Vainamoinen hat geschrieben:Wer spricht denn von Verbotsforderungen. Wo fordert denn feministische Kritik das Verbot von, sagen wir mal als Beispiel, Hemingways Büchern. Das ist einfach nicht das Ziel fundierter Medienkritik. Dieses Schreckgespenst bringen ganz andere Leute aufs Tableau. Kritik von innen, und das ist die gegenwärtige feministische Kritik nun mal, ist kein Ruf nach Zensur.
Das kommt wieder ganz auf deinen Standpunkt an, auch GTA V wurde mit feministischer Kritik überzogen und letztendlich sogar von zwei großen australischen Supermarktketten aus den Programm genommen, nachdem es Beschwerden mit genau dieser Kritik gab. Ich weiß, dass das als Einzelfall zu betrachten ist, aber ein kleiner Teil dieser Bewegung zielt eben genau in diese Richtung.
Vainamoinen hat geschrieben:Das Beispiel nehme ich gerne an. Denn die wenigen tatsächlichen REZENSIONEN, die eine problematische Geschlechterrepräsentation als Thema aufgreifen – womit die Autoren zum Ziel von Gamergate werden und sich ad hoc ein "sensationalism"-Achievement auf deepfreeze einhandeln –
geben gleichzeitig Höchstnoten (8.0 bei Polygon wie auch Destructoid).
Wie ich die Situation deute, ist auf Seite 2 dieses WoP-Threads im Detail nachzulesen:
http://forum.worldofplayers.de/forum/th ... ken-zu-TW3
Ich habe die Antwort zu diesem Teil jetzt mindestens dreimal überarbeitet, aber es bleibt trotzdem schwierig. Erst einmal will ich hier keine Wertungsdiskussion aufmachen, die hilft ja niemals Jemandem weiter und komme gleich zum Kern der Sache: Kritik ist immer subjektiv aber sollte zumindest nachvollziehbar sein.
Warum Polygon Gone Home eine Topwertung gab und praktisch nichts auszusetzen hatte, während sich der Hauptkritikpunkt am Witcher-3-Test, nämlich die Behandlung und Darstellung von Frauen, bis ins Fazit zieht, ist einfach schwer nachzuvollziehen.
Bis heute hat mir niemand erklären können, warum explizite Gewalt gegen Frauen in einem fiktiven Fantasy-Setting schlimmer sein soll als die ausufernde Gewalt im restlichen Spiel gegen Männer oder Fantasywesen.
Du kannst Gewalt und negative Darstellung von Frauen gerne kritisieren, wenn du das aber aus dem Kontext des Spiels herausreißt, in welchem Gewalt und negative Darstellung alle Spezies und Rassen treffen, dann machst du dich einfach zum Affen, so wie Anita in ihrer Tropus-Reihe regelmäßig.
Das ist der überhaupt das große Problem, du kannst ja den feministischen Gehalt eines Spiels nicht testen wie die anderen Aspekte, die man durch ihre Spielmechaniken und audio-visuelle Darstellung abgrenzen kann. Du musst es dann als Ganzes nehmen, wie ein Buch oder einen Film, und wird es dann nicht eher zu einer moralischen Frage?
Das führt jetzt vielleicht zu weit vom Thema weg, aber man kann nicht gleichzeitig die Darstellung von Minderheiten und Frauen kritisieren und sich dann aber die schiere Anzahl an weißen Männern in Videospielen beschweren, wenn nur diesen Typen alle Rollen auf den Leib geschneidert werden können, ohne dass sich jemand beschwert.
Natürlich haben wir gerade bei der sexuellen Darstellung eine große Diskrepanz, meiner Meinung nach sollte man hier Männer nicht anders als Frauen behandeln und fertig ist die Laube.
Warum das einen "sensationalism"-Achievement auf deepfreeze gegeben hat, weiß ich auch nicht, aber die Kritik an der Kritik gibt es ja nun nicht erst seit gestern. Jörg Luibl von 4players darf sich bis heute die Frage anhören, ob denn das Feuer im gerade getesten Spiel auf Holz brennt.
Vainamoinen hat geschrieben:Sarkeesian kritisiert in ihrer 'Hauptserie' negative weibliche Sterotypen, womit ein Fokus verbunden ist.
