Kruttan hat geschrieben:[Dies ist wohl mein längster Post überhaupt, aus der kleinen Buch-Kritik wurde nun doch ein riesiger Aufsatz... ich hoffe, jemand liest ihn auch]
So, ich habe mich jetzt ausgiebig mit dem Buch befasst, aber noch nicht den Film gesehen. Ich kenne auch nur das eine Buch „Der König von Narnia“ und werde mich ausschließlich auf diesen einen Narnia-Band beziehen. Auf eine erste Kritik zum Buch folgt dann eine intensive Auseinandersetzung mit den Vorwürfen, die gegen dieses Buch gemacht wurden.
Dieser Aufsatz enthält Spoiler. Da ohne diese mein Text keinen Sinn ergeben würde, markiere ich sie nicht. Ich denke, dass ich nichts Wichtiges vorwegnehme, was den Film- oder Lesegenuss verderben könnte. Meine Bedenken sind nur, dass man dann eventuell schon perspektivisch lesen könnte und das später gebildete, eigene Urteil nicht mehr unabhängig ist... daher ist es vielleicht doch anzuraten, sich vorher einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Besser ist es allemal, das Buch zu kennen, bevor man diese Kritik liest.
1. Ein kurzer Leseeindruck:
Lewis schreibt für Kinder. Das merkt man auch. Die Sätze sind kurz und einfach, das Buch hat ca. 150 Seiten. Es kann auch von Lese-Neulingen ohne größere Probleme gelesen werden. Mir lag nur die alte Übersetzung vor, in welcher einige wenige Begriffe und Formulierungen antiquiert bzw. weniger geläufig erscheinen. So weiß ein Grundschüler vielleicht nicht, was eine Saccharintablette ist. Dies ist aber nur eine Zeiterscheinung und kann auch vernachlässigt werden.
Lewis ist auch nicht Tolkien oder Rowling, welche ältere Zielgruppen ansprechen. „Der König von Narnia“ spielt in einem deutlich simpler gestrickten Universum. Ähnlich wie bei den meisten anderen Werken der Fantasy-Literatur arbeitet der Autor mit mythologischen Elementen wie mit Legosteinen. Während Tolkien sich seine Steine wohlüberlegt rausgepickt und damit pompöse Bauwerke erschaffen hat, so hat Lewis eher kindgerecht einen kleineren Haufen kunterbunter Steine auf dem Teppich ausgebreitet. Vor allem die von manchen vermeintlich christlichen Potter-Gegnern so angefochtene griechische Sagenwelt hat es ihm dabei besonders angetan. Auch Werwölfe, Riesen*, Vampire und der Weihnachtsmann gesellen sich nebst sprechenden Tieren in diesen kunterbunten Cocktail. Diese Vielfalt bringt jedes Kind sicherlich zum Staunen und lässt es in den wenigen Seiten dadurch relativ viel erleben, wodurch keine Langeweile aufkommt. Die epischen Ausführungen eines Tolkien können ein Kind sicherlich bei Weitem nicht so gut unterhalten – vor allem wenn es sich selbst durch die Seiten hindurchlesen muss. Für den älteren Leser hingegen ist dieser eine Narnia-Band allein ein sehr kurzweiliges Vergnügen. Das Buch wird geradezu eingeatmet. Daher wäre es sicher vorteilhaft, gleich alle in einem Stück zu lesen.
Die Charaktere sind zweckmäßig. Es ist schwierig, in 150 Seiten komplexe Charaktere zu erschaffen, daher macht Lewis dies auch nicht. Das mag seinen Ursprung in der intendierten Funktionalität als Kinderbuch haben. Als ein Buch für eine jüngere Zielgruppe sind vor allem die Charaktere der Kinder relativ ähnlich denen der grimmschen Märchenhelden gewählt. Sie sind brave, gehorsame und ehrliche (aber hohle) Kinder – einzig und allein Edmund ist eben das schwarze Schaf. In diesem Sinne aber auch nur ein äußerst eindimensionaler Charakter. Lewis nennt ihn verdorben durch die Schule**. Anders als in einem Märchen wird er aber nicht für seine Fehlentscheidungen bestraft, sondern es wird ihm vergeben.
Mag dies für jüngere Kinder seinen Zweck erfüllen, so mögen diese Charaktere für ältere Leser nicht mehr als Identifikationsfiguren ausreichen. Auch die böse Hexe ist eine relativ simpel gestrickte Figur. Sie ist einfach ein Bösewicht und erfüllt diesbezüglich ihren Zweck.
