Wer das Adventure-Segment in Apples App Store verfolgt, stellt fest, dass zwar jede Menge altbekannte PC-Titel einen zweiten oder dritten Frühling auf iPhone & Co. erleben, echte Neuheiten kommen wahren Genre-Connaisseurs dort allerdings eher selten unter. Im vergangenen Jahr war es unter anderem die erste Episode von „Hector: Badge of Carnage“, die auch sattelfeste PC-Urgesteine zu einem Blick auf Steve Jobs' Mobilplattformen hätte verführen können – immerhin war uns der vulgäre Comic-Spaß den Preis für die beste App 2010 wert. Niemand Geringeres als die LucasArts-Erben von Telltale haben sich nun der Reihe angenommen, Versionen für PC, Mac und iPad entwickelt und gleich zwei weitere Folgen angekündigt, von denen niemand weiß, ob das nordirische Animationsstudio Straandlooper sie von sich aus hätte stemmen können. Wir haben uns die PC-Version im Detail angesehen und wollen auf dieser Seite berichten, wie sich die Lizenz Episode für Episode entwickelt.
Clappers Wreake ist ein Drecksloch irgendwo in England, das von Kriminalität regiert wird. Die Stadt, die das „Great“ aus „Great Britain“ entfernt hat ist eine Schande für das stolze Königreich. In dieser Stadt, in der Unrat die Straßen säumt und alle Hoffnung auf ein zivilisiertes Miteinander vergebens scheint, hat die Polizei kein leichtes Spiel. Zivile Ordnung herzustellen, kann für sie nicht das Ziel sein, lediglich für die Bekämpfung der schlimmsten Verbrechen hat sie Ressourcen übrig. Und so begibt es sich, dass die komplette Wache zu Spielbeginn damit beschäftigt ist, ein Gebäude zu umstellen, in dem ein wahnsinniger Terrorist Geiseln festhält und aus dem Fenster die Vermittler erschießt, die aus den Reihen der Polizei nach vorne treten, um Verhandlungen zu führen.
Nur einer konnte sich erfolgreich dem Einsatz entziehen: Der Titelheld, Detective Inspector Hector, siecht noch in der eigenen Ausnüchterungszelle vor sich hin, wo er von leeren Schnapsflaschen und Fäkalien umgeben in einem Oberhemd aufwacht, das er vermutlich seit Wochen nicht gewechselt hat. Hector ist weder Good Cop noch Bad Cop, er spielt nach seinen eigenen Regeln, spricht die Sprache der Straße – und nur die! - und lässt keine Form von Arbeitsethik erkennen. Das macht ihn zum richtigen Mann für den verschanzten Terroristen, doch muss er dazu zuerst aus seiner Zelle entkommen, eine Hose für seinen nach der Nacht nur spärlich bekleideten Unterkörper auftreiben und den kaputten Dienstwagen in Schwung bringen. Deutlich mehr wird er aber später damit beschäftigt sein, die drei Forderungen des Terroristen zu erfüllen, um das Leben der Geiseln zu retten.
Das hervorstechendste Merkmal des Spiels ist seine Anstößigkeit. Der Autor legt so gut wie allen Charakteren jede Menge britische Gossensprache in die Münder, benutzt Schimpfwörter, Beleidigungen oder anzügliche Sprachfiguren so selbstverständlich wie Kommas und Punkte. Auch in den Rätseln spiegelt sich dieser Duktus wider, so landen auch mal ein benutztes Kondom oder ein Junkie im Inventar. In der sonst so familienfreundlichen Welt der klassischen Comic-Adventures ist das schon ein ungewohntes Bild, zumal selbst die herben Sprüche eines Toonstruck gegen Hector wie zahmer Chorknaben-Humor wirken.