Ich weiß, dass du schon oft betont hast, aber was genau soll denn die handwarme Message dieser Reihe sein? Was soll man mitnehmen? Das wir weniger Stereotypen und auch Archetypen für/von Frauen verwenden, am besten nur positive? Dass die meisten Geschichtenschreiber faul sind? Dass wirklich außergewöhnliche Spiele rar sind?
Ich finde die Idee ja grundsätzlich nicht schlecht und war am Anfang ja auch positiv gestimmt, die daraus gefolgerten Schlussfolgerungen finde ich nur abstrus. Meiner Meinung nach bräuchten wir mehr von allem und nicht weniger.
Vainamoinen hat geschrieben:
Sarkeesian möchte (vermutlich 2016) zudem eine weitere neue Reihe mit männlichen Stereotypen machen. Da freue ich mich schon auf den Kommentarbereich bei GameStar, in dem die Leute vom heutigen "wir Männer werden aber doch bitte auch durch Stereotypen diskriminiert, warum spricht sie darüber nie?!" nahtlos umschwenken dürften auf "Wie bitte, sind ihr jetzt sogar alle Männer verkehrt oder was?!". :mellow:
Wenn sie die Reihe wirklich ganz genauso aufzieht, wie die der Frauen (also auch mit Subjekt-Objekt-Dichotomie usw.) wäre das nicht schlecht, denn natürlich werden Rollenmodelle an beiden Geschlechtern festgemacht.
Ich wäre aber vielmehr für eine gemeinsame Reihe, in der sie alle Tropen im Zusammenspiel zeigt, denn nur so funktionieren sie ja letztendlich in der Geschichte auch, wenn man mal von den Urgesteinen aus dem Paläozoikum der Videospielgeschichte absieht.
Vainamoinen hat geschrieben:
Zudem müssen wir uns klar werden, welche Formen der Kritik wir als problematisch erachten. Sarkeesian stellt Thesen in den Raum, die definitiv als Diskussionsmaterial zu erachten sind. Sie klagt niemanden direkt an, lässt Namen von Designern außen vor. Wir sehen niemals einen Aufruf zum Boykott oder etwas ähnlich aktionistisches. Wir hören am Anfang jedes neuen Themas, dass uns Details niemals den Spielspaß an einem Gesamtkunstwerk verderben sollten.
Das ist das Gegenteil des omnipräsenten Problems der Geek-Kultur, denke ich persönlich.
Natürlich hast du Recht, dass immer eine Form gewahrt werden muss und das tut Anita anstandslos. Der Aktionismus entsteht in großen Teilen ja immer erst im Publikum, das sich falsch verstanden oder in einer Ansicht bestärkt fühlt und dann auf die Kacke haut. Ob das jetzt ein Teil der Geek-Kultur, der Internet-Kultur oder der Kultur-Kultur ist, kann ich nicht beurteilen. Es scheint normal zu sein, obwohl es sicher nicht normal ist.
Fakt ist, dass wenn ich das Sendebedürfnis für eine bestimmte Nachricht habe, sie auch falsch verstanden wird (mitunter mit Absicht), dass liegt einfach in der Natur unserer Kommunikation. Und je größer die Plattform ist, die ich für mich beanspruche und je größer das Publikum ist, umso extremer werden einzelne Aktionen ablaufen. Sowas sollte ich alles vorher verinnerlichen, bevor ich auf die Bühne gehe und dann auch Verantwortung zu übernehmen, für das, was ich sage. Das soll jetzt um Himmels willen nicht als Beschuldigung des Opfers verstanden werden, aber sich völlig aus der Gleichung herauszunehmen, funktioniert einfach nicht.
Vainamoinen hat geschrieben:Ich hatte das Thema nicht weiter verfolgt, nachdem realchris nicht wirklich ein Interesse daran gezeigt hat, aber dass hier "Fakten" präsentiert würden, ist schlicht ein Irrtum.
Die Existenz von Stereotypen ist nicht 'beweisbar'. Da zählt ja nicht die Anzahl der prototypischen Beispiele in Relation zum industriellen Gesamtoutput, in keinem Erzählmedium.
