Während sich Adventures verändern und weiterentwickeln (manchmal hin zum besseren, manchmal aber auch zum schlechteren), um den immer unterschiedlicheren Erwartungen der Spielerschaft zu entsprechen, hat es mindestens ein Entwicklerstudio geschafft, großen Erfolg mit dem Festhalten an klassischen Konventionen des Genres zu verbinden. Daedalic Entertainment steht weiterhin für die Produktion faszinierender Adventures mit einem bei Adventurefans beliebten klassischen Interface, die zugleich häufig auch grafisch beeindruckend sind.
Auf der diesjährigen E3 in Los Angeles hat Daedalic ein paar Spiele gezeigt. AdventureGamers wollte vor allem einen Blick auf die beiden Fortsetzungen erhaschen, an denen das Studio gerade arbeitet. Gene Mocsy zeigte auch sein Adventure 1954 Alcatrazaz, welches AdventureGamers aber schon nach der GDC besprochen hat.
Das erste Sequel davon ist Memoria, das wie sein Vorgänger ein klassisches Adventuresetting im Das-Schwarze-Auge-Universum bietet. Die Spielwelt an sich basiert auf dem gleichnamigen europäischen und von Dungeons and Dragons inspirierten Pen-&-Paper-Rollenspiel. Wie auch der Vorgänger Satinavs Ketten wird Memoria ein durchweg klassisches Point-&-Click-Adventure.
Memoria wird erzählerisch aufgeteilt sein zwischen zwei Hauptcharakteren und zwei sehr unterschiedlichen Zeitspannen. Der chronologisch erste Teil der Geschichte wird durch die Augen der Prinzessin Sadja zu spielen sein, die sich einmal wünschte, durch die Teilnahme an einer epischen Schlacht gegen dämonische Angreifer zur mächtigen Heldin zu werden. Unglücklicherweise war Sadja der Aufgabe nicht gewachsen - eine überraschende Wendung, mit der die Geschichte von Memoria eingeleitet wird. Der zweite Teil der Geschichte spielt 500 Jahre später. Geron, den Spieler des ersten Teils schon kennen, stürzt sich in ein Abenteuer, um herauszufinden, was aus Sadja wurde. “Wir wollten ein Spiel machen, dessen Story selbst das Rätsel ist”, sagt Lead-Gamedesigner Kevin Mentz - “Die Aufgabe an sich ist es herauszufinden, was mit dieser großen Heldin geschehen ist”.
Die Handlung von Memoria erstreckt sich über acht Kapitel. Das erste davon wurde auf der E3 vorgestellt und zeigte ein wenig des neuen Rätseldesigns. In der Demo benutzte ein junger Magier eine Kombination aus Inventargegenständen und Zaubersprüchen, um eine Reihe von Steingolems in einem alten Kerker wieder zum Leben zu erwecken. Während der Magier in einem anderen Verließ als die Steinwesen gefangen war, konnte er sie in Gang setzen, um an einer eisernen Kette zu ziehen und ihn damit zu befreien. Dieses Rätsel macht es erforderlich, über die unterschiedlichen Möglichkeiten nachzudenken, wie und wann die Golems zusammenarbeiten könnten. Es ist jene Art von Rätsel, die sehr schwer zu durchblicken ist, im Nachhinein aber ganz offensichtlich erscheint.
Begeistert schilderte Mentz, wie jede Herausforderung im Spiel auf einer vorhergehenden basiert und dass Memoria ganz grundsätzlich eine viel tiefere Spielerfahrung böte als der Vorgänger Satinavs Ketten. Das Spiel enthält aber sowohl eine Hotspotanzeige als auch ein Hilfesystem. Zum Interface gehört außerdem eine extrem detaillierte Karte, die sich mit dem Spielfortschritt immer weiter vervollständigt. “Memoria hat viel epischere Ausmaße als Satinav. Der erste Teil war viel persönlicher und mehr wie ein Märchen. Hier haben wir eine riesige Geschichte”, sagte Mentz.
