John Sinclairs Kurzgeschichten 5

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John Sinclair
Süßwasserpirat
Süßwasserpirat
Beiträge: 251
Registriert: 08.12.2003, 15:56

John Sinclairs Kurzgeschichten 5

Beitrag von John Sinclair »

Zum Vatertag ne kleine Geschichte gefällig? Vorsicht, diese Geschichte ist nichts für zartbeseitete.

Willenlos

Mit einem lauten Krachen fiel das Tor aus Eisen ins Schloss. Ich zuckte zusammen, denn nun war dies für immer mein Zuhause. Langsam drehte ich mich zu den Gitterstäben um und sah noch das Gesicht des Wärters. Ein Blick in seine Augen zeigte mir, wie sehr er mich verachtete. Er zog den Schlüssel aus dem Schloss und wendete sich dem Gang zu. Schnell verschwand er aus meinem Blickfeld, seine sich entfernenden Schritte wurden immer leiser. Ich war nun alleine, alles was mir blieb war eine Liege, ein alter Stuhl, ein Klo und ein Waschbecken über dem ein Spiegel hing. Hier in diesem Loch sollte ich nun den Rest meines Lebens verbringen.
Wie konnte es nur so weit kommen? Wieso war ich nur aus meinem geregelten Leben mit Frau und Kind ausgebrochen? Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf, die Antworten wusste ich, aber ich hätte sie am liebsten verdrängt.

Ich sah noch immer meiner Tochter vor mir stehen, wie sie sagte: „Daddy, ich hab dich doch lieb.“ Worte die sich tief in mein Hirn gefressen hatten und die ich so schnell nicht vergessen würde. Das letzte an das ich mich erinnern konnte, war wie meine Hand mit dem Messer nach vorne schnellte und im Körper meiner Tochter verschwand. Ein Schwall von Blut lief aus ihrem Mund und ihre Augen zeigten, dass sie nicht verstand, was hier geschah. Mit einem leisen ächzen, brach sie vor mir zusammen. Zurück blieb ich mit einem blutverschmierten Messer, mit dem mich meine Frau vorfand. Sofort rief sie die Polizei, die mich noch an Ort und Stelle festnahm. Alle Fakten sprachen gegen mich. So kam es zum Prozess, bei dem ich zu dieser Lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war.

Noch immer konnte ich mir meine Tat nicht erklären. Von einem Moment auf den anderen war ich zum Killer geworden. Da waren die Stimmen in meinem Kopf die mich zwangen einem Menschen das Leben zu nehmen. Ich wollte es nicht, doch ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Niemand wollte mir glauben. Alle hielten mich für einen Killer, dem es Spaß machte zu Töten. Es wurde selbst ein Psychiater hinzu gerufen, der mich für voll schuldfähig befand.

Es war vorbei. Ich würde nie wieder in mein normales Leben zurückkehren können, in dem ich alles hatte. Wer wohl jetzt die Leitung der Firma übernehmen würde? Mühsam hatte ich sie in den letzten Jahren aufgebaut. Ich war der Leiter einer der wichtigsten Werbeagenturen des Landes. Nun würden die Aufträge bestimmt zurückgehen, denn die Zeitungen hatten sich wie wilde Tiere auf die Story gestürzt. Wer will denn schon mit der Firma eines Mörders zusammenarbeiten? Viele Mitarbeiter würden durch die drohende Pleite ihren Job verlieren und alles nur weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte.

Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste mich, ich musste mich hinlegen. Die Pritsche war hart und es gab nur eine dünne Decke. Es würde kalt werden in der Nacht, denn hier wurde nicht so gut geheizt wie in einem Hotel. Wer in diesem Teil des Gefängnisses saß, der hatte so gut wie verloren. Den Wärtern war es egal, wie es den Gefangenen erging. Mich hätte es nicht gewundert, wenn man im Winter jemanden Tod aus der Zelle geschleppt hätte, der jämmerlich erfroren war. Der Öffentlichkeit war dies egal, denn was mit einem Mörder geschah interessierte keinen mehr. Offiziell würde es wahrscheinlich dann heißen, man hätte sich in seiner Zelle erhängt. Ich versuchte diese trüben Gedanken zu verdrängen und schloss meine Augen, doch auch so sollte ich keine Ruhe finden.

