They Stole A Million war ein Strategiespiel für Heimcomputer aus dem Jahre 1986, bei dem man einen Einbruch planen und ausführen musste. Seit Anfang 2015 steht They Stole A Million auch für ein Live Escape Game des Hamburger Startups Adventure-Team. Escape Game – im Regelfall denkt man da an billig gemachte 1st-Person-Spielchen aus dem Pleistozän der Handyspiele. Beim Begriff „Live Escape Games“ hingegen haben viele noch kein klares Bild im Kopf, obwohl das Produkt seit den 1990er-Jahren existiert und in Deutschland seit mindestens zwei Jahren etabliert ist. Deshalb vorab der schnelle Versuch einer Definition:
Mehrere Spieler bilden eine Gruppe und bekommen eine mehr oder weniger umfangreiche Vorgeschichte vermittelt. Anschließend begibt sich die Gruppe in einen Raum, der der Story entsprechend gestaltet ist. Hier müssen Puzzles (im Adventuresinne) gelöst werden, um die Geschichte voranzutreiben und den Raum schlussendlich verlassen zu können. Es können auch mehrere Räume sein, und der Raum kann je nach Story auch vorzeitig verlassen werden, was dann halt einen Fail darstellt – wir wollen mal nicht päpstlicher werden als der Papst, ihr habt jetzt ein ungefähres Bild vor Augen.
They Stole A Million also. Es gibt eine kleine Story: Im Hamburger Kunstmuseum wird zur Zeit eine Sammlung weltberühmter Briefmarken ausgestellt. Der Kunstliebhaber „Mr. Pink“ möchte diese in seinen Besitz bringen und engagiert ein Team von Spezialisten, das die Marken stehlen soll. Drei Mal dürft ihr raten, wer eben diese Spezialisten sind...
...und so begab es sich, dass der Adventure-Treff, Deutschlands führendes Magazin für investigativen Adventurejournalismus, auszog, ein Live Escape Game zu testen. Die Community-Mitglieder Bakhtosh und enigma sowie der Autor dieser Zeilen trafen sich am altehrwürdigen Hamburger Gänsemarkt und betraten die Räumlichkeiten von Adventure-Team im zweiten Stock eines Geschäftshauses. Da ein Live Escape Game davon lebt, dass man mit unbekannten Situationen konfrontiert wird, können wir nur eingeschränkt berichten – Spoilergefahr. Im folgenden folgen also nur allgemeine Eindrücke, die euch aber ein gutes Bild davon vermitteln sollten, ob ein Live Escape Game etwas für euch ist.
Mitgründer Daniel Scholz empfängt uns im beengten Bürobereich der Firma, und wir lümmeln uns auf ein bereitstehendes Sofa. Nach etwas Smalltalk zum Beschnuppern folgt eine kurze, allgemeine Einführung in das Wesen eines Live Escape Games. Die Hintergrundgeschichte des heute zu absolvierenden Spiels wird grob mündlich umrissen und danach durch ein Video vertieft, das auf einem Flatscreen gezeigt wird. Eine Hollywood-Produktion ist das offensichtlich nicht, für ein Amateurfilmchen ist es aber gut gemacht. Die letzten Regeln werden erklärt: 60 Minuten Zeitlimit, nichts anfassen, was mit Klebeband abgesichert ist, und auch sonst das alte Abenteurermotto „If in doubt, use brute force“ zu Hause lassen. Dann geht es durch eine Tür in den ersten der beiden Spielräume.
Es ist ein Büroraum. Da kann man einen Bühnenbildner engagieren, in ein Kunstmuseum kriegt man den Raum nicht verwandelt. Das macht aber nichts, der Schwerpunkt liegt eh nicht auf einer Illusion, sondern auf den Puzzles, und da fährt Adventure-Team einiges auf. Im ersten Raum sind die Puzzles und deren dingliche Implementierung noch eher konventionell – zu verraten, dass es Zahlenschlösser zu knacken gibt, stellt wohl schwerlich einen Geheimnisverrat dar. Ein Rätsel aus der Kategorie „Gegenstände kombinieren“ nötigt aber auch hier schon Respekt ab. Außerdem gibt es ein kleines Achievement: Ein für die Lösung des Spiels nicht notwendiges Bonusziel. Gut die Hälfte der Gesamtzeit verbringt man in diesem Raum, und schon mal ein Adventure gespielt zu haben, ist hier definitiv nicht von Nachteil. Man steht unter Beobachtung: In einer Ecke sind eine Kamera, ein Bildschirm und ein Lautsprecher installiert, über die Scholz Kontakt zu unserem Team hält. Wenn Kommentare in die Handlung passen wie Druckausübung auf die Spieler durch Erwähnen des Zeitlimits, spricht Scholz per Mikro und verstellter Stimme zu uns; der dazugehörige externe Helfer, der über Funk Verbindung zu uns halten soll, wurde vorher erwähnt. Will Scholz uns aufmuntern oder Tipps geben, erscheinen sie nur schriftlich auf dem Monitor, um die Stimmung nicht zu stören. Es wird übrigens nichts aufgezeichnet.
