• Tests
  • Midnight Scenes: From the Woods

Test

von  Topsy-Sophia Schmitt
23.02.2023
Midnight Scenes: From the Woods
Getestet auf Windows, Sprache Englisch

Vor etwa sechs Jahren wurde mit Midnight Scenes: The Highway (Unser Test) eine ambitionierte Reihe begründet, die sich unter pixelverliebten Spielenden fortan großer Beliebtheit erfreuen sollte. Doch insbesondere Fans der Mystery-Serie The Twilight Zone, welche als Original in den 60ern sowie mit den Nachfolge-Staffeln der 80er ihre Blütezeit erlebte, bilden seither eine verlässliche Zielgruppe. Die Midnight Scenes verstehen sich nämlich als interaktive Neuinterpretation des Kult-Phänomens. Octavi Navarro aber, der schon das Team um Ron Gilberts Thimbleweed Park mit zeichnerischer Finesse ergänzte, hat sich nunmehr auch als Game-Designer weiterentwickelt. The Nanny präsentierte sich in 2021 bereits als wesentlich farbenprächtigeres, aufwendigeres und vielschichtigeres Werk. Die im Februar erschienene Episode From the Woods schürt ähnlich hohe Erwartungen.

Die bösen Buben und die Außenseiter

Seit seiner Aufnahme in das Mental Health Center des idyllischen Örtchens Fernwood Creek fühlt sich Elijah, der eine Zukunft als Horror-Schriftsteller anstrebt, schlicht fehl am Platze. Die anderen Insassen haben keinerlei Respekt vor ihm, das Klima ist mitunter toxisch – vor allem die bösen Buben lassen ihn ihre Abneigung spüren. Da es sich um eine spezielle Psychiatrie für Jungen handelt, dominieren Härte und Gewalt. So haben es besonders die Unsympathen Aiden und Theo stets auf Außenseiter wie Elijah abgesehen.
Eines Tages jedoch trifft Oliver, ein äußerst wunderlicher Patient, in der Klinik ein. Er bringt kein einziges Wort über seine Lippen und scheint von einem großen Geheimnis umgeben zu sein. So beobachtet Elijah schon bald, wie der Neuankömmling die Wurzeln des gigantischen Baumes im Garten des Mental Health Centers emporwachsen lässt. In den kommenden Tagen ereignen sich vor Ort weitere unerklärliche, teils grausame Zwischenfälle.

Knisternde Gefühle vs. Homofeindlichkeit

Einmal mehr gelingt es Octavi Navarro, eine äußerst fesselnde wie unheimliche Geschichte zu erzählen, wobei die zwischenmenschlichen Verhältnisse der Jugendlichen im Vordergrund stehen. So lassen die zentralen Figuren keine Charaktertiefe vermissen. Auf eher subtile Weise, wenngleich mit eindrucksvollen Bildern, wird den Spielenden aufgezeigt, wie bei den Knaben knisternde Gefühle entflammen. Ergo wurde nun die Chance wahrgenommen, erstmals im Rahmen der Midnight Scenes queere Personen einzuführen. Dadurch gestaltet sich die Adventure-Reihe wiederum deutlich moderner, als es die besagte TV-Show ihrerzeit gewagt hatte. From the Woods ist aber mitnichten eine Romanze, sondern vielmehr ein schauriges Teenager-Drama, das sich thematisch mit Mobbing, Rassismus und Homofeindlichkeit befasst.

Eine Ästhetik des Grauens

Octavi Navarro, der bereits seit geraumer Zeit hochwertige Pixelgemälde entwirft und vermarktet, hat seinem jüngsten Spiel abermals zu einem unverwechselbaren Stil verholfen. Feinheiten sprechen aus allen Details: Animationen sind stets flüssig und die Charaktere heben sich äußerlich ideal voneinander ab, was bei Retro-Adventures von bestimmter Bildschirmauflösung nicht immer selbstverständlich ist. Häufig werden mehr oder minder bedeutsame Gegenstände oder gefiederte Wesen, wie unheilverkündende Krähen oder das Klinik-Maskottchen Miss Murphy, in der Totale dargestellt. Selbiges gilt für manche Charaktere, denen in der Nahansicht eine sehr realitätsgetreue Mimik zu eigen ist, und die einigen Zwischensequenzen somit ein äußerst filmisches Flair verleihen. Auch der blanke Horror erlangt hierdurch eine ganz neue visuelle Dimension, die in den ersten Midnight Scenes noch undenkbar war. Eine rege Geräuschkulisse mit solidem Gänsehautfaktor sowie der abwechslungsreiche, mitunter bedrückende Soundtrack intensivieren den Schrecken und das atmosphärische Gesamterlebnis. So ist Navarro mit From the Woods ein umso beklemmenderes Werk gelungen. Zudem verhält sich die Episode mitnichten dezent, was blutige Szenen anbelangt. Deshalb wird sogar ein Mindestalter von 18 Jahren empfohlen.

