Während er noch bei LucasArts arbeitete, kritzelte Bill Tiller in seiner Freizeit eine Skizze mit einer Vampirin und einer Fledermaus. Die Adventure-Idee, die sich daraus entwickelte, hat er seinem Arbeitgeber Gott sei Dank nicht erzählt, denn die Rechte an der Idee wären dadurch bei LucasArts gelandet und würden jetzt zusammen mit Vollgas 2 und Sam & Max Freelance Police in einer Schublade verstauben. Stattdessen gründete Tiller seine eigene Firma, Autumn Moon Entertainment, die seitdem an dem Adventure A Vampyre Story arbeitet. Am Stand von Crimson Cow zeigte uns Tiller persönlich das neueste Material zum Spiel und erzählte begeistert von den Inhalten.
Phan… äh, Vampir der Oper
Die Handlung von A Vampyre Story spielt sich im Jahr 1895 im fiktiven Draxsylvanien ab. Hauptfigur ist die Pariser Opernsängerin Mona de Laffite. Ein männlicher Vampir mit Ödipus-Komplex verliebt sich in sie, weil sie ihn an seine verstorbene Mutter erinnert. Als seine Annäherungsversuche bei Mona erfolglos bleiben, beißt er sie und entführt sie auf sein Schloss in Draxsylvanien. Dabei verschweigt er ihr allerdings, dass sie jetzt ein Vampir ist und gibt ihr jeden Abend als Wein getarntes Blut zu trinken. Doch ihr Verehrer wird eines Tages von Vampirjägern getötet und Mona ist auf sich allein gestellt. Noch immer hegt sie den Wunsch, an die Pariser Oper zu gehen. Dazu muss sie nun zuerst aus dem Schloss und dann aus Draxsylvanien entkommen. Als Freund und Helfer steht ihr die Fledermaus Froderick zur Seite, die sie einst vor einer Schar anderer Fledermäuse gerettet hat. Während Mona einen altertümlicheren Sprachstil und Humor pflegt, ist der Sprachwitz von Froderick eher morderner Art. Nicht nur dadurch ergeben sich viele lustige Dialoge zwischen Mona und ihrer Fledermaus.
Nimm Ritterrüstung? Wo soll ich die denn hinstecken?
Die Steuerung kommt auf den ersten Blick sehr klassisch daher und ähnelt Monkey Island 3 oder Vollgas: durch einen Mausklick taucht ein visuelles Menü auf. Dieses, in Form eines Kreuzes, enthält jedoch neben 3 normalen Symbolen für Nehmen und Anschauen auch ein besonderes Symbol für Monas Vampirkräfte. Zu Beginn des Spiels hat Mona nur die Fähigkeit, sich in eine Fledermaus zu verwandeln. Im weiteren Spielverlauf bekommt sie noch die Fähigkeit des Blutsaugens dazu. Auch die Vampir-typischen Einschränkungen beeinflussen das Rätseldesign. So kann Mona beispielsweise nicht über fließendes Wasser fliegen. Dumm nur, dass das Schloss auf einer Insel innerhalb eines Sees steht. Von der LucasArts-Tradition abweichend führt Bill Tiller in seinem neuen Spiel Ideen-Icons ein: Ist ein Gegenstand, beispielsweise eine Leiter, zu groß oder zu sperrig, um ihn die ganze Zeit herumzuschleppen, wird er als Idee oder Gedanke ins Inventar aufgenommen. Bei einer sinnvollen Anwendung der Idee gibt es dann eine Cutscene: Mona bringt den Gegenstand in den aktuellen Bildschirm und wendet ihn an. Die anwendbaren Ideen können aber auch abstrakt sein, z.B. eine Zahlenkombination oder eine Melodie beinhalten. Ein Sarg bildet das Inventar von Mona. Auch Weggefährte Froderick kann als Gegenstand benutzt werden: Er erledigt auch Aufgaben, vor denen Mona sich scheut.