Endlich haben wir die Tür zum zweiten Raum offen – und staunen. Wurde im ersten Raum noch auf „konventionelles“ Mobiliar zurückgegriffen, begrüßen uns jetzt selbstgebaute Gerätschaften, die eine erstaunlich hohe Verarbeitungsqualität aufweisen – wie wir später erfahren, ist ein Mitglied des Teams Industriemechaniker. Durch einige großflächige Gestaltungsinstrumente sowie raffinierter eingesetzte Beleuchtung wirkt der Raum auch stylisher. Wieder findet sich ein schönes Puzzles, für das Gegenstände kombiniert werden müssen, die Gruppenmitglieder können sich aufteilen und einige Rätsel parallel abarbeiten – das wirkt schon alles gut durchdacht. Die Zeit wird knapp, die Stimme aus dem Lautsprecher mahnt zur Eile, das letzte Zahlenschloss hakt, nur noch 30 Sekunden, bis wir erwischt werden – wir geraten tatsächlich in Wallung, die letzten Handgriffe werden in großer Eile getätigt, fast stürzen wir aus dem Raum heraus – und haben's geschafft, wenn auch schweineknapp. Strahlende Gesichter.
Die Nachbearbeitung fällt etwas knapp aus. Der Flachbildschirm zeigt eine Nachrichtensendung, in der der Raub der Briefmarkensammlung thematisiert wird. Glückwünsche, ein gemeinsames Foto, das war's. Ein, zwei Souvenirs und ein paar Hintergrundinformationen hätten die Sache abgerundet. Nun, über das Fehlen letzterer konnten WIR nicht klagen, da wir Macher Scholz noch zum nachfolgenden Interview baten. Für „normale“ Gäste mag das Ende aber etwas abrupt daherkommen.
Fazit: Wir waren zu dritt, wir waren drei unterschiedliche Charaktere, es hat uns allen dreien gefallen – das sagt schon was aus. Ein Live Escape Game kann Spaß machen, und wer für Adventures ansatzweise was übrig hat, wird bei They Stole A Million welchen haben – es sei denn, er hat eine Allergie gegen Zahlenschlösser. Die Räumlichkeiten bieten keine perfekte Illusion und wirken einem limitierten Budget angepasst, die Story wird vermutlich keinen Literaturnobelpreis gewinnen – diesbezüglich sollte man aber mit gesunden Erwartungen an ein Live Escape Game herangehen, schließlich wird man nicht durch eine DAX-Firma bespaßt. In puncto Story und Storytelling ist aber definitiv Luft nach oben – vielleicht sollte sich Adventure-Team für Spiel #3 mit einem Untergrund-Literaten oder Poetry Slammer zusammensetzen, um günstig nachhaltige Geschichten einzubinden. Außerdem könnte an der „Siegerehrung“ und Verabschiedung gefeilt werden. Insgesamt aber: Daumen hoch für erstklassig gestaltete 90 Minuten Gesamtdauer. Ob einem selbige zwischen 24 und 32 Euro pro Nase wert sind, muss jeder für sich selbst entscheiden. Uns hat's gefallen!