Interaktives Storytelling ohne „störende“ Rätsel

Die Handhabung ist quasi selbsterklärend. So verfügt From the Woods über ein sehr vereinfachtes Point-and-Click-Interface. Mit der Maus wird die Figur durch meist scrollbare Räume navigiert, wobei der Cursor relevante Gegenstände, Personen oder Ausgänge ausfindig macht, welche sich aufgrund textlicher Beschreibungen abheben. Bei Dialogen kommt häufig das Multiple-Choice-Verfahren zum Einsatz, sodass die favorisierte Antwort anzuklicken ist, um eine Konversation voranzutreiben.
Bloß selten verwahrt Elijah Leihgaben oder Habseligkeiten in seinen Hosentaschen, weshalb auch kein sichtbares Inventar existiert. Gesammelte Items können also nicht ausgewählt oder mit Objekten kombiniert werden, dies erledigt Elijah beim nächsten Klick dann stets selbständig. Folglich müssen sich die Spielenden mit einem äußerst linearen Gameplay und quasi kinderleichten Rätseln begnügen, können sich aber stattdessen ungehindert von der packenden Erzählung mitreißen lassen. Da es sich bei From the Woods vielmehr um eine interaktive Kurzgeschichte (oder einen interaktiven Kurzfilm) handelt, ist dies kaum verwerflich. Die Dimension des Erlebbaren hat sich seit Episode 1 ohnehin stark ausgedehnt, sodass nicht bloß umfangreichere Schauplätze, sondern ebenso eine schon beachtliche Spielzeit zwischen 60 bis 90 Minuten zu erwarten ist. Trotzdem rät der Entwickler dazu, das Adventure innerhalb einer Sitzung abzuschließen. Da manche Spielenden jedoch gerne eine Unterbrechung einplanen und das Abenteuer zu einem beliebigen Zeitpunkt wiederaufnehmen möchten, wurde From the Woods in einem späteren Update mit einer nachgereichten Autosave-Funktion ausgestattet. Ergo speichert das Spiel nun meist bei einem Szenenwechsel den jeweiligen Fortschritt automatisch.

Fazit: Eine neue Dimension des Retro-Horrors

Während The Highway noch als klassische Hommage auf die Twilight Zone zu verstehen war, löst sich Navarros erfolgreiche Serie mit From the Woods wesentlich stärker von ihrem ursprünglichen Vorbild - nunmehr der nachvollziehbaren Ambition des Autors folgend, vielmehr etwas Eigenständiges zu etablieren. Diese Episode ist beängstigender und komplexer denn je, zeigt sich aber ebenso zeitgemäß. Gewiss kann sich der mitnichten unscheinbare Titel zu den besten Horror-Adventures der letzten Jahren zählen.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Ich bin schon seit Jahren eine große Bewunderin der Pixelkunst sowie der Mini-Adventures von Octavi Navarro. Neben The Librarian zählt auch die Midnight-Scenes-Episode The Nanny zu meinen Favoriten. Mit From the Woods jedoch hat er abermals seine bisherigen Werke übertroffen, meine Begeisterung wurde entfacht. So erfreute ich mich an der großartigen Geschichte, den schaurigen Eindrücken sowie der queeren Repräsentation. Und nun reizt es mich umso mehr, mir bei nächster Gelegenheit einen Midnight-Scenes-Marathon zu gönnen - natürlich in Vorbereitung auf jene fünfte Episode, die ganz gewiss früher oder später kommen wird.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • großartige Weiterentwicklung der Anthologie-Serie
  • Grafik ist einfach ganz große Kunst
  • sehr gruselig und atmosphärisch
  • wundervoller Soundtrack
  • tolle Geschichte mit interessanten Charakteren
  • komfortable Steuerung, erstmals auch mit Speicherfunktion
  • Rätsel kinderleicht bis kaum vorhanden