„Daddy, warum hast du das getan. Ich habe dich doch lieb.“ Ich riss die Augen wieder auf. Meine Zelle war weiterhin leer und doch hatte ich diese Stimme gehört. Jetzt war ich grade mal eine halbe Stunde in diesem Loch und wurde schon wahnsinnig. Ich drehte mich auch den Bauch und drückte meinen Kopf in das Kissen. Starke Kopfschmerzen peinigten mich und schienen meinen Schädel zu zerstören. „Mein Daddy hat mich nicht mehr lieb. Daddy ist böse.“ Ich wollte schreien. Die Stimme meiner Tochter dröhnte in meinem Kopf. Das war doch keine Einbildung, ich hatte sie ganz deutlich gehört. Ich drehte mich wieder auf den Rücken und schaute gegen die Decke. Das Licht der Lampe spendete ein kaltes Licht, sie ließ die Zelle noch ungemütlicher wirken.

„Hast du sie gehört. Sie ist hier bei mir und du hast sie mir gebracht. Dafür danke ich dir.“
Diesmal klang die Stimme anderes. Es war dieselbe Stimme, die ich damals gehört hatte, als ich meine schreckliche Tat begangen hatte. Ich versuchte ihr zu antworten und flüsterte leise vor mich hin.
„Wer bist du? Was willst du von mir?“
Ich hatte mit keiner Antwort gerechnet, doch das Gegenteil geschah.
„Ich bin dein Schicksal. Du gehörst mir und du wirst alles in meinem Namen tun.“
„Nein, ich will nicht. Du kannst mich nicht zwingen.“
„Kann ich das nicht? Und wie war das bei deiner Tochter. Hat es dir keinen Spaß gemacht, ihr das Messer in den Bauch zu rammen? Hat dich dieser Anblick nicht erregt?“
„Ich wollte es nicht. Du bist es doch gewesen, der mich zu dieser Tat gezwungen hat. Ich hätte es doch nie fertig gebracht.“

Ich erhielt keine Antwort mehr. Dafür meldete sich eine Stimme aus der Zelle neben mir. Ich hatte wohl zu laut gesprochen und es war dem Kerl nebenan aufgefallen.
„Hey Kumpel, ist bei dir noch alles klar?“
„Halt die Klappe, ich will meine Ruhe.“
„So solltest du nicht mit mir sprechen. Irre wie dich mögen wir hier nicht, die werden hier nicht alt. Freue dich schon auf die Dusche morgen früh.“
Ein hässliches Lachen schalte mir entgegen. In was für einer Hölle war ich da nur gelandet.
Die Stimme in meinem Kopf meldete sich wieder.

„Gib es zu, du denkst daran ihn zu töten. Ich spüre es. Du würdest ihn am liebsten mit deinem bloßen Händen erwürgen.“
„Hör auf.“
„Ich kann es dich tun lassen, wenn du willst. Es ist ganz einfach. Du musst dich nur konzentrieren.“
„Nein, ich will nicht.“ Ich wollte wirklich nicht, aber meine Gedanken wurden gezwungen an den Tod des Mannes zu denken. Ich stellte mir vor wie meine Hände sich um seinen Hals legten und fest zudrückten. Irgendwie war es ein schönes Gefühl, je mehr ich darüber nachdachte. Da vernahm ich das röcheln aus der anderen Zelle. „Verdammt! Was….? Keine Luft.“ In meinen Gedanken drückte ich noch fester zu, so lange bis aus der Nachbarzelle nichts mehr zu hören war. Ich stand auf und schritt an die Zellentür heran um einen Blick in die andere Zelle zu werfen. Es war kaum etwas zu erkennen und doch entdeckte ich die Hand die halb aus der anderen Zelle heraushing und sich nicht mehr bewegte.