Durch die relativ einfachen Charaktere liegt beim „König von Narnia“ ein eher kurzweiliges und märchenhaftes Erlebnis vor. Das Buch ist auch nicht viel länger als ein gewöhnliches Märchen, man könnte hier tatsächlich in Erwägung ziehen, es in eben jene Kategorie des „modernen Märchens“ einzuordnen, mit der man damals das durch Tolkien aufkommende Genre zu umschreiben versuchte. Zur kurzweiligen Identifikation sind die Charaktere der Kinder ausreichend, und ich muss an dieser Stelle auch anmerken, dass in den meisten anderen Kinderbüchern ebenfalls keine besser ausgearbeiteten Charaktere zu finden sind. Daher sollte dieser Kritikpunkt nicht so schwer ins Gewicht fallen.
Ein Charakter allerdings bleibt jedem Leser im Kopf: Aslan. Hier haben wir es mit einem sehr unüblichen Stilmittel in der phantastischen Literatur zu tun: einer Allegorie. Eben jene Direktverweise auf Sachverhalte unserer Welt, die Altmeister Tolkien so gehasst hat. Es mag den ein oder anderen erstaunen, aber Fantasy an sich ist meist nicht allegorisch, die Primärintention liegt nämlich eher im Phantasieren, dem Eintauchen in eine Welt die einen verzaubert (jetzt ist jener umstrittene und missinterpretierte Begriff gefallen, ihn zu behandeln würde eine Doktorarbeit nach sich ziehen können – daher lasse ich das an jener Stelle). Normalerweise geht es bei dieser Literaturgattung ums Erleben. Von Lewis kann man sich ebenfalls verzaubern lassen, meines Erachtens nicht so intensiv wie von einem Tolkien, aber bei Tolkien dürfte die Verzauberung des Lesers auch einer der wichtigsten Ansprüche gewesen sein.
Zurück zu Aslan. Jeder weiß es bestimmt schon, wenn nicht, dann fällt es sicherlich relativ schnell beim Lesen auf: Aslan ist eine Jesus-Allegorie. Dieser Löwe ist nicht nur der König der Tiere, er ist der König der Könige schlechthin. Der nahende Aslan vermittelt eine Adventsstimmung (ungeprägt von Plätzchen und Kommerz-Weihnachten, sondern Advent im ursprünglichen Sinn), die auch erst Weihnachten ermöglicht. Aslan kommt an, der Winter endet. Er ist der Erlöser, derjenige der die Vergebung des sündigen Edmund ermöglicht. Er stirbt sogar für ihn, wie Jesus für die Menschheit gestorben ist. Der Opferritus auf dem Altar ist die Kreuzigung. Die Mädchen beweinen marienartig den kahlgeschorenen Aslan. Diesem haben seine Gegner einen Maulkorb verpasst, in dieser Situation eine eindeutige Parallele zur Dornenkrone. Nach seinem Opfertod befreien die Mädchen ihn mit Hilfe einiger Nager vom Maulkorb und den Fesseln. Nachdem sie den Altar kurzzeitig verlassen haben, finden sie den Altar zerbrochen vor, Aslan ist weg. Wieder haben wir die Marien, die nun das Grab Jesu leer vorfinden. Und dann meldet sich der auferstandene Messias und zeigt den Weg, der Narnia in ein Zeitalter der Gerechtigkeit geleiten soll.
Jemand, der in anderen phantastischen Werken überall aufgrund kleinster Nebensächlichkeiten Allegorien zu finden glaubt, die darüber hinaus in vielen Detailfragen seinen Schlüssen wiedersprechen, der sollte mal dieses Buch lesen. Denn hier kann man am Beispiel sehen, was eine echte Allegorie ist.***
Haben wir es mit einem Buch zu tun, das mehr als nur erzählen will? Das vielleicht gar nicht erzählen, sondern belehren will? Und wenn es belehrt, was lehrt es dann? Welche Aussagen treten hervor, welche Schlüsse sollen Kinder für ihr Leben ziehen? Welches Weltbild vermittelt dieser Lewis überhaupt?
Und jetzt kommen wir zu den Kritiken und Vorwürfen, die unter diesem Aspekt einer möglichen Betrachtungsweise ein ganz anderes Gewicht bekommen, oder doch etwas nicht? Lassen wir uns doch einfach überraschen...
