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von  Axel Kothe
09.11.2023
Agatha Christie - Mord im Orient Express (2023)
Getestet auf PlayStation 5, Sprache Englisch

2023 geht Microids mit der Agatha-Christie-Lizenz in die Vollen, denn dem schon von uns getesteten Agatha Christie – Hercule Poirot: The London Case folgt nun mit Agatha Christie – Mord im Orient Express nur wenige Wochen später bereits der zweite Titel basierend auf den Werken der britischen Autorin – und wieder mit Hercule Poirot in der Hauptrolle.

 

Entgegen den beiden Case-Spielen (The First Cases und London Case) ist die Geschichte hier keine ganz neue, sondern basiert auf dem Bestseller von 1934 „Mord im Orient Express“ (deutscher Titel damals „Die Frau im Kimono“), welcher mehrfach verfilmt und auch schon als Vorlage für ein gleichnamiges Adventure von Dreamcatcher Interactive herhalten durfte.

 

Wir stecken im Schnee fest

Die Grundstruktur der Geschichte ist zunächst sehr einfach, Poirot reist mit dem Orient Express von Istanbul nach Calais. In der zweiten Nacht an Bord wird einer der Passagiere mit zahlreichen Messerstichen ermordet in seinem Bett aufgefunden. Da der Zug wegen einer Schneelawine mitten in der Pampa Bulgariens feststeckt und so keine Polizisten an Bord geholt werden können, übernimmt Poirot die Ermittlungen in dem Fall. Schnell wird klar, dass nur einer der sehr eingeschränkten Zahl an Mitreisenden an Bord des Zuges als Täter in Frage kommt – doch die vielen, sich immer wieder widersprechenden Indizien und Aussagen machen aus einem auf den ersten Blick simplen Fall eine echte Herausforderung für Poirot. So weit, so die bekannte Geschichte.

 

Das Mordopfer wird in seiner Kabine aufgefunden



Doch die Autoren der Umsetzung waren nicht faul und haben umfangreiche Veränderungen an der Geschichte vorgenommen. Auffälligste Veränderung gleich zu Beginn des Spiels ist, dass die Handlung in das Jahr 2023 verlegt wurde – auch wenn es im ersten Moment gar nicht so große Auswirkungen auf das Spiel hat. Ein Zug bleibt nun mal ein Zug, auch im Jahre 2023. Schwerwiegender ist da schon die zweite große Änderung im Spiel, denn neben dem belgischen Meisterdetektiv gibt es mit Joanna Locke noch eine neue Figur an Bord, eine amerikanische Polizistin, deren Rolle wir als Spieler zunächst in Rückblenden, später aber auch in der Gegenwart, selbst übernehmen dürfen. Dort erleben wir die Ermittlungen im Fall der Entführung von Daisy Armstrong, in die unsere zweite Heldin hinzugezogen wird.

 

Eine neue Helding und ein neuer Schauplatz


Und schließlich gibt es noch eine weitere dritte große Änderung in dieser Neuinterpretation des Stoffes. Nachdem wir wie im Original den Fall auf die bekannte Art und Weise gelöst haben, haben wir allerdings erst so circa zwei Drittel des Spiels hinter uns gebracht. Neben weiteren Ermittlungen an Bord des Zuges bestreiten wir auch noch weitere Kapitel des Spiel in Venedig und in Genf. Was genau es damit auf sich hat, wollen wir aus Spoilergründen aber natürlich nicht preisgeben...

 

Eine der Aufgaben: Nationalität, Beruf und Alter der Charaktere bestimmen - Beim Alter oft schwierig, da man es den Gesichter nicht immer ansieht...



Doch nun zum eigentlichen Spiel. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangen Spielen sehen wird das Geschehen nicht aus der isometrischen Perspektive schräg von oben, stattdessen verfolgt die Kamera unseren Helden aus der Schulterperspektive in Echtzeit 3D. In der von uns getesteten Playstation5-Fassung wird der Held per Joypad gesteuert, am PC ist natürlich auch die klassische WASD-Steuerung mit Mouselook möglich. Reines Point & Click gibt es hingegen nicht.

 

Die Rekonstruktion des Zeitablaufs



Der spielerische Schwerpunkt liegt einerseits darauf, aufmerksam alle Schauplätze zu erforschen, und zu durchsuchen und mit allen Figuren zu reden. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen müssen diverse logische Schlussfolgerungen gezogen werden. So müssen hin und wieder bestimmte Ereignisse oder Zeugenaussagen miteinander in Verbindung gebracht, Herkunft, Beruf und Alter der Charaktere bestimmt, oder Ereignisse in die richtige zeitliche Reihenfolge gebracht werden. Wie schon bei den anderen Poirot-Spielen ist es allerdings auch hier wieder unmöglich, falsche Aussagen zu treffen. Wählt man die falsche Option, weißt einen der Protagonist auf den Fehler hin. Neben dem Erforschen der Szenarien muss man hin und wieder vereinzelte Logigrätsel lösen, die mal besser, mal schlechter in die Handlung eingebettet sind. So kommen zum Beispiel die hinlänglich bekannten „Türme von Hanoi“ mal wieder zum Einsatz, andere Aufgaben sind hingegen deutlich kreativer. Insgesamt ist die Rätseldichte aber gering, nur im allerletzten Kapitel legt das Spiel in diesem Aspekt deutlich zu und bietet zum ersten Mal so etwas wie eine Herausforderung.

