realchris hat geschrieben:Dass Moral ein anerzogenes Gefühl ist, ist auch meine Auffasung. David Hume hat eine Moral konstruiert, die völlig ohne Gott oder andere ünernatürliche Entitäten auskommt. Das Gewissen ist übrigens auch eine Erfindung des Menschen. In der Antike kannte man kein Wort dafür.
Auch die Griechen werden wohl das Gefühl gekannt haben, sich "falsch verhalten zu haben". Ob man das nun Gewissen oder wie auch immer nennt, ist doch gleichtgültig. Oder ob man's eben gar nicht benennt.
realchris hat geschrieben:Politische Theorien gehen aber immer von einem Menschenbild aus und konstruieren dann logisch ein Systen. Da hat Gefühl nichts zu suchen. Besonders in der Philosophie, außer bei den Franzosen momentan, hat das Gefühl, zu mindest beim Mainstream, nichts zu suchen bzw. werden sie problematisiert. Gerade beim Erstellen von Systemen brauchst Du Vernunft.
Auf Grundlage eines Menschenbildes ein logisches System zu schaffen ist doch kein Problem. Aber das Menschenbild selbst logisch zu begründen, ist schon etwas schwieriger.
realchris hat geschrieben:Für mich gibt es z.B. keinen Gott, keine unsterbliche Seele oder ein Leben nach dem Tod.
Für mich auch nicht.
realchris hat geschrieben:Ein politisches System kann so nur über den Nutzen definiert werden und diesen kann man sogar in Zahlen ausdrücken.
Was bedeutet Nutzen? Angenommen man hat ein politisches System, in dem gesellschaftliche Konflikte auf friedliche Art gelöst werden können. Da muss man aber auch fragen: Wieso sollte man Konflikte auf friedliche Art lösen wollen? Dem liegt doch wieder eine gewisse Weltanschauung zu Grunde.
Oder auf die Demokratie bezogen: Demokratie soll u.a. Unterdrückung des Volkes durch einen Herrscher verhindern. Aber auch Absolutistische Herrschaftsformen und Diktaturen haben "Vorteile" gegenüber Demokratien. Welche man bevorzugt, ist wiederum von der Weltanschauung und vom Menschenbild abhängig. Wenn man also als (gemeinsame) Grundlage eine Weltanschauung hat, kann man damit vernünftige Konstrukte aufbauen, die z.B. innerhalb einer Gesellschaft allgemein akzeptiert sind und jedem vernünftig erscheinen. Aber für jemanden mit einer grundlegend anderen Weltanschauung muss das nicht zwingend vernünftig erscheinen. Wenn man dagegen ein auf der Weltanschauung basierendes Ziel hat - z.B. Gleichberechtigung - kann man sagen: Das und das ist vernünftig, da es dem Erreichen des Ziels dient.
realchris hat geschrieben:Einen Gott oder eine Moral oder ein das soll so sein ist dagegen nicht belegbar.
Da stimme ich zu.
realchris hat geschrieben:In der Philosophie entscheidet man nach dem Wissen und nicht nach dem Gefühl. Zumindest hofft man das immer zu tun und strebt es an. Glauben und Gefühl sind auch zwei unterschiedliche Kategorien. Du kannst durch Vernunft, Erfahrung sowie durch ein anerzogenes Gefühl glauben. Bei den ersten beiden Gründen weißt Du wenigstens warum Du glaubst. Die letztere Art ist zutiefst unvernünftig. Bei der Vernunft kommst Du durch überlegung zu Deinem Glauben. Bei der Erfahrung durch Wahrscheinlichkeit und beim Gefühl einfach so.
Ich habe nie etwas andere behauptet. Mir geht's darum: Wenn ich zwei Handlungsalternativen habe, entscheide ich nicht zwangsläufig nach Vernunft. Ich kann nach Gefühl entscheiden oder nach Vernunft, die ich aber letztlich auf meiner Weltanschauung konstruiert habe. Und eine bestimmte Weltanschauung habe ich nicht, weil diese doch so vernünftig ist, sondern weil ich sie im Laufe der Erziehung internalisiert habe (unter Weltanschauung fasse ich die Werte, das Menschenbild, etc. zusammen). Auf Grundlage dieser Weltanschauung gehe ich und entscheide: Das und das ist vernünftig.
Angenommen, ich bin Fabrikbesitzer im 19. Jhd.: Ich kann entweder meine Arbeiter ausbeuten und damit einen enormen Gewinn machen oder die Arbeiter (ohne Zwang) angemessen bezahlen lassen. Angenommen, die Arbeiter haben keine Möglichkeit, meinen Wohlstand zu gefährden, wenn ich sie ausbeute, wäre Ausbeutung doch die vernünftigere Lösung? Sind die Arbeiter aber bereit und haben die Möglichkeit, eine Revolution anzuzetteln, die erfolgreich sein könnte, wäre es vernünftig, sie besser zu bezahlen.
Aber warum sollte ich mich in dieser Situation nicht unvernünftig verhalten? Also die Arbeiter besser bezahlen, obwohl sie keine Möglichkeit hätten, meinen Wohlstand zu gefährden? Wobei es wohl schon so ist, dass die breite Masse der Fabrikbesitzer sich vernünftig (nach der oben beschriebenen Weise) Verhalten würde.