Diese für einen kommerziellen Titel gewagte stilistische Entscheidung muss man nicht mögen, und wer sich von so einer Spielwelt abgestoßen fühlt, der kann Hector getrost links liegen lassen. Dennoch gelingt es dem Spiel, seine schlüpfrige Spielwelt nicht nur konsequent, sondern auch glaubhaft aufzubauen. Das geht zwar nicht so weit, dass die zahlreichen Figuren, die sich in Clappers Wreake tummeln, jenseits ihrer stereotypischen Zweckerfüllung als Rätsel- und Gag-Quellen zu tiefgreifenden Charakteren aufgebaut werden – das wäre für ein leichtherziges wie kleines Spaßmacher-Spiel wohl etwas viel verlangt. Dennoch wird man unweigerlich in die Spielwelt hineingezogen und, vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein, von den gut geschriebenen, erstaunlich pointenreichen Texten kurzweilig unterhalten. Oft ist es unausweichlich, über die debilen Sprüche des Protagonisten zu lachen, auch wenn man sich noch im gleichen Moment ein wenig schmutzig fühlt.
Grafisch ist Hector in schickem, detailverliebtem Comic-Look und kräftigen Farben gehalten. Die überzeichnet gestalteten Figuren heben sich zwar mit ihren einfarbigen Flächen von den meist texturierten Hintergrundzeichnungen ab, sehen aber sehr individuell aus und sind ansprechend animiert. Gerade Hector besitzt für viele Aktionen eigens gezeichnete Bewegungsabläufe, sodass insgesamt die Einbettung der Charaktere in ihre Umwelt gelungen ist.
Den Grafikern von Straandlooper ist es hoch anzurechnen, dass sie beim Vergrößern von den 3,5-Zoll-Monitoren, für die das Spiel ursprünglich konzipiert war, auf 23 Zoll noch so ansehnlich daherkommen. Doch ganz ohne Tribut zu zollen funktioniert diese Transformation dann doch nicht, denn die Hintergründe sind nur sehr wenig, oft gar nicht belebt. Das mag im Handyformat nicht so problematisch sein, ein verwöhnter PC-Abenteurer wünscht sich aber doch mehr Leben im Bild.
Musikalisch hat Straandlooper eine Reihe von netten Stücken zu bieten, die je nach Location die gegenwärtige Stimmung bedienen. Erinnern wird man sich an die Stücke aber eher nicht. Vermutlich mangels Budget stammt die komplette Sprachausgabe von einem einzigen Mitarbeiter des Entwicklers, die für verschiedene Rollen elektronisch verzerrt wurde. Eine so entstandene Vertonung kann zwar nicht mit der hohen Qualität professionell vertonter Titel mithalten, überraschenderweise ist die simple Vertonung aber ziemlich unfallfrei geglückt. Die Betonungen sitzen, die stimmliche Vielfalt ist erfreulich groß und es ist durchaus angenehm, dem Sprecher zuzuhören.
Die PC-Version ist weitgehend mit dem iPhone-Original identisch. Auch die Touch-Steuerung wurde fast unverändert übernommen, sodass statt der rechten Maustaste ein Doppelklick zum Einsatz kommt. Das sorgt zunächst für etwas Verwirrung, geht aber schnell als schrullige Eigenart der Hector-Steuerung in Fleisch und Blut über. Das Speichersystem wurde leicht erweitert, ist aber immer noch sehr primitiv. Nach dem Spielstart wird eines von drei Spielen ausgewählt, danach geht es an der Stelle weiter, an der beim letzten Mal Schluss war. Speichern und Laden gibt es in dem Sinne also nicht, was schade ist, wenn man bestimmte Spielsituationen mehrmals erleben will.
We Negotiate With Terrorists hat die Größe einer typischen Telltale-Episode, sodass etwa 2-3 Stunden Spielzeit erreicht werden. Aufgrund des eher niedrigen Schwierigkeitsgrades gehen die flüssig ohne große Frustmomente von der Hand. Insgesamt hat Telltale ein ordentliches Spiel mit ziemlich derbem Humor vorgelegt, das als allzu direkte 1:1-Portierung leider ein wenig unter der Format-Vergrößerung leidet. Hoffentlich legen die zwei weiteren Folgen, die für den Herbst geplant sind, noch etwas zu, immerhin werden diese ja direkt mit dem PC als Zielplattform entwickelt.
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