Der gamescom neue Kleider - oder: Einmal Duisburg ist genug (QuerSchläger)
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Der gamescom neue Kleider - oder: Einmal Duisburg ist genug (QuerSchläger)
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17.08.2014
Zum ersten Mal in der Geschichte der gamescom - der gemessen an der Ausstellungsfläche weltweit größten Messe für Computerspiele - sind die Besucherzahlen gesunken. Und das trotz restlos ausverkaufter Tickets. 5.000 Besucher weniger "schlenderten" durch die Hallen. Geändert hat das an der Wahrnehmung einer völlig überfüllten, stickigen, teilweise schon gefährlichen Veranstaltung nichts. Was war passiert? Stößt der Organisator, die Koelnmesse, an seine Grenzen? Sind die Kölner Messehallen dem Mega-Event nicht mehr gewachsen? Haben die Besucher so langsam die Schnauze voll von Wartezeiten an Spielstationen von mehreren Stunden? Muss ein neues Konzept her?
Erst im Juli hatte der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) und die Koelnmesse eine Verlängerung des Standorts vereinbart. Eine Laufzeit nennt die Pressemeldung nicht, Brancheninsider sprechen aber von weiteren 5 Jahren - also bis 2019. Fakt ist dabei nur, dass ein weiteres Wachstum in der derzeitigen Form nicht mehr möglich ist. Bereits 2011 musste die Messe wegen Überfüllung kurzzeitig sperren. Ticketkäufer standen vor verschlossenen Türen.
Genau dieses Wachstumspotenzial war paradoxerweise einer der relevanten Gründe, warum die Messe 2009 von Leipzig nach Köln zog. Genau genommen zog sie gar nicht, denn der BIU beendete einfach seine Zusammenarbeit mit der "Games Convention", wie die Messe in Leipzig hieß, und baute mit der Koelnmesse die "gamescom" als Alternativveranstaltung auf. Leipzig versuchte sich noch zwei Jahre am eigenen Standort. Als 2010 gerade mal gut 600 Fachbesucher auftauchten, gab Leipzig auf. Zu stark war der Druck des BIU, der all seine Mitglieder längst nach Köln gezogen hatte.
Heute gilt die "Games Convention" bei vielen Besuchern der ersten Stunde als nostalgisch-verklärte Ideal-Messe. Die Gamer liebten Leipzig, sagt man. Mit Ausnahme der BIU-Mitglieder widerstrebte vielen anderen deutschen Entwicklern und Publishern der Umzug nach Köln. Zu teuer, zu ungemütlich und vor allen Dingen zu überrumpelnd empfanden viele die Kampfansage des BIU. Gerne wäre man vorher zum idealen Standort der Messe befragt worden. Die Angelegenheit gipfelte schließlich in einer unsportlichen Aktion, die 2008 ein Flugzeug über den Leipziger Messehallen kreisen ließ, das mit einem Banner Werbung für die gamescom in Köln machte.
Dass diese Aktion nicht nur ein Stinkefinger zur Leipziger Messe sondern auch einer gegenüber allen "Games Convention"-Besuchern war, scheint den Urhebern gar nicht bewusst gewesen zu sein. "Die nehmen uns unsere Messe weg!" war das einstimmige Gefühl. Wer Gründe sucht, warum auch heute noch viele Besucher der ersten Stunde Leipzig vor Köln bevorzugen, findet sie genau in dieser Art und Weise, wie Köln die Messe an sich gerissen hatte. Nämlich ohne sich als offenherziger Ausrichter für Spieler auszugeben, der das Medium an sich vorantreiben möchte, so wie es Leipzig immer getan hatte. Zu sehr stand Standortpolitik und Geld im Vordergrund, zu wenig die gemeinsame Kommunikation, das Erarbeiten von Lösungsansätzen und eben die "Games" an sich. So wich zum Beispiel das legendäre Spiele-Konzert aus Leipziger Zeiten einem billigen Festival ohne richtigen Games-Bezug. Köln und BIU haben das Erfolgsrezept der "Games Convention" gestohlen ohne es wirklich zu verstehen, sind kräftig daran gewachsen und ersticken so langsam an ihrer eigenen Fettleibigkeit.
