Regisseur Adrian Carr trat der Tex-Murphy-Crew bei den Dreharbeiten zur Pandora Akte bei und ist seitdem fester Bestandteil des Teams von Aaron Conners und Chris Jones.
Adventure-Treff: Hallo Adrian, nach mehreren Interviews mit Aaron Conners und Chris Jones freue ich mich sehr, ein weiteres Mitglied der Tex-Murphy-Gang beim Adventure-Treff zu begrüßen. Lass uns zunächst zu deinen Anfängen zurückgehen. Wann wusstest du, dass du irgendwann Regisseur werden willst und was hat dich derart beeinflusst, dass du zu dieser Entscheidung kamst?
Adrian Carr: Es war 1969 in der Schule. Ich war 16 und mein Kunstlehrer, John Eagle, hat gefragt, ob irgendjemand Lust hat, als Teil des Curriculums einen 16mm-Film zu drehen, woraufhin ich mich gemeldet habe. Eigentlich war dies ein Projekt, wie es damals in keiner australischen Schule üblich war.
Mitte der 60er hatte der Mann aus U.N.C.L.E. großen Einfluss auf mich, worauf wir eine Parodie namens N.U.C.L.E. (the Newtork for Utter and Complete Lunacy in Espionage) gedreht haben. Damit hat alles angefangen, lange vor VHS-Kassetten und DVDs. Es ist schön zu sehen, dass es an australischen Schulen mittlerweile Filmemachen und Medienunterricht als Fächer gibt.
A-T: Gab es vielleicht einen ganz besonderen Schlüsselmoment, wie manche andere Regisseure ihn hatten?
Adrian: Ja, den gab es. Eines Morgens ging ich zur Haustür, um die Milch zu holen, und fand im Briefkasten einen Brief, auf dem mein Name stand. In dem Brief waren 200 australische Dollar und ein Zettel, auf dem lediglich stand „Ich hoffe, dieser geringe Betrag wird dir helfen, deinen Traum zu leben.“ Bis heute weiß ich nicht, wer mir diesen Brief geschickt hat, aber seit diesem einen Moment lebe ich in der Tat meinen Traum.
A-T: Was war dein erster professioneller Job in der Filmwelt und was für Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Adrian: Mein erster Job war eine Stelle im Postraum der ABC (Australian Broadcasting Commision). Innerhalb von drei Monaten wurde ich den Schneideraum versetzt und verbrachte die nächsten drei Jahre damit, Nachrichtensendungen und Dokumentationen zu schneiden. Einmal habe ich in dieser Zeit Regie für einen Promo-Spot geführt, der eigentlich nur einmal ausgestrahlt werden sollte, am Ende aber sechs Wochen lief. Zur gleichen Zeit habe ich Photographie studiert und – um ein besseres Verständnis für Schauspieler zu bekommen - für zwei Jahre das Stanislavski-System vom verstorbenen Shayna Hevron gelernt. Dies hat mir später sowohl im Schneideraum als auch als Regisseur sehr geholfen, das Maximum aus den Leistungen der Schauspieler herauszufiltern.
Irgendwann habe ich die ABC verlassen und begonnen, für die größte Produktionsfirma in Australien zu arbeiten (Crawford Productions). Ich habe zwei Jahre lang als Assistent gearbeitet und anschließend im Schneideraum. Als ich androhte in die USA zu gehen, um das Filmemachen zu studieren, war der Produktionschef so beeindruckt, dass ich befördert wurde. Fortan durfte ich ihr bestes Pferd im Stall – die Serie Homicide – schneiden, deren Folge Stopover (in Spielfilmlänge) verschiedene Auszeichnungen gewann.
Nach vier Jahren trat ich Fred Schepisis Film House bei und begann nun mit dem Schneiden von 35mm-Filmen. Dort schnitt ich auch den Film Harlequin und den kommerziellen Hit The Man from Snowy River. Irgendwann entschloss ich mich dann allerdings, mich selbstständig zu machen.