2. Auseinandersetzung mit den Vorwürfen gegen das Buch
Durch den Film wurden wieder viele Stellungnahmen laut, einige der ersten Filmkritiken werfen Buch und Film einige fragwürdige Botschaften vor. Ich kann bisher nur mit dem argumentieren, was ich dem Buch entnehmen kann. Für mich ist überdies generell die Vermarktung oder auch Bearbeitung eines Stoffes nur eine Zweiterscheinung, die sich nicht auf den Stoff generell auswirkt.**** Einem Stoff wäre selbst dann nichts vorzuwerfen, wenn er in falschem Kontext bzw. zu nicht intendierten Zwecken missbraucht wird.
Daher sollten jene Fragestellungen auf jeden Fall am Stoff selbst, also dem Buch, behandelt werden.
Frauenfeindlichkeit:
Die Böse ist eine Frau. Reicht dies nicht? Nein, meines Erachtens nicht. Sie ist eine schöne Frau... reicht immer noch nicht. Und nun im Ernst:
Die weiße Hexe ist austauschbar. Es ist für den Roman nicht zwingend notwendig, dass sie eine Frau ist. Fakt ist, dass Frauen häufig die besseren Bösewichte waren. Ich erinnere an Cruella De Ville, Livia Drusilla, Madame Medusa, die böse Königin aus Schneewittchen, oder Andersons Schneekönigin. Lewis dürfte sich vielleicht sogar letzteren beiden inspirieren lassen haben. Bezüglich der Wahl des Bösen liegt keine Frauenfeindlichkeit vor.
Die Tatsache, dass die böse Hexe von Lilith abstammt (S.67), mag dem ein oder anderen Kritiker neuen Zündstoff geben. Dennoch wird Lilith häufiger im dämonischen Kontext betrachtet und eher selten als Symbol für Feminismus. Mag sein, dass der Lilith-Mythos einer Zeit entsprungen ist, in der Frauen noch dem Mann untergeordnete Objekte sein sollten. Dennoch hat sich die Darstellung Liliths als Mutter der Dämonen eher gehalten und Lewis bedient sich eben jener weit verbreiteten Geschichte. Da ist nichts dran auszusetzen und ich will ihm nicht unterstellen, Lilith erwähnt zu haben, um Frauen zu diskriminieren. Dazu lassen sich keine stichhaltigen Argumente finden. Darüber hinaus möchte ich noch anmerken, dass kaum ein Kind über jenen mythologischen Durchblick verfügen dürfte, diese Lilith-Parallele tatsächlich zu ziehen.
Auch die Blässe der beiden Mädchen stellt nichts Diskriminierendes dar. Die Jungen verfügen über keinen besser ausgearbeiteteren Charakter. Außerdem wird Lucy eine relativ große Rolle zuteil. Sie ist es, die Narnia entdeckt; sie muss sich dem Spott aussetzen und sie ist es, die die Kinder dann in Narnia führt. Lucy ist unter den vier Kindern ein deutlich hervorstechender Charakter. Spätestens dies sollte den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit verwerfen.
Okkultismus:
Wo phantastische Literatur ist, da findet sich auch der berühmte Okkultismus-Vorwurf. Okkult ist hierbei natürlich ein sehr dehnbarer Begriff. Und Narnia bietet ebenfalls einen großen Spielraum, für herrlich abwegige Anschuldigungen. Sicherlich dürfte vor allem die Stellung von Lewis die meisten davon abhalten, nach okkulten Elementen zu suchen, dennoch findet sich hier genauso viele Argumente wie in anderen Feiengeschichten. Man könnte die Opferung des Löwen auf dem Altar für ein satanisches Ritual halten. Da man bei solchen Argumentationsweisen gewöhnlicherweise nicht mal darauf achtet, dass jene verwerflichen Aktivitäten von den bösen Charakteren ausgeführt werden, kann man hier sogar eine fragwürdige Botschaft durchscheinen lassen. Dennoch lässt sich ein mögliches Argument, Lewis wolle hier Kinder zu Opferriten überreden, vor allem damit entkräften, dass kein Ruf und auch keine Anbetung einer negativen transzendenten Macht erfolgt. Wem das noch nicht reicht, der soll die allegorische Parallele zur Kreuzigung Jesu ziehen, jetzt kann kaum jemand mehr diesem vermeintlichen Ritus eine negative Intention zusprechen.