Denn so viel steht fest: Wenn sich die Verbände nicht bald Gedanken über ein neues Konzept oder einen Umzug der Messe machen (oder besser beides), dann wird sie über kurz oder lang überholt werden. Anzeichen für eine Änderung sind leider nicht zu sehen. Die Begrenzung von Tagestickets und das Öffnen des Fachbesuchertages für einen begrenzten Publikumsverkehr sind jedenfalls lächerliche Lösungen, die das Problem nur verschlimmern. "Es waren zwar dieses Jahr etwas mehr Fachbesucher anwesend, ich weiß aber auch genau warum", erzählt ein Spieleentwickler und präsentiert dabei Fotos von Kindern, die über die Businesshallen marschieren, die für das Publikum eigentlich gar nicht zulässig sind. "Nachdem sie in den Besucherhallen keinen Platz mehr haben, weichen sie das Konzept auf und lassen nun Publikum in die Bereiche, die eigentlich für Meetings und Presse bestimmt sind", beschwert sich ein anderer. Ein Jugendschutzbeauftragter wird mit den Worten zitiert, er müsse eigentlich nur mal das Ordnungsamt anrufen, dann wäre die Messe erst mal dicht. Denn der Businessbereich beinhaltet natürlich auch Titel mit USK18-Freigabe.
Anstatt das Messekonzept ernsthaft weiterzuentwickeln, scheint man aber nur ratlos mit den Armen zu zucken. Um den Besuchermassen Herr zu werden hat man zwar das Sicherheitspersonal aufgestockt, wer aber schon mal durch den Hauptgang von Halle zu Halle marschiert ist, der weiß, dass es nur einmal einer Massenpanik bedarf, um aus der gamescom ein ganz unangenehmes Ereignis zu machen. Eltern verlassen manchmal entsetzt das Gelände aus Angst um ihre Kinder. Häufig hört man das Argument, die Koelnmesse müsse doch nur mehr Hallen für die Veranstalter öffnen. Tatsächlich hat aber die Koelnmesse kaum Möglichkeiten, die Veranstaltung auszuweiten. Hallen 4 bis 10 sind bereits mit Publikums- und Businessbereich belegt. Halle 11 beherbergt die Entwicklerkonferenz GDC. Und die Hallen 1 bis 3 sind so flach und kapazitätsschwach, dass sie sich für Publikumspräsentationen nicht eignen und bestenfalls als Ausweitung des Businessbereichs in Frage kämen. So bleibt der Koelnmesse ein verfügbares Publikumsgelände von nicht mal 150.000 Quadratmetern Hallenfläche - eben genau das, welches bereits jetzt geöffnet ist.
Doch die Hallenkapazität ist nicht das eigentliche Hauptproblem. Die komplette Architektur ist für eine Veranstaltung wie die gamescom einfach ungeeignet. Der Besucherstrom wird größtenteils über einen großen Boulevard geleitet. Die wenigen Alternativwege führen häufig über ebenso überfüllte und zu kleine Außenareale - von den Notausgängen ganz zu schweigen, die häufig ebenfalls von Menschenmassen blockiert sind. Die Verbindung zwischen Ost- und Nordhallen läuft über ein gemeingefährliches Nadelöhr mit zwei Rolltreppen. Ein wenig Sonnenlicht, wie es beispielsweise die gläserne Zentralhalle der Leipziger Messe oder die Glasgänge als Ausgleich zu den finsteren und lauten Präsentationshallen geboten hatten, findet man in dem zubetonierten Boulevard kaum. "Die Architektur hier ist einfach eine Katastrophe", seufzt eine Messebauerin, die schon seit Leipzig die Games-Messe begleitet. Und selbst die Businesshallen sind mit ihrer tiefen Decke deutlich zu drückend. Die Toiletten sind selbst dort häufig überfüllt und das Problem mit der Gastronomie hat die Messe auch nach fünf Jahren nicht in den Griff bekommen: "Teuer, zu wenig Angebot, zu lange Wartezeiten und zu schlechtes Essen." lautet die Beurteilung vieler Besucher.