Die Stärke der Argumentation hängt im Wesentlichen von dem Wiedererkennungswert unter dem Publikum ab. Es geht nicht viel subjektiver. Da gibt es natürlich einige, bei denen ich sage, voll ins Schwarze, bitte weniger davon, liebe Industrie; dann gibt es einige, wo ich sage: Ja, vielleicht, aber ewig viele Beispiele fallen mir da nicht ein; und dann gibt es einige, wo ich sage, ist mir in dieser Form noch nicht untergekommen, überschneidet sich mit anderen festgelegten Stereotypen oder darf als vernachlässigbarer Randbereich gelten.
Dieses einerseits-andererseits, das ich etwa im idle-thumbs-Forum oder bei RTG habe, sehe ich bei unseren "Die Feministen/SJW machen alles kaputt"-Freunden nicht.
Du und auch ich sehen das so, meiner Meinung nach sieht Anita das aber anders, dass machen ihre Präsentationen und ihr Auftreten ziemlich deutlich. Sie sieht sich als eine Verkünderin der Wahrheit und tappt dabei oft im Dunklen. Wie gesagt, das ist mein Eindruck, ansonsten gehe ich hier voll mit dir mit.
Vainamoinen hat geschrieben:
Shard of Truth hat geschrieben:Bioware
Möchte ich bitte ganz ausklammern. EA/Bioware tut sehr viele leidlich gute Dinge aus vollkommen falschen, im Wesentlichen PR-Motiven. Siehe ihre pompösen Pressemeldungen zur Gleichberechtigung im Unternehmen, Geschwindigkeit der Freigabe weiblicher Charaktere durch die Chefetage, erster echt schwuler Charakter, erster nicht so echt schwuler Charakter, lalala. Ich nehme Bioware in dieser Diskussion schlicht nicht ernst. Bioware stolpert und torkelt durch dieses Themenfeld wie ein Kleinkind auf Wodka. Ich kenne Sarkeesians (?) Kritik nicht, hätte aber etwa an Mass Effect selbst noch einiges zu kritisieren gehabt.
Ich glaube, hier bist du etwas zu negativ eingestellt. Bioware sieht sich als eine Art Vorreiter, dass sie dann in alle möglichen und unmöglichen Richtungen preschen liegt in der Natur der Sache. Dass sich die PR-Abteilung dann natürlich darauf festbeißt, vor allem mit einem Publisher wie EA im Hintergrund, ist bei den Entwicklungskosten überhaupt nicht verwunderlich, mehr Feingefühl oder mehr "das ist doch völlig normal" wäre sicher angebracht.
Jetzt verteidige ich natürlich ein Stück weit die Methodik, die ich vorher selbst kritisiert habe, aber wie ich ebenfalls vorher geschrieben habe, brauchen wir mehr von allem und Bioware sorgt auf jeden Fall dafür, selbst wenn das Ergebnis mittlerweile leider etwas zu wünschen übrig lässt. Ich hoffe ernsthaft, dass sie irgendwann einen praktikablen Mittelweg finden, der auf den Holzhammer verzichtet.
Vainamoinen hat geschrieben:Jein. Es geht um eine Balance, einen Ausgleich, siehe letzte Seite. Das mag ja durchaus als eine Art von 'Gerechtigkeit' gelten.
Woran würdest du einen Ausgleich festmachen? Findet er nicht sogar ständig statt? Wie treibt ihn Anita deiner Meinung nach voran, denn ich seh's einfach nicht.
Vainamoinen hat geschrieben:Wir haben die Gamergate-Bewegung, weil eine ehrliche und vor allem fundiert-informierte Diskussion von einem Haufen von Spielern offenbar als tätliche persönliche Beleidigung interpretiert wird. Hierzu empfehle ich nochmals die "Why are you so angry"-Videos, insbesondere den hier verlinkten zweiten Teil. Ich denke, er erklärt dieses Empfinden recht gut.
https://www.youtube.com/watch?v=ExEHuNr ... PpvQlR4CjF
Es hat aber nicht mit einer fundiert-informierten Diskussion begonnen, sondern mit "erleuchteten" Journalisten und den "auf Anspruch pochenden" Gamern, diese ganze Sache war als Shitstorm geplant und umgesetzt, wenn man sein Publikum so runtermacht, kommt eben sowas dabei heraus. Sind deshalb die extremen Ausbrüche gerechtfertigt gewesen? Ganz sicher nicht. Dein verlinktes Video zeigt ja ziemlich deutlich auf, wie solche Gedanken im Kopf entstehen können, aber auch hier wird wieder mal gesagt, dass ja auch Anita nichts dergleichen behauptet und man selbst für diesen logischen Kurzschluss aufgrund vermeintlicher Verurteilung des eigenen Lebensstils verantwortlich ist.