Auch wenn die beiden Geschichten nicht zur selben Zeit spielen, erlebt man die Kapitel abwechselnd mit Sadja und Geron. Ab dem siebten Abschnitt wirken sich die Aktionen, die man mit den beiden Charakteren vollzogen hat, auf den jeweils anderen aus, bis die Geschichte in einem laut Daedalic intensiven und unerwarteten Höhepunkt mündet. Mentz gibt an, dass “die beiden Storylines im letzten Kapitel auf eine sehr interessante Weise zusammengeführt werden, die aber noch nicht verraten werden soll”.
Wie bei vielen Arbeiten von Daedalic war es auch bei Memorias handgezeichneten Grafiken schwer, nicht beeindruckt zu sein. Wie schon bei Satinavs Ketten lehnt sich der Zeichenstil stark an die Vorlage an. Die in der Demo gezeigten Zauber- und Lichteffekte in den dunklen und unheilverkündenden Gängen des Dungeons ermöglichten ein verblüffend tiefes Eintauchen in die dunkle Fantasy-Welt, in die Daedalic uns schon im Vorgänger entführt hat.
Memoria soll im August für PC und Mac erscheinen und es ist noch einiges an Arbeit bis zur Veröffentlichung zu tun - trotzdem fällt Vorfreude auf das Spiel beim bisher gezeigten Material nicht schwer. Es sieht nicht nur gut aus sondern wird auch eine Demonstration davon sein, wie man eine Geschichte innovativ erzählt, die auf zwei verschiedene Zeitspannen aufgeteilt ist.
Mit Goodbye Deponia plant Daedalic die nächste Veröffentlichung, die Rufus’ mit Misschgeschicken gepflastertes Abenteuer in der Müllwelt zu einem Abschluss bringen soll. Die Fertigstellung ist für Oktober 2013 anvisiert und auf der E3 bestand die Möglichkeit, das Spiel in Aktion zu erleben. Fans des von Terry Pratchett und Douglas Adams inspirierten Spieluniversums haben gute Chancen, auf ihre Kosten zu kommen, weil Goodbye Deponia noch mehr Wert auf den absurden Humor legen wird, der die Serie ausmacht. Diejenigen hingegen, die schon den ersten beiden Teilen nicht viel abgewinnen konnten, wird – abgesehen von ein paar wirklich kreativen Rätseln – nicht viel Neues erwarten.
Jan “Poki” Müller-Michaelis' (Mitbegründer von Daedalic) Spiel will all die verschiedenen Charaktereigenschaften der Protagonisten aus den beiden Vorgängern zusammen führen. Die Fortsetzung der Geschichte beginnt einmal wieder damit, dass Rufus seine unglückliche Liebe Goal verliert. Um sie zurück zu bekommen entwickelt er den Plan, sie zu klonen. Aber wie das mit Rufus’ Plänen so ist, läuft das mal wieder nicht ganz wie vorgesehen und das Resultat des Klonens ist Goal als Baby. Außerdem arbeiten die Schergen von Arganon aus der Wolkenstadt Elysium immer noch daran, das müllverseuchte Deponia zu zerstören und den Widerstand der Rebellion auf dem Planeten zu brechen. Im dritten Teil der Trilogie bekommt Rufus endlich die Chance, all diese Probleme zu lösen - oder zumindest einen gewohnt ungeschickten Versuch zu unternehmen.
Das ungewöhnliche Gameplayelement, das Goodbye Deponia ausmacht, ist der Tatsache geschuldet, dass Rufus es als einzige Lösung für seine ganzen Probleme ansieht, sich selbst ebenfalls zu klonen. Der Spieler wird also zum Erreichen des finalen Höhepunktes drei Rufusse steuern müssen.