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Erfahrungsbericht
Unsere Redakteurin Caroline "hardcora" Valdenaire war nicht für Adventure-Treff.de unterwegs, aber trotzdem auf der gamescom und schildert ihren Eindruck auf dem Weg von den Nord- in die Osthallen:
"Da ich vorher nicht groß darüber nachgedacht hatte und die Füße bereits geschmerzt haben, habe ich die Rolltreppe genommen. Ich hab zwar gesehen, dass es oben schon recht kuschlig war, doch "sollte sich sowas ja schnell auflösen". Je höher die Rolltreppe fuhr, desto mulmiger wurde mein Gefühl. Oben angekommen, ging es nicht weiter. Die Fotografen, die eben noch auf der rechten Seite die Massen fotografiert haben, wichen panisch zur Seite, um die Leute wenigstens auf die kleine Fläche nach rechts zu lassen. Da aber auch dieser Platz schnell voll war, wussten die Leute nicht mehr wohin. Toll auch, dass es nur zwei Türen gibt - eine natürlich von den Leuten genutzt, die runter wollen. Ich versuche mich also irgendwie in den rechten Bereich zu drücken und höre hinter mir schon laute Rufe, dass man Platz machen soll und einige panische Frauen. Ich gebe zu, in dem Moment keinen Blick auf eventuelle Kinder geworfen zu haben, da ich selbst recht panisch war. Im Nachhinein möchte ich mir gar nicht vorstellen, was mit Kleinkindern in dieser Situation passiert wäre.
Die Leute wollten durch die Tür, der Strom der Rolltreppe ließ nicht nach, es wurden immer mehr Leute in die Masse geschoben. Eine kleine Auffangplattform der Rolltreppe, eine Glaswand, an die man gedrückt wird, zwei - für die Masse - viel zu kleinen Türen, direkt nach der Doppeltür nur wenige Meter weiter eine weitere Doppeltür, die dem Ansturm eher schlecht als recht stand hält. Ich halte die Luft an und drücke mich durch die viel zu enge Tür in Richtung business area. Einige Schrecksekunden später und im Zwischenraum der Doppeltüren vernehme ich gerade, dass ein Mann mit Gelbweste alle ankommenden Menschen, die die Rolltreppe nach unten nehmen wollen, raus aufs Parkdeck schickt. Absolutes "Einreiseverbot", der Ton ist aggressiv, der Mann wirkt überfordert. Ein Megafon hatte der Gute nicht. Genau das war übrigens eins der Probleme der Loveparade. Im Boulevard selbst habe ich auch nicht wirklich Leute gesehen, die das Ganze überwachen.
Ich war wirklich froh, als ich da raus war und habe mir extreme Sorgen um den weiteren Verlauf gemacht. Als ich nach dem Pressetermin über den Presseschleichweg in Halle 6 gewandert bin, habe ich nur noch gesehen, dass die Rolltreppe offensichtlich aus war, da die Leute hochlaufen mussten. Am Freitag war sie laut Fotos wohl zeitweise komplett gesperrt.
Als ich, immer noch geschockt, kurz vor der business area war, kam mir ein Vater mit drei Söhnen entgegen, der jüngste vielleicht 5. Wie soll so jemand in einer solchen Situation seine drei Kinder überwachen? Ich denke gerade für die Eltern gibt es extremen Aufklärungsbedarf bezüglich der Massen auf dieser Messe. Da muss man handeln!"
Bei der angesprochenen Loveparade kam es 2010 durch fehlgeleitete Besucherströme bei einem Gedränge zu über 540 Verletzten und 21 Toten. Eine Person aus dem Veranstaltungssektor bestätigt: "Wenn es bei der gamescom zu einer Panik kommt, müssen wir auch dort mit vielen Verletzten und auch Toten rechnen. Das ist eine tickende Zeitbombe." Allein schon aus dieser Sicht kann man es schon fast fahrlässig bezeichnen, wenn der BIU nicht bald handelt. Die Loveparade existiert aus diesen Gründen nicht mehr. Nicht auszumalen, was ein Verlust der gamescom für den Games-Standort Deutschland bedeuten würde, für die Angehörigen der Opfer ganz zu schwiegen.
Kurz: Selbst wenn die Koelnmesse weitere Hallen bauen würde, ist das eigentliche Problem ja nicht behoben. Das ganze Wegekonzept der Messe müsste überarbeitet werden. Das ist für die Koelnmesse ohne einen Abriss aber quasi nicht machbar. Aber auch das Ausstellungsprinzip an sich krankt. Wartezeiten von mehreren Stunden nur für das Spielen eines Spieles sind keine Seltenheit und würden sich nur beheben lassen, wenn die Aussteller bereit wären, ihre eigenen Kapazitäten massiv zu erhöhen.
