bloß als Accessoire, denn jene magische Waffe ist fähig, böse Geister auf ewig ins Jenseits zu verbannen. Zeitdruck ist dabei nicht zu befürchten, da die Hauptfigur während ihrer Mission „unsterblich“ bleibt. Doch Feind ist nicht gleich Feind, sodass eine noch so angsteinflößende Kreatur mitunter nur mit Empathie zu besänftigen ist, indem ihr Liz womöglich einen wohlwollenden Dienst erweist.
The Librarian verfügt über eine komfortable Steuerung in bewährter Point-and-Click-Manier. Nur ein einziger Klick ist erforderlich, um mit Hotspots im Szenenbild zu interagieren. Um Items anzuwenden, werden diese zunächst in der Inventarleiste ausgewählt.
Erzählt wird die Geschichte allein durch visuelle und akustische Elemente, denn Liz entpuppt sich nicht gerade als mitteilsamer Charakter. The Librarian verzichtet nämlich komplett auf Texte, Objektbezeichnungen einmal ausgenommen. Bloß die knapp bemessene Botschaft auf dem Pergament der Eule schildert noch mit Worten, wohin sich die Handlung des originellen Schauermärchens bewegen könnte. So ist es also dem Spieler vergönnt, die nachfolgenden Ereignisse zu interpretieren.
Die scheinbar mittelalterliche Umgebung präsentiert sich in einem detailverliebten Pixelstil, der von herausragender Kunstfertigkeit und einer ungewöhnlichen Farbgebung zeugt. Während beharrlich glimmende Fackeln die Nacht erhellen, ist die Architektur des altertümlichen Städtchens dominiert von blauen, pinken oder purpurnen Nuancen. Derweil tobt ein unbeugsamer Schneesturm, die weißen Flocken verlieren sich in alle Himmelsrichtungen. Sogar der eisige Atem der Protagonistin ist erkennbar, in beheizten Räumen vernimmt der Spieler ihr pochendes Herz. Das Gewand von Bibliothekarin Liz ähnelt übrigens dem eines Piraten, was der Seelendolch an ihrer Hüfte zudem wunderbar unterstreicht. Mit Stiefeln und blauem Jackett erinnert sie beinahe an einen gewissen Guybrush Threepwood. So erweckt eine nächtliche Bibliotheksinspektion vielmehr den Eindruck einer Abenteuerreise.
Doch die Spielwelt verstummt niemals, da die Geräuschkulisse schlicht alle Phänomene mit Leben erfüllt. Sei es das Knistern des Feuers im heimischen Kamin oder das zuvor erwähnte Schneetreiben, das dem Spieler durch die Lautsprecher unheilvoll zu Leibe rückt. Auch die begleitenden Musikstücke erzielen eine äußerst beklemmende Wirkung, sodass sich eine unfassbar dichte Horroratmosphäre entfaltet.
Düstere Metaphern pflastern den beschwerlichen Weg von Bibliothekarin Liz, die nur allzu tapfer gegen die Dämonen ihrer Vergangenheit kämpft. In seiner Kürze wirkt das Spiel wie eine bildgewaltige Alptraumsequenz, zugleich inszeniert der Autor ein bezauberndes Gruselmärchen. Obwohl auch die Midnight Scenes manch tiefgreifendes Erlebnis bieten, vermag dieses Werk jene interaktiven Kurzgeschichten noch zu übertrumpfen. So bleibt also zu hoffen, dass Octavi Navarro das Adventure-Genre auch zukünftig mit kostbaren Beiträgen bereichern wird.
Letzten Endes erinnerte mich das minimalistische Adventure an jene Kunstwerke im charmanten Pixelstil, die Octavi Navarro stets online ausstellt und vermarktet. Diese Bilder hüllen sich nämlich ebenso in Schweigen und regen somit die Fantasie ihres Betrachters an. Nein, es bedarf nicht vieler Worte, um ungewöhnliche Geschichten zu erzählen und eine gewisse Faszination zu erzeugen. Ausgleichende Talente sollten hingegen vorhanden sein. Und diese sind bei The Librarian zweifelsohne eingeflossen.
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