Die Game Developer's Conference ist die wichtigste Konferenz speziell für Spieleentwickler. Im vergangenen Jahr hatten wir uns beim europäischen Ableger unters Volk gemischt und uns nach Themen umgesehen, die auch für Adventure-Spieler interessant sein können. Dabei fiel uns der Vortrag von Revolution-Software-Gründer und Baphomets-Fluch-Urvater Charles Cecil zum etwas sperrig klingenden Thema „Adopting the Hollywood Production Model: How Revolution Reinvented Itself and Broken Sword for the App Age“ ins Auge. Wir waren für euch dabei und haben einen spannenden Rückblick auf die Geschichte des britischen Adventure-Entwicklers erlebt.
Zum Einstieg seines Vortrags ging Charles Cecil ganz an die Anfänge der Spielebranche zurück, die aus seiner Sicht mit dem Sinclair ZX80 begann und mit dem Nachfolger ZX81 aus dem Jahr 1981 an Schwung gewinnen konnte. In dieser Zeit wurde Cecil damit beauftragt, ein Textadventure zu entwickeln, dessen Name „Adventure B“ andeutete, dass es auf das zuvor von einem anderen Entwickler geschriebene „Adventure A“ folgte. Cecils nächstes Spiel hieß wenig überraschend Adventure C. Es folgten 1K Chess, das ein vollständiges Schachspiel in ein Kilobyte presste, und 3D Monster Maze, ein Vorläufer des noch nicht geborenen Egoshooter-Genres. Auf diese Spiele schien Cecil deutlich stolzer zu sein als auf das von ihm selbst gestaltete Logo seiner damaligen Firma Artic Computing, das ihm heute noch peinlich ist. Nach seinen ersten Erfahrungen in der Spielebranche und einer Auftragsarbeit für U.S. Gold gründete Cecil 1990 seine Firma Revolution Software.
Deren erstes Spiel war eine Reaktion auf Sierras Genre-Platzhirsch King's Quest V. Dieses Spiel nahm sich selbst so ernst, dass Cecil einen Widerspruch zur Idee der Spielebranche witterte und einen leichteren, weniger ernsthaften Titel dagegenhalten wollte. In der damaligen Zeit gelang das noch für gerade einmal 20.000 Pfund, der bescheidene Betrag, für den Lure of the Temptress entstand.
Ein wichtiges Designziel war für Cecil, den latenten, oft aber auch sehr offensiven Sexismus seiner Branche nicht mitzugehen. Wie es dann zu dem Cover mit der drallen Antagonistin und dem Titel Lure of the Temptress (zu Deutsch „Das Locken der Verführerin“) kam, erzählt eine lehrreiche Episode über die Welt der Spieleentwicklung. Publisher Mirrorsoft hatte Revolution gebeten, eine Liste mit Namensvorschlägen für das Spiel zusammenzustellen. Cecil fertigte eine Liste an und schrieb als letzten Punkt als Scherz „Lure of the Temptress“ auf die Liste. Mirrorsoft gefiel dieser Titel dann aber so gut, dass das Spiel so heißen sollte. Dass es weder ein Locken noch eine Verführerin im Spiel gab, war da nicht von Bedeutung. Stattdessen gab der Geldgeber dem Entwickler drei zusätzliche Monate, um die fehlenden Elemente einzubauen. Wer sich also schon mal gefragt hat, warum das Spielende recht unzusammenhängend wirkt: Das ist der Grund.
Das nächste Spiel von Revolution, „Beneath a Steel Sky“, kam im Vortrag nur kurz zur Sprache. Hier begann die Zusammenarbeit zwischen Revolution und dem Watchmen-Zeichner Dave Gibbons. Der malte die Hintergründe auf Papier und scannte seine Gemälde ein, was den charakteristischen Look des Spiels erklärt.
Dann kam die Kooperation mit Virgin Interactive und das wohl bekannteste Revolution-Spiel Baphomets Fluch. Dass Dan Brown in seinem Buch „Sakrileg“ dreist von diesem Spiel abgekupfert hat, sagen zwar Cecil zufolge viele Fans, er selbst würde so etwas aber nie behaupten. Schließlich habe Dan Brown deutlich besser bezahlte Anwälte...
Mit dem 1996 fertig gewordenen Spiel waren jedenfalls alle Beteiligten sehr zufrieden, sowohl die Spieler als auch die Entwickler. Das Budget des Titels lag im 7-stelligen Bereich und war damit knapp 100-mal höher als beim vier Jahre zuvor veröffentlichten Lure of the Temptress und 10.000-mal höher als beim vierzehn Jahre zuvor veröffentlichten Adventure B (für das Cecil allerdings nie bezahlt wurde).