Viel interessanter und okkulter kann man das Spiel mit den Mythologien ansehen. Liltih wurde bereits erwähnt. Darüber hinaus finden wir die unterschiedlichsten Fabelwesen in Narnia. So zum Beispiel die Satyre, welche Pate für viele Teufelsdarstellungen waren.
Während bei Tolkien auch keine mythologischen Gottheiten und Persönlichkeiten übernommen wurden, erwähnt Lewis neben Lilith auch noch Bacchus. Der dem Bacchus untergeordnete Satyr Tumnus***** schwärmt von großen alten Zeiten, von Wochen reiner Lustbarkeit, in denen Bacchus in den Bächen Wein fließen lässt (S.16). Am Ende des Buches gibt es ebenfalls ein großes Fest, bei dem der Wein in Strömen fließt, es herrscht „lärmende Lustbarkeit, Tanz und goldener Prunk“ (S. 147). Man sieht hier wirklich eine große Parallele zu den dionysischen Festen der griechischen Mythologie.
Und wenn man jetzt zur Krönung noch erwähnt, dass der Weihnachtsmann vorkommt...
Dies alles soll aber keinen vom Hocker hauen, man erinnere sich an meinen Legostein-Vergleich. Wie alle anderen Autoren auch klaut Lewis wie ein Rabe und spielt mit Mythologie und Märchenhaftem wie ein kleines Kind mit Baussteinen. Gerade dies ergibt den großen Spielraum für eben jene Anschuldigungen. Nur darf man keinesfalls vergessen, dass solche Anschuldigungen aufgrund des Genres und den Eigenschaften von Literatur unangebracht sind, da eine Neudefinition der mythologischen Elemente erfolgt und ihre Vorbelastung daher außer Kraft tritt.
Waffen zu Weihnachten:
Ein Zeichen für das Ende des beinahe ewigen Winters ist, dass es Weihnachten wird. Das Weihnachtsfest wird hier vor allem durch eine Figur repräsentiert: dem Weihnachtsmann. Die adventlichte Stimmung durch das angekündigte Nahen Aslans tritt hier völlig in den Hintergrund. Es geht einzig und allein um Geschenke. Und dieses Jahr um ganz besondere. Denn die Zeiten sind ernst, da ist nichts mit harmlosen Spielzeug. Harte Zeiten erfordern besonders harte Geschenke, hier vor allem Waffen. Manch einer mag hier Zweifel hegen, ob dies pädagogisch angebracht ist. Fakt ist allerdings, irgendwoher brauchen unsere kleinen Helden ihre Waffen. Und auf die Realität anwenden braucht man dies ja auch nicht, immerhin entscheiden die Eltern in letzter Instanz, was sie ihren Schösslingen unter den Tannenbaum legen. Und ehrlich gesagt, an was denken wohl die meisten Kinder zuerst. wenn man sie nach „Weihnachten“ fragt. Sicherlich finden sich der Weihnachtsmann und Geschenke deutlich weiter oben auf der Liste als die ursprüngliche Geist dieses Festes – das ist eher etwas für die Erwachsenen. Lewis braucht etwas, um bei den Kindern eine weihnachtliche Assoziation zu erzielen. Und da durch Aslan das Nahen und die Ankunft des Messias losgelöst von Weihnachtsfest behandelt werden, darf Weihnachten an sich um seinen eigentlichen Inhalt beraubt ruhig als rein kommerzielles Ereignis betrachtet werden. Ich sehe hier lediglich ein stilistisches Mittel, das durchaus seinen Zweck erfüllt. Lewis lässt kurzzeitig beim Leser eine weihnachtliche Assoziation entstehen, um ein verständliches Anzeichen für das Enden des Winters zu schaffen. Nebenbei kann er noch ganz bequem durch den bärtigen „Deus Ex Machina“ einige wichtige Gegenstände einführen.
Kriegsverherrlichung und Rassismus:
Den beiden wohl heftigsten Kritikpunkten werde ich mich nun widmen. Wie im Herrn der Ringe wird hier ein urböser Feind kreiert. Die Königin ist einfach böse – per Definition. Sie stellt einen typischen Bösewicht dar, der keine wirklich individuellen charakterlichen Züge hat. Ihr dienen darüber hinaus Zwerge, Wölfe und haufenweise Fabelwesen, die ebenfalls auf der Seite des Bösen stehen. Prinzipiell sind diese Wesen ebenfalls per Definitionem böse. Anders als bei Harry Potter oder Star Wars, wo man sich für die Seite des Bösen entscheiden muss (wozu eben einige mehr neigen, als andere), wird hier pauschal abhängig von Gattung bzw. Rasse die Seite entschieden.
