Dem Adventure-Genre geht es so gut wie lange nicht. Tim Schafers Kickstarter-Odyssee Broken Age wird nach jüngsten Erkenntnissen trotz gut 6 Millionen verbrauchter Dollar keinen Verlust einfahren, Life is Strange feiert noch vor dem Release der vierten Episode eine Million verkaufte Staffeln, die wiederbelebte King’s-Quest-Reihe wird mit großem Tamtam und unter Einbeziehung der Genre-Pioniere Ken & Roberta Williams angekündigt und während unser doppeltes Adventure des Jahrzehnts, The Longest Journey, dank Crowdfunding mit Millionenbudget in die dritte Runde gehen kann, findet selbst eine kleine Indie-Perle wie Her Story jede Menge verdiente Mainstream-Aufmerksamkeit. Toll, unser einstiges Nischen-Genre hat endlich wieder die Budgets, die Aufmerksamkeit und die breite Akzeptanz, die wir ihm gewünscht haben. Holt den Champagner, jetzt wird gefeiert!
Nein? Nein, nicht ganz. Den obigen Jubelmeldungen stehen besorgniserregende Beobachtungen entgegen, die ein anderes Bild zeichnen. In einem Facebook-Beitrag von Daedalic ist zu lesen, ihre „letzten Spiele mit Synchro“ hätten sich in Deutschland, dem traditionell wichtigsten Adventure-Markt, keine 2.000 mal verkauft. Und die Wege von Kickstarter & Co sind von zahllosen Projekten gepflastert, die schon an der lächerlich geringen Hürde von 10.000 Dollar brutal scheitern. Selbst das erfolgreiche und hervorragend gelungene The Book of Unwritten Tales 2 konnte kein Zwanzigstel der Broken-Age-Unterstützer für sich gewinnen.
Ein Teil der genannten Beispiele illustriert das bekannte Phänomen, dass mit großen Namen viel Geld zu machen ist. Heißt man Tim Schafer, öffnet sich in der Gaming-Welt das Portemonnaie, heißt man Charles Cecil, wird einem auch noch eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil, aber ein Jan Kavan muss mit Winz-Budget und Zwei-Mann-Team auskommen. Diesen Effekt hat es immer gegeben und es wird ihn immer geben, nicht nur bei Computerspielen.
Doch es gibt eine andere Schere, die sich immer weiter öffnet. Das millionenfach verkaufte Life is Strange hat weder Designer-Legenden noch populäre Lizenz zu bieten. Quantic-Dream-Titel wie zuletzt Beyond: Two Souls verkaufen sich sogar zum happigen Konsolen-Vollpreis millionenfach und auch das von sämtlichen Mainstream-Websites besprochene Her Story kam aus dem Nichts.
Die Schere, die sich schon seit den Anfängen zaghaft öffnet, aber in jüngerer Vergangenheit immer dramatischer auseinderklafft, ist die zwischen den Entwicklern, die sich an dem in den späten 80ern und frühen 90ern besonders durch die Veröffentlichungen von Sierra und LucasArts festzementierten Genre-Prototyp halten und jenen, die verstanden haben, wie die Ideen und Prinzipien klassischer Adventures weitergedacht werden müssen, um einen messbaren Teil des heutigen Videospiele-Publikums zu fesseln.
Das heißt weder, dass diese Entwickler den klassischen Typus, den wir im Adventure-Treff seit jeher als unseren Kernbereich betrachten, mit ihren Spielen „verbessern“, noch dass sie ihn durch Veränderungen „beschädigen“. Vielmehr nehmen sie Mechaniken, die Adventures auszeichnen, seien es der Fokus auf das Erzählen von Geschichten, die fehlende bis geringe Abhängigkeit vom Geschick des Spielers, oder das Lösen von Rätseln und hüllen sie, neu kombiniert, in ein modernes Gewand.
Und ja, dabei können liebgewonnene Aspekte wie Rätsel auf der Strecke bleiben, wie man den ständigen Klagen in unserer Community über die aktuellen Telltale-Titel entnehmen kann. Auch Life is Strange oder die interaktiven Filme von Quantic Dream zeigen diesen Trend. Trotzdem halte ich The Walking Dead, Heavy Rain und Her Story für äußerst spannende, kurzweilige, geradezu mitreißende Erlebnisse.
An anderer Stelle wird brillantes Rätseldesign für den Mainstream aufbereitet. Spätestens seit Portal sind kluge Puzzle-Games auch in der breiten Spieler-Öffentlichkeit en vogue, wie das genial vertrackte (wenn auch nicht mehr taufrische) Fez zeigt oder, aktuell, die philosophische Knobelei The Talos Principle, die Croteam nun statt der stumpfen Balleria Serious Sam herstellt. Dass intelligente Rätselspiele es geschafft haben, aus der Mathestreber-Ecke herauszutreten und breiten Anklang in der Welt der Computerspieler zu finden, ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig gewürdigt worden – zumal diese Titel oftmals bessere Geschichten erzählen, als so manches klassische Adventure.
Dass diese Entwicklungen im Randbereich des Genres oder ganz zwischen Genregrenzen heutzutage so viel besser gelingen als vor, sagen wir, 10 Jahren, liegt wohl daran, dass die kreativen Köpfe der Branche immer besser darin werden, Gameplay-Konzepte komplett neu zu entwickeln, anstatt Neuerungen an bestehende Konzepte wie Fremdkörper anzupfropfen. Ob die Gründe dafür mehr in der florierenden Indie-Welt liegen, die Ideen ohne klassisches Publisher-Modell freier entwickeln kann, in der Umgehung technischer Herausforderungen durch die Verwendung etablierter, leicht zu bedienender Software wie Unity oder Unreal Engine, oder ganz woanders – da bin ich überfragt. Ich kann aber sagen, dass mir diese Entwicklung gefällt, auch wenn sie bedeutet, dass das Nischendasein der klassischen Point-and-Click-Adventures durch deren ungleich erfolgreichere Verwandtschaft umso deutlicher wird.
Schon seit der letzten gamescom scheint Daedalic seine Fans vorsichtig darauf vorbereiten zu wollen, dass das fantastisch aussehende Silence: The Whispered World 2 keinen großen Fokus auf komplexe Rätsel legen wird. Meine persönliche Vermutung ist, gerade mit Blick auf die gigantischen Umsatzerwartungen von Bastei Lübbe, dass das Spiel nicht mal einen kleinen Fokus darauf legen wird, also weitgehend ohne echte Rätsel auskommen muss. Ich kann mich natürlich irren, nach der kommenden gamescom wissen wir da vielleicht mehr, aber selbst wenn ich Recht behalte und Silence eher interaktiver Film denn Knobelei wird: mir ist’s gleich. Wenn ich Rätsel will, nehme ich mir halt das nach wie vor ungespielte Talos Principle zur Brust.
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