Hab ich mich verhört oder wurde hier mehfach nach der weis(s)en alten Frau gerufen? Ihr wollt zeitgeschichtliches zum Thema Tattoos hören? Also Hugh.
Teilen wir es mal aus meiner persönlichen Sicht in Wellen ein, die ich halbwegs beurteilen kann:
20. Jahrhundert:
1970-75: Nur Engländer, Seeleute und Knastis und Prostituierte lassen sich freiwillig was auf den Pelz malen, ausnahmsweise "pikern" auch mal Jugendliche am Baggersee selbst mit drei Nadeln, die sie zusammenbinden, und schwarzer Tinte an ihrem Fell rum und finden sich cool. Voll Angesagte, zumeist männliche Verwirrte, "pikern" sich drei Punkte zwischen Daumen und Zeigefinger, in der Konstellation eines Dreiecks. (Knastabzeichen) Beliebt sind mangels Kreativität auch Anker, Herz und Grabsteine sowie Namen der jeweiligen Herzliebsten und angesagte Schülerkritzeleien wie "das Pillhuhn" oder putzige Raupen mit Regenschirmen, sowie "Love&Peace". Meist vergeht den dergleich "Verzierten" das künstliche "harter Underdog"- Gefühl extrem schnell, spätestens wenn sie beim ersten Bewerbungsgespräch gefragt werden, ob sie im Knast waren.
1976-85: Tätowierungen werden in Punk- und Wave- Szenekreisen erstmals "en vogue". Dabei kommt es aber auf eine möglischst krasse Aussage an. Da tätowiert sich auch schon mal jemand am Hals oder auf den Händen, also auf Stellen, die vor dem Establishment nicht zu verbergen sind. Da steht dann schon mal "Hass" auf dem Hals oder "Love" bzw. "Hate" auf die Finger verteilt, so dass man es schön lesen kann, wenn man die Fäuste ballt. Mancher rasiert sich den Schädel und tätowiert ganze Botschaften, was allerdings erst in 20 Jahren richtig mutig sein wird.
Gern werden auch Bekenntnisse zu Bands tätowiert, die man ewig gut zu finden glaubt, sowie niedliche Phantasy-Vorlagen, Drachen etc. Die Tätowiertechnik und die Vorlagen sind zumeist immer noch grob und nach wenigen Jahren verlaufen die Konturen und die Striche , sie werden dick und konturlos wie viele der Tätowierten selbst auch.
1985-97
Die Szene entwickelt sich, Bands wie "Red Hot Chilly Peppers" machen Maori-Tattoos, sprich sowas wie Arschkrampen - Vorlagen angesagt.
Es entwickelt sich ein "Stadtindianergefühl", eine Art moderner Punk-Hippie, und wirklich gesellschaftlich negiert sind Tätowierte allmählich nicht mehr. Es konkurrieren vornehmlich die nach wie vor beliebten Fantasy-Motive, Sternzeichenumwandlungen, Keltenorientierten Motive sowie Liebesmotive und die mittlerweile sogenannten "Tribals", also die Maori-Tatauierungen um die Gunst des Hautbilder-Freunds. Je nach Szene schmückt man sich damit zunehmend unbelasteter von der Frage, wie man das in 20 Jahren an sich wohl finden mag. Mittlerweile gibt es sogar kosmetische Tattoos in Biofarben, die von selbst verblassen und die nur dazu dienen, beispielsweise einen dauerhaften Eyeliner zu simulieren.
Tätowieren lassen sich mittlerweile Angehörige fast aller Kreise.
Die Maschinen sind besser und die Nadeln dünner geworden, die Farben halten länger, eigentlich sollte nun die Verzierung von der Oma bis zum Kleinkind folgen. Die Tattooshops vermehren sich immerhin pestilenzartig genug. Die Tattoo-Konturen zerfliessen immer noch nach spätestens 5 Jahren. Beliebt ist es auch, sich erst ein Winz-Tattoo machen zu lassen (Anfängertattoo, um dann munter drüber und drüber immer grössere Sachen machen zu lassen, damit man irgendwie ernster genommen wird.)
20. bis 21. Jahrhundert:
1997 -2004
Weitere interessante Möglichkeiten, den Körper zu verzieren kommen auf: Erst Branding, was den meisten zu schmerzhaft ist,
aber dann Piercing. Selbstverständlich wird noch weiter gestichelt, aber viele konzentrieren sich doch zunehmend lieber auf die zumeist reversiblen Piercings, parallel hält einzig die "Arschkrampe" tapfer ihren Platz in der Girlie-Beliebtheitsskala unverzichtbarer Dauer-Makeups. Die Lasertechnologie ist mittlerweile ganz gut, insofern macht es nix, dass Tattoos nach wie vor kaum länger als 5 Jahre gut aussehen.
Unzweifelhaft wird bald ein neuer Boom neuartiger Tattoos folgen, der sogar Angela Merkel nicht mehr kalt lassen kann. ^^
ps: An meine Haut lass ich nur Wasser und CD
Tätowierte Männer können manchmal (mit frischem Tattoo) trotzdem ganz niedlich aussehen...