„Ich habe aber gute Zwerge gekannt“, gab Frau Biberin zu bedenken.
„Ich auch, da du schon einmal davon sprichst. Die sind selten genug, sind Ausnahmen und gleichen allem anderen eher als den Menschen. Aber im allgemeinen rate ich dir, wenn du irgendwo einem Wesen begegnest, das sich so anstellt, als sei es ein Mensch, oder einmal menschliches Wesen annimmt und es nicht ist ein Mensch sein sollte und es doch nicht ist, dann sei auf deiner Hut und greif nach dem Beil...“ (S.68)
Hier wird wohl auf Elben angespielt (in der weitläufigen Definition kann mit dem Begriff „Elb“ auch einen Zwerg oder jedes andere menschenähnliche Wesen bezeichnen). Besonders in der heutigen Zeit ist dies wieder Zündstoff. Gute unter diesen Fabelwesen gibt es auch, sie sind aber nicht die Regel. Man sollte sicherheitshalber schon mal nach dem Beil greifen.******
Sind bei Tolkien die Zwerge und seine Elben nur Völker, so sind es bei Lewis böse, feindliche Völker.
Mit diesen Geschöpfen wird ein eindeutiges Feindesbild geschaffen, dass sich von den Guten abtrennt. Es scheint eine klare Trennung von schwarz und weiß zu geben. Der Feind ist durch und durch böse und muss eliminiert werden. Von Bekehrung ist hier nicht die Rede, eine Lösung dieses Konfliktes erfolgt gewaltsam (bei Tolkiens HdR ist dies anders, dort wird die Quelle der Macht vernichtet, wobei defensiver Krieg lediglich als Mittel zum Zweck dient). Nach gewonnenem Krieg erfährt Narnia eine Säuberungsaktion. Es geht darum, „die Überreste der Anhänger jener Weißen Hexe aufzuspüren und zu beseitigen.“ Und .“..zu guter Letzt [ist] die ganze üble Brut ausgerottet“ (beides S. 148). Bei dieser Leseweise könnte man durchaus verstehen, warum der Bruder des U.S. Präsidenten Bush dieses Buch so mag und eifrig mit an der Werbetrommel für den Film rüttelt. Das Bilden eines simplen Feindes und die Idee einer gewaltsamen Befreiung lässt bei vielen den typisch deutschen Antiamerikanismus aufflammen.
Aber jetzt doch endlich mal ehrlich: welcher phantastische Roman, welches Märchen bedient sich nicht eben eines solchen Feindesbildes. Zumindest beim alten Kampf zwischen Gut und Böse muss irgendwie ein Bösewicht her, der auch beim weltfremdesten Leser Assoziationen zu etwas erwecken will, was eben jener Leser mit dem Bösen verbindet. Das ist das Prinzip der Anwendbarkeit. So stellt Tolkien sich bewusst gegen Allegorien, seine Sachen sind anwendbar. Jeder Leser wird mal schwammig mal konkret an Sachverhalte aus dem eigenen Leben erinnert. Eigene Weltanschauungen transferieren sich prima in den Herrn der Ringe, vor allem da jeder sein Augenmerk auf andere Dinge gewichten kann. Von Lewis liegen mir allerdings keine theoretischen Ansichten über das Schreiben vor. Mit Aslan liegt bereits eine derart offensichtliche Allegorie in dem Buch vor, dass man eben jenen Vorwurf nicht so einfach aus der Welt werfen kann, wie es bei Tolkien geht. Leider kann man daher nicht sagen, dass es aufgrund der Natur von Narnia bereits unangebracht ist, die geschilderten Ereignisse und mögliche Lehren daraus auf unsere Welt zu übertragen. Es kann ja sein, dass Lewis Narnia tatsächlich wie eine Maske konzipiert hat, die sich einfach so auf unsere Welt pressen lässt.*******
Ich gehe davon aus, dass jene Betrachtungsweise, die Kriegsverherrlichung zu erkennen glaubt, lediglich von der Perspektive abhängt und will daher im Folgenden belegen, dass es sich um kein allegorisches Bild des Krieges handelt.
