In der Fanfiktion-Szene ist Kanon ein Begriff für die Unantastbarkeit gewisser Weltenelemente. So wäre Dagobert Duck der geizigste und reichste Mann von Entenhausen, der nur sein Geld liebt und ganz besonders seinen Glückstaler, den er unter einer Glasglocke hortet und der immer von der Hexe Gundel geklaut werden will. Das wäre Kanon, das heißt, Dagobert trägt immer seinen roten Rock, seine Gamaschen, seinen Zylinder und seinen Stock, er besitzt das größte Geldreservoir der Welt, das immer die Panzerknacker rauben wollen usw.
Würde ich seine Eigenschaften grundlegend ändern, - sein Verhalten, seine Lebenssituation -, würde ich zwar den Namen beibehalten (ich spräche also noch immer von DEM Dagobert), aber er hätte den Kanon verlassen. Verheirate ich ihn, dichte ihm fünf Kinder an, verpasse ihm eine lockige Mähne und würde er der ärmste Mensch Entenhausens sein, so entspricht er nicht mehr dem „Original“.
Wer was zu tun hat und was jedem zu tun oder zu sein erlaubt ist, wird von der Fangemeinde scharf beäugt. Das lässt sich besonders bei Star Trek und Star Wars feststellen, und ebenfalls bei allen Superhelden, die ja extrem individualistische Züge besitzen, obwohl sie ansonsten alle gleich aussehen.
Ein so festgelegte Figur kann natürlich nur so agieren, wie es dem Kanon entspricht. Ein Spiel, das auf solchen Figuren aufgebaut ist, dürfte den Kanon nicht antasten. Das erlaubt zwar reichlich neue Abenteuer, die aber immer ähnlich gestrickt wären, weil die Verhaltensmuster der Charaktere ja festgelegt sind. So wie Edna sich auf bestimmte Weise verhält, oder Rufus, oder Simon, oder April, verlässt auch ein Dagobert nicht seine Schiene. Es ist wie mit jeder Figur der Weltliteratur: In der Fanfiktion wird aus Harry Potter gerne mal ein anderer gestrickt, der z.B. mit Draco Malfoy schläft, der Sohn von Dumbledore ist oder andere Wesenszüge besitzt. Dadurch verlässt er den Kanon von Frau Rowling, und einige Autoren verbitten sich sogar solche Verfremdungen.
Und ja, Barks war der Erfinder von Dagobert und Daniel Düsentrieb und einigen anderen. Soweit ich weiß, existierten außer Mickey nur Donald und Daisy. Er hätte gewissermaßen die Schöpfungsrechte an ihnen. Da er aber für Disney gearbeitet hat, entstand das leidige Dilemma, was immer geschieht (in jeder Firma, in jeder Agentur): Disney trägt sich als Urheber ein.
Und ja, alle nachfolgenden „Remakes“ und Nacherzählungen verändern immer den Kanon. Immer fließen die Vorstellungen und Anschauungen von Regisseuren, Dichtern und Produzenten ein. Nicht nur, dass der Transfer in ein anderes Medium auch andere Prioritäten erfordert, so werden Geschichte und Figuren, Welt und Idee gerne ziemlich umgekrempelt, so dass oft nur der Titel übrigbleibt. Da Menschen nicht besonders gut im exakten Vergleichen sind, sondern mit Assoziationen und Triggern arbeiten, wird es den meisten nicht mal bewusst. Diejenigen, die nur am Rande mal was von Troja, Napoleon oder Tarzan haben läuten hören, nehmen jede Geschichte für bare Münze, so sie nur plausibel genug wirkt. In bestimmten Bereichen passt die Fangemeinde höllisch auf (oder die Autoren selbst), so dass jede Abweichung sofort missbilligt wird - aber trotz schriftlicher Niederschrift (die es ja eigentlich fixieren sollte) ist es noch genauso wie vor 4000 Jahren: jede Weitererzählung ändert die Geschichte... Man geht über „Fakten“ einfach hinweg...
