Zwei Jahre ist es her, da hat Microids das von Blazing Griffin entwickelte Spiel Hercule Poirot: The First Cases veröffentlicht. Offensichtlich war das Spiel erfolgreich genug dafür, dass man nicht nur mit einem anderen Team an einer weiteren Umsetzung von „Mord im Orient-Express“ arbeitet, sondern auch das Original-Entwicklerteam direkt mit einem zweiten Teil beauftragt hat, so dass nun beide Titel in diesem Jahr auf den Markt kommen.
Den Anfang macht Blazing Griffins „The London Case“, in dem wir wieder einmal einen noch recht jungen Hercule Poirot bei einem seiner Fälle begleiten. Die Geschichte führt uns dieses Mal zunächst auf ein Schiff von Belgien nach England, wo er zusammen mit einem Versicherungsabgesandten (Arthur Hastings) dafür sorgen soll, dass ein berühmtes Gemälde sicher in einem Londoner Museum ankommt und dort auch bleibt. Doch zunächst treffen wir im Prolog an Bord des Schiffes auf einige der weiteren Protagonisten des Spiels und müssen den Fall der verschwunden Zigarettendose einer jungen mitreisenden Reporterin lösen.
Dies wird vom Entwickler genutzt, um die Spieler mit den Systemen des Spiels vertraut zu machen. Wir steuern unseren Meisterdetektiv (in der getesteten PS5-Version des Spiels) direkt durch die isometrisch dargestellten Umgebungen und können dabei, zumindest in einigen Schauplätzen, mit den Schultertasten den Blickwinkel in 90°-Schritten um unseren Protagonisten drehen. Kommt Poirot in die Nähe eines Hotspots, erscheint ein Symbol. Wendet man sich diesem zu, kann er dann auf Tastendruck untersucht werden (oder bei Personen mit diesen gesprochen werden).
Entweder gibt Poirot direkt einen Kommentar zum untersuchten Gegenstand ab, oder es wird ein Close-Up davon eingeblendet und der Spielende muss dieses selbst auf auffällige Stellen untersuchen (teilweise lassen sie sich dabei auch drehen). Dabei wird er dezent vom Cursor unterstützt, der an den entsprechenden Stellen etwas größer wird – was gut ist, denn nicht immer ist ersichtlich, was denn nun diese „besonderen“ Stellen sein sollen. Sammelbare Gegenstände werden automatisch in das Inventar aufgenommen, aber im ganzen Spiel sind das insgesamt nur sehr wenige. Kann an einem Hotspot ein Gegenstand angewendet werden, wird das direkt eingeblendet. Im Großen und Ganzen spielen Itemkombinationen in diesem Spiel aber eine sehr untergeordnete Rolle.
Viel wichtiger als die Items sind die Mind Maps, die Hercule Poirot zu jedem Kapitel, bzw. auch mehrere pro Kapitel aufmacht. Hier werden diverse Erkenntnisse aus Gesprächen und unseren Tatortuntersuchungen in Stichpunkten festgehalten. Sobald sich zwei dieser Erkenntnisse zu einer neuen Erkenntnis kombinieren lassen, wird das vom Spiel angezeigt und man muss nun herausfinden, welche dieser Punkte zusammengehören. Teilweise ist das sehr logisch, bei anderen Kombinationen musste ich wild raten, weil mir nicht klar war, was Spiel von mir wollte. Optional gibt es in diesem Bereich auch eine Hilfe, die nach drei Fehlversuchen die beiden Punkte entsprechend markiert – aber Fehler lässt einen das Spiel sowieso nicht machen, diese werden nur mit einem abweisenden Kommentar von Poirot bedacht.
Überhaupt bewegt sich das ganze Spiel wie auf einer Schiene ohne jegliche Möglichkeit, vom vorgegebenen Weg abzuweichen, es ist von vorne bis hinten komplett linear. Das führt dazu, dass sich das Spiel letztendlich praktisch wie von alleine spielt, man muss nur alle Orte komplett ablaufen, alles anschauen und mit allen Personen reden. Das einzige Hindernis könnte sein, dass man einen Gegenstand übersieht oder nicht mitbekommt, dass nun ein Raum zugänglich ist, der das vorher nicht war. Aber auch dafür ist die Gefahr aufgrund der allesamt recht kleinen Locations sehr gering. Der Vorgänger war diesbezüglich teilweise etwas weitläufiger in meiner Erinnerung.
Apropos Vorgänger: Dieser hatte auf meinem PC zum Teil mit heftigen Bugs zu kämpfen, so dass ich am Ende das Spiel ständig neu laden musste und sich der PC teilweise komplett aufgehängt hatte. Inwiefern The London Case nun besser läuft kann ich nicht sagen, nur dass die PS5-Fassung keinerlei Probleme zeigte. Angesichts dessen, was einem auf dem Bildschirm geboten wird, sollte das auch eine Selbstverständlichkeit darstellen. Die Umgebungen und die comichaften Charaktere sind nicht besonders detailliert, die Grafikeffekte minimal, die Animationen sind im Vergleich zu modernen Standards hölzern und die Gesichter der Charaktere können weder vernünftig ihren Mund beim Sprechen bewegen, noch überzeugend Emotionen vermitteln. Bei Gesprächen platziert die Bildregie die Kamera hin und wieder an ungewöhnliche Positionen, was die Gespräche optisch etwas abwechslungsreicher macht.
Akustische Abwechslung kommt durch die gelungene Sprachausgabe, die in mehreren Sprachen, inklusive einer deutschen Fassung, vorliegt. Wir haben das Spiel vorwiegend mit der englischen Sprachausgabe gespielt, aber auch deutsche Sprachausgabe macht beim Reinspielen einen guten Eindruck. Störend für den Fluss der Gespräche ist, dass man nach jedem gesprochenen Satz weiterklicken muss und das Spiel insgesamt etwas träge ist. Das macht manche der Gespräche leider recht langatmig. Geduld braucht man aber vor allem, weil Monsieur Poirot in einem recht gemütlichen Gang durch die Bildschirme schlendert, und es keine Möglichkeit gibt das zu beschleunigen. Besonders ärgerlich ist da vor allem eine Location, das Theater, bei der man immer erst 2,5 Bildschirme durchqueren muss, bevor man am ersten Interaktionspunkt ankommt.
Es ist erst einige Monate her, dass ich The First Cases (fast) durchgespielt habe. Ich liebe Detektivgeschichten und die dort präsentierte Geschichte war gut genug, dass ich mich durch das bugverseuchte Spiel durchgequält habe, obwohl es spielerisch äußerst eingeschränkt und optisch auch nur höchst mittelmäßig war. The London Case gleicht von Spielprinzip, Aufmachung, Optik und Trägheit dem Vorgänger nahezu 1:1, mit all seinen Problemen – nur konnte ich dieses Mal die Story ohne ständige Abstürze und Bildfehler erleben. Auch diese ist wieder, auch wenn nicht direkt auf einer Geschichte von Agatha Christie basierend, sondern von den Entwicklern geschrieben, gelungen und motiviert zum Weiterspielen. Das ist den Entwicklern von Blazing Griffin wieder einmal gut gelungen. Dennoch würde ich mir für eventuelle weitere Teile der Reihe eine schnellere Spielfigur, mehr Rätsel, weniger Trial & Error (logische Kombinationen) und deutlich weniger Linearität wünschen. Mit der Grafik kann ich leben, das ist mir persönlich nicht so wichtig.
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