Erstes Argument eben jene Schwarzweißmalerei. Lewis hat den Krieg als Zeitzeuge miterlebt und ich denke, auch wenn ich keine Belege dafür habe, dass er genauso wenig wie sein Freund Tolkien von diesem Ereignis begeistert war. Wir haben es hier außerdem mit einem sagenhaften Krieg zu tun, „sagenhaft“ ist hier wortwörtlich zu nehmen. Es ist ein Krieg der Sage, wie auch der Krieg in Mittelerde. Es mag von heldenhaften Taten in diesem Krieg berichtet werden, der Feind mag eindimensional geschaffen sein. Wer sich mit manchen Sagen auskennt, wird verstehen, was ich meine. Wir sehen in Odysseus auch den listigen Helden, der mit dem Pferd die Stadt Troja einnahm. Betrachten wir jene Geschichte nüchtern, so muss man einsehen, dass hier ein Holocaust stattfindet. Die Griechen erschlagen betrunkene Männer im Schlaf und nehmen sich dann die Frauen und Kinder auf gleichermaßen grausame Weise vor. Aber von dieser Kehrseite sehen wir normalerweise nichts. Eben weil es kein realer Krieg (mehr) ist. Im echten Krieg gibt es keine Helden und Gewinner.
Warum braucht der Mensch dann solche Geschichten? Dieser Aufsatz ist jetzt schon so lang, dass ich nicht noch auf Tolkiens Ausführungen über Märchen gehen möchte. Nehmt es so hin, sie tun einfach gut und sind unterhaltsam. Und selbst in jener Schwarzweißmalerei findet sich häufig auch jene Ordnung, die wir uns in dieser Welt so sehr wünschen.
Nun möchte ich auf das Bild des Feindes zurückkommen und weiter mit diesem argumentieren. Absichtlich habe ich mich nämlich dafür entschieden, Krieg und Rassismus in einem Punkt zu behandeln. Ich werde jetzt nämlich den Kreis schließen.
Oben habe ich die Aslan-Allegorie geschildert. Das ist eine Allegorie. Sie ist klar und deutlich zu erkennen, Widersprüche gibt es nicht. Wenn wir uns jetzt wieder auf die Beschaffenheit der bösen Wesen konzentrieren. Böse per Definition? Die Bösen unter den Wesen, ja - und dies sind die meisten. Aber der Satyr Tumnus arbeitet ja auch für die Königin und wendet sich dann zur Seite des Guten. Es kämpfen auch Zentauren auf der Seite Aslans. Die zu Köngen gewordenen Kinder tun etwas gutes für die „kleinen Zwerge“ indem sie sie von der Schulpflicht befreien. Da kann doch nicht von eben jenen bösen Zwergen die Rede sein, zumal die Bösen doch an dieser Stelle des Buches bereits allesamt ausgerottet wurden. Auch gibt es den guten Riesen Rumbelbuffel, der zu einer alten Familie mit Tradition gehört (S.138ff). Lewis ist bei Weitem nicht so konsequent, wie es die tatsächlich gemachten Aussagen über Fabelwesen vermuten lassen. Und zu den wirklich bösen Gestallten gehören ja nicht nur Riesen, sondern auch vor allem Hexen, Werwölfe und Vampire. Also stellen Riesen, Zwerge und Co nur einen Teil der Armee dar. Es wäre zu weit gegriffen, wenn man sagen will, dass hier explizit für Toleranz geworben wird, dazu sind die Korrelationen zwischen Rasse und Zugehörigkeit zu dem Bösen noch zu stark. Dennoch kann man hier auch nicht von einer generellen Verurteilung von Randgruppen sprechen. Und diese phantastischen Kreaturen menschlichen Völkern zuzuordnen mag auch keine Intention des Autors sein, dazu sind die Parallelen zu schwach. Und wenn man es tut, könnte man auch zu folgender Ansicht kommen: „sicherlich waren viele Deutsche im Zweiten Weltkrieg böse, aber Lewis schließt nicht aus, dass es doch den ein oder anderen guten Menschen dieser Nationalität geben könnte.“
Selbst wenn Lewis Allegorien verwendet, so sind dies hier keine. Wir haben bei Aslan gesehen, von welch deutlicher Natur seine Allegorien sind. Bei den Fabelwesen ist er nur ein Subcreator, wie Tolkien auch. Er umschreibt keine Völker, sondern definiert die Wesen neu, nicht so konkret wie sein Genosse, der jedem Volk eine komplette kulturelle Entwicklung gibt. Dennoch definiert er sie neu. Man könnte hier bestenfalls von einer stilistischen Schwäche oder besser kleinen Inkonsequenzen sprechen. Er gibt jedem Wesen eine gewisse Zugehörigkeit, verwendet leider einige Schubladen, wobei er aber nicht konsequent ist. In dem Sinne ist die Trennung zwischen Gut und Böse dann doch bei Tolkien um einiges klarer. Doch auch hier ist eine vorherige Definition notwendig. Gandalf als Zauberer ist beispielsweise kein Böser, obwohl er doch ein Zauberer ist. Orks sind allerdings von Natur aus böse. Aber es gibt auch waghalsige Fantasy-Romane, in denen Orks nur ein unterjochtes Volk sind, dass lediglich um seine Existenz kämpft.