Deshalb nochmal das Zitat vom Anfang dieses Threads:
https://www.youtube.com/watch?v=4ZPSrwedvsg#t=30m05s hat geschrieben:In other words, viewing media that frames women as objects or sexual playthings, profoundly impacts how real life women are perceived and treated in the world around us. And that is all without even taking into account how video games allow for the more participatory form of objectification that we've been discussing in this episode. Compounding the problem is the widespread belief that, despite all the evidence, exposure to media has no real world impact. While it may be comforting to think we all have a personal force field protecting us from outside influences, this is simply not the case.
Scholars sometimes refer to this type of denial as the "third person effect", which is the tendency for people to believe that they are personally immune to media's effects even if others may be influenced or manipulated.
Paradoxically or somewhat ironically, those who most strongly believe that media is just harmless entertainment are also the ones most likely to uncritically internalize harmful media messages.
In short, the more you think you cannot be affected, the more likely you are to be affected.
Ja, sie sagt es wirklich und nun? Vernünftige Menschen haben sowieso den Grundsatz, dass man jeden so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden will, dann erledigen sich viele Probleme von ganz allein.
Abseits davon finden ernsthafte Diskussionen oder Bemühungen diese zu starten ja nicht mal zum jetzigen Zeitpunkt statt, wo immer noch nach Bombendrohungen irgendwelche Panels abgesagt werden müssen.
Natürlich sind vor allem die lautstarken Trittbrettfahrer daran interessiert, dass dieser Zustand anhält. Die meisten Journalisten sind mit der Sache, wie mit jeder anderen Neuigkeit, irgendwie durch oder fühlen sich immer noch absolut im Recht, auf der Gegenseite sieht es nicht anders aus. Eine langsame Annährung findet nicht statt oder wird unterminiert.
Vainamoinen hat geschrieben:Oder gar keine. Gar_keine. Red Thread Games etwa operiert ohne PR, und die haben das Studio mit 1,5 Millionen Kickstarterkapital plus Staatszuschüssen aus dem Boden gestampft. Die Attraktivität loser Journalistenbekanntschaften überrascht mich da nicht (was in der Indie-Filmszene allerdings auch nicht anders sein dürfte). Ich sehe die heutige Game-Journalisten-Landschaft noch als Resultat der Anfänge in den 80ern, in denen diese Dinger reine Fanzines waren. Wenn diese Journalisten allerdings mit dem Medium erwachsen werden wollen, müssen sie mehr Distanz wahren.
Der schönste Einbezug der Geschlechterthematik in eine Rezension nützt mir nichts, wenn die Subjektivität des Journalisten durch persönliche Beziehungen beeinflusst wurde.
Nur nutzt mir auch eine ellenlange Auflistung möglicherweise korrupter Journalisten und deren größtenteils zusammenfantasierter Vergehen nichts, wenn diese ideologisch schlimmer gefärbt wurde, als es je eine Rezension eines Spielejournalisten sein könnte.
Auch hier stimme ich dir vollkommen zu, aber das Thema der Journalistenethik ist ja sowieso immer wieder ein heißes Eisen. Klar braucht man befreundete Journalisten in der Indie-Szene, mit Kontakten kommt man überall schneller weiter, und wenn beide Seiten dazu stehen, finde ich das zumindest in der Berichterstattung vollkommen in Ordnung.
Ich denke aber, dass der Wille zum Erwachsenwerden bei vielen Journalisten der Grund ist, warum dieser tiefe Spalt enstanden ist. Man will seriöser sein, man will wichtige gesellschaftlich-politische Themen behandeln und man will vor allem ein Publikum, dass diese Anstrengung auch zu würdigen weiß. Dass sich dieses Ziel nicht wirklich mit dem überproportional vorhandenen Click-Bait-Artikeln und vielen der behandelten Spielen deckt, ist eigentlich nicht weiter verwunderlich.