Während ich den Cheryl-Ladd-Film Now and Forever schnitt, wurde ich gefragt, ob ich den Regisseursposten übernehmen möchte, da der Regisseur nach zwei Wochen gefeuert wurde. Ich hatte es mir nicht vorgestellt, auf diese Art meinen ersten Job als Regisseur zu bekommen, aber natürlich habe ich die Chance wahrgenommen, das Beste daraus gemacht, den Film rechtzeitig abgedreht und bin dabei sogar unter dem geplanten Budget geblieben. Bei diesem Dreh realisierte ich, dass ich wirklich bereit für diese Aufgabe war, es nun aber an der Zeit war, mehr über das Schreiben von Drehbüchern zu erfahren.
A-T: Bitte verschaffe uns einen kurzen Überblick über die Filme, bei denen du Regie geführt hast und sag uns, auf welche von ihnen du besonders stolz bist.
Adrian: Nach Now and Forever habe ich erstmal eine Weile Filme wie den US-Streifen D.A.R.Y.L. (1989) geschnitten, bevor ich dann 1989 als Regisseur am Actionfilm The Sword of Bushido gearbeitet habe, in dem Richard Norton (Big Jim Slade aus Tex Murphy Overseer) die Hauptrolle gespielt hat. Anschließend habe ich Quigley der Australier geschnitten und dort auch die Aufgabe als 2nd-Unit-Regisseur übernommen.
1992 zog ich dann mit meiner Frau Rosemary (die übrigens auch eine Rolle im Tex Murphy Radio Theatre gespielt hat) in die USA und führte beim Pilotfilm und den ersten Episoden von Power Rangers Regie. In den späten 90ern habe ich als Regisseur an einigen Folgen von The New Adventures of Robin Hood gearbeitet.
Im letzten Jahrzehnt habe ich hauptsächlich Drehbücher geschrieben. Mein bestes Projekt als Regisseur liegt definitiv noch vor mir! Das Projekt, auf das ich bislang am stolzesten bin, ist der Kurzfilm Blood Makes Noise, der mehrere Preise gewonnen hat.
Ihr könnt euch einige Clips in meiner Youtube-Playlist ansehen.
A-T: Lass uns nun zu Tex Murphy kommen. Wie bist du damals an Bord gekommen, nachdem Chris und Aaron bei Under a Killing Moon noch selbst die Regie geführt haben?
Adrian: Die Casting-Agentin Catrine McGregor hat mich damals Chris und Aaron vorgestellt. Nun, die beiden haben ihrem Instinkt vertraut und schon saß ich in einem Flugzeug nach Salt Lake City, um bei etwas Regie zu führen, das für mich komplettes Neuland war. Ursprünglich wollten sie, dass ich mich nur um die Szenen mit den Hollywoodschauspielern kümmere, aber nach dem ersten Drehtag haben sie mich dann gefragt, ob ich auch den ganzen Rest übernehme, woraufhin ich Ja gesagt habe.
A-T: Hast du Under a Killing Moon gespielt, bevor du dich entschlossen hast, die Arbeit an der Pandora Akte zu übernehmen? Falls dem so sein sollte, was waren deine Gedanken?
Adrian: Nein, ich habe Under a Killing Moon nie gespielt. Ich wurde letztlich ins kalte Wasser geworfen. Viel weiter als Space Invaders und Phoenix in den frühen 80ern war ich in Sachen Videospiele damals eigentlich nicht gekommen. Mir wurden ein paar Szenen aus Under a Killing Moon gezeigt, in denen Chris mit Margot Kidder und Brian Keith „interagiert“ hat. Ganz ehrlich… für mich sah das ein bisschen gestelzt aus.
Chris war ziemlich aufrichtig zu mir in der Tatsache, dass er damals gehöriges Nervenflattern hatte, mit professionellen Hollywoodschauspielern zu drehen, was dazu führte, dass all seine Auftritte in Under a Killing Moon separiert gedreht wurden. Ihr könnt ja beispielsweise mal in der Szene mit Margot Kidder darauf achten, dass Tex mit ihr redet, „eingefroren“ wird, woraufhin Margot redet, sie eingefroren wird und wieder Tex redet. Es gab keine wirkliche Interaktion.
Mein erster Rat an Chris war der, dieses System aufzugeben und Interaktion ins Spiel zu bringen. Es ist genau diese Form von Interaktion, die den Spieler emotional involviert.