Oder man denkt endlich über einen neuen Messeplatz und ein verändertes Messekonzept nach. Denn Deutschland hat bereits zwei der weltgrößten Messeplätze zu bieten: Frankfurt und Hannover.
Das Expo-Gelände in Hannover hat mit rund 450.000 Quadratmeter fast doppelt so viel Hallenfläche wie jetzt die von der gamescom genutzten Hallen. Mehr als 300.000 Quadratmeter wären als hohe Publikumshallen denkbar. Knapp 60.000 Quadratmeter Freigelände kommen noch drum herum dazu. Die Hallen zeichnen sich, ähnlich wie Leipzig, durch eine ausgewogene Mischung aus Glas- und Betonbauten aus, einige davon mit luftigen, freitragenden Dächern und moderner Architektur. Dass man auch mit Menschenmassen umgehen kann, zeigt die immer noch weltgrößte Technikmesse "CeBit". Rund 850.000 Besucher hatte man 2001 erfolgreich über das gewaltige Gelände geschleust.
Danach änderten sich die Zeiten. Die Besucherzahlen auf der CeBit sanken, die der Games Convention stiegen. Spiele wurden zum Publikumsmagneten der Unterhaltungselektronik. 2014 hatte man die CeBit als Publikumsmesse schließlich abgeschrieben und begrüßte "nur" noch 210.000 Fachbesucher. Seitdem führt die Agritechnica mit rund 450.000 Besuchern die Erfolgsliste der "Deutschen Messe" an. Ohne Zweifel würde man dort also eine erfolgreiche Technikmesse begrüßen. Laut Insiderinformationen hat man schon vor einiger Zeit gegenüber dem BIU Interesse bekundet, die gamescom zukünftig auszurichten. Vielleicht wäre eine Symbiose aus CeBit und Games-Messe sogar ein letzter Rettungsanker, um den Standort wieder zu alter Blüte zu führen, sozusagen eine Elektronikmesse für die ganze Familie und Fachbesucher aus der IT. Vor knapp 15 Jahren war die Deutsche Messe an einem ähnlichen Konzept namens "CeBit Home" gescheitert. Genug Hotelkapazitäten und ein internationaler Flughafen wären jedenfalls vorhanden.
Den gibt es auch am zweiten denkbaren Standort, Frankfurt. Im Gegensatz zu Hannover ist der sogar noch einfacher mit Direktflügen erreichbar. Selbst internationale Tagesgäste wären jetzt vorstellbar. Außerdem liegt Frankfurt recht zentral in Europa und ist mit einem großen Autobahnnetz erschlossen. Ein umfangreiches S-Bahn-Netz sorgt für gute Anschlüsse zum Messegelände auch aus den umliegenden Städten Wiesbaden, Mainz oder Darmstadt. Der Bahnhof liegt direkt im Messegelände. Im Gegensatz zu Hannover bietet die Rhein-Main-Region damit auch ein großes Einzugsgebiet, wenn auch natürlich nicht ganz in der Dimension von Rhein-Ruhr.
Mit der Frankfurter Buchmesse hat der Standort bereits gute Erfahrungen bei der Ausrichtung mediengerichteter Publikumsmessen. Zudem besteht bereits heute ein enger Austausch der Buchmesse mit der gamescom. Wer den Messemarkt beobachtet weiß, dass in Frankfurt jedes Jahr kräftig neu experimentiert und ausprobiert wird. Außerdem hat man mit der IAA die größte deutsche Publikumsmesse überhaupt. Nahezu eine Million Besucher hat die Frankfurter Messe hier 2007 abgefertigt. Zu guter Letzt ist Wolfgang Marzin seit 2009 Chef der Messe. Zuvor baute er in Leipzig bereits die "Games Convention" mit auf, kennt das Messekonzept und den Bedarf der Besucher also bereits aus dem Effeff.
Ähnlich wie Hannover hat man am zweitgrößten Messestandort Deutschlands ein Gelände mit unterschiedlichster Architektur - von großräumig und dunkel über modern und lichtdurchflutet. Ein eigenes Kongressgebäude für eine GDC Europe und die mächtige Frankfurter Festhalle für Pressekonferenzen wären auch vorhanden. Im Gegensatz zu Köln laufen die Besuchergänge meist an den Hallenseiten entlang, sodass man die Gebäude eben nicht nur über ein Nadelöhr verlassen muss. Eine Erhöhung ermöglicht zudem auch den Wechsel von einer in die andere Halle über das geräumige Freigelände. Besucher der Buchmesse kennen diese bereits als potentielle Belagerungsfläche der Cosplayer und Leseratten. Etwas, das sich zur gamescom mit Sicherheit nicht ändern dürfte - außer vielleicht mit der Ausnahme, etwas mehr Luft zu haben als zwischen den drückenden Messehallen in Köln.