Die verschachtelten und in typischer Comiclogik abgedrehten Rätsel, die schon die ersten beiden Teile ausmachten, werden Fans von Deponia bekannt vorkommen. Durch die direkte Steuerbarkeit von drei Rufussen ergeben sich die unterschiedlichsten Möglichkeiten, mit der Spielwelt zu interagieren - gerade auch weil sich die Aktionen eines Rufusses oft auf die jeweils anderen beiden auswirken. Ein Albtraum für alle geradlinigen Denker!
(Achtung, Spoilerwarnung!) In der Demo gibt ein Rufus einem bärtigen Baby (fragt nicht!) einen koffeinhaltigen Lutscher. Das führt dazu, dass der Säugling seinen Schnuller ausspuckt, der dann in der Kanalisation landet. Dort wartet schon ein anderer Rufus, der mit diesem Schnuller dann ein Rätsel lösen kann. In einem anderen Fall war die Interaktion zweier Rufusse nicht ganz so erfolgreich. Die Aktion eines Rufusses führt zur Aktivierung einer Straßenlaterne, deren Licht dann die Deckung eines anderen Rufusses zerstört, der gerade versucht hatte, heimlich in eine Rebellenfestung zu gelangen.
“Goodbye Deponia spielt sich immer mehrschichtig”, sagt Mentz. “Es gibt keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Rufussen, aber sie haben alle Zutritt zu verschiedenen Bereichen”. Ein interessantes Feature ist, dass, sobald zwei der Rufusse einen Weg zur direkten Kommunikation gefunden haben (in der Demo war das zum Beispiel ein Abwasserrohr), sie immer in der Lage sind, völlig frei Gegenstände auszutauschen.
Der Zeichenstil bleibt comichaft und in der Tradition der Vorgänger. Deponia selbst ist eine postmoderne Collage einer Science-Fiction-Welt, erstellt mit Hilfe einer typischen Comicfarbpalette und bevölkert von skurril animierten Figuren, die auch im dritten Teil der Serie noch sehr gut funktioniert. Auch der Soundtrack war beeindruckend und enthält verschiedene Themen, die gut ineinander übergehen und ortsabhängig variieren. Das Musikstück im Peter-Gunn-Stil, das Rufus begleitet als er erfolglos versucht, in das Rebellenhauptquartier einzubrechen, ist ein gutes Beispiel für die gelungene Abstimmung zwischen Spielwelt, Spielgeschehen und Soundtrack.
Daedalic hat versprochen, all die losen Storyenden, die sich in der gesamten Trilogie ergeben haben, zusammen zu führen. Das dürfte angesichts der Vielzahl an Freunden und Feinden, denen Rufus auf seinem Abenteuer begegnet ist (und am Ende von Goodbye Deponia sein wird), nicht ganz einfach werden. Daedalic hat außerdem angedeutet, dass der dritte Teil eine tiefere und emotionalere Erfahrung als seine Vorgänger bieten soll und außerdem auch ernsthaftere Themen beleuchten soll - mehr war dazu jedoch nicht zu erfahren. “Goodbye Deponia wird die gesamte Story abrunden”, sagte Mentz. “Es ist außerdem ein gutes Adventure auch für all diejenigen, die die Vorgänger nicht gespielt haben. Die Story wird viel dramatischer und im großen Finale kommt dann alles zusammen”.
Der Auftritt von Daedalic war mit drei unterschiedlichen Adventures im Gepäck beeindruckend und es ist immer begrüßenswert, wenn ein Studio mit den Fähigkeiten von Daedalic dem Genre verbunden bleibt und fesselnde und hinreißende Geschichten erzählt und dabei auf klassisches Point-&-Click-Gameplay setzt. Der klassische Adventurefan kann sich auf die Adventures Memoria und Goodbye Deponia freuen, die das Hamburger Entwicklerstudio in den nächsten Monaten veröffentlichen wird.
Hans Frank (Übersetzung)
Scott Bruner (Autor)
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