Ich wollte schon länger auf dieses Video eingehen, auch da es nicht wenige Dinge, die wir in diesem Thread behandeln, recht eindrucksvoll demonstriert. Ich möchte an dieser Stelle, um es vorweg zu nehmen, aufzeigen, wie inhaltsleer und wandelbar die absurde Feindfigur "Social Justice Warrior" ist, und welche absurden Argumentationskapriolen diejenigen schlagen müssen, die sich zum Kampf gegen diese fiktive Figur aufgemacht haben. Für den Thread relevant ist dies, weil sich auch gamergate-Unterstützer damit brüsteten, diesen "SJW" Einhalt gebieten zu wollen.
Es kann auch kein Zufall sein, dass jede Illustration der Figur "SJW" in diesem Video (ich zähle vier) das Bild einer Frau ist.
Das "Argument" des unbenannten Sprechers vor dem überdimensionierten und garantiert funktionslosen Mikrofon läuft folgendermaßen:
- Das Internet habe gleichgültig bis ablehnend auf den ersten Teaser Trailer von "The Last Jedi" reagiert.
- Sogenannte "Social justice Warriors" brächten Studios dazu, ihren Befehlen gehorchen. Sie seien von der Idee der Vielfalt der Geschlechter, der Rassen und der Sexualität besessen.
- Star Wars jedoch bräuchte nicht noch mehr Vielfalt. Prinzessin Leia hätte als starke Frau schon immer ausgereicht, wofür die vielen Filme, die Leia als Inspiration für ihre Figuren nutzten, sprächen.
- Auch afroamerikanische Menschen seien durch je ein Exemplar in der alten Trilogie und den Prequels ausreichend repräsentiert.
- "Sie", also für wen immer der Sprecher zu sprechen glaubt, hätten natürlich rein überhaupt nichts gegen Vielfalt. Sie hätten nur eine Abneigung gegen uninteressante Charaktere.
- Die Figur Rey aus "The Force Awakens" etwa sei gar kein Charakter im eigentlichen Sinne. Den Beifall des Publikums hätte sie nur gefunden, weil sie eine Frau sei.
- Für den "Social Justice Warrior" ende das Schreiben guter Charaktere mit dem Casting.
- Für den "Social Justice Warrior" muss auch alles mit unserer modernen Problemwelt zu tun haben, was ja nichts mit Star Wars zu tun hätte.
- Da Star Wars sozusagen der moderne Shakespeare sei, könne sich die Geschichte nicht mit dem "belanglosen Gezänk" unserer heutigen Zeit auseinandersetzen.
- Die Macher sollten sich lieber darauf konzentrieren, was Star Wars "great" gemacht habe: Romanzen (!), der Kampf Gut gegen Böse, die mystische Macht mit ihrer Fähigkeit, selbst beste Freunde zu entzweien.
- All dies sei bereits "episch episch".
Der zentrale argumentative Bruch dürfte sich jedem erschließen. Nachdem der Sprecher die buchstäbliche Hälfte des Videos damit zugebracht hat, uns zu erzählen, wie "SJW" mit ihrer Vielfaltobsession Star Wars ruinierten, kann er schlecht behaupten, gar nichts gegen Vielfalt in Filmen zu haben. Und wenn er dann die nicht-weißen Helden der Reihe aufzählt, könnte seine Genervtheit kaum deutlicher hörbar sein. Die argumentativen Bremsstreifen graben sich hier bereits tief in den Asphalt.
Unterdessen versucht er, die Begeisterungsstürme der Fans für den ersten Trailer herunterzuspielen, denn er muss ja für die schweigende angebliche Mehrheit sprechen. Das ist natürlich Schwachsinn, da für den Sprecher "SJW" mal als Zuschauer den Applaus spenden, mal als Filmemacher hinter der Kamera stehen. Mal ist die ganze Industrie durchsetzt von diesen Untermenschen, mal sind es nur einige wenige, die aber eben ganz furchtbar laut schreien und die armen Filmemacher einschüchtern.
Seine Vorverurteilung von "The Last Jedi" muss anhand des Teasers acht Monate vor Erscheinen bereits geschehen. Dazu reicht es den Eingeweihten, aus dem Teaser einen asiatischen weiblichen Charakter außerhalb des gängigen Schönheitsideals als Beweis ihrer schlimmsten Befürchtungen zu sehen. Glaubt jemand im Ernst, sie regten sich ja nur über den
erwartbar flachen Charakter der Dame auf und nicht darüber, dass sie keine neue Wixvorlage bekämen? Wie will dieser Honk jemals ANDEREN unterstellen, vor einem Urteil den Film nicht gesehen zu haben? Das muss die zweitgrößte Bigotterie sein, die ich je erlebt habe.
