Nur knapp 13.000 Euro konnten die französischen Entwickler von Ars Goetia Anfang 2019 für ihr düsteres Comic-Adventure The Blind Prophet auf Kickstarter einsammeln. Nun ist es, nur knapp ein Jahr nach dem Ende der Kampagne, als Download erschienen. Wir haben uns als Apostel durch Rotbork gekämpft und berichten von unserer Reise.
Willkommen in Rotbork, einem ehemals lebendigen Fischereihafen irgendwo in Europa. Ehemals, weil seit Jahren praktisch keine Fische mehr gefangen wurden. Stattdessen treiben nun Banden, Sekten und skrupellose Geschäftsmänner hier ihr Unwesen und lassen die Stadt im Chaos versinken, während die normale Bevölkerung dem Alkohol oder schlimmeren Drogen verfallen ist. Doch irgendetwas ist hier faul in Rotbork, die Intensität des Verfalls der Gesellschaft ist ungewöhnlich. Und deshalb sind wir, Apostel Bartholomäus, nun hier. Unsere Mission: Die Welt ein weiteres Mal von Dämonen zu befreien. Und wir kommen genau in dem Moment in der Stadt an, an dem wir Zeuge einer versuchten Vergewaltigung werden – die wir mir einem beherzten Einsatz unseres Schwertes unterbinden. Der Täter, der mit einem Arm weniger dem Tatort entflieht, wirkte seltsam besessen... ob das bereits unsere erste Spur zum Unterschlupf eines Dämons sein könnte?
Hier können wir zum Glück noch rechtzeitig eingreifen
Diese ersten Szenen im Spiel (wie auch viele weitere Zwischensequenzen) werden dem Spieler in klassischen Comicpanels in all ihrer Blutigkeit präsentiert und machen direkt zu Beginn des Abenteuers unmissverständlich klar, was ihn hier erwarten wird. Auch im weiteren Spielverlauf werden wir mit (Anspielungen auf) sexuelle(r) Gewalt, Drogen, dämonischen Figuren und vor allem viel Gore konfrontiert. Wer darauf empfindlich reagiert, sollte unbedingt Abstand von The Blind Prophet nehmen.
Nichts für zartbesaitete Gemüter
Nachdem wir also die junge Vic vor ihrem Angreifer gerettet haben, beginnt das eigentliche Spiel, das sich klassischer Point'n'Click-Adventure-Mechaniken bedient. Mit dem Mauscursor untersucht man die Comicgrafik, mit dem ersten Linksklick auf einen Hotspot öffnet sich ein Aktionsmenü mit vier Handlungsmöglichkeiten: anschauen, nehmen, benutzen und sprechen. Ein Taschensymbol am unteren Bildschirmrand öffnet das Inventar, ein Augensymbol aktiviert die Hotspotanzeige und mit einem Klick auf das Portrait unseres Protagonisten wird uns noch einmal unsere aktuelle Aufgabe angezeigt. Eine einzige, denn das Spiel ist extrem linear. Man kann zwar über weite Strecken in der ganzen Stadt herumlaufen, aber es gibt eben zu jedem Zeitpunkt immer nur eine Aufgabe, die man angehen kann. Auch erscheinen manche Hotspots erst, wenn vorher andere Dinge erledigt wurden oder man kann Gegenstände erst mitnehmen, wenn sie benötigt werden. Das macht häufiges Hin- und Herlaufen notwendig. Da sich unsere Spielfigur allerdings nicht langsam durch den Screen bewegt (sondern gar nicht animiert ist) und man mit einem Klick auf den Ausgang sofort im nächsten Bildschirm ist, flitzt man sehr schnell von einem Ende der Stadt ans andere. Die im Spiel enthaltene Karte ist leider nicht interaktiv und lässt einen nicht direkt an bestimmte Orte springen, sondern dient eher als grobe Übersicht.
Eine der etwas freundlicher wirkenden Kulissen
Die übliche Adventure-Rätselkost, in der man Inventargegenstände kombinieren oder mit der Umgebung nutzen muss, ist, dank der Linearität, dem nur sehr mager ausgestattetem Inventar und der ebenfalls nicht üppigen Hotspots tatsächlich ziemlich leicht. Spannung kommt auf, wenn der Spieler nur eine beschränkte Anzahl von Aktionen ausführen kann, bevor er das Zeitliche segnet. Solche Situationen gibt es immer wieder im Spiel. Doch keine Angst, solltet ihr die Szene nicht schaffen, beginnt sie von vorne und ihr könnt es erneut versuchen. Etwas anspruchsvoller hingegen sind manche der Minigames und Puzzleeinlagen, in denen teilweise durchaus etwas Geschicklichkeit und Timing mit der Maus von Nöten sind. Zum Beispiel müssen an einem Schießstand auf Pappfiguren geschossen oder im Finale zum rechten Zeitpunkt ein Angriff abgewehrt werden. In einem Puzzle hingegen müssen Leichenteile wieder richtig zu einem (Teil-)Körper angeordnet werden. Hier gibt es leider kein Feedback für den Spieler, erst wenn alles richtig angeordnet ist geht es automatisch weiter. Diese Puzzles sind nicht optional und können nicht abgebrochen werden, wenn sie einmal gestartet wurden.
Leichenteile-Puzzle
The Blind Prophet ist wie ein spielbarer Comic. Die Grafiken sind allesamt handgezeichnet und vermitteln eine sehr düstere, aber auch dichte Atmosphäre. Das sieht auf den Screenshots sehr vielversprechend aus, allerdings verzichteten die Entwickler auf jegliche Animationen, weder die Hintergründe, noch Figuren sind animiert. Wenn etwas im Spiel passiert, dann werden grundsätzlich Comicpanels eingeblendet welche dann die Dynamik vermitteln sollen, ähnlich wie im klassischen Comicbuch. Unterstützt wird die Optik durch einen gelungen Soundtrack und Soundeffekte. Sprachausgabe hingegen gibt es keine (außer ein „hmpf“ und ähnliche Grunzlaute die der Protagonist hin und wieder von sich gibt), auch auf eine deutsche Übersetzung müssen wir bislang verzichten – die Sprachwahl beschränkt sich derzeit auf Englisch, Französisch oder Chinesisch.
Hier wird eure Reaktion auf die Probe gestellt
Spielerisch bietet The Blind Prophet dem geneigten Adventurespieler nur wenig, dazu ist der Titel viel zu leicht und linear. Dafür punktet er mit einer ungewohnten Ästhetik, die sicherlich nicht jedermanns Sache sein wird, und einer ebenso nicht alltäglichen Geschichte, welche einen rund sechs Stunden beschäftigen wird.
Ich bin gespaltener Meinung bezüglich The Blind Prophet. Die Geschichte war spannend und mal was anderes, die Aufmachung sehr gelungen, die Musik passend und die Atmosphäre sehr dicht. Aber irgendwie fühlte ich mich über weite Strecken unterfordert, nur um dann wieder bei einem Puzzle-Minigame über das nicht vorhandene Feedback zu klagen, oder über die Tatsache, dass einen das Spiel in dieser Situation nicht abbrechen lässt. Die englische Übersetzung ist nicht immer hundertprozentig gelungen, und auch manche „lustigen“ Dialoge wirken fehl am Platz. Dennoch: The Blind Prophet hat mich circa sechs Stunden lang gut unterhalten.
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