Lewis umschreibt meiner Ansicht nach nicht unsere Welt. Er ist ein Zweitschöpfer wie Tolkien, der eine Welt schafft und dabei Kreaturen gewisse Eigenschaften gibt, dazu gehört häufig auch eine Ausrichtung zu einer Seite. Dass er in diesem Roman Allegorien (besser: eine Allegorie) verwendet, ist ein ungewöhnliches Stilmittel. Dennoch sollte dies nicht stellvertretend für alle anderen Äußerungen sein und sie zu Belehrungen oder Allegorien machen. Ich gehe außerdem davon aus, dass die meisten Leser diesen Roman als Geschichte lesen, vor allem Kinder werden dies tun. Das Spektrum möglicher Interpretationen ist zwar auch bei den relativ wenigen Seiten ziemlich breit, dennoch sollte man nicht in allem versteckte, zweifelhafte Botschaften suchen. Darüber hinaus gibt es bei fast jedem phantastischen Roman ein Spektrum dieser Größe und wie auch bei diesem Narnia-Roman sind manche Interpretationen nicht sonderlich wahrscheinlich. Windmühlen können selbst in unserer Welt böse Drachen sein, meist sind es aber nur harmlose Landschaftsverschönerungen.
Komplett frei von einer Deutung kann man diesen Roman allerdings auch nicht betrachten, mittels der Aslan-Jesus-Symbolik will Lewis ein optimistisches Kinderbuch schreiben. Ob es ihm hierbei nun um die Verkündung der frohen Botschaft oder darum geht, eben durch jene „gute Katastrophe“ eine Art innerer Reinigung beim Leser hervorzurufen (wie es sein Freund Tolkien in seinen Werken intendiert), kann ich nicht sagen, da ich von Lewis relativ wenig weiß. Das wenige, was ich über ihn weiß, macht beide Theorien gleichwahrscheinlich. Darüber hinaus widersprechen sie sich nicht einmal wirklich.
Weitere Absichten lassen sich nicht wirklich erkennen, es mag für den ein oder anderen Leser ein veralteter Zeitgeist bzw. engstirnige Schubladen mitschwingen, diese sind aber zu schwach und inkonsequent, um ihnen wirklich einen zweifelhaften Lehrcharakter zuzuschreiben. Und ein kindlicher Leser wird nicht wirklich drüber stolpern.
Ich denke, dass es absolut unbedenklich ist, Kindern dieses Buch vorzulegen. Die Probleme damit haben nur manche von uns Erwachsenen, und ich nehme auch an, dass wir sie dann nur haben, weil wir sie uns machen. Man kann hinter jeder Ecke eine Verschwörung vermuten, und in jedem Kinder- und Jugendbuch eine Anleitung, wie man ein böser Mensch wird. Besonders dann, wenn diese phantastisch sind, denn dann weichen sie von der Gewohnheit ab. Und das, was uns nicht gewohnt und fremd ist, das verwechselt man oft mit dem Bösen.
Gerade Kinder gehen normalerweise sehr unvoreingenommen an Neues heran, weil sie ja auch die Welt an sich noch erkunden. Davon kann mancher Erwachsener noch einiges lernen. Einfach mal eine Geschichte lesen, sich einfach mal für ein paar Stunden verzaubern lassen indem man in eine fiktive Welt voller Phantasie eintaucht. Das ist Schokolade für den Kopf, gewiss kein Opium oder die manipulative Macht eines Rattenfängers. Literatur darf auch erzählen, sie muss nicht immer nur interpretieren. Diesen Rat kann ich nur allen mitgeben, die sich mit phantastischer Literatur beschäftigen wollen. Und auch jene, die sie verurteilen, sollten sich vielleicht erst mal die Frage stellen, was ein Buch alles sein und leisten kann.