Und was die Flachheit von Charakteren angeht, eieiei. Da muss ich so manche Kindheitsillusion zerschmettern. Die erste Star Wars-Trilogie war großartig. Aber Luke Skywalker war einer der flachsten Charaktere, die man sich vorstellen kann. Ein Mann ohne Eigenschaften, die reine Projektionsfigur, definiert nur durch seine sich entwickelnden "Superkräfte" und seine messianische Verheißung. So ist das mit den Sagenfiguren, so hat es Joseph Campbell im "Heros in tausend Gestalten" definiert, so hat es George Lucas in eben jenem Buch gelesen. Und nicht nur Luke, nein, natürlich auch Anakin war
platt wie Sau. Es war an diesen Charakteren an sich nichts "interessantes" dran. Und das war wichtig, das war Programm, das war geplant so! Das war Erfolgsrezept.
Und damit schlussfolgern wir sehr logisch: Der einzige Grund, warum sich der Sprecher darüber aufregt, dass Rey "uninteressant" sei, ist der, dass sie eine Frau ist. Das ist es, was nicht sein kann und nicht sein darf. Kuckt die Filme an bitte, Rey ist Luke noch weit überlegen. Gegen Luke ist Rey geradezu rund. Während sich die Experten immer noch fragen, wie Luke es im offenbar pazifistisch angelegten Jedi-Training mit Yoda überhaupt geschafft hat, sich eine nahezu vaderbeständige Fertigkeit im Laserschwertkampf anzueignen, haben wir hierfür bei Rey bereits eine mehr als hinreichende Begründung.
Und Rey bricht aus aus der festen Schablone, die Joseph Campbell in den Sagengestalten der Jahrtausende festgestellt haben will, die für George Lucas eisernes Diktat gewesen ist, auf der abertausende von Filmen basieren. Was die bisherigen zwei neuen Filme, mit denen ich so meine Probleme gehabt habe, zumindest kuckbar macht. Ich habe keine vorhersehbareren Filme gesehen als die Prequel-Trilogie. Die neue Trilogie hat zuweilen zumindest ein Element der Überraschung.
Was mich an der neuen Trilogie nervt, und insbesondere an The Last Jedi, das ist das "Epische", nach dem es den Sprecher angeblich so dürstet. Gut, der Mann hat keine Ahnung, was das bedeutet. Heute bedeutet es die Vielzahl der Handlungsstränge und die Länge der Erzählung. In The Last Jedi passiert in den über zweieinhalb Stunden viel_zu_viel. Eine Freundin ist während des Finales raus, da war Schicht im Urinalschacht. Der Film hat durch dieses szenale Streufeuer nichts gewonnen, und durch seine Länge noch viel weniger. Aber für den Sprecher dieses absurden kleinen Videos muss es episch sein.
Was er mit "episch" eigentlich meint, während er wieder und wieder und wieder Szenen aus der ihm angeblich verhassten Prequel-Trilogie als Positivbeispiel abspielt, ist natürlich die beschränkt-vage Themenwelt, die Eindimensionalität der Helden und die klare Gut/Böse-Einordung klassischer Sagen.
Sagen tut er dagegen, Star Wars sei der moderne Shakespeare. Und die Vielzahl solcher Stellen im Video, von denen ich Migräne kriege, reißt nicht ab. Was für ein entsetzlich dummer Vergleich. Als habe Shakespeare nicht ganz zentral die gesellschaftlichen Konflikte seiner Zeit im Auge gehabt, und als seien diese Konflikte heute nicht mehr würdig, in großen Erzählungen aufgegriffen zu werden. Stellung der Frau im "Merchant of Venice"? Misogynie in "Taming of the Shrew"? Rassismus in "Othello"? Wie ist es um die "epische" Größe von Shakespeares Dichtung bestellt, wenn er in "Julius Caesar" im Jahrhundert vor Christus eine Kirchturmuhr schlagen lässt?
Aber halt, ist ja nicht Shakespeare, ist ja "Star Wars", Science Fiction ist ja ganz generell nicht der Platz, um uns Gedanken über unsere eigene Gesellschaft bzw. eine bessere oder schlechtere gesellschaftliche Zukunft zu ma... halt, nein! DOCH! Ist es, und wie! Und wenn man die Meilensteine der Science Fiction-Filme durchgeht von vorn bis hinten, vom Kommunismus eines "Metropolis" bis zum Transhumanismus eines "Blade Runner 2049", wird man feststellen, die Meisterwerke entstehen fast durch die Bank erst durch eine Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen.
Über die Figur Leia und ihre "Fortschrittlichkeit" in der Darstellung der Frau lässt sich lange streiten, und dieses Fass will ich nicht auch noch ganz aufmachen. Als Carrie Fisher in "Return of the Jedi" um Unterwäsche bettelte, weil genau jeder am Set durch den Metallbikini bis runter auf die Schambehaarung kucken konnte, soll George Lucas gesagt haben: "Im Weltall gibt es keine Unterwäsche". Eine feministische Heldin ist Carrie nicht deshalb geworden, weil sie die Leia spielte.
Sie ist es dadurch geworden, was sie danach gesagt und getan hat.
Arschlöchern wie dem Sprecher im verlinkten Video hätte sie den Marsch geblasen.