Grafik zum Anbeißen
Für den Look des Spiels hat sich Tiller von den schwarz-weißen Tintenzeichnungen Edward Goreys inspirieren lassen. Ursprünglich war sogar angedacht, das Spiel komplett in schwarz-weiß zu produzieren, doch erfreulicherweise wurde die Idee nach ersten Farbtests verworfen. Auch Tim Burton und Dr. Seuss zählen zu den Inspirationsquellen. Die Hintergründe sind handgezeichnet und weisen einen detaillierten Comic-Look auf. Im Gegensatz zu Monkey Island 3 wurde aber auf dunkle Umrisslinien verzichtet, wodurch das Ganze plastischer wirkt. Die Figuren selbst sind 3D, fügen sich aber bereits ziemlich gut in die Hintergründe ein. Insgesamt soll es im fertigen Spiel über 30 Locations und mehr als 25 Charaktere geben. Die Figuren, die Draxsylvanien bevölkern, von der mysteriösen Wahrsagerin Madame Strigoi über den Gargoyle Rufus, bis zu Inky dem Seeungeheuer wirkten schon in der Frühversion sehr skurril und lustig. Auch eine alte LucasArts-Tradition wird weitergeführt: die Figur „Pyewacket“ ist eine Hommage an das beliebte Hasen-Ding der Freelance Police. Abgerundet wird der grafische Genuss von insgesamt ca. 15 Minuten Videosequenzen. Einen kurzen Ausschnitt durften wir schon begutachten und wir waren sehr begeistert von Animation und Humor. Musik gab es noch nicht allzu viel zu hören. Der Soundtrack soll von Pedro Camacho geschrieben werden, Effekte und Stimmen für die englische Version kommen von Bay Area Sound, die bereits für die Adventures von Telltale hervorragende Arbeit geleistet haben.
Dem Vampyr ist nichts zu schwyr
Von den Rätseln des Spiels konnten wir leider noch nichts sehen. Allerdings sollen diese den typischen durchgeknallten LucasArts-Humor weiterführen. In der ersten Hälfte des Spiels ist das Hauptziel die Flucht von der Insel, auf der das Vampir-Schloss steht, in der zweiten Hälfte bewegt man sich dann durch eine kleine Stadt am Ufer des Sees. Um aus Draxsylvanien zu fliehen, muss Mona die nötige Ausrüstung finden. Teil davon ist ein Pferd, doch das Exemplar im nahen Stall ist leider mit einer Parkkralle gesichert. Laut Bill Tiller hat das Autumn-Moon-Team sich bemüht, eine Ausgewogenheit bei den Rätseln zu erreichen und auch einige harte Nüsse einzubauen. Da die geplante Geschichte viel zu lang für ein einzelnes Adventure war und somit nicht alle ursprünglichen Ideen ins Spiel passten, sollen noch 2-3 Fortsetzungen folgen. Dabei wird Mona auch weitere Vampirkräfte erlangen, wie zum Beispiel Hypnose, die Kontrolle über das Wetter oder das Herbeirufen von Ratten. Erscheinen wird das Spiel voraussichtlich Anfang 2008. Laut Tiller ist das Design zu fast 100% fertig, was noch fehlt ist ein Großteil des Scriptings. Die Länge des Adventures verglich er mit Vollgas, voraussichtlich also ca. 10 Stunden Spielzeit.
Infokasten
Die Spiellänge
Bill Tillers Vergleich mit Vollgas wurde in unseren Kommentaren bereits heiß diskutiert. Georg Hach von Publisher Crimson Cow hat uns dazu eine kurze Stellungnahme geschickt, die wir hier noch ergänzend zitieren möchten:
„Die Spiellänge sehen wir eher bei 15 Stunden, der Vergleich bezog sich nicht exakt auf die Spiellänge von Vollgas, sondern auf das Verhältnis zwischen Qualität und Spieldauer. Also ,lieber kürzer und knackig als langweilig und 300 Stunden Spielzeit.'“Insgesamt macht das Spiel schon jetzt einen sehr interessanten Eindruck. Tolle Grafik, eine abgefahrene Story mit verrückten Charakteren und einige Innovationen wie die „Ideen-Icons“ lassen auf ein Highlight hoffen. Zum Glück versucht Autumn Moon nicht, voreilig das Weihnachtsgeschäft mitzunehmen, sondern lässt sich Zeit, um dem Spiel den letzten Schliff zu geben. So kann man als Adventure-Liebhaber auch nach der Festtags-Schwemme noch neuen Titeln entgegenfiebern.
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