Kommentar Bakhtosh: „Dies war mein erstes Live Escape Room Adventure. Ich kannte bislang nur die non-Live Varianten vom Smartphone her und war kein großer Fan. Deswegen war ich zwar neugierig aber auch skeptisch als die ersten Live Veranstalter auftauchten. Ich hätte nie gedacht, wieviel Spaß es macht, einfach vor Ort zu sein, Gegenstände zu verrücken, Objekte in die Hand zu nehmen und zu benutzen. Also auch Aufgaben zu verteilen oder gemeinsam zu rätseln. Obwohl nicht abgesprochen hat dies super geklappt. Keiner hat quasi alles alleine gemacht, keiner hat nur daneben gestanden. Ein tolles Gemeinschaftserlebnis. Beeindruckt haben mich eine Handvoll Objekte, die speziell für bestimmte Rätsel oder die Authentizität angefertigt wurden und ungemein zum Flair betrugen. Für weitere Abenteuer würde ich mir mehr Räume, die stärkere Abwechslung bei den Rätseln ermöglichen, wünschen. Denn auch, wenn die Rätsel durch die Story erklärt werden, so wirken sie doch immer noch konstruiert, etwas zahlenschlosslastig und die Räume ein wenig überfrachtet. Dies ist wohlgemerkt Jammern auf hohem Niveau. Das zweite Abenteuer des Adventure-Teams lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.“
Kommentar Enigma: „Der Reiz liegt hier auch in der Geschichte, die um das Spiel gestrickt wurde, und "They Stole A Million" von reinen "Ausbruch"-Escape Games abhebt. Die Rahmenhandlung bildet eine Verbindung zur Welt "draußen", was eine dichtere Atmosphäre schafft und die Immersion erhöht. Und wenn dann unser Kontaktmann draußen die Rückkehr des Wachtmanns ankündigt, und uns noch 60 Sekunden zum Öffnen des letzten Schlosses bleiben, kommt sogar etwas wie Nervenkitzel auf: Unser Auftrag wird wortwörtlich zur Flucht. Dieses Element mag fehlen, wenn eine Gruppe sehr schnell zum Ziel gelangt; bei uns aber sorgte die Zeitknappheit für mein persönliches Highlight ganz am Ende des Spiels.“
Daniel Scholz im Interview |
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AT: Daniel, dann erzähl doch mal. Was hast Du für einen Background, was hast Du gemacht, bevor Du diese Firma aufgezogen hast? DS: Also ich bin Wirtschaftsingenieur und arbeite auch noch in der Windkraftbranche. Windkraft ist in Hamburg recht groß, und ich arbeite an einem Offshore-Projekt als Ingenieur. Adventure-Team ziehe ich in meiner Freizeit hoch. Das ist ein kleiner Kraftakt, aber macht unglaublich viel Spaß. Ihr habt grad unser erstes Produkt getestet, und ich hoffe, es hat euch gefallen! AT: Wenn es um Adventures geht, was sind da Deine persönlichen Favoriten? DS: Ich spiele nicht mehr so viel am Computer. Das letzte Rätselgame, das mir sehr gut gefallen hat, war Limbo. Groß geworden bin ich mit Monkey Island, Day of the Tentacle und Indiana Jones. Das sind so meine Wurzeln. Ich weiß, davor gab's noch Textadventures, aber die hat eher mein Onkel gespielt. AT: Wenn Du die Zeit hättest, eine Woche frei, nichts zu tun, was für eine Art Games würdest Du dann spielen? DS: Ich bin eigentlich ein großer Brettspielfan. Also: Brettspiele. Und wenn ich ehrlich bin, ich hätte schon mal wieder Bock auf ein Adventure. Ich hab bloß den Überblick verloren. AT: Wie bist Du darauf gekommen, selbst ein Adventure zu machen? DS: Im Endeffekt ist das so: Ich war vor einem Jahr in Köln und habe da so ein Live Escape Game mitgemacht. Das war da noch ganz neu in Deutschland. Da gab es auch einen Raum und Rätsel, aber weniger Story, man musste da rausfinden, was ein verschwundener Journalist wusste. Ich bin da rausgekommen und habe sofort meinen Bruder angerufen und sagte zu ihm, da ist etwas, was wir privat im Freundeskreis schon lange machen, aber jetzt als Business für die Öffentlichkeit. Wir fanden das klasse und dachten uns, das machen wir jetzt. Mein Bruder und ich sind absolute Adventure-Fans. Außerdem kommen wir aus dem Geocaching-Bereich und