Entwickler: IonFx
Die Wellen schlagen gleichmäßig an den verlassenen Strand. Mit letzter Kraft stemmt sich der Mann auf. Er ist noch etwas wackelig auf den Beinen. Er fühlt sich fiebrig und ein wenig schwindelig. Dann kehrt seine Erinnerung zumindest teilweise zurück: Sein Name ist Robert Hughes, von Beruf ist er Wissenschaftler und Arzt. Und er leidet an einer schweren Krankheit, deren Gegenmittel er auf dieser Insel, genannt Eden, finden wollte. Vorsichtig macht er sich auf die Suche nach den Forschungsstationen seiner Kollegen. Doch er ist bei weitem nicht das einzige Lebewesen auf der vermeintlich friedlichen Insel…
Miasmata erzählt die Geschichte von Robert Hughes aus der Ego-Perspektive. Der Spieler übernimmt dessen Rolle und steuert den Charakter mit der WASD-Tastenkombination. Mit Mausklicks können Objekte aufgenommen und getragen werden. Die Shift-Taste ermöglicht kurze Sprints, doch anfangs ist Robert noch viel zu erschöpft und seine Gesundheit zu beeinträchtigt, um lange durchzuhalten. Auf der Insel kann sich der Spieler frei bewegen und umsehen, wobei Ausflüge ins Wasser am Anfang vermieden werden sollten. Das wichtigste Element des Spiels ist Roberts Tagebuch, in dem er eine Karte, Notizen, Forschungsaufzeichnungen und später synthetisierte Medikamente aufbewahrt. Ein klassisches Inventar gibt es nicht. Verteidigungswaffen wie Steine oder Holzstücke werden direkt in der rechten Hand, bis zu drei Pflanzen zur Untersuchung in der linken Hand getragen. Die Steuerung fühlt sich natürlich an und trägt viel zur Atmosphäre und dem unterschwelligen Horror des Spiels bei.
Bereits in den ersten Spielminuten wird klar, dass etwas auf Eden nicht stimmt. Ein toter Wissenschaftler liegt mit einem Messer im Rücken hinter einer Hütte und merkwürdige Geräusche dringen aus den Wäldern, besonders nachts. Von der einheimischen Bevölkerung, die einst riesige Steinköpfe errichtete, fehlt jede Spur. Hinzu kommt der schlechte Gesundheitszustand des Protagonisten, der keine besonders schnelle und lange Fortbewegung zulässt. Daher konzentrieren sich die ersten Spielminuten darauf, einen Unterschlupf und Wasser zu finden, sowie erste Pflanzen zu untersuchen und so Medikamente zu synthetisieren. Dies geschieht in einem kleinen Labor an der Küste. Zunächst werden mitgebrachte Pflanzen analysiert, um sie anschließend zu Tabletten zu verarbeiten. Dies geschieht bei sinnvollen Kombinationen automatisch, sobald der Spieler Pflanzen auf dem Labortisch ablegt und auf den Glaskolben klickt. So stehen recht bald erste Tabletten zur Verfügung, die temporär das Fieber schwächen und für kurze Zeit eine schnellere Fortbewegung ermöglichen. Doch eine Lösung für das eigentliche Problem ist das noch lange nicht: Es gilt, drei verschiedene Zutaten für das Gegenmittel zur Krankheit zu finden. Und diese sind leider über die gesamte Insel verstreut. Glücklicherweise kann das Spiel jederzeit durch das Entzünden eines Lagerfeuers, einer Fackel oder einer Öllampe gespeichert werden.
Um sich auf der Insel zurecht zu finden, muss Robert eine Karte von der Umgebung anlegen. Im Gegensatz zu sich selbst füllenden Karten in vielen anderen Spieletiteln ist hierfür deutlich mehr Arbeit notwendig: Der Spieler öffnet die Karte und markiert herausragende Objekte in der Umgebung. Dann zeichnet Robert automatisch Verbindungslinien und ergänzt die Karte im gewählten Gebiet. So erhält man nach und nach eine vollständige Karte der Insel. Das Kartographieren der Insel ist sehr gut umgesetzt und fühlt sich natürlich an. Während man unterwegs ist, stößt man von Zeit zu Zeit auf Pflanzen, die mitgenommen und untersucht werden können. Einfache Hütten bieten Schutz in der Nacht und kleine Pritschen, auf denen Fieberanfälle ausgeschlafen und die Nächte verbracht werden können. Mit der Zeit sammelt der Spieler so wichtige Zutaten für Medikamente, Stimuli und die Komponenten für die Heilsubstanz der Krankheit zusammen. Das wäre auch nicht so schwierig, lauerte nicht der Tod in Gestalt eines aggressiven, erbarmungslosen Monsters hinter den Büschen…
Es sieht ein wenig aus wie ein Tiger und es bewegt sich schleichend, den Kopf gesenkt, die Augen auf sein Opfer fixiert. Das Monster auf Eden schleicht leichtfüßig und nahezu lautlos. Es kann große Distanzen überwinden und sich gut verstecken. Im direkten Kampf hat man keine Chance gegen die Bestie. Taucht sie auf, helfen nur zwei Dinge: Sich gut verstecken und hoffen. Doch bereits bevor das tigerartige Ungetüm auftaucht, entwickelt Miasmata ein extrem fesselndes, beunruhigendes Spielgefühl. Die Einsamkeit der Insel, die merkwürdigen Steinköpfe, die Symptome der Krankheit, die unheimlichen Geräusche, all das erzeugt eine extrem starke Atmosphäre, die den Spieler langfristig in den Bann zieht. Nachts sieht man fern von allen Lichtern keine zwei Meter weit. Bei Fieber erscheint die Umgebung immer grauer und die Konturen verschwimmen, hin und wieder wird Robert von körperschüttelnden Hustenanfällen übermannt. Wagt man sich auf Hügeln auch nur einen Schritt zu nahe an den Abgrund, überschlägt sich der Hauptcharakter im Sturz abwärts und lässt alles fallen, was er in der Hand hat. Findet der Spieler einen Bachlauf, kann er sich seine Hände waschen und wertvolles Wasser trinken, das er zum Überleben braucht. Es sind der Detailgrad der belebten Umwelt und der hohe Realitätsgrad der Spielmechaniken, die Miasmata so spannend und beunruhigend gestalten. Bei diesem Titel geht es um die Essenz: Sowohl um das Spielen, als auch das Überleben an sich. Das große Finale, bei dem das Gegenmittel vervollständigt wird, steht weniger im Mittelpunkt als die Erkundung der Insel und ihrer natürlichen Ressourcen und Geschichte. Sicherlich kein Titel für eher ungeduldige und action-liebende Rollenspiel- oder Shooter-Spieler, für Adventure-Fans dafür aber umso interessanter.