Wo wir schon beim viel relevanterem Thema wären. Denn größere Messeflächen allein machen noch keine bessere Messe. Die Probleme der gamescom liegen tiefer. Wer schon einmal vier Stunden anstand, nur um in einem verdunkelten Zimmer einen einfachen Trailer eines USK18-Spiels zu Gesicht zu bekommen, weiß wovon die Rede ist. Die "gamescom" hat sich zu einem Games-Themenpark gewandelt, wo die Hauptattraktionen manchmal mehr Ausstellungsfläche mit Warteschlangen verbrauchen als mit Anspielstationen.
Wenn ein Themenpark zu schnell wächst, baut er an und vergrößert die Kapazitäten der Attraktionen. Doch hier müssten die Aussteller, sprich die Spiele-Publisher, mitspielen. Mehr Anspielstände kosten Geld und das Austesten eines neuen Spiels dauert nun mal auch oft etwas länger als die Fahrt mit einer Achterbahn. Dazu kommt das leidige Thema des Jugendschutzes, was dazu führt, dass Spiele ab 18 komplett ummantelt sein müssen - quasi eine "Halle in der Halle". Viele fordern seit Jahren die Einführung einer "ab 18"-Halle, so dass man den Spielenden zumindest über die Schulter schauen und Trailer ohne Wartezeit sehen könne. Doch dafür müssten die Aussteller erst mal bereit sein, ihre Produkte getrennt über zwei Hallen auszustellen. All das bedeutet Mehrkosten und Aufwand. Und für was? Dafür, dass ein paar Auserwählte ein Spiel als erstes antesten dürfen - der Marketingmehrwert steht dabei einfach in keinem Verhältnis. Es ist ja nicht so, dass die Publisher an ihren "Attraktionen" direkt verdienen - das Gegenteil ist der Fall.
Und trotzdem lässt sich von Erlebnisparks noch so einiges lernen. Bereits seit Jahren bieten einige davon zum Beispiel die Möglichkeit an, bei der Warteschlange eine Einlasszeit zu ziehen - quasi die berühmte "Behörden-Wartenummer", mit dem Unterschied, dass dort einfach ein Termin abgedruckt ist. Schließlich sind Wartezeiten für alle Beteiligten sinnlos und dienen bestenfalls noch der PR. Der Einlass erfolgt dann auf dem aufgedruckten Termin zur gegebenen Uhrzeit. Sind alle Termine vergeben, ist die Spielstation für diesen Tag ausgebucht. "No-Shows" können bei Bedarf mit Durchgangsverkehr gefüllt werden, lange Warteschlangen werden nicht mehr angeboten. Nur ein denkbarer Ansatz von vielen.
Im Großen und Ganzen muss aber einfach endlich verstanden werden, dass Computerspiele so wie sie derzeit entwickelt werden, eben keine interaktiven Ausstellungsstücke im herkömmlichen Sinne sind. Ein Gros der Spiele wurden eben für den Heimgebrauch oder das Multiplayer-Spiel über das Internet entwickelt - es sind keine Medien für die schnelle Massenabfertigung "zwischendurch". Sowohl Aussteller als auch Besucher sollten sich darauf einlassen, die Messe nicht zum Ausprobieren der Spiele zu besuchen. Auch eine Automobilmesse erlaubt selten Probefahrten. Vielmehr sollte der Fokus auf den Aspekten liegen, die ein Wachstum nicht behindern, sondern fördern. Nur um einige zu nennen:
"Celebrate the Games!": Der von der Koelnmesse selbst gewählte Slogan sollte eigentlich auch Leitlinie der Messe sein. Doch zum Feiern von Computerspielen muss man diese eben nicht zwingend spielen - das kann man auch zu Hause. Stattdessen fehlen Angebote, die gerade eine Messe vom Heimgebrauch abhebt: Das große Kino mit Riesenleinwand und hoher Kapazität zur Präsentation hochauflösender und brandneuer Trailer und Gameplay-Szenen? Der Signaturbereich, so wie wir ihn bereits aus den Buchmessen kennen? Die zentrale Show-Bühne mit Auftritten der Stars, sodass man nicht immer von einem Stand zum nächsten rennen muss? Natürlich müssen sich dafür auch die Aussteller an der eigenen Nase fassen - aber gerade auch durch ein größeres Messeareal würden solche thematischen Schwerpunkte jenseits des reinen "Firmenstandes" denkbar. Natürlich wird man um die Anspielmöglichkeiten nie herumkommen, aber vermutlich muss einfach eher das Zusehen und Staunen als das selbst Ausprobieren im Vordergrund stehen - zumindest solange Cloud-Lösungen (z.B. der Stream des Spiels auf das eigene Mobiltelefon) noch nicht praktikabel sind.