Im Jahr nach der Veröffentlichung von Baphomets Fluch erschien die Playstation, und, so Cecil, „die Playstation hat alles verändert“. Insbesondere sei damals jeder davon überzeugt gewesen, dass 3D die Lösung für alles sei. Virgin Interactive konnte sich nicht vorstellen, dass ein 2D-Spiel auch nur annähernd Erfolg auf einer 3D-Plattform wie der Playstation haben konnte. Die Kritiker sahen das zwar anders und feierten die Konsolenversion von Baphomets Fluch 2, die gerade noch in der Vor-Playstation-Ära angestoßen worden war, danach konnte Revolution Software aber keinen 2D-Titel mehr finanziert bekommen.
Also begab man sich an die Entwicklung von Baphomets Fluch 3, den ersten 3D-Titel der Reihe. Auf einige Aspekte dieses Titels ist Cecil bis heute stolz, beispielsweise auf die Geschichte und das visuelle Konzept. Ihm ist jedoch bewusst, dass viele Fans sich durch den notwendigen Paradigmenwechsel betrogen fühlten. Trotzdem wurden Spiele im Gesamtwert von 20 Millionen Dollar verkauft.
Obwohl die drei ersten Baphomets-Fluch-Spiele erfolgreich waren, war Revolution an diesem Punkt so gut wie pleite. Der Grund ist, dass im damaligen Spielemarkt von den Einnahmen kaum etwas für den Entwickler übrig blieb. In diesem Fall landete weniger als ein Zehntel der Einnahmen bei Revolution. Nach Baphomets Fluch 3 platzte dann auch noch ein Deal mit einem Publisher und die Firma hatte keine andere Wahl als ihre Büros vollständig zu schließen.
Revolution existierte jedoch weiter als Firma, die wenigen Angestellten arbeiteten von zu Hause aus. Charles Cecil selbst wurde während der Entwicklung von Baphomets Fluch 4, dem nächsten Projekt, in den Büros von Sumo Digital untergebracht, die den Großteil der Entwicklung des Spiels verantworteten. Insgesamt war es für einen Spieleentwickler kaum noch möglich, eigene Spiele zu schreiben und auch umzusetzen, also blieb Revolution nichts anderes übrig, als sich neu zu erfinden.
Dann das Jahr 2008: Revolution war es gelungen, Ubisoft von der Idee einer Remastered-Version des ersten Baphomets Fluch für Nintendo DS zu überzeugen. Dafür hatte er Gesichtsanimationen, zwei Stunden neues Gameplay und ein Hilfesystem versprechen müssen – schließlich waren die Zeiten vorbei, in denen sich das breite Publikum an harten Kopfnüssen erfreuen konnte. Doch stellte sich heraus, dass das Herstellen einer DS-Version alles andere als unproblematisch war.
Erster Stolperstein war ein zu großes Vertrauen in die bereits existierende GBA-Version. Anders als erwartet stellte sich heraus, dass die Spiellogik der Gameboy-Version voller Bugs war. Die Daten für die PC-Version lagen zwar auch noch vor, doch fehlten hier die entsprechenden Tools, die Mitte der 90er noch zur Verfügung standen. Letztendlich musste das Spiel für den Nintendo DS ein weiteres Mal neu zusammengesetzt werden.
Schwerer noch wog der Umstand, dass weder hoch aufgelöste Originalgrafiken noch die ursprünglichen Sprachaufnahmen zu finden waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Daten noch einmal gebraucht werden, schien 10 Jahre vorher so gering zu sein, dass beim Umziehen der Büros dem Erhalt dieser wertvollen Originale keine besonders hohe Priorität zugestanden wurde. Es blieb deswegen keine andere Wahl, die komprimierten Files der PC-Version um neu produziertes Material zu ergänzen. So entstanden beispielsweise gravierende Schwankungen in der Audioqualität, die bei den späteren Neuauflagen, beispielsweise für die Wii, regelmäßig kritisiert wurden.
Für die Produktion dieser Remastered-Edition kam bei Revolution zum ersten Mal das „Hollywood Production Model“ zum Einsatz. Statt ganz klassisch ein großes Studio mit Büros zu unterhalten, beschäftigte Cecil von zu Hause aus gezielt die Freelancer, die er gerade brauchte. Diese Arbeitsbeziehung bezeichnet Cecil als deutlich produktiver und kreativer als ein klassisches Angestelltenverhältnis. Ein weiterer Vorteil ist für ihn die höhere Effizienz: Statt ständig Besprechungen in der großen Gruppe abzuhalten, bei denen vielleicht nur ein kleiner Prozentsatz der Teilnehmer wirklich benötigt wird, lassen sich Meetings spontan per Skype initiieren und jeweils die Mitarbeiter einklinken, die gerade etwas zur Diskussion beitragen können. Die komplette Gruppe wurde nur einmal pro Woche – ebenfalls via Skype – zusammengetrommelt, ein tatsächliches Treffen vor Ort war alle zwei Monate für zwei Tage eingeplant.