hatten da vorher schon privat Schnitzeljagden im Indiana-Jones-Stil organisiert. Das ging damals einen ganzen Tag lang und war ein bisschen größer gemacht, mit Abseilen von einer Brücke und einem bei einer Bank angemieteten Schließfach und so – alles privat aufgezogen. Und vor einem Jahr dachten wir uns nach meinem Besuch bei diesem Live Escape Game: Das können wir auch, aber besser. AT: Inwieweit hat Dir Deine Leidenschaft für Adventurespiele beim Erstellen der Puzzles eures Escape Games geholfen? DS: Fundamental. Wir sind jetzt seit zwei Wochen offen, und was wir als Feedback kriegen von Leuten, die auch bei anderen Anbietern von Live Escape Games waren, ist, dass wir die bisher diversifiziertesten sind. Was wir an Gimmicks und Sachen und Rätseln haben, wie wir verschiedene Sinnesebenen ansprechen, das hat meiner persönlichen Meinung nach sonst niemand in Deutschland. Das kommt vielleicht ein bisschen durch unsere Liebe, durch unsere Leidenschaft für die Sache an sich. Was wir wollen ist, dass die Leute rumrätseln, auf verschiedene Art und Weise an die Sachen rangehen und da ein Erfolgserlebnis bekommen. AT: Escape Games gibt es auch viele für Mobiltelefone. Im Gegensatz zu den meisten von denen habt ihr tatsächlich eine Story, nicht nur eine Aneinanderreihung von Puzzles. Ihr seid ein Team von vier Leuten. Wer hat die Story entwickelt? DS: Die Story ist von mir und meinem Bruder, die Rätsel auch. Im Team ist noch mein Vater, und da der Industriemechaniker ist, hat er viele Gegenstände... „industriell handgemacht“. Deswegen haben wir sehr einzigartige Gegenstände, mit denen man auch interagieren kann. AT: Wie lange habt ihr für das Storyboard gebraucht, und wie lange hat die Realisierung gedauert? DS: Wir wollten ja im Vergleich zu anderen Escape Games den Fokus mehr auf die Story legen. Das Storyboard ging aber relativ fix. Wir haben erst mal darüber nachgedacht, was ein cooles Ziel ist. Da waren wir sehr inspiriert von Ocean's Eleven und Twelve. Die erste Betaphase kam nach ungefähr zwei Monaten. Und das ganze Finetuning und das Erstellen der Gegenstände – also im Grunde haben wir da jetzt ein halbes Jahr drangesessen von der ersten Idee bis zum fertigen Spiel, wie es sich heute präsentiert. AT: Gibts da einen Break-Even, sowas wie einen Kundenumsatz, ab dem man sagen könnte, man kann das hauptberuflich machen? DS: Wir haben unter der Woche zur Zeit am Abend zwei Slots und am Wochenende, das ist unsere Hauptzeit, sechs Slots. Es gibt einen Break-Even, ab dem man sagen kann, dass der Laden sich trägt. Da wir ganz frisch am Start sind, müssen wir gucken, wie sich das entwickelt. Das hauptberuflich zu machen wäre natürlich eine klasse Sache, aber da müssen wir schauen. Es gab keinen Fokus, dass man gesagt hat, weg mit m[antwort][b]einem alten Job. Wir sind mit dem Herzen dabei, aber wir müssen mal gucken. Bakhtosh: Habt ihr erst die Story entwickelt und dann die Puzzles dazu, oder habt ihr erst überlegt, was gute Puzzles wären, und dann die Story drumrumentwickelt? DS: Sowohl als auch. Wir hatten erst die Story, dann haben wir überlegt, wie kann man das aufziehen. Dabei haben wir von hinten nach vorne angefangen, also erst überlegt, was ist der finale Akt, was muss man da machen. Später kamen dann Betatests, und auf die gab es viel Feedback, ganz, ganz viel Feedback. Da lief vieles überhaupt nicht rund, und in der Folge haben wir Rätsel rausgenommen, wir haben Rätsel verändert und umgestellt – die Hauptarbeit steckt eigentlich im Testen. Enigma: Gibt es bei diesem Adventure eigentlich alternative Lösungen, oder zumindest Ideen für alternative Lösungswege? DS: Das ist erst mal eine gute Idee! Derzeit noch nicht. Ein guter Punkt. Es gibt aktuell am Schluss nur einen eindeutigen Lösungsweg. |
Baldur "Nomad" Brückner
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