 

Die beliebten Türme von Hanoi - hier aus Kisten



Technisch wirkt das Spiel durch seine Echtzeit-3D-Umgebung deutlich aufwändiger als die beiden anderen Poirot-Spiele, aber auch Mord im Orient Express kann sich nicht mit modernen AAA-Produktionen messen. Der Detailgrad der Modelle, die Texturen und Effekte sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit, im Genre der Adventures aber immer noch vergleichsweise fortschrittlich. Über die Darstellung der Figuren lässt sich wohl streiten, dass ihre Gesichter und damit ihre Mimik so miserabel animiert sind, ist extrem schade und ein klarer Minuspunkt. Positiv aufgefallen ist hingegen der jazzige Soundtrack der das Spiel angenehm und passend untermalt. Wie The London Case ist auch dieses Spiel wieder komplett mehrsprachig lokalisiert, inklusive deutscher Sprachausgabe. Diese machte beim Anspielen einen durchschnittlichen Eindruck, die englische Sprachausgabe hat uns besser gefallen, wenn auch nicht vollkommen überzeugt. Immerhin ist der Sprachfluss deutlich besser als im London Case.

 

Er sieht im Standbild noch ganz gut aus, mit Animation wirds dan gruselig


Apropos London Case, dort hatten wir bemängelt, dass der Protagonist nur sehr langsam unterwegs ist und das ewige Hin- und Herlaufen recht nervig wäre. Tja, auch beim Mord im Orient Express lässt sich Poirot nicht zum Rennen animieren (was er im Kapitel in Venedig auch mit „Poirot doesn't run“ kommentiert), doch mit Joanna steuern wir ja auch noch eine zweite Protagonistin, und siehe da, diese rennt auf Tastendruck auch im Laufschritt los. Damit wird klar, dass diese Entscheidung aus Treue zum Werk getroffen wurde, was zu respektieren ist – allerdings nichts an der Tatsache ändert, dass man sehr viel Zeit damit verbringt, vom einen Ende des Zuges zum anderen zu laufen – und wieder zurück.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Mein Ersteindruck beim Start des Spiels war, ehrlich gesagt, katastrophal. Die meiner Meinung nach teilweise unglaublich hässlichen Gesichter der Figuren, die auch noch schlecht animiert sind, ein völlig hirnrissiger Einstieg (Poirot muss dringend von Istanbul nach London, also nimmt er den Zug? Das mag 1934 sinnvoll gewesen sein, aber 2023 gibt es da doch schnellere Fortbewegungsmittel) und schließlich noch eines der uninspiriertesten Logikrätsel im Spiel am Bahnsteig in Istanbul machten mir wenig Lust zum Weiterspielen. Je länger ich allerdings drangeblieben bin, desto gefesselter war ich von der Geschichte. Zwar kenne ich das Original, aber auch dann ist es immer wieder faszinierend zu sehen, wie alles zusammenhängt. Doch so richtig hatte mich das Spiel mit der Einführung der neuen Protagonistin, mit der wir eine neue Perspektive auf die Geschehnisse erhalten, und vor allem auch neue Schauplätze abseits der immer gleichen Zugwaggons. Und als ich dann dachte, jetzt ist das Spiel vorbei... dann dreht es nochmals auf und erfindet einen ganz eigenen Schluss – der jetzt zwar nicht an die Brillianz von Christies Erzählung heranreichen kann, aber dafür nochmal weitere Schauplätze und das spielerisch interessanteste Kapitel mit sich bringt. Am Ende war ich also versöhnt mit dem Spiel, das ich zu Beginn fast schon abgeschrieben hatte.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • - umfangreiche Neuerung im Vergleich zur Vorlage
  • - die dennoch gut eingefangen wurde
  • - spannende Geschichte
  • - sehr angenehmer Soundtrack
  • - deutsche Sprachausgabe
  • - vergleichsweise aufwändige Grafik...
  • - mit hässlichen Figuren
  • - und schlecht animierten Gesichtern
  • - viel Backtracking
  • - teilweise uninspirierte Minispiele/Logikrätsel
  • - erst im letzten Kapitel wird es anspruchsvoll