Nachdem die Zusammenarbeit mit Ubisoft beendet war, aus der DS- und Wii-Version von Baphomets Fluch hervorgingen, stellte sich für Revolution die Frage, wie es weitergehen würde. Das neue System mit einem Kernteam von 4-5 Mitarbeitern und bei Bedarf dazugeholten Freelancern war jetzt erprobt, doch stand man zunächst wieder ohne Publisher da. In dieser Zeit meldete sich niemand Geringeres als Apple, die vorschlugen, eine Version für das iPhone zu entwickeln.
Da gerade erst die relativ teuren Nintendo-Remakes bei Ubisoft erschienen waren, entschied sich Cecil gegen eine sofortige Umsetzung für den Niedrigpreis-Sektor im App Store. Stattdessen portierte er zum Einstieg in den Apple-Markt Beneath a Steel Sky, das ebenfalls noch 2009 auf den Markt kam. Bei diesem Titel war nach Ansicht von Cecil das Marketing extrem wichtig: Das Spiel musste als „Neuerfindung eines Klassikers“ ankommen und unter keinen Umständen als „billiger Versuch, aus veraltetem Material Kapital zu schlagen“. Deswegen arbeitete Revolution mit der aus dem Film-Bereich bekannten Organisation BAFTA zusammen, mit Dave Gibbons, der einen Comic beisteuerte, und unternahm alles, dass ein möglichst breites Medienspektrum den 2,39-Euro-Titel besprach. Mit Erfolg, wie sich am Ende herausstellte: Beneath a Steel Sky verkaufte sich für iPhone und iPod Touch bis heute über 100.000-mal.
Mit solchen Verkaufszahlen im Rücken arbeitete Revolution dann für 2010 an Baphomets Fluch Remastered für das iPhone. Da die Firma sich jetzt auf die Nintendo-Versionen stützen konnte, blieb der Aufwand für diese Version im Rahmen. Gute Erfahrungen machte Cecil dann auch mit dem Manager des Londoner Apple Stores, dem er vorschlug, einen Event zur Feier der Veröffentlichung zu veranstalten. Die Antwort des Managers: „Robbie Williams war letzte Woche da, nächste Woche kommt die Besetzung von Vampire Diaries... ja, danach die Woche können wir das machen.“ Auch hier war das Marketing erfolgreich, Baphomets Fluch Remastered für iOS verkaufte sich bis heute über eine viertel Million mal.
Preislich orientiert sich Revolution für Apple-Verhältnisse im „Premium-Bereich“. Während die einen, Stichwort Freemium, ihre Spiele kostenlos verteilen und nur bei Zusatzinhalten kassieren, und andere ihre Spiele für weniger als 1 Euro an möglichst viele Spieler verteilen, verlangt Charles Cecil beharrlich 4 Euro (Teil 1) bzw. um die 5 Euro (Teil 2) für die Remastered-Editionen: „Wenn ich den Preis meiner Spiele immer wieder auf einen Dollar senke, wie es EA oder Gameloft machen, dann wird niemand den vollen Preis von fünf Dollar dafür zahlen – schließlich weiß jeder, dass der Preis bald wieder sinkt.“
Eine nennenswerte Ausnahme gab es dann aber doch. Ende 2010, also über ein Jahr nach der Veröffentlichung, wollte Apple Baphomets Fluch für einen Tag im Rahmen der Aktion „12 Days of Christmas“ verschenken. Anfang Januar war es dann so weit und in nur 24 Stunden wurde das Spiel über 2 Millionen mal kostenlos heruntergeladen. Und auch dieses Experiment wurde zum Erfolg: Das Adventure schnellte an die Spitze aller Charts, „Broken Sword“ war an dem Tag das am zehnthäufigsten getwitterte Stichwort und die Verkaufszahlen nach der Aktion waren um den Faktor 4 bis 5 höher als davor. Vermutlich hatte dieselbe Aktion für den zweiten Teil Ende 2011 einen ähnlich durchschlagenden Erfolg.
Bleibt die Frage, wie die Zukunft für Revolution Software aussieht. Hier war Charles Cecil auch auf der GDC betont unverbindlich. Immerhin hat er verraten, dass Revolution damit experimentiert, das Freemium-Konzept (also kostenloser Download mit hinzukaufbaren Inhalten) auf storybasierte Spiele anzuwenden. Ein konkretes Produkt wurde hier aber nicht in Aussicht gestellt. Auch alle Antworten auf die tausendfach gestellte Frage nach Baphomets Fluch 5 bleiben unkonkret. Ja, irgendwann wird es kommen, aber ob es das nächste Spiel von Revolution sein wird? Wir wissen es nicht.
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