Oh Gott, was hatte ich wieder getan. Das war nicht mehr normal. Schon wieder war ich gezwungen worden, einen Menschen zu töten und diesmal allein durch die Kraft meiner Gedanken.
„Hat es dir gefallen? Gebe es zu, es war wie einer Erlösung für dich.“
„Ich will das alles nicht. Warum tust du mir das an? Jetzt sag mir endlich, wer du bist?“
„Ich bin du.“
„Das verstehe ich nicht. Was soll das heißen?“
„Ich bin der kranke Teil deines Geistes, den du nicht mehr unterdrücken kannst. Er steckt in jedem Menschen. Meist schafft es die gute Seite ihn zu unterdrücken, aber bei dir habe ich die Macht übernommen. Ich kann dir meinen Willen aufzwingen.“
Ich begann zu begreifen. Mein Geist hatte sich in zwei Persönlichkeiten aufgespaltet. Von der ich eine nicht mehr unter Kontrolle hatte. Und diese hatte sogar die Macht allein durch meine Gedanken zu töten. Vielmehr sie hatte ein Eigenleben entwickelt.
„Jetzt fragst du dich bestimmt, wie die Stimme deiner Tochter in deinem Kopf kommen konnte. Ich werde es dir verraten. Sie sind alle hier in dir. Alle die du getötet hast, sind hier. Du hast ihre Seelen aufgenommen und sie werden dich ein Leben lang verfolgen.“
„Warum quälst du mich so?“
„Ich will die alleinige Macht über deinen Körper. Es ist keine Platz mehr für deine gute Seite.“

Ich musste etwas tun. So durfte es nicht mehr weitergehen. Ich hob den Stuhl, der in der Nähe stand an und zerstörte den Spiegel damit. Es gab nur eine Möglichkeit, mein böses Ich zu stoppen. Ich musste meinem eigenen Leben ein Ende setzten. Ein großes Scherbenstück lag vor mir auf dem Boden. Ich griff es mir und legte meine Handflächen frei.
„Was tust du da. Lass das. Ich werde das nicht zulassen.“
Meine rechte Hand zitterte und schien sich dagegen zu wehren. Die andere Seite war stark. Doch ich musste noch einmal stärker sein und konzentrierte mich ein letztes Mal. Mit einem gezielten Schnitt öffnete ich mir die Pulsadern. Das Blut schoss hervor. Die Schmerzen unterdrückte ich. Hoffentlich hatte es schnell ein Ende.
„Das wird mich auch nicht aufhalten.“
Ich ignorierte die Stimme und sackte wieder auf der Liege zusammen. Je mehr Minuten vergingen, desto schwächer wurde ich. Viel Blut war schon auf den Boden getropft. Schwarze Flecken bildeten sich vor meinen Augen. Das letzte was ich vernahm, war die Stimme meiner Tochter. „Was hast du getan, Daddy. Verlass uns nicht.“

Als der Wärter den Zellentrakt wieder betrat, traute er seinen Augen nicht. Der neue Insasse hatte sich das Leben genommen. Es war ein schreckliches Bild. Überall auf dem Boden hatte sich das Blut verteilt. Er wollte schon heraus rennen, um seinen Vorgesetzen Bescheid zu geben, als ihm auch der zweite Tote, in der anderen Zelle auffiel. Was mochte sich hier in der letzten Stunde abgespielt haben? Der Wärter konnte nur mit dem Kopf schütteln, so sehr geschockt war er. Plötzlich durchwanderte seinen Körper ein warmes Kribbeln. Es war ein Gefühl wie er es noch nie hatte. Da vernahm er die Stimme in seinem Kopf. „Hallo mein Freund, wir werden sehr viel Spass miteinander haben."
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Sukram
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Beitrag von Sukram »

Sag mal ... hast du das frei erdacht oder aus einem Film übernommen? Mir ist nämlich, als hätte ich etwas Ähnliches schon im Fernsehen gesehen.

Ansonsten finde ich die Geschichte sehr gut, dein Schreibstil gefällt mir. Der langsame innere Zerfall ist packend beschrieben, so baut man gute Spannung auf. Aus dir wird mal ein Schreiberling, glaube ich. ;)
Zwischen machbar und möglich liegen Welten.
John Sinclair
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Frei erdacht

Beitrag von John Sinclair »

Naja, eigentlich frei erdacht. Aber viele unsere Ideen stammen unterbewusst bestimmt schon aus Dingen die wir mal gesehen haben.

Allerdings kenne ich keinen Film mit der Handlung.[/i]
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Rech
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Beitrag von Rech »

Das mit der Spaltung und dem Töten des guten Ichs um das Böse zu töten könnte zum Beispiel aus "Fight CLub" sein.

Ales in Allem gefällt mir diese Geschichte hier besser als die Vampirstory, deswegen :
Daumen mittelsellung -!-
"Der Unterschied zwischen einem Verrückten und mir ist der, dass ich nicht verrückt bin."
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