Grafik Wie man es von einem 5 Jahre alten 2D-Point&Click-Adventure erwarten kann. Nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber noch längst nicht veraltet und steht (auch was das den künstlerischen Eindruck und das Lighting angeht) nur wenig hinter aktuellen Adventuregrafik-Referenzen wie Syberia zurück. Die Auflösung ist mit 640x480 noch durchaus annehmbar. Für einen Eindruck hier mal ein Screenshot in der Originalauflösung. Zwischen den 12 Kapiteln sehr gut gemachte Videosequenzen, welche die Geschichte illustrieren.

Vertonung Die Qualität der deutschen Vertonung ist beispielhaft und trägt ganz wesentlich zur Atmosphäre des Spiels bei. Höhepunkt gegen Schluß: Der legendäre Hans Paetsch, Held unzähliger Europa-Märchenplatten, in einer seiner letzten Sprechrollen. Allein diese Sprechsequenz lohnt schon das Geld. Ähnliches gilt für die Musik: Wäre das Attribut "filmreif" nicht schon so abgedroschen, hier müßte es angebracht werden. Eine Art klassischer Score, der hervorragend den epischen Charakter dieses Spiels untermalt und stellenweise selbst einem David Lean-Film gut zu Gesicht stehen würde. Die Hintergrundgeräusche stehen ebenfalls nicht zurück. Besonders zu Beginn fand ich es beeindruckend, wie subtil die Geräusche der Stadt rüberkamen. Ähnlich gutes liest man auch über die Vertonung der englischen Version.
Gameplay "The Longest Journey" spielt sich als 2D-Point'n'Klick-Spiel intuitiv, sehr ähnlich wie zuletzt erschienene Vertreter des Subgenres. Steuerung, Inventoryhandling, Itemkombinantion, speichern, laden: Alles so, wie es sein soll. Die Rätseldichte ist höher als z.B. bei Syberia, auch sind die Rätsel oft deutlich schwerer als dort, zuweilen etwas zu abgedreht (das Rätsel mit der Gummiente ist das bekannteste Beispiel dafür). Die Dialoge (und davon gibt es sehr, sehr viele!) sind oft sehr ausführlich. Angesichts der Qualität der Vertonung ist das natürlich alles andere als ein Manko, wer allerdings z.B. bei "The Moment of Silence" mit den Füßen scharrt, wird diesem Spiel auch nicht viel abgewinnen können. Ein weiterer Punkt: Der Name des Spiels paßt nicht nur in Bezug auf seinen Inhalt, es ist auch noch exorbitant lang. Seine Linearität teilt es mit vielen anderen Adventures. Pixelhunting gibt es zuweilen auch, aber seien wir mal ehrlich: Ganz ohne Pixelhunting in einem Adventure fehlt auch was.
Atmosphäre Mit einem Wort: Herausragend. Dazu tragen viele der schon genannten Eigenschaften bei, hinzu kommt eine ausgedehnte, an Details und Charakteren fast schon überbordende Spielwelt sowie die Stärke und psychologischen Eigenarten der Charaktere, ganz besonders der Protagonistin April Ryan deren Charme man sich kaum entziehen kann. Bis heute eines der wenigen Spiele überhaupt, bei denen eine ernstzunehmende Charakterentwicklung der Protagonisten stattfindet. Was die Locations angeht: von der Metropole mit ihrem eigenartigen, jahrhundertealten Kanalsystem bis hin zur einsamen Insel mit seinem seltsamen Kommunikationssystem, alles kommt mit vielen kleinen Details sehr überzeugend und stimmig rüber.
Fazit Mit "The Longest Journey" erschuf die norwegische Spieleschmiede Funcom um Ragnar Thornquist, die vorher praktisch nur Daddel- und Rennspiele hergestellt hatte, aus dem Stand nichts weniger als eines der besten Adventures aller Zeiten, ohne Zweifel heute schon ein Klassiker. Sein Einfluß auf eine nachwachsende, sich von einstigen US-Genregrößen wie Sierra und LucasArts langsam emazipierende Generation von Adventure-Designern ist kaum zu überschätzen. Dieses Spiel zeigte zum ersten Mal, daß hervorragende Adventures auch von anderen kommen können. Sein Tempo ist langsamer, sein Ton leiser, manchmal melancholisch, und sein Humor subtiler und nicht so dominant wie bei den meisten Sierra- oder LA-Spielen. Dafür ist es (trotz seines vordergründigen Fantasy-SF-Settings) in seiner Aussage und seinen psychologischen Komponenten "erwachsener" und im besten Sinne "europäisch" und in seinem Charme und seiner Wärme einfach umwerfend.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit es Funcom gelingt, das spezielle Feeling dieses einzigartigen Spiels in dem Ende 2005 erscheinenden Sequel "Dreamfall" (das allem Anschein nach kein reines Adventure wird) wieder aufleben zu lassen. Zwischenzeitlich wäre eigentlich eine Neuauflage von "The Longest Journey" als Special Edition auf einer DVD (anstatt wie original auf vier CDs) angebracht.