Als liebenswürdige Hommage an das Science-Fiction-Genre fand die Adventure-Reihe Snail Trek (Unser Test) jüngst eine große Anhängerschaft. Der US-amerikanische Entwickler Phil Fortier ruht sich aber ungern auf seinen Lorbeeren aus und werkelt stattdessen schon eifrig an einem Nachfolgeprojekt. Regelmäßig nutzt er seinen Twitter-Account, um treuen Fans exklusive Einblicke in seine Arbeitsweise zu gewähren und zugleich neueste Impressionen aus der nostalgisch anmutenden Welt von Cascadia Quest zu präsentieren. Als der AdventureJam im Sommer 2018 dann abermals zum Wettbewerb lud, trotzte Fortier vorübergehend den heißen Temperaturen und verpflichtete sich für zwei Wochen ganz dem winterlich angehauchten Titel Snowspirit. Das minimalistische Retro-Adventure wurde von seinem Publikum auf einen stolzen sechsten Platz gewählt und konnte sich auch in zusätzlichen Kategorien zu den Gewinnern zählen. Im Rahmen unseres Winter-Specials haben wir das besagte Spiel für euch getestet.
Ein drolliges weißes Wesen von dicklicher Statur und zwergenhaftem Wuchs fristet weit draußen in den Bergen ein glückliches Eremitenleben. Bloß die warmen Monate verbringt der schneeweiße Eigenbrötler stets im Sommerschlaf, da er das grelle Sonnenlicht nicht erträgt. Eines Tages jedoch zerbricht das kostbare Eiswurm-Totem, das ihm seither schöne Träume bescherte und einen geruhsamen Schlummer versprach. Ebenso plötzlich findet der pummelige Protagonist sein Bewusstsein wieder und muss mit Schrecken erkennen, erstmals zur falschen Jahreszeit erwacht zu sein. Das tragische Ausmaß der Situation zeigt sich ihm aber erst nach Verlassen seiner behaglichen Höhle: Jeglicher Schnee ist geschmolzen und die Eiswürmer, die einzige Nahrungsquelle des Leidgeplagten, sind mit ihm vom Erdboden verschwunden.
Die behelfsmäßig artikulierten, wenngleich emotional ausdrucksstarken Worte des unbenannten Geschöpfes ("So hungry!" / "Oh no! Iceworm Token broken!") definieren dieses als einen verletzlichen sowie ungemein niedlichen Hauptcharakter. Diesen begleitet der Spieler fortan auf spirituell geprägten Abenteuerreisen durch das Reich der Träume. Als Wegbereiter hierzu dienen jeweils bestimmte Fundstücke, die am Schlafplatz die Position des ursprünglichen Totems ausfüllen können und dem Protagonisten somit Zugang zu verschiedenen Traumsphären gewähren. In jenen luziden, also bewusst erlebten Traumsequenzen, kann der kleine Sommerschläfer auch auf andere Bereiche dieser fantasievollen Spielwelt Einfluss nehmen – in der stillen Hoffnung, damit das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Dabei gilt es, in Stein gemeißelte Inschriften zu befolgen, die sich im Inneren einer geheimnisvollen Kristallhöhle verbergen. Aufgrund dieser mitunter kniffligen Inventarrätsel kann sich die knapp bemessene Spieldauer durchaus auf dreißig bis vierzig Minuten erstrecken, was letztlich wohl von individuellen Faktoren abhängt.
Im Bereich der Benutzerführung wartet Snowspirit sogar mit einer kleinen Sensation auf: So kann beliebig zwischen zwei Steuerungsmodellen gewechselt werden – und dies stets inmitten des Spielgeschehens.
Letztlich wurde Snowspirit als Parser-Adventure konzipiert, das sich einmal mehr an der ausgeklügelten Technik der Snail Trek-Episoden orientiert. Die voreingestellte Variante verfügt also wieder über eine fortschrittliche Autovervollständigung, welche den Spieler bei der Formulierung seiner Anweisungen berät. Und wer sich generell rasch vertippt, dem weist die Autokorrektur beinahe unbemerkt den rechten Weg. Bevor sich der ehrgeizige Abenteurer aber bevormundet fühlt, sollte er auf den klassischen Modus umschalten, der auf derart neumodischen Komfort verzichtet.
Als Alternative zur Sierra-Nostalgie fungiert hingegen ein halbtransparentes SCUMM-Interface, wie es zuletzt in ähnlicher Weise bei Thimbleweed Park zu sehen war. Bei Snowspirit befindet sich die Inventar- und Befehlsleiste jedoch am oberen Bildschirmrand und kann dort nach Wunsch fixiert oder automatisch ein- und ausgeblendet werden. Die Maus übernimmt nun die Kontrolle, die Tastatur quittiert ihren Dienst. Dennoch entsprechen die neun vorhandenen Verben den Gepflogenheiten eines Parser-Adventures: Attach, Open, Throw, Climb, Pull, Eat, Examine, Pick up, Use. Bei mangelnden Englischkenntnissen dürfte diese Point-and-Click-Steuerung das Spielerlebnis erheblich erleichtern, zumal keine deutsche Übersetzung vorliegt.
Trotz ihrer Ähnlichkeit zum antiquierten CGA der frühen King‘s Quest- oder Space-Quest-Titel ist den Szenenbildern von Snowspirit weitaus mehr Anmut vergönnt. Feinheiten sind deutlich besser ausgearbeitet, als es sich zu Sierra-Urzeiten verwirklichen ließ. Darüber hinaus fügen sich moderne Effekte, wie etwa das Licht des gleißenden Sonnenscheins oder ein Fluss aus brodelnder Lava, wunderbar in das atmosphärische Gesamtpaket ein. Das musikalische Flair entfaltet sich durch klassische Melodien, die von mystischen und indianischen Klängen zeugen und eine beachtliche, teils unheimliche Stimmung vermitteln.
Optisch erinnert der beliebte AdventureJam-Beitrag vollends an die Snail Trek-Saga, inhaltlich wagt sich Berufsnostalgiker Phil Fortier mit Snowspirit hingegen in neue Gefilde vor. Als kleiner Snack für zwischendurch ist die interaktive Kurzgeschichte beinahe schwer verdaulich – allerdings nicht weniger interessant. Allein schon sein mystisch-spirituelles Flair hebt das Spiel im charmanten EGA-Gewand positiv aus der Masse der Freeware-Adventures hervor.
Auch das jüngste Werk von Phil Fortier besticht durch hübsche Retro-Grafik und kreative Ideen. Mit mystischen Traumreisen sowie einer frei wählbaren Steuerung weist es zudem ungewohnte Facetten auf, die mich besonders beeindruckt haben.
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