"Freifläche": Die gamescom ist eine Sommermesse. In der Regel ist es warm und sonnig. Der größte Kritikpunkt der Kölner Messehallen ist ihre furchtbar hässliche Freifläche - im Prinzip nicht mehr als ein Teerareal zwischen riesigen Messehallen. Dabei hat es die Koelnmesse gerade mal geschafft, dort ein paar Essstände und Cosplay-Treffen zu organisieren. Der immer völlig überlaufene "Biergarten" besteht aus einem Parkdeck mit aufgeschüttetem Sandkasten und Sonnenstühlen. Der urbane "Look" lässt also wenig von einem Sommer-Festival erahnen. Und das von der gamescom selbst ausgerichtete Games-Festival nennt sich auf offizieller Seite nur noch "gamescom city festival" - was auch besser passt, denn mit einem richtigen Games-Event hat es genauso viel gemein wie ein Ego-Shooter mit Tetris. Zudem findet es eben in der Stadt und nicht auf dem Messegelände statt - weil eben einfach der Platz fehlt.
Zeit also, sich für ein neues Messeareal auch Gedanken über eine kreative Nutzung der Freifläche zu machen. Vieles ist möglich. Was ist z.B. aus den spielerischen Aktivitäten im Freigelände geworden? Bereits zu Leipzigzeiten gab es Quad-Kart-Rennen, Riesenräder oder Zorbingbälle. Warum nicht die Freifläche auch für Event-Aussteller oder Schausteller öffnen? Im Gegensatz zu Games wissen sie mit Massen umzugehen und sind auch für Außenstehende zum reinen Zuschauen spannend. Die Nähe zu den Games ist vorhanden und allein schon aus Wahrnehmungssicht wären begeisterte "Nerds" beim Dosenwerfen unter freiem Himmel auch nicht unbedingt das schlechteste Markenimage. Zahlreiche Groß-Events fahren mit einer Vergnügungsmeile als "Zusatzangebot" zur Entzerrung von Besucherströmen jedenfalls alles andere als schlecht - von Konzert-Festivals bis zum Oktoberfest. Davon könnte man lernen.
Und warum treten bei den Games-Festivals keine Game-Bands auf? Eine Stage im Messe-Freiareal würde jedenfalls zusätzlich dafür sorgen, dass der Fokus eben nicht nur auf dem lästigen Warten in den Hallen sondern auch auf dem Feiern im Freien liegt. Publisher könnten sich als Sponsoren von Bands erkenntlich zeigen und damit ihre Marken und Titel viel mehr Spielern näher bringen als eine Anspielstation für ein paar wenige Auserwählte. Von gängigen Events wie Cosplays, eSports oder das lange vermisste Klassik-Spiele-Konzert mal ganz abgesehen. So oder so: Jeder weitere Messeplatz dürfte hübschere Freiflächen aufweisen als Köln - und dann müssen sie endlich auch genutzt werden.
"Convention": Der ursprüngliche Name der Leitmesse sollte das eigentliche Programm sein. Es ist eine Convention - eine Zusammenkunft von Spielern. Viele, die wieder und wieder zur "Games Convention" (oder "gamescom") zurückkehrten, taten es, weil es einfach der Umschlagplatz für alle Gamer, Entwickler und Publisher ist. Es ist der Platz, wo man Freunde trifft - manchmal zum ersten Mal, und dann jedes Jahr aufs Neue. Nicht die Spiele machen die Wiederholungstäter, sondern die Menschen, die man auf der Messe trifft. Man muss erkennen, dass sie eine Plattform für diese Leute sein muss, die sich "treffen" wollen. Die gamescom schafft das bei den Besuchermassen immer weniger. Wer schon mal versucht hat, spontan eine Person auf der Messe zu finden, weiß, wovon die Rede ist.