So realistisch und detailreich die Spielumgebung auch gestaltet ist, es gibt einige Haken, die den Spielspaß von Miasmata etwas trüben. Texteinblendungen, die einen Hilfedialog anbieten oder vorm Verdursten warnen, für eine leichte Unterbrechung des Spielflusses. Hier wäre ein Symbol oder ein Geräusch deutlich besser gewesen. Die sonst fabelhafte Integration des Tagebuches als Informations-Oberfläche für alle wichtigen Elemente ist in diesem Punkt leider nicht genutzt worden. Etwas merkwürdig erscheint auch die Begrenzung der Mitnahme von Pflanzen: Maximal drei unterschiedliche Proben der Fauna kann der Spieler mit sich herumtragen und jede einzelne Form auch nur einmal. Das führt dazu, dass Robert für drei Exemplare einer Pflanze auch dreimal auf die Insel hinausziehen muss. Auch Medikamente können nur einmal mitgeführt werden. Synthetisiert man das gleiche Medikament nochmals, gehen die verwendeten Zutaten verloren. Das ist auf Dauer ein wenig anstrengend, denn der Weg zum Labor ist oft weit. Auf unsere Nachfrage hin erklärte der Spieleentwickler uns, diese Beschränkungen seien bewusst eingebaut worden, um ein Horten von Pflanzen und Medikamenten zu verhindern und die Erkundung der Insel gleichzeitig schwierig und interessant zu gestalten. Etwas umständlich fühlt sich das Ganze beim Spielen aber doch an. Auch ein wenig an der ansonsten realistischen Atmosphäre zerren die anscheinend magischen Ablageflächen für Pflanzen: Was auf einer Fläche in einer Hütte liegt, ist auch auf allen anderen Flächen in allen anderen Hütten der Insel verfügbar. Auch dies erscheint ein wenig merkwürdig und vielleicht wäre ein klassisches Inventar die bessere Lösung gewesen. Zu guter Letzt fragt man sich, warum das lobenswerte und realistische Problem der Dehydrierung nicht auch konsequent auf das Essen erweitert wurde. Denn Nahrung muss man nicht zu sich nehmen, dabei existieren sogar Äpfel im Spiel. Die können allerdings nur geworfen werden. Zu guter Letzt ist das Spiel in der geteseteten Version sehr ressourcenhungrig: Selbst auf modernen Rechnern ruckelt die Darstellung in der höchsten Auflösung, sodass die Effekte reduziert werden müssen. An diesem Problem arbeiten die Entwickler jedoch bereits. In einer Beta-Version, auf die wir während des Testes auch zugreifen konnten, war die benötigte Rechenleistung bereits deutlich niedriger. Ein Patch soll in den nächsten Wochen erscheinen.
Die genannten Kritikpunkte sollen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Miasmata um ein extrem innovatives, packendes und sehr gut konzipiertes Spiel handelt. Die enorme Spannung und die ständige, subtile Bedrohung die der Titel aufbaut, können voll überzeugen. Das Spiel ist sicherlich nichts für Ungeduldige, die am liebsten im Schnellverfahren über die Insel rauschen, das Vieh köpfen und alle Zutaten zusammensammeln würden. Wer sich jedoch auf Miasmata einlässt, wird mit einem langanhaltenden, spannenden Spielerlebnis belohnt, das sorgfältige Planung der einzelnen Expeditionen verlangt. Die sorgsam ausgewählten Geräusche und die selten im Hintergrund spielenden Musikfragmente, die detailreiche Grafik (wenn sie denn einigermaßen ruckelfrei dargestellt wird) und der dynamische Ablauf machen das Spiel zu einem ungewöhnlichen, aber sehr starken Titel, auch wenn es keine klassischen Rätsel zu lösen gibt. Miasmata ist ein kleines Meisterwerk.
Mein Spieltest begann an einem Freitagabend um 20 Uhr. Nach 10 Minuten stand meine Mitbewohnerin gebannt neben mir und schaute ebenfalls auf den Bildschirm. Langsam untersuchte ich die Insel zum ersten Mal, synthetisierte erste Medikamente, plante Expeditionen, zeichnete die Karte… und plötzlich war es Samstagmorgen. Miasmata entwickelt einen starken Sog, dem man sich nur schwer wieder entziehen kann, selbst wenn das Monster einen regelmäßig von hinten überrascht und ins Jenseits schickt.
Links:
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