* ich weiß, dass z.B. Riesen und Werwölfe auch in griechischen Sagen gelegentlich Erwähnung finden, doch sind sie für diese Sagenwelt nicht so charakteristisch wie z.B. Satyre oder Zentauren
** als angehender Lehrer will ich dies lediglich als einen exzählerischen Kniff verstehen. Lewis geht anscheinend davon aus, dass Kinder Schule nicht mögen und will so auf sie eingehen. Auch der Fakt, dass die vier frischen Könige am Ende erst einmal Zwerge und Satyre von der Schulpflicht befreien, scheint dies zu unterstützen. Die Leser sollen dies als eine gute Tat empfinden, auch wenn es sicherlich dem ein oder anderen Pädagogen Magenschmerzen bereiten wird....
*** So wäre der Fakt, dass die Jungs am Anfang des Buches die Mädchen nachts in ihrem Zimmer besuchen keine Allegorie für geschwisterlichen Inzest, auch wenn durchaus vergleichbare Schlüsse immer wieder anderen phantastischen Geschichten gezogen werden. Machen Harry Potter Gegnern reicht ja schon die Tatsache, dass Hogwarts eine gemischtgeschlechtliche Schule ist für den Vorwurf der Pornographie und des Sexismus.
**** So ist beispielsweise für mich die Tatsache, dass Gandalf Darsteller Ian McKellen homosexuell ist, genauso wenig ein Beleg für versteckte homoerotische Fantasien im „Herrn der Ringe“, wie auch die Stellungnahme des Harry Potter Darstellers, er würde auch gerne irgendwann einmal einen Bösewicht spielen, kein Argument für fragwürdige Charakterzüge der von ihm gespielten Romanfigur ist.
***** Bild eines Satyren: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/1/1f/Satyr.jpg
****** Selbst ich, der ich normalerweise in phantastischen Texten keine Belehrungen oder versteckte Weltansichten vermute, musste hier an ein Zitat auch einer Kritik am Lessing Stück „Die Juden“ denken. Hier taucht ein Jude mit extrem gutem und vorbildhaften Charakter auf. Ich zitiere aus Johann David Michaelis Kritik, die wir ab Seite 54 der Reclam-Ausgabe finden: „Der unbekannte Reisende ist in allen Stücken so vollkommen gut, so edelmütig und besorgt [...] gebildet, dass es zwar nicht unmöglich, aber doch allzu unwahrscheinlich ist, dass unter einem Volcke von den Grund-Sätzen, Lebens-Art, und Erziehung, das wircklich die üble Begegnung der Christen auch zu sehr mit Feindschaft oder wenigsten mit Kaltsinnigkeit gegen die Christen erfüllen muß, ein solches edles Gemüth sich gleichsam selsbt bilden könne. [...] Aber auch die mittelmäßige Tugend und Redlichkeit findet sich unter diesem Volcke so selten, dass die wenigen Beispiele davon den Haß gegen dasselbe nicht so sehr mindern, als man wünschen möchte.“ In heutiger Zeit lassen sich ähnliche Ansichten, wenn auch hoffentlich nicht mehr so weit verbreitet , vor allem gegen Muslime finden: http://www.wort-des-kreuzes.de/Islam/tbc.htm
Vielleicht sticht mir diese Parallele aber auch so sehr ins Auge, weil ich mich derzeit aus Referatsgründen mit Lessings Nathan befasse.
******* ich verabscheue dieses Vorgehen zutiefst. Denn gerade dies ist die unangebrachte Betrachtungsweise, die einem Freund des Phantasierens die Magenschmerzen bereiten. Nur weil es immer wieder Kritiker gibt, die das Prinzip der „Erzählung“ nicht verstehen, haben wir diesen Ärger. Da es eben jene geschilderten Dinge nicht wirklich gibt, müssen sie nach Ansicht mancher Kritiker Chiffren und Symbole sein. Und wenn dann diese krampfhaft versucht werden, auf die Realität zu pressen, kommen eben jene Kritiken zu Stande, die wir alle so lieben. Einzig amüsant ist, dass die Kritiken sich meist selbst wiederspiegeln. Rassismusvorwürfe sind meist nicht weniger rassistisch und Okkultismusvorwürfe auch meist nicht weniger blasphemisch als die angeblich gefundene Intention selbst.