Ich vermute, dass Putin geglaubt hat, eine Gelegenheit ergreifen zu können, dabei aber zahlreiche Faktoren unterschätzt hat. Die Gelegenheit ergab sich weltpolitisch zum Teil aus der Schwächung Europas (z.B. Brexit, Kanzlerwechsel BRD, wenig Militärkraft), zum Teil aus Bidens Wort, dass er in der Ukraine nicht intervenieren würde. Entsprechend dachte Putin da wohl an eine Art Blitzkrieg im Stil der Krim-Annexion. Völlig unterschätzt hat er dabei aber den Widerstand des ukrainischen Militärs und Volkes, die Probleme innherhalb seiner eigenen Truppen (vor allem diejenigen, die nördlich der Ukraine stationiert waren und sind) und die Kommunikationsmöglichkeiten über soziale Medien. Mein Laienverstand sagt mir dabei, dass er in der Tat Opfer der eigenen Propaganda geworden ist. Wer sich nur mit Speichelleckern umgibt, die einem erzählen, was man hören will, hat irgendwann das Nachsehen.Hans hat geschrieben: ↑03.03.2022, 15:28 Wichtig: Damit will ich nicht ausdrücken, dass ich den Einmarsch in irgendeiner Form gutheiße oder auch nur rechtfertige - ich kann nur irgendwie nicht glauben, dass Russland da völlig dilettantisch reinstolpert, ohne eine (in deren Augen sinnvolle) Strategie zu verfolgen.
Putins "On the Historical Unity of Russians and Ukrainians" ist bestenfalls Geschichtsklitterung, aber ich nehme schon an, dass ein Teil davon - zusammen mit geostrategischen Erwägungen (Stichwort: Sicherheitszone ggü. Nato) - seinem Weltbild entspricht. Also dass er wirklich davon überzeugt ist, dass Russland, Belarus und die Ukraine ursprünglich zusammengehören und wieder zusammengeführt werden sollten.
Die nationalistischen Strömungen in der Ukraine (z.B. Swoboda), die durchaus eine Rolle während des Euromaidan gespielt haben, verallgemeinert Putin nun als Feindbild, das die Ukraine unterwandert habe. Was bei einem Präsidenten mit jüdischem Familienhintergrund (Selenskyj) natürlich doppelt zynisch ist. Ich glaube auch, dass Putin sich schwer tut, demokratische Prozesse zu verstehen. Alles, was vom Volk ausgeht, interpretiert er als westliche Intervention.
Was kritischen Journalismus anbetrifft, hat mir ein Freund "Die Wahrheit ist der Feind" von Golineh Atai empfohlen. Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass es generell an kritischem Journalismus fehlt. Die machen IMHO (mit Einschränkungen) einen tollen Job. Aber die Angaben zu Abschusszahlen, etc. sind natürlich kaum nachprüfbar von unabhängigen Stellen.