Du hattest die Frage ob ein Behinderter oder Arbeitsloser nützlich sind. Wenn Du nur nach dem Nutzen für die Allgemeinheit fragst, nicht. Der Begriff Nutzen ist immer etwas kühl gerechnetes.
Du könntest aber sagen, dass er Menschenrechte bzw. Menschenwürde hat. Aber Menschen würde und Menschenrechte sind auch wieder etwas künstliches.
realchris hat geschrieben:Sagen wir, dass der Mensch, zumindest in der Mehrheit, alles Menschenleben schützt, da er sich selbst in dem anderen erkennt. Also durch Empathie. So funktioniert z.B. das Gesetz. Die Menschen halten sich nur daran, weil es ihnen nützt und weil es andere auch müssen. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, ungestraft etwas böses zu tun, wird eine Mehrheit das tun. Da bin ich mir sicher. Bei Schwerverbrechern funktioniert z.B. die Empathie nicht.
Was ist böse? Das ist doch wohl auch wieder etwas hoch Künstliches, meinst du nicht? Ich würde sagen: Der Mensch will das beste für sich selbst oder für die Gruppe, in der er lebt. Die Gruppe kann aber durchaus auch groß sein, z.B. eine Nation, solang es andere Nationen zum Abgrenzen gibt. Mit Moral beschreibt man ja nur ein real existierendes Verhalten - also nichts Künstliches. Nehmen wir z.B. Delphine: Wenn Delphine in einer Gruppe sind und ein Tier aus der Gruppe verletzt wird, bleiben die anderen bei diesem Tier. Delphinfänger machen sich das zu Nutze, indem sie ein Tier verletzen und so problemlos die ganze Gruppe töten können. Das Verhalten der Delphine würden wir wohl als moralisch beschreiben. Aber im Grunde verhalten sie sich wohl nur so, weil es im Laufe der Evolution ein Vorteil, wenn die Gruppe bei einem verletzten Tier blieb.
Das gleiche gilt wohl für uns Menschen: Wenn z.B. eine Mutter für ihr Kind auf Nahrung verzichtet, war das im Laufe der Evolution wohl von Vorteil - das Kind hat überlebt und damit auch die Veranlagung, sich in solch einer Situation eben so zu verhalten, wie die Mutter es tat.
realchris hat geschrieben:Ich würde meinen Lebensstandard nicht senken wollen, damit irgendwo 10000 Kilometer weiter das Leben besser läuft. Eine Mehrheit der Menschen auch nicht. Also wirst Du für eine politische Veränderung in diese Richtung auch nie die Mehrheiten finden.
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Die Mehrheit der Bevölkerung nicht unbedingt. Aber was interessiert die Parlamentarier schon die Mehrheit des Volkes?
Allerdings: Wenn die Bevölkerung die Wahlt hat zwischen:
1. dem Versuch, den Lebensstandard beizubehalten, aber schließlich durch (gewaltsamen) Protest der absolut Armen in der Welt alles zu verlieren
oder
2. ein wenig Lebensstandard "abzugeben", dafür aber die Gefahr, alles zu verlieren, gemindert wird
würden sich eine Mehrheit wohl für letzteres entscheiden. Ich denke, dass es letztlich auch in unserem Interesse gibt, die globale Verteilungsungerechtigkeit zu bekämpfen. Zunächst würde ich aber mal Wege denen, die unseren Lebensstandard nicht merkbar beeinflussen: Ich würde die Subsistenzwirtschaft der afrikanischen Staaten fördern. Zunächst sollen die sich selbst ernähren könne. Zudem würde ich die afrikanischen Staaten vom globalen Freihandel weitgehend ausnehmen, sodass z.B. Nahrungsmittelimporte aus der EU, die die Entstehung einer dortigen Subsistenzwirtschaft verhindern, nicht mehr möglich wären (oder nur noch eingeschränkt, sollte es z.B. zu Hungersnöten kommen). Damit verbunden wäre natürlich auch eine Abschaffung der Subventionen der Landwirtschaft durch die EU.
Dadurch würden sicherlich europäische Bauern pleite gehen, keine Frage. Aber den allgemeinen Lebensstandard würde das nicht merklich beeinflussen. Letztlich würde es sich vielleicht sogar besser halten lassen: Die EU benötigt weniger Geld (40% des EU-Haushaltes gehen in die Landwirtschaft), was vor allem Deutschland als größtem Nettozahler zugute kommt - und man würde mittel- bis langfristig etwas gegen die Flüchtlingsströme aus Afrika unternehmen. Zwar haben damit noch eher die südeuropäischen Staaten zu kämpfen, aber für uns wird das wohl auch zu einem Problem werden. Und zwar einem Problem, das teuer wird- dagegen sind die paar Landwirte, die ohne EU-Subventionen bankrott gehen, nichts.
Kurz: Die Armut anderer wird uns mittel- bis langfristig teuer zu stehen kommen. Das wäre mal ganz egoistisch/vernünftig gedacht, oder?