A-T: Hattest du als jemand, der aus der klassischen Filmindustrie kam, Vorbehalte dagegen, an einem Computerspiel mitzuwirken oder warst du wegen all der neuen Möglichkeiten eher aufgeregt?
Adrian: Ich war sehr aufgeregt! Ehrlich, ich wusste damals nicht mal, was eine CD-ROM ist, was dir einen guten Eindruck davon gibt, wie viel Ahnung ich von der Materie hatte. Es gab auch keine Pre-Production-Phase für mich. Aber meine über zwanzig jährige Erfahrung hat mich glücklicherweise auf diese Aufgabe vorbereitet. Was ich hingegen nicht wusste, war der Umstand, dass ich mit der Creme de la Creme des Adventure-Genres zusammenarbeiten würde.
Ich weiß noch, es war Ostern. Ich bin am Nachmittag nach Salt Lake City geflogen und habe Chris und Aaron zum ersten Mal getroffen. Am Freitag gaben sie mir einen Crash-Kurs in Sachen Adventures. Bereits am Samstag lernte ich, wie diese 3D-Sets funktionieren und wie die Beleuchtung in dieser Welt abläuft. Es war unablässlich, dass ich interaktive Beleuchtung am Set benutze, damit Tex sich organisch in seine Umgebung einfügt. Am Samstag haben wir dann die Storyboards für die Malloy-Szenen und für die Eröffnungssequenz mit dem Black-Arrow-Killer in Angriff genommen. Aaron und ich aßen an diesem Abend mit John Agar, bereiteten ihn auf seine Rolle vor und erklärten, wie das Blue-Screen-System funktioniert. Am Montag ging es dann bereits richtig los.
Für mich waren dies die größten Herausforderungen:
1.) Es war nicht möglich, die Kamera zu bewegen.
2.) Ich musste mit einer limitierten Farbpalette von 256 Farben auskommen.
3.) Jede Szene würde mit einer FPS (Framerate per second) von 10 auskommen müssen, was natürlich zu einer Verzerrung der Realität geführt hat.
4.) Alles würde am Blue-Screen mit sehr, sehr wenigen Requisiten aufgenommen.
5.) Oh, und dann war da noch das Studio, welches NICHT isoliert war und sich zu allem Überfluss auch noch am Ende einer Startbahn des Flughafens von Salt Lake City befand.
Die interaktiven Unterhaltungen waren wirklich aufregend, da das Script nicht in einem üblichen Drehbuchformat vorlag, sondern die Dialoge an einem Flip-Chart aufgezeichnet waren. Manchmal musste ich verschiedene Antworten zur selben Fragen drehen, je nachdem, auf welchem Pfad sich der Spieler befand. Auch die normalen Szenen hatten teilweise eine völlig unterschiedliche Dynamik, basierend auf dem Weg, den der Spieler eingeschlagen hat. Für mich ist die Pandora Akte das Beispiel, das dem Begriff interaktiver Film bis heute am nächsten gekommen ist.
A-T: Bitte teile uns deine Highlights in Bezug auf das Regieführen bei der Pandora Akte mit.
Adrian: So viele Erinnerungen… bis heute bin ich sprachlos, was wir in diesem winzigen Blue-Screen-Studio hinbekommen haben. Mir ist es generell wichtig, dass am Set der Spaß nicht zu kurz kommt, aber an keinem anderen Set hatte ich so viel Spaß wie mit Chris and Aaron. Ihr Enthusiasmus und ihre Begeisterung haben sich sofort auf mich übertragen.
Eine meiner Lieblingsszenen ist die, in der Kevin McCarthy sagt: „Hülsen! Hülsen! Ich hasse Hülsen!“ Ich hatte KevinMcCarthy gebeten, einen Verweis auf seinen legendären Film Invasion of the Body Snatchers (Die Dämonischen) einzubauen, den Aaron dann auf der Stelle ins Script eingefügt hat.
Eine der prägnantesten Szenen ist für mich eine auf dem düsteren Noir-Pfad, in dem Tex mit Regan schläft und als Clown endet. An dieser Szene ist etwas Magisches.