Heute gehört der Name und die Marke "Games Convention" immer noch der Messe Leipzig. Ob sie jemals zurück kommt, ist fraglich. Zwar soll sich die Koelnmesse den Namen "GAMEScom" als Marke eintragen haben lassen, Insider berichten aber davon, dass der BIU sich diesmal vorsorglich die Nutzungsrechte gesichert hat, der Name also mit umziehen könnte. Schön wäre eine Rückkehr zum "Convention"-Namen jedenfalls trotzdem - auch als kleine Anerkennung des unsportlichen Abzugs. So oder so drückt der Name immer noch mehr das aus, was die Messe eigentlich immer schon war und weiterhin verstärkt sein sollte.
Als die Messe von Leipzig nach Köln ging, war von einer "Europäisierung der Messe" die Rede. Was jetzt passiert, ist aber das pure Gegenteil: Gäste aus Europa werden mit einem Konzept verprellt, das sich als buchstäbliche "Ausweglosigkeit" herausstellt. Immer häufiger liest man Kommentare von Besuchern, die Messe nicht mehr aufsuchen zu wollen. Zu voll, zu ungemütlich, zu lange Wartezeiten, zu teure Hotels, zu wenig Rahmenprogramm, zu schlecht zu erreichen, zu wenig Parkplätze, schlechte Straßen... Die Messe hat mit einem rasanten Besucherrekord nach dem anderen ihre ersten Schritte zur "Europäisierung" gemacht - jetzt steckt sie im standortpolitischen "Kölschwasser" fest. Gerüchten zufolge wehrt sich vor allen Dingen das BIU-Mitglied Electronic Arts gegen einen erneuten Umzug. Der Publisher sitzt fast direkt gegenüber am Rhein, sein Pressechef wird zum Verbleib der Messe in Köln mit den Worten zitiert: "Wir finden das sehr gut."
Sieben Jahre fand die Games Convention erfolgreich in Leipzig statt und hatte in der Zeit ihre Besucherzahlen mehr als verdoppelt. Köln steckt jetzt im sechsten Jahr und hat seitdem nochmal gut die Hälfte draufgelegt. Das siebte Jahr ist bereits angekündigt. Was 2015 passiert, weiß noch niemand. Fest steht nur, dass ein weiteres Wachstum bei den Publikumsbesuchern kaum zu machen ist. Und ein weiterer Ausbau des Fachbesucher-Bereichs ist ebenfalls schwierig - zu ungünstig liegt die Koelnmesse für internationale Indies, zu teuer ist der Standort und das Konzept für kleinere Entwickler und Publisher, als dass sich der Aufwand für eine neue Halle lohnen würde.
Wenn die Koelnmesse in Zukunft Wachstum präsentieren will, muss sie sich etwas überlegen. Vielleicht hat man deswegen die Besucherzahlen um 5.000 reduziert, um für nächstes Jahr wieder etwas Luft nach oben zu haben. Schließlich ist der Verlängerungsvertrag eben erst unterzeichnet worden.
Oder der BIU tut das Richtige und nimmt das "verflixte siebte Jahr" erneut zum Anlass, ein größeres Gewand zu kaufen und die Veranstaltung als internationale Leitmesse langfristig zu sichern. Fest steht: Ein Loveparade-Unglück darf es in Köln nicht geben. Zu schade wäre es um das Event - immerhin einer der wenigen Institutionen, die das Games-Entwicklungsland Deutschland anderen europäischen Ländern wie Großbritannien und Frankreich voraus hat. Denn wenn die Messe hier im standortpolitischen Machtkampf verwelkt, dann stand nie wirklich das Produkt und die Internationalisierung der Messe im Vordergrund, sondern persönliche Interessen und Habgier. Und das wäre schlicht für alle Beteiligten schade - Spieler, Spielemacher und die Spielekultur an sich. Vielleicht fliegt ja dann irgendwann ein Flugzeug aus Leipzig über der Koelnmesse und malt einen Stinkefinger in den Himmel. Das ist zwar genauso unsportlich, bringt aber vielleicht die Verbände mal zum nachdenken.
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