Ich habe es zu meiner Freude geschafft, Chris dazu zu überreden, eine Szene mit beweglicher Kamera einzubauen, worauf er sich nur mit großem Widerwillen eingelassen hat. Mir war der Grund zunächst nicht bewusst, aber tatsächlich war es so, dass solche Einstellungen enorm viel an Speicherkapazität erfordert haben. Die Szene, die ich im Kopf hatte, war die, in der der Black Arrow Killer den Raum des toten Mädchens durchwühlt. Na ja, jedenfalls war es mit der beweglichen Kamera dann ziemlich schnell wieder vorbei.
A-T: Mit welchen Schauspielern hast du bei der Pandora Akte besonders gerne zusammengearbeitet?
Adrian: Die verstorbenen Kevin McCarthy und John Agar. Beide waren total Old School mit sehr viel Professionalität und viel Respekt vor dem geschriebenen Wort. John hat sich oft entschuldigt, wenn er eine Zeile versemmelt hat und nannte mich aus Respekt Sir. Wahrscheinlich hatte er das noch aus seinen Tagen mit John Ford. Kevin McCarthy hingegen machte im einen Moment noch einen Witz oder erzählte eine Anekdote, nur um im nächsten Moment im Bruchteil einer Sekunde in die Rolle von Gordon Fitzpatrick zu schlüpfen. Es war einfach großartig, mit ihm zu arbeiten!
Tanya Roberts war zum Niederknien. Total relaxt und sehr angenehm im Umgang.
Barry Corbin hat sich als totaler Profi erwiesen, der von Seattle nach Salt Lake geflogen und um 11 am Vormittag in seiner Rolle am Set aufgetaucht ist. Barry Corbin war so intensiv, dass Chris in der Verhörungsszene mit Jackson Cross mächtig Schiss bekommen hat. Spoiler: Bill Bradshaw, der Archie Ellis gespielt hat, war in der Szene, in der von Barry Corbin erschossen wird, so rührend, dass Aaron und Chris kurzerhand eine neue Szene eingebaut haben, in der Archie auf dem ersten Pfad überlebt und sich am Ende auf einer exotischen Insel voll von hübschen Frauen wieder findet.
Dann gibt es da natürlich auch noch Suzanne Barnes, die ein weiteres Mal Chelsee Bando gespielt hat. Ehrlich, eine wahnsinnig talentierte Frau, die dazu auch noch ein sehr liebenswürdiger Mensch ist. Ihre Chemie mit Chris war für uns essenziell, um ihre Beziehung im Spiel glaubhaft zu machen. Hätte ihr Zusammenspiel nicht funktioniert, wären wir verdammt gewesen. Sie hat Chelsee so glaubwürdig gespielt, dass dir das Herz weh tut, dass Tex nicht sieht, was für einen treuen Freund er in ihr hat – auch wenn es darauf ankommt, für welchen Weg sich der Spieler entscheidet.
Und was Tex angeht: Ich war mir unschlüssig, was die schauspielerischen Qualitäten von Chris angeht, bevor wir uns getroffen haben, aber bereits nach dem ersten Take entwich mir ein riesiger Seufzer der Erleichterung. Chris Jones IST Tex Murphy. Dass Chris Jones als Geschäftsführer eines Softwareunternehmens mit den schwierigen Aufgaben klar gekommen ist, eine Firma zu leiten, Adventures zu entwickeln und jeden Tag Entscheidungen treffen musste, die über Erfolg oder Nichterfolg entscheiden, zeigt bereits seine Professionalität. Ich kann mir nur entfernt vorstellen, unter welchem Druck er gestanden haben muss, aber am Ende hat er an jedem Drehtag seine Leistung gebracht und es geschafft, neben Profis aus Hollywood zu bestehen. Weder in der Pandora Akte noch in Overseer hatte irgendeiner der anderen Schauspieler irgendwas an der Leistung von Chris auszusetzen!
Mitteilungen im Verwendungszweck verlesen wir ab einer Höhe von 25 € gerne im Podcast. Bitte beachtet, dass wir leider keine steuerrechtlich anrechenbare Spendenquittungen ausstellen können.
Mit jedem Einkauf bei unseren Partnern unterstützt ihr die Arbeit des Adventure-Treff e.V.